Читать книгу Die kleine Stadt - Heinrich Mann - Страница 3

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„Auch Ihr Name, Maestro, fängt an, sehr bekannt zu werden. Noch neulich in Sogliaco sagte der Direktor Cremonesi . . .“

Er hatte ein Gesicht wie ein Hungernder. Aber ihre Worte gingen aus, wie er kaum anfing, sie zu verschlingen. Der Gastwirt Malandrini bot ihr eins seiner beiden Zimmer an. Der große beleibte Mann war lautlos, man wußte nicht wie, durch das Gedränge gelangt, lächelte breit und glatt und kannte schon jeden beim Namen.

„Ihnen, Cavaliere, meinen Ehrensalon! Gerade muß ich den Handlungsreisenden haben, der immer herkommt; und zudem ist ein Fremder da, der nichts tut: sonst würde ich alle diese Damen und Herren zu mir einladen. Sie aber, Fräulein Flora Garlinda . . .“

Die Primadonna lehnte ab; sie sei zu arm, um ins Gasthaus zu gehen.

„Der Direktor Cremonesi“, sagte angstvoll der Maestro, „gilt für geschickt.“

Der Perückenmacher Nonoggi kam dazwischen, dienerte auf einem Bein und empfahl sich den Künstlern. Er hielt einen Haubenstock und rief zärtlich:

„O! welch schöne Perücke. Wie sollte einen Mißerfolg haben, wer solche Perücke trägt!“

„Was höre ich?“ sagte der Wirt, „der Herr Cavaliere hat schon bei dem Herrn Gemeindesekretär gemietet? Aber das Fräulein Italia Molesin? Verständigen wir uns, Fräulein! Sie sind die Schönste von allen . . .“

„Sein Urteil zählt“, sagte der Kapellmeister; „ich glaube, daß er als Bühnenleiter heute —“

„Und die Herren“, kreischte der kleine Barbier, „bitte ich, mir nur einmal über die Wange zu streichen und dann zu sagen, ob man vermuten würde, daß dort je ein Bart gewachsen ist. So rasiere ich!“

„Ah! so ists recht: auch Sie, Herr Nello Gennari. Das Fräulein Italia und der Herr Nello,“ rief der Wirt, „das sind die geehrten Gäste der Herberge „zum Mond“. Masetti, das Gepäck der Herrschaften! Ihr Leute, den Weg frei!“

Die derbe Schwarze hieb einem halb Betrunkenen, der sie betastete, den Fächer um den Kopf. Dazu lachte sie mit ihrer dicken Kehlstimme.

„Ei seht, die Lustige!“ schrie es. „Ist sie sympathisch!“

„Aber seht das böse Gesicht der andern! Kann man so böse sein! Sie wird die Hexen spielen;“ — und die Frauen traten ganz dicht an die Primadonna hinan und starrten ihr tierisch feindselig in die Augen.

„Ich werde dich nicht heiraten“, erklärte Alfò, der Sohn des Caféwirts, mit seinem törichten Lächeln. Sie betrachtete ihn ohne Spott, die Hände in den Manteltaschen.

„Und ich dich nicht, du Schöner!“

„Er ist nicht mehr schön“, sagte eine Frau und schlug sich auf die Brust. „Der Schöne ist jetzt euer Tenor.“

„Man würde sagen, ein junger Heiliger!“

„Wäre er mein Sohn! Mein Sohn ist häßlich und schlägt mich.“

„Zeig uns dein Gesicht! Ich will dich küssen.“

„O du Schamlose!“

Und tief aus der Menge schallte eine Ohrfeige.

„Bravo!“ sagten Männerstimmen. „Sie sind verrückt, die Weiber.“

„Aber auch ich würde mich verlieben!“ rief der biedere Baß des Apothekers Acquistapace; und viele helle Stimmen, auf allen Seiten und weithin, verstört, selig, im Ton des Träumens:

„Ah! seine Augen. Er sieht mich an!“

Er stand allein; seine Kameraden waren von ihm weggetreten wie auf der Bühne, wenn der Beifall nur ihm galt; und die Arme verschränkt, die Schultern hinaufgezogen, führte er sein leichtes und dennoch beschattetes Lächeln über die Gesichter der Menge. Sie antwortete:

„Es lebe der Gennari!“

Die Jungen kreischten:

„Er lebe!“ — und ein Händeklatschen, irgendwo ausgebrochen, griff um sich, sprang über den Platz.

Es ward zerrissen von einem schweren Glockenschlag; und wie vom Turm nun das Ave stieg, wendeten alle sich ab. Die Menge entfaltete, auseinanderrauschend, zwei weite Flügel; zwischen ihnen, am Ende einer stummen Gasse von Menschen, lag vor dem jungen Sänger die kahle Kirchenmauer. Nur auf ihr noch war ein Streif Sonne. Die einsamen Klänge der Höhe; unten das Staunen der Stille: und da ging dorthinten im Sonnenstreif, allein und rasch, eine Frau in Schwarz entlang. Sie war klein und schlank, ging vor Eile ein wenig geneigt; und in dem schwarzen Schleier, den die letzte Sonne durchleuchtete, sah Nello Gennari ein weißes, weißes Profil, dessen Lid gesenkt war und sich nicht hob. Sie langte beim Portal an, stieg zwischen den Löwen hinauf, und schon schwamm vor dem Dunkel, das sie aufnahm, nur noch, kupferrot und besonnt, ihr großer Haarknoten, — da wendete sie sich um, ganz um und sah von oben die Menschengasse hinab. Er dort am Ende hielt die Arme nicht mehr verschränkt, und sein wankendes Lächeln suchte in den Schleier einzudringen, zu jenem verschwimmenden Oval aus fernem Alabaster . . . Ein Augenblick, dann endete das Läuten, die Menge schloß sich wie ein Tor, und aufschreckend sah der Tenor all die Gesichter zurückgekehrt, die er vergessen hatte.

Sein Kamerad, der Bariton, stand vor ihm und sagte:

„Ich war im Ort umher, nach Wohnungen für uns. Wer sich begnügt, zahlt wenig.“

„Gaddi, wer war jene Frau?“

„Schon eine Frau? Immer Frauen! Ah, dieser Nello. Er verliert seine Zeit nicht.“

„Wer war sie?“

„Ich habe nichts gesehen, mein armer Nello. Was willst du: ich bin ein Familienvater voller Sorgen. Gleich werden die Meinen hier sein, vier Köpfe, und es heißt ihnen Obdach schaffen. Ich suche einen gewissen Savezzo, der Zimmer haben soll.“

„Nichts gesehen! Und du mußt — nein bleibe! Dies ist wichtig: ganz nahe mußt du an ihr vorbeigekommen sein.“

„An wie vielen Frauen bin ich vorbeigekommen! Auch du, Nello, wirst glücklich an dieser vorbeikommen, wie noch an jeder. Gehab dich wohl.“

Und der Mann mit dem Cäsarenprofil nahm gesetzten Schrittes seinen Weg wieder auf. Der Tenor drang planlos in die Menge ein. „An ihr vorbeikommen“, dachte er. „Niemals werde ich an ihr vorbeigelangen. Wenn ich sie wiederfinde, werde ich sie lieben: immer, immer.“ Da schlug ein riesiger Federfächer ihm eine parfümierte Luft ins Gesicht. Mama Paradisi, flankiert von ihren beiden Töchtern, versperrte dem jungen Manne den Weg.

„Das ist er!“ flüsterten sie laut, alle drei; sahen ihn starr lockend an aus ihren breiten, weichen, gepuderten Gesichtern, ließen die Fächer ruhen und die durchsichtigen Blusen sich heben und quellen. Der junge Mann hatte, bevor ers wußte, entgegenkommend gelächelt. Mit Stimmen wie Federkissen versicherten sie ihm, daß sie um seinetwillen ins Theater zu gehen gedächten.

„Wir lieben so sehr die Kunst. Werden Sie, wenn wir recht laut klatschen, uns zu Gefallen eine Arie wiederholen?“

Er versprach es, hingerissen, die Hand auf dem Herzen, mit tiefen Blicken in alle drei Augenpaare.

Ein schreckhafter Ruck in der Menge trennte ihn von den Damen. Dahinten, wo ein Paar wachsblasser Hände durch die Luft schwangen, brach ein hohes, zorniges Jammern an.

„Ihr werdets bereuen! Geht nach Hause, geht! Ah! ihr Gesindel, den Komödianten lauft ihr nach, als hieltet ihr euch am Schwanze Satans fest, um desto sicherer zur Hölle zu fahren.“

„Don Taddeo ist heute nicht gut aufgelegt“, sagte jemand, und der Tenor sah in ein Gesicht voll künstlich verwirrter Locken, mit einer pockennarbigen Nase und einem linken Auge, das nicht stillhielt.

„Ich bin der Savezzo; Ihr Kollege Gaddi wird bei uns wohnen. Übrigens bin auch ich ein Künstler, wir werden uns schon verstehen.“

Nello Gennari gab ihm zerstreut die Hand. „Was wollten sie von mir, diese Weiber? Ach, immer dasselbe. Und immer gehe ich ihnen auf den Leim. Es fängt an, mich zu ekeln . . . Aber sie? Wer war sie?“

„Hören Sie, Herr Savezzo, ich sah vorhin . . .“

Aber die schwache wütende Stimme, die Stimme jener in der Luft stehenden, rückwärts gekrampften Hände fuhr dazwischen; sie klang, als rennte sie in einem hektischen Ansturm alles nieder.

„Fort mit ihnen, ehe es zu spät ist! Sonst frißt die Sünde um sich, ihr verbrennt darin! Wehe denen, die diese Leute gerufen haben! Und verdammt sei, wer sie bei sich aufnimmt!“

Mehrere Frauenstimmen antworteten:

„Recht hat er, wir wollen nicht verdammt werden.“

Der junge Savezzo hob die Schultern.

„Was will denn der? Warum sollte ein Biedermann wie der Herr Gaddi . . .“

„Herr Savezzo, ich sah vorhin eine Frau in den Dom treten, wer war sie?“

„In den Dom? Es treten so viele in den Dom . . .“

„Ein schwarzer Schleier, ein kupferroter Haarknoten.“

„Wir haben hier keinen kupferroten Haarknoten. Wie dieser Priester schreit! und immer dasselbe, man versteht einander nicht.“

„Sehr schlank, von sehr weißer Haut“, sagte flehend der Tenor. Die Miene des andern blieb verschlossen. Plötzlich wendete er sich ab und machte zwischen den Zähnen „oho!“

„Was steht ihr und reibt euch am Laster! Packt euch! O! möchte doch der Himmel auch ein Zeichen geben der Gefahr, ihr Blinden!“

Und die Hände dort über den Köpfen schienen mit dem Himmel zu ringen in letzter Not, wie heilige Jungfrauen beim Sterben.

„Solch ein Fanatismus wirkt abstoßend“, sagte der Advokat Belotti erstickt. „Die Damen zweifeln doch nicht, daß uns trotz diesem traurigen Herrn aus der Sakristei sehr wohl bekannt ist, was wir der Kunst schulden. Ich für meinen Teil werde mir jetzt erst recht die Freiheit nehmen, Ihnen, Fräulein Flora Garlinda, mein Haus zur Verfügung zu stellen.“

Die Primadonna erwiderte:

„Ich danke Ihnen. Aber es würde sich für mich nicht ziemen.“

Da wagte der Apotheker Acquistapace sich vor.

„Wenn das Fräulein denn zu einem Junggesellen nicht gehen will: ich bin verheiratet, wir sind eine sehr ehrbare Familie, und wir wissen wohl, daß die Kunst und das Laster zweierlei ist . . .“

„Romolo!“ rief es sehr scharf hinter ihm.

„Meine Liebe?“ — und die Stimme des alten Kriegers versuchte tapfer zu bleiben.

Plötzlich kreischte alles auf; die Menge schwankte und bekam Risse; einige Jungen liefen heulend davon.

„Der Priester hat sie ins Gesäß getreten“, sagte der Advokat. „Er geht zu Gewalttaten über. Soll man seine Kinder von diesem Elenden mißhandeln lassen?“

Dabei zog er selbst sich ganz leise gegen den Laden des Barbiers Nonoggi zurück. Der Apotheker war fort und viele der nächsten hatten sich unauffällig in das gelichtete Volk gemischt. Vor den Sängern lag ein freier Halbkreis. Der Schneider Chiaralunzi durchmaß ihn allein. Er trat vor die Primadonna hin; aber ohne den letzten Schritt zu beenden, halb schwebend, als wollte er ihr seine Gegenwart leicht machen, begann er zu sprechen. Er rieb seine großen weißen Hände mit den Ballen aneinander, und sein Lanzknechtschnurrbart schaukelte.

„Weil nämlich doch das Fräulein, wie es heißt, die einzige unter den Herrschaften ist, die noch nicht gemietet hat, und obwohl ich natürlich nicht würdig bin, aber was meine Frau kocht, läßt sich essen, denn sie kocht auf Genueser Art, denn sie hatte eine Tante in Genua . . .“

„Und ich soll bei Ihnen wohnen?“

„Ja, Fräulein, ja, das wollte ich sagen.“

„Das tue ich gern. So gehen wir! Hier ist alles, was ich bei mir habe.“

Der Schneider hob den leichten Koffer auf seine Schultern, wie auf einen Turm, und ging vor der kleinen zerzausten und schnellen Person her über den Platz, von dem das Volk ablief.

„Freilich blase ich das Tenorhorn“, sagte er. „Doch werde ich, um dem Fräulein nicht lästig zu fallen, damit auf die Akropolis steigen.“

„Ihr spielt hier wohl jeder ein Instrument? Und der Maestro übt euch?“

„O! mich braucht er nicht zu üben. Denn ich selbst bin Chef einer kleinen Bande und spiele des Sonntags in den Dörfern. Man lebt, wie man kann. Wäre nur nicht die schlechte Konkurrenz! Denn das Fräulein hat wohl gehört, was der Barbier Nonoggi über mich sagte. Denn er ist mein Feind. Denn auch er hat solch eine kleine Bande . . .“

„Aber der Maestro, wie ists mit ihm?“

„Der Maestro, das ist etwas anderes. Er hat auf dem Konservatorium studiert.“

„Ah, er hat studiert.“

„Er ist ein sehr großer Musiker und ein guter Mann.“

„Vielleicht ist er ein sehr großer Musiker, — aber ein guter Mann? Er hat mir nicht gefallen. Er sieht aus wie einer, der keinem andern etwas gönnt. Ich würde ihm nicht zu sehr trauen.“

Überrascht wandte sich der Schneider um und spähte von seiner Höhe nach dem Gesicht, das solche ungeahnte Dinge sprach. Sie nickte ihm so fest und streng in die Augen, daß ihm ein Schauer über den Nacken lief.

„Wenn das Fräulein meint“, sagte er gehorsam. „Man kennt die Menschen niemals ganz. Einst, beim Militär, hatte ich einen Freund . . .“

Sie betraten die Gasse der Hühnerlucia. Der Platz blieb fast leer zurück. Eine letzte schwatzende Gruppe wurde von Frauen zerteilt: „Kommt essen!“ und ringsum in die Dunkelheit getrieben. Ein Alter trippelte nach dem Rathaus, zündete zwei Öllampen an und machte sich quer über den Platz an die dritte beim Palazzo Torroni. Zur vierten am Dom gelangte er nicht: der Tenor Nello Gennari war plötzlich da und erschreckte den Alten.

„Hört! kennt Ihr nicht alle Leute hier? Ihr müßt mir sagen, wer jene schwarz gekleidete Frau war. Sie ging, wie es Ave läutete, in den Dom.“

Da der Alte nur grinste:

„Wollt Ihr Geld? Ach, es ist umsonst. Mir geschieht etwas Unbegreifliches. Sie ging hinein, sie allein, vor allem Volk, und niemand hat sie gesehen. Gute Nacht, Alter, die ganze Welt ist stumm.“

Mit einer weiten Geste enteilte er, hob die Matratze von der Domtür, glitt hinein.

„Wenn sie noch da wäre? Vielleicht erwartet sie mich! Vielleicht aber war sie ein Gesicht und nur ich hatte es?“

Die schattigen Räume mit dem Blick durchirrend:

„O Alba! Süßes Morgenlicht, gehe mir auf! Ich liebe dich. Wenn ich dich finde, will ich in dir verbrennen. Soll ich niemals lieben? Ich hasse die Weiber, die ich gehabt habe. Ich bin zwanzig Jahre, und ich will dich lieben, o Alba, immer, immer.“

Er schwankte, im Rausch seines Herzens. Als er dann hinaustrat, ging beim Glockenturm, wo es am dunkelsten war, irgend etwas hin und her, langsam immer hin und her. Der Tenor machte sich rasch herzu.

„Heda, guter Mann, sagt doch . . .“

„Wie?“ fragte der Kaufmann Mancafede und blieb stehen.

„Verzeihen Sie, Herr . . .“

Der junge Mann erwachte verwirrt. Seit einer Stunde lebte er in einer Welt von Abenteuern, denen alles Volk beiwohnte und die doch nur ihm galten. Diese Stadt und das Wunder in ihr hatten ihn erwartet. Er flog von einem zum andern als einziger Fühlender zwischen verzauberten Steinen und fragte nach der wunderbaren Frau.

„Ich wollte nur . . .“ stammelte er. „Mein Herr, ich bin fremd hier.“

„Man weiß“, sagte der Kaufmann. „Der Herr ist einer der Komödianten.“

„Sie werden auch begreifen, mein Herr, daß man in meinem Alter nicht immer . . . daß man . . . O, mein Herr, sie ging in den Dom.“

„Ah! in den Dom ging sie.“

„Sie kennen sie?“

„Das sage ich nicht. Aber um Ihnen gefällig zu sein, will ich mich bei meiner Tochter erkundigen.“

„Sie wollen . . . O!“

Der Kaufmann ging ins Haus. Der junge Mann fragte nicht, wer diese Tochter sei, die das Erlebnis seines Herzens kannte. Er ließ geschehen, daß die Schleier der Verzauberung wieder heraufstiegen. Mit beiden Händen umfaßte er seine Schläfen, tat zwei stürzende Schritte und schüttelte sich ganz.

„O Alba! Süßes Morgenlicht!“

Der Kaufmann kehrte zurück.

„Meine Tochter weiß wohl, wen Sie meinen; aber sie sagt es Ihnen nicht.“

„Warum nicht?“

„Meine Tochter wird auch das wissen.“

„Aber die Frau hat mich angesehen! Sie wandte sich um, noch in der Domtür, und sah mich an, mich allein.“

„Sie hat Sie also angesehen.“

Der junge Mann stampfte auf.

„Wen geht das alles an, als nur mich! Was will Ihre Tochter! Aber sie weiß gar nichts, Ihre Tochter!“

„Oho!“

Der Kaufmann verlor seine Trockenheit.

„Wenn meine Tochter nichts weiß, dann haben Sie geträumt, junger Mann, und es ist nichts geschehen. Was geschehen ist, das weiß sie auch.“

„Warum sagt sies also nicht?“

„Soll sie jener Unglücklichen einen Menschen schicken, der sie verführt? Meine Tochter ist nicht sehr eingenommen für dergleichen. Aber wissen: o, sie weiß alles.“

„Mein Herr“ — und Nellos Stimme schmeichelte. „Hier habe ich einen schönen Ring. Sie sind Kaufmann. Sie werden den Wert dieses Rubins zu bestimmen verstehen. Wissen Sie, zu welchem Preise ich ihn Ihnen gebe? Für den Namen, mein Herr, für den Namen!“

„Lassen Sie doch sehen!“

Mancafede zog den jungen Mann am Ringfinger bis unter die Lampe vor dem Dom. Plötzlich sah er auf, mit schwarzen Runzeln über die Hornränder seines Klemmers hinweg.

„Von wem haben denn Sie einen solchen Ring, junger Mann?“

Nello errötete tief, zog den Finger zurück und machte sich mit einem Gemurmel davon.

„Ich bin ihrer unwürdig! Noch trage ich den Ring von der Frau des Juweliers!“

Und er suchte Dunkel auf.

Aber es blieb nicht dunkel. Aus dem Corso, über den Platz und zum Tor stürmte ein Haufen Jungen mit Kerzen in Papierdüten. Alle schrien:

„Sie kommen! Es kommen noch mehr!“

Sogleich klappten ringsum Fensterläden an die Mauern, und Licht fiel herab. Die Häuser begannen sich wieder zu leeren von Neugierigen, die noch die Münder wischten. Alle sammelten sich am Ausgange des Platzes, reckten die Arme nach dem Tor und lärmten mit. Denn immer lauter ward dorthinten das Gewirr von Lachen und Gekreisch, das Trommeln auf Holz, das Singen . . . Und mit Rasseln, Knallen und Gebell und umtollt von den Windlichtern der Jungen, brach, voll weiblicher Schreistimmen, ein ganz bunter Wagen herein — niemand begriff etwas vor Buntheit — fuhr mitten auf den Platz und war da. Schon standen, rückwärts gebogen, junge Leute darum her und breiteten Arme aus, lauter Arme, die sich wiegten; — und auf allen Seiten des hohen Stellwagens blähten bunte Röcke und Blusen sich auf, wie die Mädchen hinab in die Arme sprangen, mit geschlossenen Augen darauf los, als sei ringsum Wasser. Dann kletterten die Männer herab.

„Die Choristen sind gekommen!“ rief man den Häusern hinan; und die noch droben waren, stiegen auf den Platz. Im Café ward es ganz hell. Der Konditor Serafini im Corso mußte seinen Laden wieder aufgemacht haben, denn der Karren mit dem Gefrorenen klingelte durchs Gedränge. Der Advokat Belotti wand sich hindurch, er keuchte.

„Wir haben Wohnungen, meine Damen, wir sind das Komitee.“

„Wir sind das Komitee“, heulten die Jungen ihm nach.

Der Advokat schwenkte immer krampfhafter seine Liste über den Köpfen. Der Schneider Chiaralunzi und der junge Savezzo riefen ihren Freunden zu, die Musikinstrumente zu holen.

„Gott! Hilf noch dies eine Mal!“ schrie eine Alte, die erdrückt ward; und die Frau des Kirchendieners Pipistrelli:

„Die Welt geht unter: er hat recht, Don Taddeo. O wir Sünder!“

Im Café „zum Fortschritt“ stand man Fuß an Fuß.

„Gevatter Achille! Einen schwarzen Punsch!“ riefen die vordersten; aber der Wirt war hinter seinem Schenktisch eingesperrt und durfte nicht einmal seinen Bauch darüber wegstrecken. Die gefüllten Gläser, die er hinhielt, reichte einer dem andern. Er kam ins Feuer und verkündete dröhnend:

„Für drei Konsumationen eine umsonst!“

Draußen ließ sein Sohn, der schöne Alfò, sich vom Gewühl umherwerfen und konnte nicht mehr zurück. Er lächelte töricht, sooft ihm eine Frau begegnete; aber wie er der kleinen Rina, der Magd des Tabakhändlers Polli, einen Kuß zuwarf, ward er von hinten grob angelassen. Er hatte jemand getreten, den Tenor Nello Gennari, der an der Mauer lehnte, schon im Gäßchen der Hühnerlucia, und im Dunkeln auf seine Lippe biß. Der schöne Alfò entschuldigte sich freundlich.

„Das kommt von all den Mädchen, die hier sind, mein Herr. Man hat so viel zu tun, wenn man schön ist.“

Der Tenor sah ihn an.

„Es muß ein gutes Leben sein,“ sagte er auflachend, „wenn man schön ist.“

„Nicht immer, mein Herr. Denn alle wollen einen heiraten, und ich werde doch nur die Schönste heiraten: Alba Nardini, die schöne Alba.“

„Wie heißt sie, die Schönste?“

Da brach die Musik los, als börsten alle Hörner.

„Sie heißt Alba? Reden Sie doch!“

Der schöne Alfò nickte nur noch. Eine Volkswelle trug ihn weiter. Alles stürzte vor. Um die Musik her begann ein Drehen: die Stadt tanzte. Sie lärmte in der Nacht, war bunt und tanzte. Nello Gennari ging, den Kopf im Nacken, mit von sich gestreckten und gerungenen Händen, ganz langsam in die Gasse der Hühnerlucia hinein.

„Sie heißt Alba!“

Plötzlich fiel er mit Brust und Gesicht gegen die feuchte schwarze Mauer und weinte über das Wunder.

Die kleine Stadt

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