Читать книгу Zwischen den Rassen - Heinrich Mann - Страница 8
I
ОглавлениеMit glänzend glatten Bandeaus und einem rohseidenen Schlafrock, creme und pfauenblau, kam Frau Gabriel ins Zimmer und fragte:
„Sind die Sachen da?“
Lola las, hing dabei aus dem Fenster und hörte nicht. Ermattet seufzend lehnte Frau Gabriel sich in einen Sessel.
Lolas schlanker, kräftiger Nacken dahinten lag pflaumig blond im Licht. Um ihr Haar her war ein goldiges Geflimmer. Die ungeheure blaue und durchgoldete Weite trug Lolas Schattenriß in sich, bereit ihn dahinzuraffen, aufzuzehren. Drei Palmenblätter nickten mit ihren Spitzen über den Fensterrahmen hinweg. Die Hotelglocke ging. Nun schnaubte ein Dampfer. Von Gesprächen, Musik und Gelächter flatterten Bruchstücke durch Wind und Sonne herbei.
Frau Gabriel saß und polierte mit dem Taschentuch ihre Nägel. Lola sah sich plötzlich um und fuhr zusammen.
„Sind die Sachen da?“ fragte Mai geduldig.
„Da stehen sie doch!“
Nicht einmal den Kopf konnte Mai wenden: lieber saß sie eine halbe Stunde und wartete. Wenn jemand aber auch gar keine Nerven hatte! Lola stellte die geöffneten Schachteln dicht neben Mai hin.
„Grade habe ich sie noch bezahlen können. Aber es war fast das Letzte.“
„Schreibe doch an Nene.“
„Das sagst du immer. O! Wäre ich erst ausgebildet und selbständig! . . . Weißt du, wieviel wir schon voraus haben? Die Zinsen eines halben Jahres.“
„Nene verdient aber auch; er wird mit uns teilen.“
„Er hat schon mit uns geteilt. Mir ist’s sonderbar genug, daß dort drüben ein junger Mann für mich arbeitet, den ich kaum kenne.“
„Versündige dich nicht, er ist dein Bruder.“
„Erinnerst du dich, wie ich anfangs, nachdem du herübergekommen warst, nicht wußte, wer Paolo war? Als Kind hatte ich nie gehört, daß er Paolo hieß und daß Nene nur Baby bedeutet.“
„Der gute Nene.“
„Wir lassen ihn also für uns verdienen; nur dürfen wir ihn nicht zugrunde richten. Hörst du?“
„Ihr werdet das schon zusammen ausmachen: ihr seid klüger als ich. Ach, unsere jetzigen Verlegenheiten hat Paolo mir vorausgesagt. Er wollte mich durchaus nicht reisen lassen.“
„Zum Glück scheint er energisch; sonst könnte es schlimm enden. Ich selbst vergesse mich manchmal. Zum Beispiel war’s sehr unnötig, daß wir hierher kamen. Wir sind genug hinter der Branzilla hergereist. Da sie nun in der Nervenheilanstalt sitzt und für meine Stimmbildung nichts mehr tun kann, hätten wir in Paris bleiben sollen.“
„Paris war schön!“
„Unser Leben in Paris kostete schließlich weniger: wir saßen doch manchen Abend zu Hause. Hier läßt man uns nicht.“
„Du hast recht, es ist schrecklich; nun, Gott wird helfen. Kann ich jetzt die Sachen sehen?“
„Aber — sie liegen dir doch vor der Nase!“
„Muß ich sie selbst herausnehmen?“
Frau Gabriel lächelte zaghaft; die Lippe mit dem Leberfleck im Winkel kräuselte sich und zerstörte die reine Linie der graden Nase; die Augen baten; in das gelassene Madonnengesicht kamen Furcht und Unbeholfenheit eines Schulmädchens. Um ihren guten Willen zu beweisen, tauchte sie eine ihrer kleinen weichen, ungeübten Hände in die Schachtel. Gerührt hob Lola die Kostüme heraus; sah ein wenig von oben herab zu, wie Mai sie bewunderte; faßte selbst Teilnahme; — und bald waren sie im Verein ganz hingegeben an diese Stoffe, an die neuen Erfindungen dieser Töne, dieser Schnitte, die ihnen versprachen, ihre Schönheit umzutauschen und ihnen eine noch nicht gekostete Form von Leben und von Glück zu vermitteln. Zum Schluß verriet Frau Gabriel, welche Züge ihr Glück heute trug; denn sie fragte:
„Meinst du, daß der Herzog von Fingado mich liebt?“
Ihre Stimme und ihr Blick waren voll kindlicher Erwartung. Lola sagte tröstend:
„Gewiß, Mai.“
„Tatsache ist, daß er neulich auf der Garden-Party sich fast nur um mich kümmerte. Die Bricheau versicherte mir, seine Verlobung sei ins Wanken gekommen. Das wäre mir wahrhaft unangenehm.“
Aber es klang stolz. Dann, behutsam:
„Sage mir eins, mein liebes Kind: gibt dir der Herzog kein Gefühl ein? . . . Du brauchst es nur zu sagen.“
„Nicht das geringste . . . obwohl ich ihn sympathisch finde,“ setzte Lola höflich hinzu. Und Mai, zitternd:
„Ich würde seine Liebe nicht wollen, wenn du sie wolltest. Gott ist mein Zeuge, daß dein Glück mir höher steht als meins.“
„Gute Mai, mache dir keine Sorgen!“
Lola wollte sich entfernen; Mai hielt sie, tränenden Auges, am Rock fest.
„Ich würde mich dir opfern, weißt du . . . Also du liebst ihn nicht? Schwöre es mir!“
„Ich schwöre es;“ und Lola lächelte nachsichtig. Man mußte ein Kind sein wie Mai, um sich in den Titel dieses kümmerlichen Jünglings zu verlieben.
„Aber auf dem Heimwege,“ bemerkte Mai, „ist er mit dir gegangen. Ihr habt euch sogar abgesondert.“
„Er wollte mir aus der Ferne seine Yacht zeigen, — auf der er nicht fahren kann, weil er seekrank wird.“
„Wovon spracht ihr noch?“
„Von Karl dem Zweiten.“
„Wer ist das?“
„Ein König von Spanien — es ist lange her, es würde dich nicht interessieren. Mich interessiert’s auch nur manchmal. Aber mit Fingado weiß ich nichts anderes zu reden.“
„Wirklich nicht?“
„Tatsächlich.“
Mai nickte beruhigt. Mit einem unaufhaltsamen Lächeln des Triumphes:
„Mit mir redet er anderes!“
„Würdest du ihn heiraten, Mai?“ fragte Lola, kniete neben ihrer Mutter hin und strich ihr schmeichelnd über Hals und Arm.
„Ich sehe meine Mai schon als Herzogin, in ihrem Schloß in der Sierra; sie geht auf die Jagd nach Wölfen, Adlern und ähnlichen Wappentieren.“
Mai hatte ernsthaft nachgedacht.
„Alles wohl überlegt,“ sagte sie, „hat auch Herr Aguirre seine Vorzüge. Er ist Abgeordneter, sehr einflußreich, und Spanien wird vielleicht Republik werden.“
„Wie weit du denkst, Mai! Aguirre, dies ungesund rosige Baby, denkt nur an das Nächste: er will unser Geld, das Geld, das er uns zutraut. Zu viel Ehre!“
„Du siehst zu trübe, Lola. Und ferner ist er in gesetztem Alter, und ich bin, ach, nicht mehr ganz jung.“
„Im Gegenteil“; dabei herzte Lola ihre Mutter eifriger; „du bist so jung, daß ich mich neben dir meines Alters schäme. Schon als du mich aus der Pension abholtest, war ich, glaub’ ich, weiter im Leben als du. Die zwei Jahre aber, die wir in der Welt umhergereist sind, haben meinem Alter zehn hinzugefügt. Ich fange sogar an, häßlich zu werden.“
„Das ist nicht wahr! Du bist die Frische selbst. Dein Alter bildest du dir ein, weil du zu viel denkst. Das könnte deine Stirn falten: gib acht. Du bist zerstreut bei der Toilette und gerade sie verlangt unsere ganze Geisteskraft. Dann hättest du dir nicht die Stirnhaare abgebrannt und wärest jetzt nicht so schwer zu frisieren.“
Lola griff seufzend nach den krausen Härchen.
„Ich habe schließlich doch meinen Beruf verfehlt. Oft komme ich mir vor wie ein verkleideter Mann.“
„Das wird vergehen, wenn du heiratest. Findest du es noch nicht an der Zeit? Welche schönen Gelegenheiten hast du vorübergehen lassen! Ich weiß nicht: du bist doch so klug; aber eine Schwarze hat mehr Geschick, sich einen Mann einzufangen. Halt, gefällt dir etwa Herr Aguirre? Er scheint mich zu lieben. Meinst du nicht?“
„Gewiß, Mai.“
„Tatsache ist, daß er während der Regatta nicht von meiner Seite wich. Wenn du ihm aber irgend ein Gefühl entgegenbringst . . .“
Mais Stimme bebte schon wieder; Mai war schon wieder zu einem Opfer bereit und ängstigte sich davor. Lola wehrte ab; sie lachte befangen, tat ein paar Schritte; dann, ernsthaft, mit verhaltenem Zorn:
„Du sprachst von meiner Verheiratung, und doch verlierst du sie zu oft aus dem Auge. Die Tochter einer Mutter, die sich zu gut unterhält, wird nicht leicht einen Mann finden.“
Mai sah tief erschrocken aus; Lola schloß verzeihend:
„Ich weiß, du verdienst keinen ernsten Tadel. Erinnere dich nur, bitte, wie leicht man sich unschuldig kompromittiert, und verspäte dich abends mit keinem der Herren mehr!“
„Du bist streng wie dein Vater,“ sagte Mai und erschauerte. „Weißt du wohl, daß ich ihn wieder gesehen habe? Ja, gerade in der Nacht, von der du sprichst, erschien er mir.“
Demütig bittend:
„Willst du nicht sein Bild in dein Zimmer nehmen?“
„Das geht nicht, Mai: es würde ihn noch mehr erzürnen.“
Lola ging ans Fenster und sah hinaus. Frau Gabriel murmelte vor sich hin und seufzte. Eine junge Männerstimme kam von unten:
„Fräulein Lola, ich habe alles, was Sie wünschten.“
„Gut,“ antwortete Lola.
„Sie bestehen im Ernst darauf?“
„Ohne Zweifel. Wann kommen Sie?“
„Sehr bald. In einer Stunde werden die beiden Kavaliere Ihrer Mama da sein. Empfehlen Sie mich ihr!“
„Auf Wiedersehen!“
„In einer Stunde: und ich bin nicht angezogen!“ rief Frau Gabriel und sprang auf. „Lola beeile dich! Welch Glück, daß wir frisiert sind.“
Bei der Tür kehrte sie um.
„Was denkst du über unsern Landsmann?“
„Da Silva Dolenha?“ — und Lola fühlte sich unfrei.
„Ja. Hältst du es für unmöglich, daß er eine von uns liebt? Er kommt täglich.“
Da Lola schwieg:
„Anzeichen gäbe es wohl, daß ich es bin, die er liebt.“
Lola kam plötzlich in Bewegung.
„Nein, Mai, diesmal irrst du. Sei versichert, der denkt nicht an dich!“
„Ach;“ Mai war gekränkt; „wie kannst du das beurteilen. Du bist in solchen Dingen ein Kind.“
„Mag sein. In diesem Fall aber weiß ich, wen Da Silva liebt. Wir sind Freunde, und er hat es mir gesagt.“
„Wen denn? Mein Gott!“
Mai stammelte, heftig enttäuscht. Lola, überlegen:
„Das verrät man nicht unter Freunden.“
„Freunde: was ist denn das?“
„Du wirst es sehen. Geh, Mai, zieh dich an! Du wirst es sehen.“
Dann rief sie nochmals:
„Mai! . . Glaubst du wohl, daß ich leidenschaftlich bin?“
„Du? Warum, Kind?“
„Ich meine, weil wir von solchen Dingen sprechen . . . Nein, ich weiß gewiß, ich bin es nicht.“
„Wie sonderbar du bist!“
Lolas bewegte Miene blieb noch auf die Tür gerichtet, die sich geschlossen hatte. Allmählich ward ihr Blick sinnend, und sie setzte sich auf einen Koffer. Mais Mädchen trat ein und holte die Sachen ihrer Herrin. Lolas eigene lagen auf Bett und Stühlen verstreut, mit Büchern und Notenblättern dazwischen. Ein Glas mit Rosen war umgefallen; Lola erhob sich unbewußt und richtete es auf. Dann sah sie sich nach einem freien Sitz um, fand keinen und kehrte auf den Koffer zurück.
„Mai hat’s gut,“ sann Lola. „Täglich andere Kleider: und merkt nicht, daß es eigentlich alles eins ist. So hat sie auch alle Tage eine neue Liebe; und wem immer sie gelten mag: daß es Liebe, richtige Liebe ist, daran zweifelt sie nie. Wenn ich wüßte, ob ich Da Silva liebe! Manchmal ist’s nur zu klar. Kurz darauf komme ich nach Haus und denke an etwas anderes. Aber das Manchmal ist schlimm genug: es ist beschämend. Ich werde dann melancholisch, wie in der Pensionszeit, als die dicke Jenny mir gewisse Aufschlüsse gegeben hatte . . . Ich glaube, nur äußerlich halte ich mich fester; innerlich bin ich viel lockerer als Mai. Ich glaube jetzt, sie ist die bei weitem Unschuldigere. Anfangs habe ich sie ungerecht beurteilt: es war verzeihlich. Aus der anständigen Welt Ernestes plötzlich heraus — an diese südlichen Allerweltsplätze, in ein erhitzendes Durcheinander flüchtiger Begierden: jeden Tag, den ich mich nicht amüsierte, sah ich als verloren an; nur der Ehrgeiz, durch meine so plötzlich entdeckte Stimme groß zu werden, erhob mich noch; (und auch er schwindet schon, und ich will mit dem Singen heute fast nichts mehr erreichen als meine Unabhängigkeit . . .) Und nun die Frau neben mir, die ebensolch taumelndes Instinktwesen war wie die andern, ohne die Würde eines Geistes, das war meine Beschützerin, meine Freundin, meine ganze Familie, das war Mai, die schöne Mai, die ich in allen meinen Kindheitserinnerungen so poetisch in ihrer Hängematte liegen sah! Der einzige Mensch, an den ich geglaubt hatte! Ich weiß noch, wie empört ich war. Davon also hatte sie geträumt in ihrer Hängematte! Kaum ist Pai tot, stürzt sie sich, ihrer Freiheit froh, in die dümmste Unenthaltsamkeit! Um Pais willen war ich empört und bereit, sie zu hassen. Wie argwöhnisch solch ganz junges, unerfahrenes Mädchen das Leben einer Frau durchspürt: das Leben der Mutter! Als ich damals in Trouville meiner Sache endlich ganz sicher zu sein glaubte: welche Katastrophe! Mai hat einen Geliebten! In dem Gedanken saß ich wie in einem betäubenden Getöse, wie in einem Weltuntergang. Das Furchtbare, sagte ich mir, ist, daß auch ich das in mir habe und so werden muß! Was wußte ich damals? Heute habe ich fast einen Geliebten, könnte ihn jeden Augenblick haben, und wundere mich alle Morgen beim Erwachen, daß es noch nicht eingetreten ist.“
„Seitdem muß ich Mai wohl milder beurteilen. Sie ist ein Kind und wird über die gefährlichen Stellen immer nur spielend hinhuschen. Geht sie einen Schritt zu weit, erscheint ihr alsbald der tote Pai; und ich bestärke sie in ihren Gesichten. Warum eigentlich? Doch nicht mehr um Pais willen. Auch nicht, weil Mais Aufführung mich hindern könnte, einen Mann zu finden. Das ist mir gleich. Aber ich weiß wohl warum: ich selbst bin in Gefahr und brauche Reinheit um mich her . . . Bin ich in Gefahr? Sobald ich’s ausdenke, glaube ich’s nicht mehr. Ich! Ich bin doch eine ganz andere! Auf Wesen wie die arme Mai blicke ich doch, deucht mir, ein gutes Stück hinab!“
„Jedenfalls hab’ ich sie gern. Wir sind grade im richtigen Verhältnis: dem von einem Paar Schwestern, die einander eifersüchtig schmeicheln. Ob wir uns schwer entbehren würden, ist nicht sicher. Wie schwärmte Mai die erste Zeit von Nene! Jetzt erwähnt sie ihn gemächlich und fast nur, wenn von Geld die Rede ist. Jetzt bin ich daran, die Mutterliebe zu genießen. Es tut doch wohl, wenn spät abends, nachdem man sich gekämmt hat und die Decke über sich gezogen hat, eine Mutter hereinkommt und einem küßt. Sie herzt mich lange; mir wird ganz kindlich und weich zu Sinn; dann spricht sie mir mit kleiner süßer, entzückter Stimme von ihren Erfolgen, fragt mich nach meinen: und wir sind wie zwei Kleine unterm Weihnachtsbaum.“
„Nein: für Pai nehme ich nicht mehr Partei. Ich stehe, wenn ich’s bedenke, sogar entschlossen auf Mais Seite. Erstens wohl, weil ich fühle, daß auch mit mir, wie ich geworden bin, Pai nicht sehr einverstanden wäre. Hauptsächlich aber, weil er ein Mann war und Mai unterdrückt hat. Und schließlich, mein Gott, haben die Lebenden recht. Wenn einer stirbt, versäumt er das weitere und darf nicht mehr dreinreden. Käme Pai wieder, er fände gar keine Anknüpfung mehr mit uns, glaube ich. Mai ließe sich nicht mehr so leicht in die Hängematte legen; und ich — ach, ich bin wohl auch nicht sein rechtes Kind: wie hätten wir sonst, kaum daß er tot war, den ganzen bürgerlichen Boden unter den Füßen verlieren können? Denn das taten wir doch . . .“
Lola sah sich im Zimmer um.
„So sieht’s überall aus, wo wir kampieren. Und ich sitze auf einem Koffer. Nie kommen die Koffer aus den Zimmern, und sind immer nur halb ausgepackt. Die Jahreszeit wird staubig, der Liebhaber fade: fort von hier! Wohin am Ende? Dort stehen die Ansichten von zu Hause, die Mai mitgebracht hat. Zu Hause! Wenn wir Lust bekämen, einen Ausflug dorthin zu machen, würde ich vor dem Blick auf Rio denken, daß er tatsächlich unvergleichlich schöner ist als der auf Neapel; würde von einem Hotel, wo alles wäre wie in diesem hier, auf Sehenswürdigkeiten ausgehen, die Hitze unerträglich finden und gelassenen Abschied nehmen. Etwas anderes wäre es vielleicht mit der Großen Insel; aber die Pflanzung ist verkauft . . . Wohin also am Ende? Danach frage ich, scheint mir, zum erstenmal. Fange ich etwa an, zu ermüden? Mais Kindernerven hab’ ich nicht grade. Aber das Ende bekommt wohl nur Interesse für mich, weil ich wissen möchte, wo das enden soll, was ich jetzt erlebe.“
„Sehen wir doch nach: geht mich der Mensch wirklich so viel an? Wäre er in Venedig noch so unentbehrlich, wie er’s hier in Barcelona ist? Die Grimani hat uns für Juli eingeladen. Oder was meine ich zu Paris? Das ist noch immer das Amüsanteste . . . Ich glaube, es ginge.“
Eine junge Männerstimme ward hörbar. Lola erhob sich hastig.
„Nein, es geht nicht.“
Leicht vorgeneigt, mit fiebrigem Spiel der Finger an der langen Halskette, blickte sie auf die Tür. Es klopfte.
„Gehen Sie in den Salon, bitte. Ich komme gleich.“
Sie machte einige zornige Schritte.
„Warum muß ich auch grübeln! Jedesmal, wenn ich gegrübelt habe, bin ich schwach und gebe ihm dann Anlaß, sich einzubilden, was doch nicht wahr ist . . . O, heute abend soll er keinen Vorteil davontragen!“
Sie hatte sich beruhigt und ging hinüber. Mit offenem Lächeln begrüßte sie den Besucher.
„Gnädiges Fräulein — da ist alles;“ und er zeigte nach dem Paket auf dem Klavier. „Der Bote ist gleich mit mir gekommen.“
„Ist alles darin . . . und wird es mir passen?“
Anstatt nach dem Paket zu sehen, betrachtete sie, und ihr Lächeln ward wider ihren Willen noch glücklicher, sein schönes, groß gemeißeltes, fast bartloses Gesicht, in dem die Brauen sich berührten. Auch er gebrauchte seine Worte nur als einen Vorwand, sie anzusehen.
„Ich bin überzeugt . . . Es sind genau die Maße, die Sie mir genannt haben.“
Sie bewegte leise, wie verwundert, ihren lächelnden Kopf. Endlich, sich losreißend:
„Es ist gut.“
Rasch ergriff sie das Paket. Er stürzte sich darauf.
„Ich trage es Ihnen hinüber.“
„Doch nicht;“ ihr Lächeln ward schlau. „Sie bleiben hier . . . und . . .“
Sie legte, unter der Tür, den Finger auf die Lippen.
In ihrem Zimmer zog sie die Männerkleider an, die Da Silva mitgebracht hatte. Sie verbarg die Brust in den Falten des weichen Piquéhemdes, das Haar unter der halblangen Jünglingsperücke, setzte den runden Hut auf, hängte das Stöckchen über den Arm und trat vom Spiegel zurück, um sich zu mustern. Da stand im gutsitzenden Abendanzug etwas wie ein eleganter Student, mit duftigen Gesichtsfarben und glänzenden braunen Augen, ein sanft verwegenes Lächeln auf den roten Lippen, und die jugendlich raschen Wendungen einer schiken Müdigkeit zuliebe ein wenig verhalten: ein Wesen von beunruhigendem Reiz.
„Aber wie bin ich schön!“ sagte Lola einmal übers andere. „Ich bin keine Frau mehr! Jetzt erst sehe ich, wozu meine große Nase gut ist. Die hohe Stirn kommt mir jetzt auch zustatten. Ach! ich kann mir Pais Falte zwischen den Brauen machen. Ob Pai jemals so ausgesehen hat? Nicht ganz so, glaube ich. Der dort im Spiegel erinnert mich an eine Frau; aber nicht sehr lebhaft. Man wird denken: „Er muß eine hübsche Schwester haben.“ Für ein verkleidetes Mädchen hält so leicht keiner ihn.“
Sie räusperte sich, führte zwei Finger an den Hutrand und sprach mit tiefer Stimme:
„Sie gehen in den Klub? Ich habe seit gestern nacht keinen Heller mehr. Nachdem ich alles verspielt hatte, bin ich noch in die Schuld der Gelida gekommen . . .“
Dies gefiel ihr. Sie lief hinüber, und in der Tür des Salons begann sie sofort dasselbe:
„Sie gehen in den Klub? Ich habe seit gestern nacht . . .“
Da Silva hörte sie, ans Klavier gelehnt und die Stirn in Falten, bis zu Ende an. Er ließ sie näherkommen und sich wenden.
„Es ist ziemlich in Ordnung.“
Er warf noch die von Verachtung schweren Worte hin:
„Bis auf die Krawatte natürlich.“
„Also binden Sie sie mir!“
Er machte sich daran.
„Halten Sie’s so für besser gelungen?“