Читать книгу Mein wunderbarer Wedding - Heiko Werning - Страница 10
Haus Bottrop
ОглавлениеWenn man lange genug im Wedding wohnt, kennt man eigentlich die Regeln. Lungernde migrationshintergründische Jugendliche zum Beispiel – bei Sichtung weiträumig umschiffen, also Straßenseite wechseln, oder halt Dialog der Kulturen, wenn man gerade Zeit und Nerven für so was hat.
So gesehen ist es ein dummer Fehler von mir, als ich an einem Samstagabend auf dem Weg zu einem Haus Bottrop mache, für einen kleinen Benefiz-Auftritt zu Gunsten politischer Kiezaktivisten. So etwas mache ich gelegentlich, wenn mir die Leute sympathisch sind.
Eher teilautistisch gehe ich also erst über den »harten Beton des U-Bahnhofs Wedding« (Der Spiegel) über die Schönwalder Straße durch »eines der härtesten Krisengebiete unseres Landes« (Der Spiegel) und bemerke sie zu spät, die »Kids« (Der Spiegel). Sie gehen zu langsam, sodass selbst ich nicht umhin komme, sie zu überholen, was natürlich, das ist mir klar, unweigerlich Interaktion zur Folge haben wird. Egal, zu spät, so bleibt man wenigstens im Gespräch mit der Jugend. Alles verläuft erwartungsgemäß. Ich drücke mich vorbei an den Dreien, die vielleicht so um die 18 Jahre alt sind, unmotiviert über den Bürgersteig schlurfen und also offenkundig nichts mit dem Abend anzufangen wissen, derweil irgendwelches bushidoeskes Zeug aus ihrem Handy dröhnt. Der Erste, wohl der Boss des Trios, tänzelt mit irgendwelchen Hiphop-Bewegungen prompt neben mir her. Ich seufze unmerklich. Wir sind auf Höhe Schönwalder 31, das Haus Bottrop trägt die Nr. 4 – Mist. Das wird anstrengend. Zunächst reagiere ich, wie man es im Grundkurs »Berlin für Zugezogene« lernt: freundliches Ignorieren. Also nicht zu böse gucken, aber eben auch nicht drauf einsteigen, einfach weitergehen. Bis Nr. 29 greift die Strategie, dann hat der Bengel genug von seinen etwas kurios anmutenden Antanz-Versuchen mit den leicht gestört wirkenden zuckenden Arm- und Handbewegungen und eröffnet das, nun ja, nennen wir es halt: Gespräch. Zunächst die üblichen Versatzstücke über meine Figur, wobei ich »Moby Dick« sogar ganz originell finde. Offenbar habe ich es mit intellektuellen Ghetto-Bewohnern zu tun. Überhaupt wirkt der Junge nicht direkt unfreundlich, sein Grinsen hat etwas schwer auslotbares Dauerironisch-Spöttisches, nichts Aggressives.
»Moby Dick!«, ruft er zum wiederholten Mal. Nr. 25.
»Ja, Queequeg«, antworte ich, aber ganz so weit her ist es dann wohl doch nicht mit seiner Literaturkenntnis, er schaut kurz verständnislos, dann fährt er fort.
»Moby Dick!« Nr. 23. Ich gehe weiter.
»Ey, wir sind voll die Ghetto-Kids!«, stellt er sich und seine Freunde nun erst einmal vor – immerhin höflich also, die jungen Herren.
»Ja, klar, seh ich doch«, erwidere ich.
»Ey, voll die Ghetto-Kids! Voll perspektivlos, weißtu?« Er grinst wieder ironisch unter seinem weißen Baseball-Cap.
»Ja sicher. Schön.«
»Ey, nix schön! Voll das Ghetto!«
»Ja, ich weiß. Ich wohne hier auch.«
»Hier? Aber ich hab dich noch nie gesehen hier!«
»Ja, nicht direkt hier. Mehr so Müller/Ecke See.«
»Müller/Ecke See? Ey, das ist doch anders. Krasse Spießergegend. Hier ist voll das Ghetto!« Anklagend zeigt er auf die Nr. 19, ein eher unauffälliges Durchschnittshaus.
»Ja gut«, gebe ich mich kompromissbereit.
Er grinst weiter: »Ey, das ist ein Überfall.«
»Ja sicher«, sage ich und gehe weiter.
»Ey, das ist ein Überfall, weißtu? Wir sind voll die krassen Ghetto-Kids, und das hier ist ein verfickter Überfall. Gibstu jetzt Portmonee und Handy!« Er grinst weiter freundlich.
Nr. 15, die Sache wird mir allmählich unheimlich. Einerseits: Die Jungs sehen definitiv nicht so aus, als wäre die Situation irgendwie bedenklich. Der Anführer guckt freundlich-ironisch, die anderen beiden gehen eher versetzt hinter mir. Der Zweite versucht, so cool wie möglich zu wirken, was offenkundig seine gesamte Konzentration in Anspruch nimmt, dem Dritten dagegen scheint die Sache eher peinlich zu sein, was er durch gelegentliche Grunzlaute zu kompensieren sucht. Zusammengefasst sehen sie also nicht gerade furchteinflößend aus. Einerseits. Und andererseits steht es einem dann doch plötzlich vor Augen, das Bild vom Wedding-Adoleszenten »südländischen Aussehens« aus der B.Z. und dem Spiegel. Klar, jahrelang habe ich mich lustig gemacht über die Ghetto-Panikmache, über die Katastrophengebietskarikaturen der Medien, über das Gerede vom gefährlichen Wedding. Und nun stehen drei dieser Abziehbilder plötzlich vor mir und legen noch eins drauf:
»Ey, wir sind bewaffnet, Mann!«
Tja. Das sieht aber gar nicht danach aus. Andererseits, wer weiß schon, was die unter ihren merkwürdig aufgeplusterten Jacken immer so tragen.
»Ey, gibstu jetzt Portmonee!« Klar in der Sache, aber immer noch nicht unfreundlich im Tonfall. Entweder habe ich hier die höflichsten kriminellen Homies des Kiezes Reinickendorfer Straße vor mir, oder eben einfach gelangweilte migrationshintergründische Jugendliche, die genau wissen, was in den Medien so über gelangweilte migrationshintergründische Jugendliche steht und was demnach Leute wie ich sofort für Bilder über gelangweilte migrationshintergründische Jugendliche im Kopf haben, und mein Gesprächspartner will nur mal die Klischees ein bisschen tanzen lassen, sozusagen eine Art Meta-Pöbeln. Aber was, wenn die es tatsächlich ernst meinen? Nr. 12.
»Ey, glaubstu nicht, aber das ist ein Überfall. Gibstu jetzt Handy und Portmonee!«
»Ich habe überhaupt kein Handy.«
Das verwirrt ihn einen kurzen Moment, man sieht deutlich, dass diese Möglichkeit in seiner Vorstellungswelt gar nicht vorkommt.
»Wie? Hastu vergessen, oder was? Hastu Handy vergessen?«
»Nee, ich hab einfach keins.«
»Kein Handy?« Er ist kurz fassungslos, fängt sich aber schnell wieder.
»Tja, Pech, kannstu nicht mal Polizei rufen nach Überfall gleich.«
Punkt für ihn.
»So, komm, gibstu jetzt Portmonee.«
Jetzt kommt die blöde Panke, die irgendwelche irren Stadtplaner hier nicht unter die Erde verlegt, sondern mit so einem bekloppten Naherholungsgrünstreifen umsäumt haben, ein paar Meter nur, aber eben ein paar Meter, wo man jemand schön ins dunkle Gebüsch zerren könnte, von der Straße weg, was ein Überfallszenario doch erheblich realistischer erscheinen lässt, verdammt, hat er das etwa mit einberechnet?
»So, und jetzt Portmonee.«
Die bekloppten Stadtplaner haben genau bei der Panke-Brücke samt Grünstreifen auf jede Straßenbeleuchtung verzichtet, sehr pfiffig. Wahrscheinlich haben sie gedacht, dass nachts eh keiner mehr am Fluss entlang läuft, wozu dann also Licht. Oder das ist irgendeine irre Naturschutzmaßnahme, damit die Fische nicht geblendet werden. Oder die Schildkröten nicht abgelenkt, wenn sie zur Eiablage an den Pankestrand kriechen. Wie dem auch sei, die Straße wird merklich dunkler, und gleich wirken die Jungmänner einen Zacken bedrohlicher. Niemand sonst ist zu sehen. Auf der anderen Seite leuchten die Wohnsilos, eines davon muss die Nr. 4 sein – verdammt, die meinen das doch nicht etwa ernst? Und überfallen mich hier gerade? Mich!?!
Ich merke, dass ich die bloße Möglichkeit, ich könnte überfallen werden, hier, mitten im Wedding, als persönliche Beleidigung empfinde. Das können die doch nicht machen!
»Hört mal zu, Jungs«, der Fluss ist überquert, wir bewegen uns auf dem jenseitigen Grünstreifen auf die nächste Laterne zu, »ich soll hier bloß ein paar Geschichten vorlesen, das ist alles, ein paar Geschichten, hört ihr?«
Mein Gegenüber ist erneut offenkundig irritiert, mit dieser Ansage kann er erkennbar nichts anfangen. Daher ergänze ich: »Auf so einer Feier. Von irgendwelchen Leuten, die hier im Kiez was politisch machen, versteht ihr?«
»Politik? Achtu Scheiße. Bistu CDU, oder was?«
»Seh ich so aus?«
»Keine Ahnung«, er mustert mich eindringlich, »nee, du siehst einfach nur scheiße aus.«
Jetzt werde ich doch langsam unwirsch. »Hör mal ...«, hebe ich an.
»Schon gut, ich mein nur, ey, guck mal: Deine Hose, deine Jacke, was ist denn das für ein Outfit? Das ist doch voll kein Styling! Das sieht doch krass scheiße aus! So kannstu nicht auf ’ne Feier gehen.« Das hätte meine Mutter ganz ähnlich formuliert. Jetzt bin kurz ich etwas fassungslos.
»Politik!«, sagt jetzt verächtlich der schweigsame Coole, sein erster Beitrag zu unserer langsam etwas ausufernden Konversation, »da gibt’s doch keine geilen Weiber!«
»Nee, wahrscheinlich nicht«, pflichte ich ihm leicht resignierend bei.
»Bistu schwul, oder was?«, sagt der Anführer und setzt sofort nach: »Ey, das ist doch voll eklig, wenn Männer so an sich rummachen!« Er weiß, was von ihm als korrekten Migranten erwartet wird, er grinst genau so, dass man sieht, dass er das weiß, und ich weiß doch nicht, was er will. Außer womöglich Geld, aber selbst das weiß ich ja nicht sicher, jedenfalls aber wird er nun etwas redundant: »Gibstu jetzt Portmonee«.
Wir haben den Pankestreifen inzwischen passiert, auf der anderen Straßenseite leuchtet die Nr. 5, ein 70er-Jahre-Betonwohnsilo, ich zeige rüber und sage, dass ich da irgendwo hin muss, zur Nr. 4.
»Das ist dahinter«, sagt mein Gesprächspartner, »komm, wir zeigen’s dir.« Sie deuten auf einen kleinen, schmalen eher dunklen Gang. Verdammt, ist das jetzt eine Falle? Aber langsam ist mir alles egal. Ich komme mit. Wir laufen an dem Mietshaus vorbei, dahinter taucht tatsächlich die Nr. 4 auf, Haus Bottrop steht in großen bunten Buchstaben an die Wand gemalt, davor stehen einige Menschen, es ist geschafft.
Meine drei Begleiter gackern laut auf und verabschieden sie sich artig – per Handschlag. Dann verschwinden sie im Durchgang zwischen zwei weiteren Betonwohnsilos. Verwirrt betrete ich Haus Bottrop.