Читать книгу ZEN und die großen Fragen der Philosophie - Heinrich Lethe - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Über das langsame und bedächtige Bohren von dicken Brettern
Ich bitte dieses Buch mit Nachsicht zu lesen. Es beinhaltet die Auseinandersetzung mit Fragen, die mir das Leben gestellt hat und die ich nicht abweisen konnte. Zum Vorschein kommen dabei meine persönlichen Antworten, die mir im Verlauf meines Wegs zugekommen sind und über die ich mir in dieser Form eine Rechenschaft ablegen will. Wenn sich dadurch auch für andere Leser ebenfalls Erkenntnisse oder „Fingerzeige“ finden lassen, so ist es hilfreich. Es liegt mir jedoch nichts ferner, als andere mit meinen Antworten zu bekehren oder in Misskredit zu bringen.
Zurück zu den Fragen. Welche Fragen meine ich? Es sind meine Fragen und gleichzeitig die uralten Fragen - so zum Beispiel die Frage danach, wer hier auf dem Stuhl sitzt und diese Zeilen schreibt bzw. liest oder die Fragen danach, was wirklich ist, was glücklich macht oder die Frage nach dem Tod. Ich vergleiche diese „schwergewichtigen“ Fragen und deren Bearbeitung gern mit „dem langsamen und bedächtigen Bohren von dicken Brettern“. Ausdauer und Geduld sind bei der Bearbeitung erforderlich und manchmal muss man das Werkzeug bei der Bearbeitung wechseln, um wirklich weiterzukommen, um tiefer zu bohren.
In diesem Sinne habe ich meine Untersuchung (oder sollte ich vielleicht besser sagen meine „Bretterbohrung“) bei der klassischen Disziplin, die sich für die Beantwortung dieser Fragen zuständig hält, der abendländischen Philosophie, begonnen. Im Denken bzw. im „Nach-denken“ der Gedanken großer Denker erhoffte ich mir, der Beantwortung meiner Fragen zumindest etwas näherzukommen.
Durch ihre mittlerweile fast dreitausend Jahre alte Geschichte bietet die Philosophie eine Vielzahl von Fragen und Problemstellungen und daher eine reichhaltige Auswahl an „vorbereiteten Brettern“ mit vorgefertigten Bohrungen und mit allerlei Ausschmückungen und Verschnörkelungen. Aus den Brettern und der anhaltenden Beschäftigung mit ihnen erhoffte ich mir, zu einem Experten in Sachen „Bretterbohrung“ aufzusteigen. Manch einer zimmert sich aus seinem Bretterhaufen gar eine akademische Existenz zusammen – eine wackelige und klapprige Bretterbude, die für den weiteren Aufenthalt Schutz und Geborgenheit bieten soll.
Nicht selten jedoch kommt es auch anders. Die Bohrer greifen nicht richtig oder setzen sich fest – so wie in meinem Fall. Gleichzeitig fand ich jedoch auch die vorgezeichneten Bohrungen (die überlieferten Bohrschablonen und Bretter) als nur bedingt hilfreich. Dies lag nun weniger daran, dass die Gedanken der jeweiligen Denker nicht gründlich durchdacht waren. Vielmehr überkam mich oftmals der Eindruck, wie wenn trotz strenger Gedankenführung nicht doch etwas Fundamentales übersehen wurde – also nicht gründlich genug „geschaut“ wurde. Außerdem drängte sich mir auch immer wieder der Verdacht auf, ob nicht die anhaltende Beschäftigung mit dem Bibliotheken füllenden philosophischen Traditionserbe seine eigenen Fragen produziert und nur zu einer anhaltenden Ruhelosigkeit führt. Ich möchte jedoch das Positive in den Vordergrund rücken: Die Auseinandersetzung mit den Denkern des Abendlandes lenkt den Blick darauf, worüber und wie man Nachdenken sollte. Auch Denken will gelernt sein. Im Nachvollzug der Gedanken großer Denker gelangt man zu erhellenden Erkenntnissen und Einsichten über sich selbst und die Welt.
Mit meinen vorhandenen Fragen (und damit einer Vielzahl von Brettern) habe ich mich dann einer zen-buddhistischen Schulrichtung zugewandt und meine Bohrungen nach Wechsel des Bohreinsatzes fortgesetzt. Neben praktischen Bohrübungen habe ich auf diesem Weg viel über „Bohrer“, „Werkzeuge“ und „Bretter“ gelernt*.
In diesem Zusammenhang werde ich immer wieder gerne danach gefragt: „Und, was hat's gebracht?“ Meine Antwort fällt dann je nach Fragesteller unterschiedlich aus. Bei eher pragmatisch orientierten Menschen zitiere ich bei dieser Gelegenheit gerne Arthur Schopenhauer (aus den „Aphorismen zur Lebensweisheit“): „So hat zum Beispiel mir meine Philosophie nie etwas eingebracht; aber sie hat mir sehr viel erspart“. Diese Antwort wird meistens mit einem bemitleidenden Kopfschütteln meines Gegenübers quittiert. Mein persönliches Fazit würde ich folgendermaßen charakterisieren: Ich nehme für mich nicht in Anspruch, die „altehrwürdigen Fragen des Daseins“, im klassischen Sinne einer Antwort zugeführt zu haben. Das ist auch aus Gründen, auf die ich im Buch noch eingehen werde, gar nicht möglich. Allerdings glaube ich, dass sich die Fragen im Hinblick auf eine erweiterte Perspektive hin gelöst bzw. aufgelöst haben – ich also „Brett und Bohrer“ gewissermaßen „hinter“ mir gelassen habe. Manchmal zeigt sich die Lösung von Fragen im (zumindest zeitweisen) Verschwinden von Frage und Antwortsuche – auf dem Übungsweg und im Leben selbst. Dies erinnert an einen Satz des bekannten Philosophen Ludwig Wittgenstein: „Die Lösung des Problems des Lebens zeigt sich am Verschwinden des Problems“.
* Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich um die Beachtung der folgenden Anmerkung bitten: Auch wenn ich der Ansicht bin, dass ich mit meinen Ausführungen nicht völlig falsch liege, behaupte ich keineswegs, den Zen-Buddhismus „verstanden“ zu haben. Ich bin nicht befugt, mich in irgendeiner Weise „offiziell“ (also als ordinierter Lehrer) über diesen Sachverhalt zu äußern. Wer diesen Umstand als störend empfindet, der möge von dieser Schrift absehen. Außerdem nehme ich für mich nicht in Anspruch, den vorgestellten Ansätzen von verschiedenen Denkern des Abendlandes in gemäßer Weise gerecht werden zu können. Eine Auseinandersetzung hat nur insoweit stattgefunden, wie sich mir diese Ansätze im Hinblick auf die von mir gestellten Fragen „erschlossen“ haben.