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Mein Migrationshintergrund

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Ich saß beim Türken, mit meiner zukünftigen türkischen Mitbewohnerin, im vielleicht türkischsten Teil Berlins, und der Türke des Türken kam an unseren Tisch und sprach meine zukünftige türkische Mitbewohnerin an. Auf Türkisch.

»Sprich gefälligst Deutsch«, fauchte meine zukünftige türkische Mitbewohnerin den Türken des Türken an, der, sichtbar erschrocken, sich vermutlich entschuldigte, allerdings vor Schreck versehentlich erneut auf Türkisch, was meine zukünftige türkische Mitbewohnerin nun erst recht aufbrachte und sie den Türken vom Türken anbrüllen ließ: »Wir sind hier in Deutschland, also sprich Deutsch, du Scheißtürke!«

Der Scheißtürke gescholtene Türke vom Türken war nun erschrocken, beschämt und wütend zugleich und parierte, praktisch akzentfrei, aber mit doch etwas gebrochener Logik: »Scheißtürke? Du hast mich einen Scheiß­türken genannt? Du bist doch selbst Scheißtürkin! Und Rassistin! Du glaubst wohl, du bist was Besseres, du Deutsche! Du deutsche Scheißtürkin!«

Dann verschwand er wutschnaubend hinter seinen Tresen, von wo er noch nachsetzte: »Außerdem bist du ja nicht mal richtig Türkin, dein Vater ist Iraner, ein Scheiß­iraner!«

Ich saß also beim Scheißtürken, pardon: beim Türken, mit meiner zukünftigen türkischen, pardon: iranisch-deutschen-scheißtürkischen Mitbewohnerin Sulma, war ein wenig verwirrt über die ethnischen Verwicklungen unserer Essensbestellung, verhandelte aber trotzdem im Folgenden die näheren Details, die aus meiner zukünftigen meine aktuelle iranisch-deutsche-türkische Mitbewohnerin machen sollte.

»Was war das denn jetzt?«, fragte ich Sulma.

»Ich kann das nicht leiden – wir leben hier in Deutschland, die sollen gefälligst Deutsch reden. Sonst wird das doch nie was mit der Integration.«

»Na ja, Integration. Vielleicht will er sich ja gar nicht vollständig integrieren. Wahrscheinlich kommt er doch auch so gut zurecht hier.«

»Wer hier lebt, soll gefälligst auch Deutsch sprechen. Außerdem kann ich gar nicht richtig Türkisch.«

»Aber du bist doch Türkin?«

»Und Iranerin. Und Deutsche. Aber richtig kann ich nur Deutsch. Meine Mutter hat mir als Kind verboten, Türkisch zu sprechen. Sie hat gesagt, wir leben jetzt in Deutschland, also lernen wir Deutsch. Diese ganzen Scheißtürken, meinte meine Mutter, die wären alle zu faul, um Deutsch zu lernen. Deswegen würde auch nichts aus denen.«

»Äh – ist das nicht ein bisschen ...« Mir lag das Wort »rassistisch« auf der Zunge, aber das schien mir irgendwie der Situation nicht angemessen, also stotterte ich etwas und sagte dann: »... zu einfach?«

»Wieso einfach? Ich würde das ganz einfach machen: alle abschieben, wenn sie nicht Deutsch können. Dann sollen sie doch zurück nach Anatolien.«

»Und wo kommt ihr eigentlich her?«

»Na, aus Anatolien natürlich.«

Ich überlegte kurz, dann antwortete ich: »Okay, aber wir machen einen Putzplan, wer wann die Küche und das Bad macht.« Es schien mir angebracht, das unsichere Terrain zu verlassen. Wäre ich mal dort geblieben.

»Nichts«, schnaubte sie auf, »ich bin doch nicht deine Scheißtürkin, die dir das Klo putzt!«

Es war nicht ganz zu leugnen, dass die Stimmung ins leicht Aggressive umgekippt war, jetzt war ich auch etwas genervt: »Kannst du kein Deutsch? Weißt du nicht, was Putzplan bedeutet? Und WG?«

»Und ob ich das weiß«, knurrte sie, »Putzplan heißt, dass ich putzen soll. Mach ich aber nicht. Ich bin nicht aus Anatolien hierher gekommen und studiere hier Medizin, um jetzt für Deutsche das Klo zu putzen.«

»Aber ich sag doch gar nicht, dass nur du das Klo putzen sollst!« Ich wurde schon etwas lauter.

»Das wär ja auch noch schöner!«, zischte sie, »aber du willst, dass wir beide das Klo putzen, also auch ich. Ich putze aber das Klo nicht. Und die Küche auch nicht.«

»Und wer bitteschön soll das dann machen?«

»Du.«

Es klang nicht wie ein Scherz. Ich schaute sie fassungslos an. Sie setzte nach: »Ich kann das einfach nicht. Du hast doch immer Verständnis für alle Ausländer hier mit ihren ganzen Ticks. Und im Vergleich mit Verschleiern, Zwangsverheiratungen und dem ganzen Scheiß ist meiner, nicht putzen zu wollen, doch vergleichsweise harmlos, oder nicht? Wenn du das nicht willst, dann such dir doch eine schöne arische WG, wo ihr einen fußballfeldgroßen Wandplaner in die Küche klebt und für jeden Quadratmeter genau für ein halbes Jahr im Voraus festlegt, wann den wer mit welchem Scheuermittel putzt. Mach doch!«

Sie brüllte inzwischen. Der Scheißtürke vom Türken brüllte von hinter dem Tresen in Richtung meiner zukünftigen türkischen Mitbewohnerin: »Brüll hier nicht so rum, du Scheißdeutsche!«, und allmählich begann ich doch etwas zu zweifeln, ob es wirklich eine so gute Idee war, bei ihr einzuziehen. Vielleicht war ich doch einfach noch nicht weit genug für dieses multikulturelle Abenteuer.

Aber jetzt musste sie doch lachen, rief irgendwas auf Türkisch zu dem Scheißtürken vom Türken, der daraufhin etwas auf Türkisch erwiderte, das ging zwei-, dreimal hin und her, dann lachte auch er, und sie sagte zu mir: »Gut, seine Schwägerin putzt bei uns.«

Ich schaute sie ungläubig an, aber sie ließ mich erst gar nicht zu Wort kommen: »Jetzt stell dich nicht an, die macht das schwarz und billig, das ist in der Community hier gar kein Problem.«

»Was denn für eine Community?«

»Na, die türkische Community natürlich! Das klappt super. Auch, wenn du mal einen Handwerker brauchst oder einen Schneider, das kann ich dir alles organisieren, kein Problem, alles gut und billig.«

»Aber ich will keine Putzfrau. Erst recht keine türkische!«

»Was hast du denn gegen Türkinnen?«

»Hä? Nichts natürlich! Ich will ja sogar mit einer zusammenziehen. Aber ich will keine türkische Putzfrau! Ich meine ...«

»Glaubst du, Türken sind nicht sauber genug, du Superdeutscher?« Ihre gute Laune war schon wieder dahin.

»Quatsch, was soll das denn jetzt! Eben habe ich noch vorgeschlagen, dass wir uns ganz normal, wie man das eben macht in einer WG, das Putzen teilen!«

»Ich putze nicht. Ich bin doch keine Putzfrau. Das ist wieder typisch, du bist Deutsch, siehst eine Türkin und denkst sofort: Putzfrau. Aber so läuft das nicht in unserer WG, das kannst du mir glauben, so nicht, sonst brauchen wir hier gar nicht weiter zu reden, du ... du ...«

»... Westfale«, half ich aus, »Scheißwestfale.« Dann gab ich auf: »Okay, dann putz ich halt.«

Der Türke vom Türken servierte uns das türkische Essen, es roch sehr gut. Ich hoffte, damit konnten wir nun zum angenehmen Teil des Abends übergehen. Aber sie war immer noch nicht befriedet: »Du? Du willst alleine putzen? Das glaubst du doch selbst nicht! Erstens darf ich mir dann die ganze Zeit das Genöle anhören, und zweitens: Ich weiß, wie es in deiner jetzigen Wohnung aussieht, ich war lange genug mit deinem Mitbewohner zusammen, falls du das vergessen hast, und ich weiß genau: Ihr habt einfach überhaupt nicht geputzt, das war total eklig. Das würde kein türkischer Haushalt zulassen, was ihr da veranstaltet habt!«

Ich seufzte: »Meine Güte, es war unsere erste eigene Wohnung, das macht man so, wenn man von zu Hause auszieht, wir kamen beide aus gutbürgerlichen westdeutschen Haushalten, da muss man sich erst mal von den Eltern emanzipieren ...«

»Ihr habt Schnitzelreste in der Küche liegen lassen, bis überall Fliegen waren.«

»Das war ein Versehen!«

»Ja, weil da so viel Müll drüber lag, dass ihr es gar nicht gemerkt habt!«

»Meine Güte, das ist über ein Jahr her, mir ging das ja auch auf die Nerven, deswegen wollte ich jetzt ja auch einen Putzplan ...«

Der Türke vom Türken mischte sich ein: »Nehmt einfach Schwägerin! Schwägerin putzt gut! Ist billig! Gute Schwägerin!«

»Ich will aber keine Putzfrau!«

Jetzt wirkte der Türke vom Türken verärgert: »Willst du nicht, weil Türkin? Hast du was gegen Türken!«

»Ach, macht doch, was ihr wollt«, murmelte ich entnervt. Na, das konnte ja heiter werden.

Mein leicht mulmiges Gefühl steigerte sich in der ersten Zeit nach meinem Einzug zunächst, vor allem nachdem Sulma mir mitgeteilt hatte, dass ich für die Community in der Seestraße von jetzt an ihr Mann sei.

»Ich bin was?«, fragte ich sie entsetzt.

»Mein Mann. Die würden das sonst nicht akzeptieren, dass wir zusammen wohnen.«

»Aber ... ich meine – das geht doch nicht. Ich werde hier, nun ja: Damenbesuch haben. Und du hast einen Freund.«

»Na und? Erstens gucken die ja nun nicht in unsere Schlafzimmer, und zweitens würde sie das nicht groß stören. Westliche Verkommenheit, das setzen die sowieso voraus. Abgesehen davon machen die das selbst ja auch alle so. Wichtig ist halt nur, dass offiziell keiner was mitkriegt.«

»Wie, offiziell? Ich soll mit meiner Freundin dann nicht Hand in Hand über die Seestraße gehen dürfen, oder was?«

»Quatsch, das kannste machen, wie du willst. Aber seit wann stehst du denn auf Händchenhalten?«

»Darum geht’s doch gar nicht. Ich will aber nicht irgendwann von einem Irren niedergestochen werden, der die Familienehre wiederherstellen will oder so.«

»Du kannst machen, was du willst. Da zollen sie dir im Zweifelsfall noch Respekt für. Wenn überhaupt jemand niedergestochen wird, dann die Frau. Ich habe hier aber ohnehin keine Familie mehr, seit meine Mutter tot ist, so weit geht es mit der Ehre dann selbst bei anatolischen Bauern nicht, das kannste mir ruhig glauben, sonst gäbe es auch ein Blutbad da draußen. Du bist einfach nur offiziell mein Mann, dann sind alle beruhigt, und alles andere ist halt unsere deutsche Lebensführung, da glauben die sowieso alles, und es ist ihnen auch egal.«

Die Sache gefiel mir nicht, aber noch mal umziehen wollte ich deswegen nun auch nicht, außerdem vertraute ich ihr.

Spätestens, als eines Tages ein Onkel Mahmud vor der Tür stand, wuchs mein Unbehagen allerdings wieder erheblich an.

»Sulma ist nicht da«, teilte ich ihm mit und wollte die Tür fast schon wieder schließen, aber er trat trotzdem ein.

»Das weiß ich doch«, teilte er mir zu meiner Überraschung mit, »sie studiert. Ist gutes Mädchen.«

Ich verzichtete lieber darauf, ihm meinen Eindruck von ihrem Studiereifer mitzuteilen, und ich vermutete auch eher, dass sie bei ihrem Freund war, aber das tat hier wohl nichts zur Sache. »Ich wollte ja auch mit dir sprechen.«

»Ach ja? Was gibt es denn?«

»Ich wollte dir nur sagen, dass du jetzt mein Bruder bist.«

»Dein Bruder?«

»Natürlich. Bruder. Du wohnst jetzt mit Sulma zusammen!«

Au weia, dachte ich, musste ich mich jetzt hier als Ehemann ausgeben? Er schien meine Irritation zu bemerken: »Keine Sorge, ich weiß, dass ihr nicht verheiratet seid. Das ist doch nur für die anatolischen Bauern da draußen auf der Seestraße. Ich weiß alles, Sulma vertraut mir. Und ich vertraue dir. Du musst immer gut aufpassen auf Sulma! Du bist jetzt auch ihr Bruder, verstehst du?«

»Äh ... ich dachte, ich bin in erster Linie ihr Mitbewohner.«

»Ja, ihr Bruder, sag ich ja. Und ich bin dein Bruder. Wir sind alle Brüder!«

»Alle? Im Sinne von: Alle Menschen sind Brüder? Na, meinetwegen.«

»Nein, doch nicht die anatolischen Bauern da draußen. Wir! Sulma, du und ich. Und du weißt: Du musst für sie sorgen wie ein Bruder! Du musst für sie da sein wie ein Bruder! Und wenn du ein Problem hast, ist dein Bruder für dich da.«

Ich sah ihn verwirrt an. Wer jetzt? Mir wurde das alles zu viel.

Er nickte zufrieden. »Gut. Ich wollte nur, dass das klar ist.« Dann verabschiedete er sich und ging. Als ich Sulma abends davon erzählte, lachte sie. »Ach ja, Mahmud hat immer noch so einen etwas unangepassten Hang ins Traditionelle, aber der ist schon okay, der ist ganz auf der Höhe.«

Auf jeden Fall nervte er nicht weiter, sodass ich die Sache auf sich beruhen ließ. Selten genug kam mal jemand aus Sulmas Herkunftskulturkreis bei uns vorbei, abgesehen von der Putzfrau natürlich. Und ganz selten eben Onkel Mahmud samt Tante Leila, bei der die Traditionsnähe aber immerhin noch zu einem Kopftuch reichte.

Eines Tages kam Sulma aufgeregt in mein Zimmer: »Los, wir müssen sofort zu Mahmud! Wir müssen ihm helfen!«

»Was ist denn passiert?«

»Na, du weißt doch, dass der säuft.«

Wusste ich nicht. Woher auch. Wenig einfallsreich fragte ich also: »Der säuft?«

»Ja, hast du das nie bemerkt? Na, egal, der säuft jedenfalls. Ganz schön heftig manchmal. Leila hat schon alles Mögliche versucht, aber er fängt immer wieder an. Und jetzt hat sie ihn eingesperrt, damit er aufhört zu trinken.«

»Große Güte. Und was sollen wir da? Sie bändigen? Damit sie ihn wieder rausrückt? Jägermeister schmuggeln? Ich habe eigentlich wenig Lust, mich in deine Familienangelegenheiten einzumischen.«

»Wieso Familie? Ich bin doch gar nicht verwandt mit denen. Das sind einfach Freunde, die kannte meine Mutter noch, und damals habe ich sie eben Tante und Onkel genannt, so was gibt’s bei euch ja wohl auch.«

Irgendwie fühlte ich mich ertappt. Also brachen wir auf. Das Problem bestand darin, dass Leila Mahmud im Badezimmer eingeschlossen und vor Wut den Schlüssel aus dem Fenster geworfen hatte, aus dem vierten Stock, irgendwo auf die Koloniestraße. Und jetzt konnte sie ihn dort unten nirgends wiederfinden, und inzwischen war Mahmud längst ausgenüchtert, wurde aber zunehmend ungehalten und drohte, die Tür einzutreten.

Schlüsseldienst war zu teuer, Schlüsseltürke aus dem Umfeld ging nicht, weil das natürlich niemand wissen durfte, dass Leila ihren Mann eingeschlossen hatte – das ging ja gar nicht. Um den Schaden in Grenzen zu halten, bearbeiten wir das Schloss mit der Bohrmaschine, und ich war selbst überrascht, dass wir es aufbekamen. Das heißt, genau genommen: dass Sulma es aufbekam, mit Leilas Hilfe. Ich war handwerklich noch nie besonders geschickt, ich hatte mich auf Handlangerdienste beschränkt. Schwer zu sagen, was Mahmud am Ende mehr gedemütigt hat: Dass seine eigene Frau ihn eingeschlossen hatte oder dass zwei Frauen ihn befreit hatten, jedenfalls tauchte er ziemlich lange nicht mehr bei uns auf.

Sulma schloss ihr Medizinstudium ab, dann hielt sie nichts mehr in der Seestraße. Schon das AiP, jene seltsame Konstruktion, mit der fertig ausgebildete Ärzte nach absolviertem Studium noch anderthalb Jahre zwangsweise mit Azubi-Löhnen abgespeist werden, verbrachte sie lieber in der Schweiz, wo man dafür ordentlich bezahlt wird. Sie kam nie wieder zurück, sie hat inzwischen längst eine Stelle als leitende Ärztin in einem großen Krankenhaus in Bern. Ihr Name steht noch an meiner Tür, gelegentlich trudelt ein Brief für sie ein, den ich weiterleite, und einmal tauchte Mahmud noch bei mir auf und brachte Börek, das seine Frau selbst gemacht hatte, einfach so, aus Freundlichkeit – das war’s. Seitdem beschränkt sich mein Migrationshintergrund im Wesentlichen wieder auf die Dönerläden und Gemüseläden aus der Nachbarschaft und die Jugendgangs, denen ich ausweiche.

Als ich neulich mit Sulma telefonierte, war sie außer sich: Diese Wahnsinnigen würden behaupten, die Deutschen nähmen den Schweizern die Arbeitsplätze weg und würden sich nicht richtig integrieren. Und sollten gefälligst Schweizerdeutsch lernen. Schweizerdeutsch! Wozu, um Himmels Willen? Sie komme auch so bestens zurecht! Ich mache mir ja keine Vorstellungen, wie seltsam die manchmal seien, diese Schweizer, da wolle sie sich wirklich nicht weiter integrieren. Erst recht nicht, wenn sie davon einen wunden Hals bekäme. Sie schimpfte noch eine Weile weiter, dann verabschiedeten wir uns. Nachdenklich legte ich auf.

Mein wunderbarer Wedding

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