Читать книгу Von Vampiren, Kriegern und Dieben - Heike Möller - Страница 7
Kapitel 5: Neue Gefahren
ОглавлениеLeilani saß in ihrem Büro und arbeitete die Akten mit einem Dauergrinsen im Gesicht ab. Ihre Kollegin Anita, der sofort bei ihrem Hereinkommen eine Veränderung an ihr aufgefallen war, konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Anita kannte Leilani seit etwa zwei Jahren, sie war immer freundlich, aber eher ruhig. Meistens ziemlich ernst.
Aber dieses Dauerlächeln?
„Ich hab´s!“, brüllte Anita plötzlich und setzte sich mit geweiteten Augen auf ihren Stuhl.
„Du hast eine gesuchte Akte gefunden?“, fragte Leilani und sah ihre Kollegin unschuldig an.
„Was? Nein! Ich weiß jetzt, warum du ständig grinst!“
Leilani fiel es schwer, sich naiv zu stellen. „Tu ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen.“
Anita nahm eine Büroklammer und warf sie nach Leilani. Sie nahm den Kopf ein wenig zur Seite und das Wurfgeschoss fiel hinter ihr zu Boden.
„Du bist verliebt, Leilani! Bis über beide Ohren!“ Anita klang irgendwie anklagend.
„Möglich“, meinte Leilani und sah kurz von ihrer Akte zu der Kollegin hinüber. Dabei vertiefte sich ihr Grinsen noch.
Anitas Augen, die ohnehin schon groß waren, bekamen jetzt erschreckende Ausmaße. „Oh. Mein. Gott!“
Besorgt runzelte Leilani die Stirn. „Ist dir nicht gut? Brauchst du ´nen Arzt?“
„Ach, hör schon auf, Mädchen!“, brüllte Anita. Dann beugte sie sich verschwörerisch über den Schreibtisch. Dadurch stützte sich ihr üppiger Busen auf dem Arbeitsplatz ab. „Du bist keine Jungfrau mehr!“, wisperte sie intensiv.
Leilani holte tief Luft, grinste weiter. „Yep!“
Anita quietschte auf, schoss von ihrem Stuhl in die Höhe und umrundete mit einer für die korpulente Frau irrsinnigen Geschwindigkeit und Behändigkeit die Tische. Sie schlang ihre Arme um Leilani, bevor diese auch nur in eine Abwehrposition gehen konnte.
„Das freut mich ja so für dich! Ist es der Typ, der dir die Orchidee geschickt hat? Erzähl schon, wann? Wie?“
Leilani kicherte. „Nun, wir haben die Woche, in der ich Urlaub hatte, reichlich genutzt, um uns besser kennen zu lernen. Und es hat, wie man so schön sagt, gefunkt. Den Rest überlasse ich deiner Fantasie, Anita.“
„Bist du jetzt richtig bei ihm eingezogen?“ Anita wusste, dass Leilanis Wohnung aufgrund eines Wasserschadens für eine gewisse Zeit nicht bewohnbar war und sie deshalb zu einem Freund gezogen war.
„Nein. Ich bin gestern Abend in meine Wohnung zurück. Wir … ich brauche etwas Zeit und Abstand, um, das alles zu begreifen. Und Tris gibt mir die Zeit, die ich brauche, drängt mich nicht.“
Anita gab einen langen, sehnsuchtsvollen Seufzer von sich. „Ich hoffe, ich lerne irgendwann deinen Traumprinzen kennen!“
Leilani lachte. Ihr Handy klingelte, sie sah auf das Display und ihr Lächeln wurde wieder breiter. „Hast du mich vermisst?“
Anitas Augen wurden erneut riesengroß und sie machte lange Ohren, hoffte, irgendetwas zu erhaschen.
„Ja. Sehr. Schau mal aus dem Fenster.“
Leilani runzelte die Stirn, stand auf und sah aus dem Fenster zur Straße hinab. Tristan stand auf der anderen Straßenseite und winkte ihr zu. Dann machte er mit seinem Zeigefinger ein Zeichen nach oben. Sie sah hoch, über die Dächer der gegenüber liegenden Häuser und ihr Mund klappte auf.
Über ihnen zog eine kleine, einmotorige Sportmaschine ihre Bahn. Am Heck des Fliegers flatterte ein Band, auf dem etwas stand.
`Je t'aime. Sur toujours et éternellement ! (Ich liebe dich. Auf immer und ewig!) ´, war da sehr deutlich zu lesen.
„Du bist verrückt, Geliebter. Weißt du das?“ Leilani sprach sanft und leise, Tränen rannen über ihre Wangen.
„Nun, ich bin kein Mann vieler Worte, wenn es um Gefühle geht. Aber so kann ich dir zeigen, was ich empfinde.“
„Ich liebe dich auch, Tris.“
„Also, wir sehen uns morgen Abend, ja?“ Tristan sah immer noch zu ihr hoch und lächelte breit. Natürlich registrierte er Leilanis Kollegen, die allesamt neugierig an den Fenstern klebten, aber er hatte nur Augen für seine Auserwählte.
Denn das war sie für ihn.
„Morgen Abend.“ Leilani warf ihm eine Kusshand zu und legte auf. Als sie sich umdrehte sah sie, wie Anita regelrecht an der Fensterscheibe klebte. Aus den Nebenzimmern war anschwellendes Gerede zu hören und ein paar Sekunden später ging die Tür auf.
Leilani ignorierte die Fragen ihrer Kollegen und setzte sich mit einem Lächeln hin. Sie schwieg und strahlte.
Kurz vor Feierabend ging die Tür auf und Anita Kollwitz´ Freund Tufek Al´Harq kam in die Büroräume. Er lächelte Leilani höflich zu und beugte sich zu Anita hinunter, die ihn liebevoll anschmachtete.
„Sie hatten letzte Woche Urlaub, nicht wahr?“, fragte der Tunesier Leilani.
„Ja, hatte ich. Wie geht es Ihnen, Tufek?“ Leilani betrachtete den Tunesier und fand, dass er ein gut aussehender Mann war, wenn auch etwas klein für ihren Geschmack.
>Guter Gott! Früher hatte ich solche Gedanken nicht. Aber da wusste ich ja auch nicht, was mein Geschmack ist. Jetzt habe ich Tris. Kein Vergleich nötig. <
„Tufek hat seit einer Woche ein Tattoo, Leilani“, sagte Anita plötzlich.
„Will ich wissen, wo?“, fragte Leilani und grinste die beiden an.
„Nichts Spektakuläres“, grunzte Tufek und funkelte leicht verärgert seine Freundin an. „Nur ein … Schutzzeichen. Hier.“
Tufek streckte Leilani seinen linken Unterarm entgegen. Dort war ein auf dem ersten Blick unterbrochenes, rundes Muster. Leilani sah genauer hin und entdeckte, dass ein gleichschenkliges Kreuz tätowiert worden war. Die Zwischenräume waren mit T-förmigen Kreuzen gefüllt.
„Das ist interessant. Hat das eine besondere Bedeutung? Sie sagten ja, es wäre ein Schutzzeichen.“
„Gegen das Böse. Ich bin religiös, wissen Sie?“
Leilani nickte. „Dabei dachte ich immer, Sie wären Moslem. So kann man sich irren. Entschuldigt mich jetzt, ihr zwei, aber ich muss unbedingt einkaufen gehen. Mein Kühlschrank ist leer.“
Leilani griff ihre Handtasche, vergewisserte sich, dass sie ihren Arbeitsplatz ordentlich verließ und ging aus dem Büro. Sie lief schnell zur Treppe, lief sie noch schneller hinunter und rannte zu ihrem Auto auf dem Parkplatz. Kaum saß sie in ihrem Fiesta verriegelte sie die Türen und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Sie fuhr nicht direkt nach Hause, sondern raste förmlich auf den Parkplatz eines Supermarktes, bremste hart auf einem Parkhafen ab, starrte mit panischem Blick über das Lenkrad auf das Gebäude des Supermarktes.
>Das kann nicht sein. Das sind einfach zu viele Zufälle! <
Leilani schaltete mit zitternden Händen den Motor aus und atmete erst einmal tief durch. Dann suchte sie ihr Handy aus der Handtasche und wählte eine Nummer, die in ihrem Telefonbuch gespeichert war.
„Wer hat denn jetzt Sehnsucht?“, fragte Tristans warme Stimme in seinem atemberaubenden Bass.
Leilani beruhigte sich augenblicklich, aber sie wusste, dass ihre Botschaft Tristan in Alarm versetzen würde. „Der Freund meiner Kollegin hat neuerdings eine Tätowierung auf seinem linken Unterarm. Es ist das koptische Kreuz, dass du mir gezeigt hast.“
Es vergingen mehrere Sekunden, bis Tristan langsam und zischend die Luft aus seinen Lungen stieß. „Wo bist du jetzt?“
„Auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Nachdem ich das Tattoo gesehen habe bin ich sofort los. Ich habe meiner Kollegin und ihrem Freund gesagt, dass ich noch dringend einkaufen gehen müsste, da mein Kühlschrank leer sei. Ist nicht mal gelogen. Ich glaube nicht, dass Tufek Al´Harq Verdacht geschöpft hat.“
„Hat er was gesagt?“
„Dass es ein Schutzzeichen gegen das Böse wäre.“
Leilani spürte regelrecht, wie es in Tristan arbeitete, ohne ihn zu sehen.
„Gut. Geh in Ruhe einkaufen, bring die Sachen nach Hause. Lass dir Zeit, geh noch shoppen oder so. Ich trommle die Jungs zusammen und wir sind in etwa einer Stunde in deiner Wohnung. Dann kannst du alles erzählen.“
„Ist gut, Tris.“
„Lani?“
„Ja, Tristan?“
„Pass bitte auf dich auf. Geh kein Risiko ein. Wenn dir etwas merkwürdig vorkommt, verschwinde.“
„Verlass dich drauf.“
Leilani legte auf und verließ das Auto. Ihre Knie zitterten ein wenig, aber sie riss sich zusammen. Wenn sie beobachtet werden sollte war es besser, so unauffällig wie möglich zu agieren.
>Unauffällig. Pah! Ich bin wie von Taranteln gestochen auf diesen Parkplatz gerast und gehe jetzt langsam in den Supermarkt. <
Sie überlegte kurz, was sie eigentlich so aufgebracht hatte.
Ben und dann Tristan hatten ihr von den `Kriegern des reinen Glaubens´ berichtet. Eine Organisation, die im 3. Jahrhundert unter dem damaligen koptischen Papst in Ägypten gegründet worden war. Ursprünglich kämpften diese Krieger für ihren koptischen Glauben und waren der militärische Arm der Kirche. Sie kamen irgendwann aus der Mode, fielen im Laufe des 16. Jahrhunderts beim damaligen Papst in Ungnade und wurden aufgelöst.
Aber offenbar nicht vollständig. Einige Krieger versprengten sich in Europa und Vorderasien, warteten über Generationen auf eine Neubelebung. Und die kam, irgendwann, von irgendjemanden, aus irgendeinem Anlass. Heute waren diese Krieger, auch Legionäre genannt, mit modernsten Waffen und Techniken ausgestattet. Ihr Ziel war es nicht mehr, die koptische Kirche zu beschützen, sondern das Böse aus der Welt zu tilgen.
Das Böse, das sich in Form von Dämonen manifestierte.
Dämonen, zu denen ihrer Meinung auch Vampire gehörten.
Aber es gab keine Dämonen und böse Geister.
Und Vampire waren eine natürliche, durch die Evolution geformte Spezies.
Tristan hatte Leilani alles in Ruhe erklärt, sie eingeweiht. Er hatte ihr das koptische Kreuz gezeigt, sodass sie, wenn sie auf jemanden mit einer entsprechenden Tätowierung traf, vorgewarnt war.
Nur hatte Leilani nicht damit gerechnet, dass sie sobald auf jemanden treffen würde.
Sie schob den Einkaufswagen durch die Gänge und packte das nötigste in den Korb: Brot, Geflügelaufschnitt, Quark, Joghurt, Gemüse und Obst.
>Milch brauche ich noch. Und Eier. Verdammt, ich bin viel zu ruhig! <
Leilani ging zur Kasse, bezahlte und stellte die Einkaufstüte in den Kofferraum. Dann fuhr sie nach Treptow rein und lenkte ihr Auto in das Park-Center am Treptower Hafen. In aller Seelenruhe bummelte sie durch die CD-Abteilung des Elektrogeschäfts, entschied sich für zwei Alben und kaufte auch die. Dann ging sie zu dem China-Imbiss und bestellte sich eine Portion Nudelpfanne mit Gemüse und Hühnchen.
>Wenn ich für die Anderen was hole und ich beobachtet werde, fragen die sich dann natürlich, für wen ich so viel zu Essen hole! Sorry, Freunde. <
Die Stunde war vorüber und Leilani ging in das Parkhaus, setzte sich in ihr Auto und fuhr langsam und ruhig nach Hause. Zwischendurch sah sie immer wieder in den Rückspiegel, aber ihr fiel nichts Verdächtiges auf. Sie suchte sich einen Parkplatz in der Nähe ihres Wohnhauses, nahm die Tüten aus dem Kofferraum und ging gemütlich auf das Haus zu.
Eine Harley-Davidson stand vor dem Eingang auf dem Bürgersteig und Leilani ließ erleichtert die Schultern sinken. Sie entdeckte Ben an einer Straßenecke, wie er scheinbar auf jemanden wartete und dabei rauchte und telefonierte.
Leilani ignorierte Ben und ging in das Haus, die vier Stockwerke hoch. Sie hörte, wie oben die Wohnungstür geöffnet wurde und wurde immer ruhiger. Als sie vor Tristan stand, der sie mit besorgt gerunzelter Stirn ansah, atmete sie erleichtert auf.
„Geliebte!“, sagte er nur und nahm sie in die Arme. Sie zitterte plötzlich und genoss die Wärme und Geborgenheit, die er ausstrahlte.
„Alles in Ordnung, Liebster“, flüsterte sie. „Ich glaube nicht, dass mir jemand gefolgt ist.“
Sie gingen in die Wohnung, gefolgt von Ben, der nahezu lautlos die Treppen hinaufgeeilt war. Im Wohnzimmer saßen Jan und Helena Cerný auf der neuen Couch. Tobias Kerner saß auf einem Esszimmerstuhl, wirkte blass und hochkonzentriert zugleich. Ben setzte sich auf einem zweiten Stuhl, während Tristan Leilani auf den Sessel drückte.
„Ich war so frei und habe für alle Kaffee gemacht“, sagte Tristan sanft. „Möchtest du auch einen?“
Leilani schüttelte den Kopf. „Nur Wasser, bitte.“
Tristan eilte in die Küche und kam mit einem Glas und einer Wasserflasche zurück.
„Erzähle uns von vorn, was geschehen ist“, forderte er sie auf, während er ihr das Glas mit dem Mineralwasser füllte.
Leilani erzählte den Anwesenden ruhig ihr Erlebnis von dem Moment an, als Tufek Al´Harq die Büroräume des Bezirksamtes betreten hatte. Sie erwähnte nicht Tristans romantischen Liebesbeweis am Himmel über Berlin; das ging nur sie beide etwas an und hatte nichts mit den Kopten-Kriegern zu tun.
„Wie lange arbeitest du schon mit dieser Anita zusammen?“, fragte Ben. Er hatte sehr aufmerksam zugehört und sah Leilani sanft an.
„Seit etwa zwei Jahren. Gleich nach meiner Ausbildung kam ich in das Büro rein.“
„Und seit wann ist sie mit diesem Tufek zusammen?“
Leilani überlegte kurz, dann fiel es ihr ein. „Seit etwas über einem Jahr. Sie sagt, sie hat ihn in einem Café kennen gelernt. Sie sind damals ins Gespräch gekommen und irgendwie hat es gefunkt.“
Die Vampire sahen sich schweigend an, aber Leilani wusste, dass sie in Gedanken miteinander kommunizierten. „Würdet ihr mich bitte einweihen?“, bat sie leise.
Tristan hatte sich auf die Sessellehne gesetzt und seine Hand streichelte ihren Arm. „Wir überlegen, ob es Zufall sein kann oder ob du observiert wirst. Wenn letzteres, dann fragt sich, warum.“
Leilani grübelte. „An dir kann es nicht liegen. Wir kennen uns erst seit drei Wochen. Darius wäre eine Möglichkeit, da er auch ein Vampir ist. Aber ich habe bis vor einer Woche nicht einmal gewusst, dass ich diesen Mann kenne, geschweige, dass er ein Vampir ist. Das ergibt keinen Sinn.“
„Sie hat Recht“, gab Helena zu bedenken und sah Leilani mitleidig an. „Es kann wirklich nur ein Zufall sein. Aber um sicher zu gehen, sollten wir uns vielleicht mit diesem Tufek unterhalten.“
Leilani durchfuhr es eiskalt. „Ihr werdet ihn doch nicht töten, oder?“
Helena sah betreten zu Boden und auch Ben vermied es, in ihre Augen zu sehen. Merkwürdigerweise war es Tobias, der sanfte und zurückhaltende Tobias, der Leilani mit einer kalten Ruhe in die Augen sah.
„Tufeks Tätowierung ist frisch. Das heißt, er ist gerade in den Stand eines Legionärs erhoben worden. Und das wird man nur, wenn man einen Vampir getötet hat und das passt zu meiner letzten Vision.“
„Deiner … Vision?“
Tristan seufzte leise. „Tobias sieht in Träumen und Visionen, wenn einer von uns stirbt. Das Ganze fing vor etwa zwei Jahren an. Als Jan dann vor eineinhalb Jahren entführt und gefoltert wurde, hat Tobi aufgrund der engen Verbindung zwischen ihnen seine Qualen regelrecht miterlebt.“
Leilani sah Tobias mitleidig an. Doch der winkte ab. „Vor etwas über einer Woche sah ich wieder den Tod eines der Unseren. Es ging relativ schnell diesmal. Ein Anzeichen dafür, dass der Mörder noch frisch in seinem Gewerbe war.“
„Das muss furchtbar für dich sein“, wisperte Leilani. „Wie hältst du das aus?“
Tobias lächelte sie an. Er mochte sie immer mehr, war froh, dass Tristan diese Frau an seiner Seite hatte, „Ich habe eine Frau, die mich liebt und mir Kraft gibt. Und ich habe Freunde, die mich unterstützen. Und ich lebe in dem Glauben, dass meine Gabe hilfreich ist. Manchmal können wir einen der Unseren rechtzeitig finden und befreien.“
Leilani sah zu Tristan hoch und bemerkte seine zusammengekniffenen Lippen. „Die Frau, die du und Ben auf Kreta befreit habt. Wusstet ihr durch Tobi davon?“
Tristan sah sie an und nickte. Dann küsste er sie sanft auf die Stirn.
Ein Handy klingelte und Ben ging ran.
„Danke, Rup. Ich melde mich wieder.“ Er klappte das Handy zu und sah seine Freunde nachdenklich an. „Rupert hat mir gerade die Adresse durchgegeben, unter der Tufek Al´Harq gemeldet ist. Offensichtlich wohnt er nur ein paar Häuserblocks von deiner Kollegin Anita Kollwitz entfernt.“
„Das ist das, was Anita mir auch einmal gesagt hat“, bestätigte Leilani. „Ich glaube nicht, dass sie etwas damit zu tun hat. Bitte, haltet sie da raus.“
Ben lächelte milde. „Wir werden sie sanft scannen und danach die Erinnerung an uns aus ihrem Gedächtnis löschen. Wenn sie wirklich unschuldig ist, hat sie überhaupt nichts zu befürchten. Was Tufek betrifft, kann ich dir keine Garantien geben. Es hängt davon ab, wie viele er von uns getötet hat. Versuch uns bitte zu verstehen, Lani.“
Leilani sah Ben in die eisblauen Augen. Der sanfte Riese war kein kaltblütiger Mörder, das wusste sie. Sie war schon tief in diese Welt eingetaucht. Zu tief, als dass sie jetzt moralische Bedenken äußern konnte.
„Ich verstehe euch. Und ich akzeptiere und respektiere eure Beweggründe. Wie werdet ihr jetzt vorgehen?“
„Nun, Tris wird hierbleiben und wir …“ Jannik Cerný hatte sich schon fast erhoben, als Tristan ihn zurückhielt.
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“, zischte Tristan und seine grünbraunen Augen blitzten empört auf. „Ich werde mitkommen und euch helfen.“
Jan schüttelte den Kopf. „Wir sind drei erfahrene männliche Vampire und Helena kann Übung im Scannen brauchen. Und jemand muss auf Lani aufpassen. Nur für den Fall, dass Tufek auf die Idee gekommen ist, dass ihr plötzlicher Aufbruch in dem Büro doch etwas mit seinem Tattoo zu tun haben könnte.“
Ben stand auf und streckte sich ein wenig. „Jan hat Recht, mein Freund“, sagte er sanft. „Wer kann Leilani besser beschützen als du? Wir melden uns bei dir und geben dir Bericht, einverstanden?“
Tristan stand da und wusste nicht so recht, was er tun sollte. Bisher war er derjenige gewesen, der immer und überall an vorderster Front kämpfte. Aber vielleicht war es an der Zeit, auch andere zum Einsatz kommen zu lassen.
„Okay“, sagte er schließlich und seine Schultern sackten herab. „Aber passt bitte auf euch auf, verstanden? Ich will keinen von euch verlieren!“
Helena ging lächelnd auf Tristan zu und umarmte ihn. „Jetzt weißt du wie es uns geht, wenn du auf irgendeine Mission gehst. Aber versprochen, wir passen auf.“ Sie gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann zwinkerte sie Leilani zu und ging mit Jan aus der Wohnung. Ben folgte ihnen und klopfte dem Lothringer im Vorbeigehen kurz auf die Schulter.
Tobias Kerner schickte seinem besten Freund und entfernten Verwandten einen freundlichen Gedanken und folgte langsam seinen Freunden.
„Du wärst sehr gerne mit ihnen gegangen“, stellte Leilani fest.
„Ja. Aber sie haben schon Recht.“ Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und stand unschlüssig im Wohnzimmer.
„Du musst nicht auf mich aufpassen, Tris. Geh´ schon.“
Tristan drehte sich um und sah Leilani Stirn runzelnd an. „Nein, Lani. Das wäre falsch. Die anderen haben Recht, du könntest in Gefahr sein. Und ich bin dein bester Schutz, Geliebte.“
Leilani sah ihn lange an, dann stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. „Na gut. Dann mache ich uns ein kleines Abendbrot.“ Sie stand auf und nahm die Tüte mit den CDs, gab sie Tristan.
„Habe ich vorhin gekauft. Machst du Musik an, während ich in der Küche bin?“
Tristan nickte und nahm die Tüte entgegen. Nachdenklich sah er der Frau hinterher, als sie das Wohnzimmer verließ.
Tristan saß auf der Couch und Leilani hatte sich in seinen Arm gekuschelt. Gedankenverloren streichelten seine Fingerspitzen über ihren Arm, während er mit leerem Blick auf die Wand starrte.
Leilani spürte die Anspannung in Tristan. Vor drei Stunden waren die anderen gegangen und hatten Tristan bei Leilani zurückgelassen. Sie hatten zu Abend gegessen, Musik gehört und sich unterhalten. Tristan hatte von seinem Schloss in Lothringen mit angrenzendem Gestüt und den Weinbergen erzählt. Von seiner Blockhütte irgendwo in Kanada an einem kleinen See, der ihm ebenfalls gehörte. Von seinem Chalet in den Französischen Alpen.
„Können wir irgendwann vielleicht gemeinsam Urlaub machen?“, hatte Leilani gefragt. „In Kanada? Oder in deinem Chalet?“
Tristan hatte gelächelt, aber das Lächeln hatte seine Augen nicht wirklich erreicht.
„Ich würde gerne wissen, was dir durch den Kopf geht“, sagte sie jetzt leise und zupfte an einem Härchen auf seinem Arm. Auf der braungebrannten Haut wirkten diese Haare heller, als sie eigentlich waren, aber Leilani empfand das als wunderschönen Kontrast.
„Ich habe dich in Dinge hineingezogen, deren Tragweite ich hätte voraussehen müssen“, murmelte Tristan.
Leilani presste ihre Lippen zusammen, holte durch die Nase kurz und scharf Luft. „Bereust du das mit uns?“
Tristans Herz setzte einen Moment aus, dann durchfuhr ein Zittern seinen Körper. „Egoistisch wie ich bin? Nein. Auf keinen Fall. Aber ich bringe dich nur in Gefahr.“
Leilani richtete sich auf und sah ihm ernst in die grünbraunen Augen, die jetzt vor Sorge und Kummer dunkelgrün waren.
„Jetzt hör mir mal gut zu, Tristan. Nicht du hast mich in diese Situation gebracht, sondern, wenn man es genau nimmt, Darius. In der Nacht, als ich erfuhr, wer und was du bist, was ihr alle seid, hätte ich wegrennen können. Du oder ein anderer hätte mir meine Erinnerung nehmen und ich hätte mein Leben wie bisher führen können. Es war meine Entscheidung, bei dir zu bleiben. Meine!“
Tristan sah in die jadegrünen Augen, deren bronzener Strahlenkranz erzürnte Blitze abfeuerten. Ihre Wangen waren gerötet, die Stirn leicht gerunzelt. „Ich hätte dich wegschicken sollen“, sagte er lahm.
„Und was dann? Dann würdest du noch mürrischer als vorher umherlaufen, habe ich Recht?“
Indigniert zog Tristan die Brauen hoch setzte zum Sprechen an.
„Ich könnte morgen auf die Straße gehen und von einem LKW überfahren werden. Oder ein Ast bricht ab und erschlägt mich. Oder ein Dachziegel. Oder ich könnte bei einem Raubzug in einem Kamin stecken bleiben und elendig verdursten oder ersticken.“
„Das ist nicht witzig!“, zischte Tristan und merkte, dass er wütend wurde. Wütend, weil sie Recht hatte.
„Stimmt. Aber so ist das Leben, Tristan. Egal, ob du eine normale menschliche Lebenserwartung hast oder die nahezu unerschöpfliche eines Vampirs: es gibt keine Garantien! Für nichts und niemanden.
Und deswegen, weil ein Leben letztendlich endlich ist, genieße ich jeden Augenblick davon. Auch ich bin egoistisch, wenn es um uns geht. Ich will dich in meiner Nähe wissen, dich spüren, dich lieben, dich in den Wahnsinn treiben. Und ich möchte von dir in den Wahnsinn getrieben werden, vor Lust nicht mehr klar denken können. Ich will, dass mein Herz für den Rest meines Lebens Kapriolen schlägt, wenn ich nur an dich denke. So wie jetzt.“
Tristan sah in ihr Gesicht. Ihre leidenschaftliche Ansprache ließ ihre Atmung schneller werden, die Brust hob und senkte sich aufgebracht.
„Ich habe auch Angst. Angst, dich zu verlieren“, gestand Leilani und ihre Unterlippe begann zu zittern. „Ich habe verstanden, was du für dein Volk machst, in was für Gefahren du dich bringst. Aber ich werde dich niemals zurückhalten, Tristan. Niemals. Dazu bist du für die Vampire zu wichtig.“
Hatte Tristan irgendwelche Zweifel an der Richtigkeit seiner Wahl gehabt, verflogen die nun endgültig und restlos. Er zog Leilani an sich und grub sein Gesicht in ihre Halsbeuge.
„Ich danke dir, Gott!“, flüsterte er. Dann küsste er ihren Hals hinauf, über den zarten Schwung des Unterkiefers zu ihren Lippen, verweilte dort einen Moment in einem zarten Abstand. Dann versanken beide in einem langen und leidenschaftlichen Kuss, klammerten sich aneinander.
Tristan hatte jedes Zeitgefühl verloren, als er sich von ihr löste und Leilani ins Gesicht sah. Ihre Lippen waren durch den Kuss geschwollen und rot, die Augen glühten in entfachter Lust, aber sie hielt sich zurück.
„Ich würde dich am liebsten in das nächste Flugzeug setzen und zu Rashid ins Refugium schicken“, meinte er. „Dort wärst du in Sicherheit.“
Leilani seufzte. „Ich möchte zwar irgendwann Rashid und dessen Frau kennen lernen, aber bitte nicht unter dramatischen Umständen, wenn´s geht. Außerdem, wie lange soll ich mich denn dort verstecken? Hinter Darius bist du seit 829 Jahren her. Und was diese fanatischen Glaubenskrieger betrifft, die werdet ihr kaum mit einem einzigen Streich erledigen können.“
Tristan strich sanft über Leilanis Gesicht und sein Lächeln vertiefte sich immer mehr, erreichte nun doch seine Augen. „Was habe ich nur für eine kluge und verständnisvolle Frau.“
„Das geht sogar noch weiter.“ Leilani nahm seine Hand und küsste die Handfläche. „Ich weiß sehr wohl, dass es Dinge geben wird, die du mir nicht berichten darfst. Das ist okay. Wenn ich also mal was nachfrage und du darfst das nicht sagen, sage einfach, das du es nicht sagen darfst!“
Zweifelnd rümpfte Tristan die Nase. „Und du wirst dann nicht sauer sein?“
„Das habe ich nicht gesagt. Wahrscheinlich werde ich zuerst sauer sein, weil du ein Geheimnis vor mir hast. Aber dann werde ich, weil ich klug und verständnisvoll bin, wie du schon richtig erkannt hast, dir verzeihen.“
Tristans Anspannung löste sich in einem langen und wunderbaren Lachanfall, in dem Leilani einstimmte und zusammen lachten sie, bis es an der Haustür klingelte.
Tristan stand auf und ging zur Wohnungstür, horchte, wer die Treppe hochkam. Es war Tobias, der Tristan ein Erkennungssignal sandte. Die beiden Männer umarmten sich stumm und Leilani betrachtete sie, wie sie, so ähnlich und doch verschieden, zu ihr hinüberblickten.
„Anita hat mit den Legionären nichts zu tun“, sagte Tobias ruhig und Leilani ließ ihre Schultern, die vor Anspannung schon schmerzten, sinken.
„Den Göttern sei Dank!“, seufzte sie und lehnte sich gegen den Türrahmen der Küche.
„Wir haben jegliche Erinnerung an uns in ihr getilgt. Sie wird morgen ganz normal im Büro auftauchen, wie üblich.“
„Und was ist mit Tufek?“ Leilani hatte eigentlich Angst zu fragen. Aber sie musste es wissen, ihre Verstrickung war schon tief genug, es gab kein Zurück mehr.
Tobias schwieg einen Moment und seine Augen glommen kurz schwarz auf. „Ben wird sein Verschwinden so aussehen lassen, als hätte er zu seiner Familie nach Tunesien zurück müssen.“
Einen Moment starrte Leilani Tobias an. Sie hatte sofort verstanden, was er meinte, musste aber die Information erst einmal sacken lassen. „Ging es schnell?“
Tobias nickte. „Er hatte drei von uns getötet, war bis zuletzt der Meinung, wir wären widernatürliche und gottlose Kreaturen. Die, die er getötet hatte, starben relativ schnell durch seine Hand. Und selbst wenn nicht, so vergelten wir nicht Gleiches mit Gleichem, Leilani. Ben hat ihm schnell und sauber das Genick gebrochen.“
Leilani holte ein paar Mal Luft. Ihr war leicht übel, aber sie verstand die Notwendigkeit. „Was habt ihr herausbekommen?“
„Er war tatsächlich auf dich angesetzt, Leilani.“
Tristan knurrte, nahm sie in seine Arme.
„Er hatte den Auftrag, durch deine Kollegin Anita an dir dran zu bleiben. Dabei war es wichtig, dass er sich dir nicht zu sehr nähert, sondern Abstand bewahrt. Anita war für ihn nur Mittel zum Zweck.“
Leilani grübelte. „Aber es wäre doch besser gewesen, wenn er direkt mit mir Kontakt aufgenommen hätte. Dann hätte er mich doch viel besser observieren können.“
„Sein Auftrag lautete, dich zu beobachten. Und mögliche Liebhaber zu verscheuchen.“
Tristan horchte auf. „Wie bitte? Das ist doch …. Warum?“
Tobias hob die Schultern. „Das wusste er auch nicht. Er wusste nur, dass sie unberührt bleiben sollte.“
Kälte stieg in Leilani hoch, eine Kälte, die Übelkeit verursachte.
„Das sind zu viele Zufälle, Lani!“, raunte Tristan und seine Zähne knirschten vor Anspannung.
„Da gebe ich dir Recht. Aber was jetzt?“ Leilani verspürte plötzlich Angst, reelle und unerklärliche Angst. Etwas stimmte so ganz und gar nicht, passte nicht ins Bild.
„Ich gehe dann mal nach Hause, ihr Zwei“, sagte Tobias und sah seinen Freund lange an.
>Bleibst du heute Nacht bei ihr? <
>Natürlich. Danke, Partner. <
Tobias lächelte müde und ging. Leilani drehte sich um und kuschelte sich in Tristans Arm, barg ihr Gesicht an seine breite, muskulöse Brust. Tristan dachte nicht daran, sie jetzt loszulassen.
„Es tut mir leid, Lani“, flüsterte er irgendwann.
Sie hob den Kopf und sah ihn verwirrt an. „Was tut dir leid?“
„Das du das miterleben musst. Hätte ich dir gern erspart.“
„Das gehört zu deinem Leben, Tris. Und damit jetzt zu meinem. Irgendwann wäre ich damit konfrontiert worden, warum nicht heute? Ist schon okay, ich bin ein großes Mädchen.“
Er küsste ihre Stirn, die Schläfen, die Lider. „Ich würde gern heute Nacht hierbleiben. Ist das für dich in Ordnung?“
Leilani lächelte müde. „Ich wäre sauer gewesen, wenn du gegangen wärst.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn in ihr Schlafzimmer.
>Weiber! <, dachte Tristan, schmunzelte aber.