Читать книгу Mein wunderbarer Wedding - Heiko Werning - Страница 11
Entfesselte Leidenschaft
ОглавлениеEs gibt ja so Abende, da läuft’s einfach. Ich weiß nicht, was sie an mir gefunden hatte, und ehrlich gesagt war mir auch nicht ganz klar, was ich an ihr und wie wir uns gefunden hatten, aber jetzt war es halt so, wir saßen im Taxi, und da der Wedding erheblicher näher an eben jenem seltsamen Kleinkunstclubkeller als Karlshorst lag, waren wir nun also auf dem Weg zu mir. Eigentlich habe ich in solchen Situationen immer Wert darauf gelegt, genau das zu vermeiden, denn meine Wohnung ist, nun ja, nicht wirklich, sagen wir: affärenkompatibel. Bei echten Liebschaften – kein Problem. Im Gegenteil: Ein zuverlässiger Indikator, ob es lohnen könnte, sich überhaupt näher auf eine Frau einzulassen, war eigentlich immer ihre Reaktion auf meine Wohnung.
Wer da schon komisch guckte, irgendwas murmelte in Richtung »hier müsste man aber mal richtig durchputzen« oder gar ein wenig quiekte, wenn sie auf meine Leguane stieß, die ich in durchaus ansehnlicher Zahl dort pflege, konnte zuverlässig als untauglich sofort wieder entsorgt werden. Wie überhaupt mal eine Wahrheit festgehalten werden muss: Frauen, die sich vor Kriech- und Krabbeltieren ekeln, sind schlecht im Bett. So. Sagt ja sonst keiner, wenn ich es nicht tue.
Apropos Bett, dann mal weiter in eben dieser Geschichte. Die Ausgangslage war also klar, Karlshorst wirklich indiskutabel, und an den Echsen konnte ich sie leicht vorbeischleusen. Diese Bekanntschaft hatte ohnehin längst einen Stand erreicht, der ausschloss, dass wir zunächst eine Wohnungsbesichtigung durchführen mussten. Denn wenn schon in der Kneipe die Knutscherei mit eifrig unter den Textilien grabbelnden Händen endet, ist der Weg nach der Ankunft doch vorbestimmt. Vermutlich gibt es eine Art DIN für diese Fälle. Wohnungstür aufschließen, noch beim Zudrücken wildes Küssen, und mindestens ein paar Kleidungsstücke müssen bereits hier ungeordnet zu Fall gebracht werden, sonst gilt es nicht. Wir beschränkten uns auf die Jacken, ihren Pullover und meinen Gürtel, dann quiekte sie plötzlich auf, und zwar genau so, als hätte eine doofe Frau einen meiner Leguane gesehen. Ich kenne die diversen Varianten des doofe-Frau-sieht-tolles-Tier-Quieken ziemlich gut. Ich hoffte inständig, dass mir keiner meiner Pfleglinge am Nachmittag bei der Fütterung entwischt war und jetzt auf ein spontanes Sonnenbad unter der gerade aufgegangenen Lampe im Flur hoffte. Ich ließ also von ihr, guckte prüfend, was los sein könnte, da quiekte sie noch mal und deutete auf etwas sehr Kleines, Flatterndes, ah, jetzt konnte ich es erkennen – eine Motte. Eine Motte! Sie quiekt wegen einer Motte. Damit war ja immerhin schon mal geklärt, dass dies hier maximal ein One-Night-Stand würde, vielleicht reichten ja auch ein paar Stunden, machte ich mir Mut, die S-Bahnen nach Karlshorst fahren ja schließlich die ganze Nacht. »Ih, eine Motte!«, unterstrich sie ihre Disqualifizierung.
Nun ist es ja so: Motten sind mir schnurz. Ich meine, es ist schön, dass es sie gibt, aber ich habe kein besonderes Interesse an ihnen. Und Kleidermotten finde ich lästig. Aber auch nicht so lästig, dass ich großen Ehrgeiz aufbringe, sie loszuwerden, was zu einer recht stabilen Kleidermottenpopulation in meiner Wohnung geführt hat. Nun trage ich eigentlich gar keine Kleidung, die für Kleidermotten von Interesse sein könnte, die haben ja doch einen recht speziellen Geschmack. Woher die gerade recht florierende Population also ihre Nahrungsgrundlage bezog, war mir völlig unklar, aber auch gleichgültig. Sie flatterten halt nachts hier und dort rum, und ich machte schnapp mit der Faust, wenn mir eine zu nahe kam – mehr hatten wir nicht miteinander zu tun, die Motten und ich. Dementsprechend machte ich auch jetzt schnapp, und das Mottenproblem war gelöst. Und die Karlshorsterin ließ im nächsten Moment ihren BH von sich abtropfen. Die Sache hatte also keine negativen Auswirkungen auf die weitere Abendgestaltung. Ich war zufrieden. Allerdings leitete ich sie jetzt doch schnurstracks ins Schlafzimmer, um ein Zusammentreffen mit weiteren Tieren sicher zu vermeiden.
Dort angekommen, zog sie sich zu meiner Überraschung umstandslos komplett aus. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Also, im Ergebnis schon, aber die DIN-Vorschriften für solche Nächte verlangen ja doch eher nach gegenseitigem Entkleiden während leidenschaftlichem oder zumindest leidenschaftlich gespieltem Geknutsche, einfaches Ausziehen ist ja eher was für fest Liierte, die keine Zeit mehr mit sinnlosem Drumrum verlieren wollen, weil sie danach noch die Spülmaschine ausräumen müssen. Darum ging es aber nicht, wie sich im nächsten Moment zeigte. Sie forderte mich auf: »Los! Verbind’ mir die Augen!«
Also – so schlimm sah es nun auch wieder nicht aus. Aber ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, präzisierte sie: »Los! Verbind mir die Augen und fessle mich!« Hupps. Na, das ging ja ordentlich zur Sache hier. Das steht aber nicht in der Erste-Nacht-Verordnung. Aber andererseits, hey – das hier ist Berlin, da hat man nicht einfach nur Sex, wenn man abends mal wen abschleppt, wir sind hier ja schließlich nicht in Braunschweig oder Heidelberg oder Stuttgart, nein, hier ist Szene, hier ist hip, hier ist postmodern, hier ist halt Fesseln und Augenverbinden zum Kennenlernen. Also gut, meinetwegen. Ich hatte vorhin schließlich schon irgendwelche merkwürdigen In-Cocktails getrunken, da konnte ich jetzt auch gleich so weitermachen.
Einzig: womit die Augen verbinden? Woran fesseln? Ich wollte nun auch nicht zu mauerblümchenmäßig dastehen, also klar, Fesseln, wo habe ich sie nur gleich hingeräumt, die Fesseln, ähm – da! In einer Ecke auf einem kleinen Wäschehäufchen lag noch dieser Schal, den meine Mutter mir zu Weihnachten gestrickt hatte. Den schon mal fix über die Augen gebunden, dann konnte ich mich immer noch in Ruhe nach Fesseln umsehen. Ohne zu zögern schnappte ich mir also den Schal, nahm die mir hier ja offenkundig zugedachte Rolle als dominanter Kerl an, presste das Teil vor ihr Gesicht, zog kräftig an und machte zwei feste Knoten. Sie stöhnte lustvoll auf dabei. Oha. Na, das konnte ja heiter werden. So, sie jetzt erst mal aufs Bett gestoßen, ein bisschen ruppiger als nötig, sie stöhnte erneut, dann hauchte sie: »Fessle mich! Los, bitte, fessle mich!« Aber womit denn, verdammt, womit bloß? »Ruhe!«, herrschte ich sie an und traf damit offenbar genau den Ton, der hier erwartet wurde, sie wand sich vor Wonne, während ich mich fieberhaft umsah. Na ja, nicht besonders erotisch, aber was soll’s, sie sah es ja nicht, also nahm ich ein paar dieser komischen karierten Spültücher, das würde schon gehen. Die Dinger fix um ihre Handgelenke gebunden, dann um den Rahmen vom Lattenrost, na also.
So lag sie nun da, in doch recht eindeutiger Pose, die sie durch ihre Beinpositionierung noch unterstrich, wand sich weiter dabei und hauchte: »Fick mich! Los, fick mich!« Also, ich weiß ja nicht. Das ist nun wirklich eher nicht so mein Stil. Kurz überlegte ich, ob ich sie nicht auch gleich knebeln sollte, ganz oder gar nicht, könnte ich dann sagen. Aber Knutschen tät’s vielleicht ja auch, also los.
Es ging nun also recht schnell seinen vorgezeichneten Gang, viele Möglichkeiten gibt es ohnehin nicht, zwei Körper sinnvoll auf einem Bett anzuordnen, von denen einer gefesselt auf dem Rücken und der andere nur mäßig gelenkig ist, wenn man dabei auch noch die Münder aufeinander pressen muss. Und wenn man einmal damit angefangen hat, macht es ja eigentlich meistens auch Spaß.
Wir waren also schon recht kräftig dabei, als mir plötzlich über all das Gekeuche und Geruckel eine sonderbare Bewegung aus den Augenwinkeln auffiel. Was war das denn? Einen Moment brauchte ich, um mich zu orientieren – sie interpretierte mein plötzliches Innehalten wohl als besonderen liebhaberischen Kniff und ohmmte ein wenig genießerisch – da, tatsächlich, da bewegte sich etwas. Und zwar irritierenderweise kurz vor ihrer Stirn, auf ihren Augen sozusagen, zweifelsfrei – eine Made, die sich in erhöhtem Madentempo vom geschätzten unteren Augenlid Richtung Nasenwurzel bewegte und unweigerlich auf die nicht textilbedeckte Stirn zusteuerte. Einen kurzen Moment war ich wie gelähmt, dann schossen mir blitzschnell einige ungeordnete Gedankenfetzen durch den Kopf, etwa so: ach du Scheiße – was ist das denn? – oh, oh, das geht bestimmt nicht gut – wenn sie schon bei einer Motte – und jetzt eine Made – sie darf auf keinen Fall was merken – verdammt ...
Ihr Ohmmsen wurde schon etwas ungeduldiger, also bewegte ich mich ein bisschen, sie stöhnte auf, gut, jetzt konnte ich erst mal wieder innehalten und weiter nachdenken. Aber – au weia, ohne Frage: Eine zweite Made krabbelte in Höhe ihrer rechten Schläfe und steuerte direkt auf die Haare zu. Was um Himmels Willen ... – plötzlich wurde es mir schlagartig klar: Das sind keine Maden, das sind Raupen. Mottenbabys! Der Wollschal – da also war die Wiege meiner Kleidermottenpopulation. Mensch, da hätte ich ja auch wirklich schon mal eher drauf kommen können. Guck mal, da haben wir ein praktisches Problem schon wieder gelöst. Da musste ich ja nur den ollen Schal wegwerfen, und schon wäre ich die Plagegeister los. Einerseits. Andererseits hielt meine Freude über diesen kleinen Teilerfolg auf dem immerwährenden Hindernislauf des Lebens sich doch arg in Grenzen, denn ein anderes Problem war dadurch ganz offenkundig gerade erst entstanden: Wie kam ich schadlos aus dieser Geschichte hier wieder heraus? Zumal Raupe Nr. 1 jetzt kurz vor ihrer Stirnpartie angekommen war, nicht auszudenken, wenn sie bemerken würde, dass das Tierchen dort anlandete. Es wirkte ziemlich hektisch, das kleine Kerlchen, in der ganz typischen Raupenmanier, bei der man diese kleine Welle durch den winzigen Körper laufen sieht, es hatte ein kleines, dunkel abgesetztes Köpfchen – ganz niedlich, eigentlich. Vielleicht noch 3 cm. Ich konnte sie ja schlecht mit dem Finger wegschnipsen, das wäre dann doch eine Änderung der Bewegungsabläufe, die eher nicht mehr als kamasutrische Finesse durchginge, 2 cm noch, einer, gleich würde sie die offene Stirn betreten. Hör auf, Raupe, komm zurück, jetzt – verdammt. Es gab nur eine Möglichkeit. Die Raupe war unmittelbar vor der Stirn, da schnappten meine Lippen zu. Insekten sollen ja gesund sein. Oh, da war schon der nächste Kriseneinsatz nötig, Raupe Nr. 2 schickte sich an, das unter dem Schal lugende Ohrläppchen zu betreten, da half nur die Zunge. Wie ein Chamäleon, dass seine Beuteinsekten mit dieser langen Klebezunge abschießt, hinderte ich die Raupe an ihrem finalen Fehltritt, bugsierte sie direkt zu ihrem Kumpel in meinem Magen und bohrte zur Gesichtswahrung schnell noch meine Zunge in ihr Ohr, was sie mit einem leidenschaftlichen Seufzer quittierte – Glück gehabt, das kommt ja mal so und mal so an. Als ich damit fertig war und also dachte, dass es nun endlich ungestört weiter gehen könne, fielen mir Nr. 3 und 4 auf. Die eine hatte es in die Haare geschafft, die andere krabbelte bereits auf ihrem Kinn herum und war zum Glück offenbar noch nicht aufgefallen, die ganze Sache weitete sich zusehends in so eine Ableck-Nummer aus, ich schleckte und schnappte an allen Ecken und Enden, verdammt, wie viele von diesen Drecksviechern hatten sich denn da eingenistet?
Irgendwie musste ich die Sache jetzt allmählich mal zu Ende bringen, ich beschleunigte also auf allen Fronten. Sie schien meine zunehmend panisch-unkoordinierten Körperbewegungen als blanke Ekstase misszuverstehen und kam mit einem lauten Schrei. Dabei zuckte sie mit dem Kopf nach oben, verdammt, jetzt sah ich, dass unter ihrem Kopf bestimmt ein Dutzend Raupen aufgeschreckt in alle Richtungen stob. Ich simulierte einen Orgasmus, als würde ich mich als Schauspieler in einem extrem schlechten Pornofilmchen verdingen, mit viel Gezucke, Geröchel und Gegrabbel, vor allem an, um und unter ihrem Kopf, wobei mein einziges Interesse darin bestand, die blöden Raupen von der Matratze zu fegen. Gut, jetzt war keine mehr zu sehen. Mit einem forschen Handgriff streifte ich noch den Schal ab und pfefferte ihn in die entgegengelegendste Ecke des Zimmers – uff, geschafft.
Erleichtert, gelöst und erschöpft, wie selbst der beste echte Orgasmus es nicht hätte bewirken können, sank ich neben ihr nieder, löste ihre Fesseln und atmete tief durch. So lagen wir beide postkoital schweigend nebeneinander, aber dachten vermutlich sehr unterschiedliche Dinge.