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IX
Politik und Volkswirtschaft im Schlaraffenland

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Sie lebten in einem Rausch, zehn Tage lang lebten sie in einem Rausch.

Adelheid verbrachte den ganzen Morgen und den ganzen Abend auf den Kissen ihres Diwans in ihrem Schlafzimmer, Träumen der Wonne hingegeben, die jeden Nachmittag, gleich nach dem Lunch, zur Wirklichkeit wurden. Sie kleidete sich eilig an, stets dasselbe Tailormade-Dreß in Covercoat, und sie verließ das Haus, indem sie wider besseres Wissen ihre Rückkehr in spätestens einer Stunde verhieß. In der Droschke, die sie unterwegs bestieg, legte sie einen Schleier um, dicht wie eine Maske. Sie hielt den Fahrpreis abgezählt in der Hand, und sie beschenkte den Kutscher, den sie am Eingang der Dorotheenstraße entließ, mit einem Trinkgeld, so groß wie ihre Seligkeit. Wie sie mit hochgerafftem Kleide, wiegenden Schrittes dahineilte, tanzte vor ihr her im nassen Asphalt das Spiegelbild ihrer formenreichen Gestalt. Der Schirm, der Kopf und Büste gegen unzarte Blicke geschützt hatte, klappte rauschend zusammen, und Adelheid verschwand im dunkeln Flur.

Frau Mohr und Frau Pimbusch erwarteten sie bereits im gelbseidenen Teezimmer, wenn sie endlich heimkehrte, atemlos und in heiterster Laune. Oh, sie hatte nicht nötig, durch versteckte Worte den Neid der Freundinnen zu erregen! Die glänzende Blässe ihres Gesichtes verkündete ihren Triumph, und das Auge, in das Liebesblicke statt der Atropintropfen geflossen waren, schimmerte feucht, mit erweiterter Pupille. Frau Mohr, die gestern erklärt hatte, Adelheid sei nur noch fünfundzwanzig, meinte heute: »Liebste, du bist wieder fünf Jahr jünger!« Frau Pimbusch erkundigte sich mit einer Miene voller Hintergedanken: »Was nehmen Sie eigentlich ein, gnädige Frau?«

»Verraten Sie uns, was für eine Kur Sie gebrauchen!« bat auch Frau Bescheerer, eine jugendlich geputzte Sechzigerin, die Wohlgerüche verbreitete. Frau Türkheimer antwortete nur durch ein Achselzucken. Sie glitt gemächlich, mit dem Teebrett in den Händen, von einer zur anderen, unzugänglich für ihre Anzüglichkeiten. Ihre Hüften wiegten sich voll Kraft, und sie lächelte, im Bewußtsein, jung zu sein und begehrt zu werden.

Auch Andreas fand vorläufig, daß ihm seine Leidenschaft, so große Ansprüche sie an ihn stellte, doch recht gut bekam. Er vermochte der Geliebten keine neuen Reize mehr abzugewinnen, da Adelheid, auch hierin eine zu gute Frau, ihm vom ersten Tage an nichts vorenthalten hatte; doch genoß er die seinem Freunde Köpf gerühmten Schönheiten nach Kräften. Er schien sogar aufzublühen. Seine Gesichtsfarbe ward rosig, die Backen rundeten sich, und Adelheid stellte, indes sie ihn umarmt hielt, nicht ohne Wehmut fest, daß sein Leibesumfang um zwei Zoll zugenommen haben müsse. Auch entwickelte er eine ungewöhnlich starke Eßlust. Dreimal am Tage speiste er in verschiedenen Weinrestaurants nahe bei seiner Wohnung, da ihm die Bewegung beschwerlich zu fallen begann. Während er sich mittags, gleich nach dem Aufstehen, und zur Nacht mit einer kräftigen bürgerlichen Mahlzeit begnügte, hatte er am Frühabend, sobald die Geliebte ihn verließ, einen Heißhunger zu stillen, dem zwei Dutzend Austern, ein blutiges Roastbeef und etwas Geflügel mit Mühe genügten. Er trank dazu eine Flasche Chateau-Lafitte, zuweilen auch ein wenig Sekt. Wenn der schwarze Kaffee und das Gläschen fine Champagne vor ihm standen, überkam ihn ein wohliger Seelenfriede. Er sank langsam immer tiefer in seinen roten Plüschsitz hinein, der Kopf, mit Blut überfüllt, fiel schwer auf die Brust, und der junge Mann entschlummerte. Einmal fuhr er mit einem leisen Aufschrei in die Höhe. Die Zigarre, die ihm aus dem Munde hing, hatte sein Vorhemd durchsengt und verbrannte ihm die Haut am Halse. Oh, mit wie weichen Lippen Adelheid am nächsten Tage diese wunde Stelle wieder heil küßte! Wenigstens versuchte sie es.

Als eine Woche bei solcher Lebensweise verstrichen war, sagte sich Andreas, daß es ihm noch nie so wohl ergangen sei. Indes dehnte die Schläfrigkeit, die ihn nach dem Essen befiel, sich allmählich über den ganzen Tag aus. Sein Kopf blieb schwer, soviel Ruhe er sich auch gönnte, und kaum daß er Adelheid seine Liebe bewiesen hatte, so verfiel er an ihrer Brust in Schlaf. Sie nahm ihm nichts übel, nicht einmal, als er ihr am zehnten Tage den stärksten Grund zur Unzufriedenheit gab. Sie begriff es, daß er die übertriebenen Ansprüche, die sie an ihn gestellt hatte, auf die Dauer nicht zu befriedigen vermochte. Anstatt ihm zu zürnen, benutzte sie seine augenblickliche Schwäche, um ihm Zärtlichkeiten neuer Art zu erweisen. Sie preßte seine heißen Wangen zwischen ihren Händen, nannte ihn »Kleinchen«, »Schlankchen« und ihr »armes Kindchen«, und dabei wiegte sie ihn auf ihrem Schoße. Andreas empfand diese Schmeichelworte wie ebenso viele Demütigungen. Es verdroß ihn, daß sie eine vorübergehende Eklipse seiner Männlichkeit dazu mißbrauchte, ihn ihre Überlegenheit fühlen zu lassen. Sie tat es gewiß nicht in böser Absicht. Auch sah er ein, daß das Unrecht auf seiner Seite sei; er hatte seinen Verbindlichkeiten nicht genügt. Aber seine Eitelkeit empörte sich. Beim Abschied bemerkte sie seine Verstimmung.

»Schätzchen«, sagte sie, »du bist zuviel allein, du mußt wieder unter Menschen gehen.«

Sie streichelte ihm das Kinn, aber er warf den Kopf zurück.

»Kann ich nicht«, stieß er hervor.

»Aber warum denn nicht? Die Leute müssen dich in meinem Teezimmer treffen.«

»Würde ich unanständig finden.«

Er war hiervon eigentlich nicht mehr voll überzeugt.

»Halb so schlimm!« rief Adelheid. »Gerade weil sie dich nicht mehr sehen, kommen sie auf unpassende Gedanken. Meinst du, daß sie zwischen uns nicht schon allerlei gemerkt haben?«

Andreas stutzte.

›Sollten sie so schlau sein?‹ dachte er. Sie nahm einen neuen Anlauf.

»Du bist es mir schuldig, mein Zartchen! Du mußt meinen guten Ruf verteidigen. Soviel Ritterlichkeit darf eine schöne Frau wohl von dir verlangen! Bin ich nicht schön?«

Sie gefiel ihm, wenn sie, den Kopf im Nacken, die Nüstern weit offen, aus halbgeschlossenen Augen ihn ansah. Er nahm sich zusammen, um nicht gleich nachzugeben.

»Ich will mir’s überlegen«, sagte er.

Sie warf plötzlich den Arm um seinen Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich muß dich ihnen doch zeigen. Du glaubst nicht, wie neidisch sie sind!«

Dieses Wort versöhnte den Stolz des jungen Mannes, und sie trennten sich unter Liebkosungen.

Adelheid gewann es über sich, dem Geliebten eine dreitägige Erholung zu gönnen. Als sie zurückkehrte, fand sie ihn allen Anforderungen aufs neue gewachsen, aber gegen Ende ihrer Zusammenkunft fühlte sie seine Küsse kälter, seine Miene fremder werden. Er hatte sich in der Zwischenzeit beträchtlich gelangweilt und, noch zu kreuzlahm, um Zerstreuungen aufzusuchen, sich unfreundlichen Betrachtungen hingegeben. Jetzt war er fast geneigt, ihr die Schuld an seiner zeitweiligen Erschöpfung zuzuschieben. Sie war gar zu einfach, der Genuß, den sie gewährte, ermangelte der Abwechslung. Es gelüstete ihn nach Extravaganzen, und da ihm nichts Besseres einfiel, versprach er sich ein Vergnügen davon, an Adelheids Seite mit erhobener Stirn unter die in ihrem Salon versammelte Gesellschaft zu treten. Er war es überdies seiner Stellung schuldig, als Hausfreund öffentlich anerkannt zu werden und womöglich mit Türkheimer Freundschaft zu schließen. Doch wartete er ihre Aufforderung ab.

Sie ächzte ein wenig, während sie das Korsett zu schließen suchte.

»Hilf mir doch«, bat sie.

Er beeilte sich nicht sehr.

»Nun, wie ist es? Hast du es dir überlegt?«

»Was denn?«

»Du weißt schon. Daß du dich bei mir sehen läßt?«

»Wenn dir so viel daran liegt? Meinetwegen.«

»Ich wußte doch, was du für ein Herzchen bist!«

Er ließ sich den Hals küssen, das Gesicht ungeduldig abgewendet.

»Komme morgen, ja? Dann sehen wir uns doch wenigstens.«

»Warum nicht heute?« versetzte er in gleichgültigem Tone.

»Nun sieh mal! Warum geht’s denn jetzt?« rief sie lachend, und sie schob den Kopf so weit zurück auf dem Pelzkragen, den er ihr umlegte, daß das Doppelkinn fleischig aufgebauscht ward. Er widerstand der Versuchung nicht. Ganz wie sie erwartete, sagte er: »Du hast eine schöne Kinnlinie.«

Sie gestattete ihm, die Lippen auf diese Linie zu pressen, und sie fragte: »Dann kommst du also in einer halben Stunde nach?«

»Lieber gleich«, sagte er leichthin.

Sie sah ihn verwundert an.

»Ich darf doch gleich mit dir kommen?« bat er, wieder sehr zärtlich geworden.

Sie schüttelte den Kopf, ihr Lächeln war ein wenig nachdenklich.

»Warum denn? Das geht doch nicht«, bemerkte sie.

»Bitte, bitte!«

Er verdoppelte seine stürmischen Werbungen, schmeichelte sich an sie, bis er in ihren Röcken beinahe verschwunden war, und brachte sie zum Lachen. Er war wieder der unwiderstehliche kleine Junge, dessen etwas täppische Liebkosungen sie so sehr entzückten. Aber sie blieb bei ihrer Weigerung.

»Wir dürfen doch nicht zusammen eintreten«, murmelte sie. »Was fällt dir denn ein!«

Er ließ sie plötzlich los, drehte sich auf den Absätzen und sagte: »Dann lieber gar nicht.«

»Wie?«

»Dann lieber gar nicht.«

»Nun willst du gar nicht kommen? Was hast du denn?«

Er sprach über seine Schulter hinweg: »Du liebst mich nicht.«

»Nein aber!«

Sie schrie ganz erschreckt auf.

»Du liebst mich nicht«, wiederholte er ruhig und hartnäckig.

Sie machte, die Hand bittend ausgestreckt, zwei Schritte auf ihn zu, doch schnell schob er ihr einen Stuhl in den Weg. Und so hurtig sie das Hindernis zu umgehen trachtete, er war, behende wie eine Eidechse, immer schon wieder auf die andere Seite geglitten. Sie geriet vor Anstrengung außer Atem, und er zog mühsam die Stirn in Falten, denn die Turnübungen der beleibten Dame erregten seine Heiterkeit. Erschöpft blieb sie endlich stehen.

»Nun?« fragte er.

Sie versuchte zu lachen.

»Was willst du denn eigentlich?«

»Mit dir zusammen in die Hildebrandtstraße gehen.«

»Dann komm nur. Es ist ja schließlich gleich, ob man uns sieht.«

»Na also!«

Er war sofort wieder bei ihr, schob ihr voll ritterlicher Aufmerksamkeit den Kragen zurecht und küßte ihr die Hand. Sie blickte auf ihn nieder, mit leisem Kopfschütteln und mit einem Lächeln, sehr zärtlich, aber auch erstaunt und bekümmert.

»Dann gehe ich ein paar Schritte voraus«, sagte sie unter der Tür. »Du holst mich wohl ein.«

Aus dem Waschbecken, in das er den Kopf gesteckt hatte, rief er ihr nach: »Aber wenn du mir davonläufst, weißt du …«

»Nur nicht ängstlich!« gab sie lachend zurück, aber ihr selbst war ängstlich zumut. Warum bestand er darauf, sie mehr zu kompromittieren als nötig war. Sie hatte ihn für so diskret und edel gehalten. Oder liebte er sie vielleicht gar nicht so, wie sie gehofft hatte?

Andreas trocknete sich das Gesicht und pfiff dabei unter dem Handtuch einen Gassenhauer. Das, was er erreicht hatte, erfüllte ihn mit Genugtuung. Es war nur Laune und Langeweile gewesen, aber jetzt kam es ihm vor, als habe er sich politisch klug benommen. Denn jetzt hatte er Adelheid die Vorstellung beigebracht, daß ihre Liebe, die nachgegeben hatte, heftiger sei als seine. Und es ahnte ihm, daß, wer heftiger liebt als der andere, sich immer im Nachteil befinde. Wie schade, daß ihm solche Einfälle nicht auch dann kamen, wenn er eine Novelle zu schreiben hatte!

Da es in Strömen regnete, mußte er zulassen, daß ein Wagen genommen ward. Adelheid zog eigenhändig die Vorhänge herab. Kaum waren sie vor dem Türkheimerschen Hause angelangt, als von der anderen Seite her ein Coupe vorfuhr. Frau Pimbusch sprang heraus und lief ihrer Freundin entgegen. Sie rief lebhaft: »Ah, gnädige Frau, Sie sind es! Und fast hätten meine Räder Sie bespritzt vor Ihrer eigenen Tür! Ich würde das ebenso komisch wie unpassend gefunden haben, wissen Sie.«

Andreas, völlig unbeachtet, hielt den Damen von hinten zwei Regenschirme über die Hüte. Frau Türkheimer drängte Claire Pimbusch durch das Portal. Mehrere Diener, die herbeistürzten, nahmen ihre Mäntel in Empfang, und sie stiegen die Treppe hinan. Aber auf dem ersten Absatz flatterte ihnen etwas in den Weg wie ein aufgescheuchter Vogel. Die kleine Frau Goldherz hüpfte an Adelheid empor, küßte sie hastig auf beide Wangen und zwitscherte aufgeregt: »Glücklich, daß ich Ihnen noch begegne, gnädige Frau. Ich muß schon wieder fort, es ist schrecklich.«

»Bleiben Sie doch einen Augenblick, meine Liebe«, bat Frau Türkheimer. »Was ist denn so schrecklich?«

»Ja, es ist gar nicht zu sagen, jetzt will er mich verführen!«

»Wer?«

»Ferdinand doch!«

»Ihr Mann?«

»Mein Ex-Mann, bitte.«

»Ferdinand ist gar nicht so dumm, ich finde seine Idee ausgezeichnet«, bemerkte Frau Pimbusch.

»Auf Wiedersehen, meine Damen, er muß jede Minute hier sein.«

Frau Goldherz winkte den Freundinnen zum Abschied. Ihre Hutfedern, der Pelzbesatz ihres Golf-Cape, ihre Röcke, alles an ihr wippte und schwankte; sie schien mit den Flügeln zu schlagen. Da fiel ihr Blick auf den im Hintergrund harrenden Andreas. Sie stutzte, das Lorgnon, das von ihrem Gürtel herabhing, schnellte ganz von selbst bis zur Höhe des Auges empor, und sie sagte, plötzlich beruhigt: »Übrigens kann ich noch ein bißchen warten.«

Im Teezimmer trafen sie Frau Mohr und Frau Bescheerer. Dieser wurde Andreas von Frau Türkheimer vorgestellt, und er nahm sich heraus, eine zarte bleiche Hand zu küssen, die sie entblößt über die Stuhllehne hängen ließ. Doch zog er die Lippen mit einem fettigen Geschmack eilig zurück; die Hand war geschminkt. Trotz seines angeekelten Gesichtes zeichnete ihn die Kommerzienrätin durch ein gnädiges Kopfnicken aus. Sie musterte ihn wie eine Persönlichkeit, die seit kurzem Bedeutung gewonnen hatte und die man nicht übersehen durfte. Andreas fand seinerseits die magere Sechzigerin in ihrem jugendlichen Aufputz einfach grauenerregend. Eine entfärbte blonde Haarlocke war über eine grünliche, wie mit Moos bewachsene Stelle auf ihrer Stirn gelegt. Die Dame glich einer in Creme Simon konservierten Mumie. Wenn die berauschenden Düfte, die sie ausströmte, sich etwa verflüchtigt hätten, so wären ganz andere Gerüche von ihr zu befürchten gewesen.

»Man sieht Sie ja gar nicht mehr, Herr Zumsee«, äußerte Frau Mohr.

Frau Pimbusch sah sich plötzlich veranlaßt, die Anwesenheit des jungen Mannes zu bemerken.

»Ja, wo haben Sie denn gesteckt, Herr Zumsee!« rief sie laut. Sie schüttelte ihm kräftig die Hand, indem sie ihren lasterhaften Kopf mit einer Grimasse, die ihn erschreckte, dem seinigen näherte. Dann setzte sie hinzu: »Sie machen ja ein Gesicht, na, ein Gesicht wie der Tannhäuser!«

Andreas errötete. Er wußte nichts zu erwidern und ärgerte sich darüber. Frau Bescheerer und Frau Goldherz drückten einander durch Blicke ihr Verständnis aus. Die kleine flatternde Dame hielt ihr Lorgnon dem jungen Manne ganz dicht unter die Nase.

»Natürlich!« verkündete sie erfreut. »Wie Tannhäuser. Aber woran liegt das nur?«

Frau Mohr stieß ihr gutmütiges Lachen aus.

»Warum lassen Sie uns im Stich, Herr Zumsee? Unterhalten Sie sich besser anderswo?«

»Gnädige Frau tun mir Unrecht …« versetzte Andreas, doch Adelheid, die sich am Teetisch zu schaffen gemacht hatte, schnitt ihm das Wort ab.

»Hoffentlich tun Sie ihm Unrecht, liebe Bertha. Das heißt, wenn es nicht bloße Ausreden sind, so sitzt er zu Hause bei der Arbeit, Tag für Tag, vom Morgen bis zum Abend.«

»Nein, diese Dichter!« rief Frau Pimbusch. »Es ist erstaunlich, was sie manchmal leisten!«

Sie ließ ihren grünlichen, verquollenen Blick, der vieles sagte, zwischen Adelheid und Andreas hin und her wandern, während sie sich erkundigte: »Wollen Sie Ihre täglichen Anstrengungen noch lange fortsetzen?«

»Tun Sie des Guten nicht zuviel – beim Dichten!« warnte Frau Bescheerer. »Sie sehen ziemlich angegriffen aus.«

Sie wandte sich an Frau Türkheimer.

»Apropos, Sie, liebe Adelheid, sind heute tatsächlich noch jünger.«

In einem unbeobachteten Augenblick überzeugte Andreas sich davon, was Adelheid zu dem allen für ein Gesicht machte. Sie hatte den Kopf zurückgelegt, stolz, wie er sie liebte, und das Lächeln in ihrer ruhigen Miene sagte den Freundinnen ihre nachsichtige Verachtung. Neid und Bosheit der andern, das zweideutige, fast obszöne Lächeln von Claire Pimbusch, wie das ohnmächtige Übelwollen der alten Frau Bescheerer, die, ohne das Verzichten gelernt zu haben, allmählich in Fäulnis überging, das alles waren Weihrauchwolken, die zu der üppigen und wohlerhaltenen Frau emporstiegen. Sie verkündeten ihr, daß keine hoffen durfte, so zu lieben und so geliebt zu werden wie sie selbst.

Andreas fühlte sich dagegen nicht sehr behaglich inmitten des Damenkreises. Angesichts so vieler Doppelsinnigkeiten, die er wenig geistreich fand, aber auf die er nicht gefaßt war, hatte er das Gefühl, eine unvorteilhafte Figur zu machen. Besonders lästig fiel ihm die Ausgelassenheit der kleinen Frau Goldherz, die mit erhobenem Lorgnon, huschend und die Flügel schlagend, einen wahren Freudentanz um ihn und Adelheid vollführte. Auf ihrem rosigen Puppengesichte wurden Mißgunst und Schadenfreude wohltuend gemildert durch das innige Vergnügen an dem kitzligen Gesprächsstoff, den sie hier erhaschen durfte, mit der Aussicht, ihn von Salon zu Salon weiterzutragen.

In seiner wachsenden Verlegenheit fand der arme junge Mann nur einen Ruhepunkt, wohin sein Blick sich flüchtete; es war das gütige Lächeln der Frau Mohr. Sie saß mit zusammengelegten Händen in ihrem Sessel, ohne Hut, behäbig wie im eigenen Heim, und sie nickte abwechselnd Frau Türkheimer und dem beklommenen Andreas zu, voll mütterlicher Nachsicht, als wollte sie sagen: Genießt euer Glück mit Muße und ohne Überanstrengung! Inzwischen bin ich da, um den Tee zu besorgen und die Hausfrau zu entschuldigen. Die verfänglichen Anspielungen prallen an meiner verständnisvollen Milde ab; ich bin euer Schutzengel und verlange nichts dafür als ein bißchen Nachsicht auch für meine eigenen Schwächen. Wenn wir anständigen Frauen uns nicht gegenseitig mit Nachsicht behandelten, was sollte dann aus uns werden!

»Eigentlich ist es etwas Schönes«, äußerte sie. »So ein Dichter, der sonst vielleicht ein ganz normaler Mensch ist, zieht sich plötzlich von aller Welt zurück und schließt sich ein, ganz allein, oder doch nur mit seinen Idealen.«

»Mit einem geliebten Schatten«, verbesserte Frau Pimbusch. »Sage nur, mit einem geliebten Schatten. Aber wie hält er das aus? Was meinen Sie, Herr Zumsee, wie halten Sie es aus?«

Das Erscheinen Lizzi Laffés machte Andreas’ Antwort überflüssig. Sie trug einen weiten violetten Sammetmantel und füllte die Tür in ihrer ganzen Breite aus, so daß die Herren Klempner und Kaflisch, die sie begleiteten, hinter ihr zurückbleiben mußten. Einige Sekunden lang maß sie die Gesellschaft wie von der Höhe eines Thrones herab, bevor sie mit gewinnendem Lächeln und dem Gang einer Königin, die die Bühne betritt, rauschend und pomphaft auf die Hausfrau zuschritt.

Aber Frau Mohr war ins Schwärmen geraten; sie erklärte: »Oh, ein richtiger Dichter erträgt noch Schwereres als die Einsamkeit. Ich kannte einen, es war ein netter junger Mann, der saß immer bei verhangenen Fenstern und bei Kerzenlicht. Er fastete dreimal in der Woche.«

»War er so unbemittelt?« fragte Frau Pimbusch.

»Nein, der Inspiration wegen. Ich finde das poetisch. Und er ist auch an der Schwindsucht gestorben.«

»Das kommt davon«, sagte Kaflisch, der herzutrat. Er faßte in der Unterhaltung sofort festen Fuß.

»Ich kannte auch einen«, erzählte er, »der ähnlich ums Leben gekommen ist. Es war eines der aussichtsreichen jungen Talente von unserem Beiblatt ›Die Neuzeit‹. An reichliche Nahrung war er wohl auch nicht gewöhnt, denn als er einmal bei uns einen Taler verdient hatte, kaufte er sich so viel Wiener Würstchen, wie es für einen Taler gibt, und starb an einer Indigestion.«

»Wissen Sie nicht etwas noch Dümmeres?« fragte Frau Pimbusch mitleidig. Frau Mohr war entrüstet.

»Nein, wie widerwärtig!«

Da Lizzi Laffé sich den Damen näherte, entzog sich der Journalist, mit seinem Erfolge zufrieden, weiteren Beifallsäußerungen. Er ergriff Andreas am Arm und führte ihn auf die andere Seite des Zimmers, vor den Kamin, der mit Blumen angefüllt war. Dahinter lag das Ventil der Luftheizung, und ein warmer Wind umspielte ihre Beine.

»Was sagen Sie zu Lizzi?« fragte Kaflisch.

Andreas zuckte die Achseln. Lizzi konnte ihm nicht mehr bange machen, einen so niederschmetternden Blick er bei ihrem Eintritt von ihr erhalten hatte. Sein Debüt, den Tritt auf ihre Satin-Duchesse-Schleppe, hatte sie ihm gewiß noch immer nicht verziehen. Aber was wollte sie eigentlich mit ihrem brutalen Bulldoggengesicht, und wer war sie denn? Eine mittelmäßige Schauspielerin, der bloß ihre Brillanten einige Geltung verschafften. Er äußerte wegwerfend: »Sie sollte ihren Teint pflegen, er verdirbt immer mehr. Um die Nase herum ist er fleckig.«

»Na, sie hat doch Formen«, meinte Kaflisch gutmütig. Andreas war unerbittlich.

»Sie scheinen mir beweglich, ihre Formen. Im selben Genre gibt es doch noch Besseres.«

Und er sah mit dem zufriedenen Kennerblick des Eigentümers zu Adelheid hinüber. Der andere seufzte.

»Sie Glücklicher! Sie wissen, wovon Sie reden. Das meine ich übrigens nicht. Lizzi hat heute so was Gehobenes, merken Sie das nicht? So was Großes? Nu sehnse wohl, das muß man doch merken. Sie spielt hier nämlich ihre Abschiedsrolle, unwiderruflich letztes Auftreten, wissense. Mit Türkheimer hat es nun bald geschnappt, und da verschafft sie sich einen guten Abgang.«

Andreas wurde aufmerksam.

»Was Sie sagen! Türkheimer läßt sie wirklich laufen? Und wen macht er denn jetzt glücklich?«

»Problem. Allseitig erschöpft man sich in Vermutungen, sehr geehrter Herr. Es sind schon Wetten eingegangen. Aber mit Türkheimer ist nicht mehr viel los, er fällt ab. Er soll sich nach was Magerem sehnen, sagt man.«

»Nach was Magerem?«

»So ’n kleines Mädchen, wissense? Aber wer damit erst anfängt, das is ’n schlimmes Zeichen, besonders wenn einer siebzig Millionen hat wie Türkheimer. Auf die Börse hat es Eindruck gemacht, gestern ist sie flau gewesen, weil der große Mann erklärt hatte, Sekt vertrage er nicht mehr. So was beunruhigt doch den Platz, verstehnse mich, sehr geehrter Herr?«

»Komisch!« bemerkte Andreas.

»Komisch nennen Sie das? Bös ist es!«

»Und Lizzi, was macht sie jetzt? Begnügt sie sich mit Klempner?«

»Klempner? Der gehört zu ihren Passiva, das wissen Sie doch.«

»Natürlich. Dann schafft sie ihn also ab?«

»Dafür ist es doch ’ne zu haltbare alte Liebe, und wird noch immer zärtlicher, besonders seit ›Rache!‹. Sehnse, so ’n Erfolg fördert ’nen jungen Menschen auf alle Weise. Sie sollten auch mal ’n Stück schreiben.«

»Kleinigkeit«, versetzte Andreas leichthin. »Stücke schreibt ja jetzt jeder.«

»Nicht wahr?« rief Kaflisch. »Die dramatische Form ist doch die höchste und schwierigste, wo man hat; wenigstens sagen es alle. Und gerade die kann jetzt jeder, wenn er auch weiter rein gar nichts kann. Es ist eigentlich ’ne hohe Blüte!«

»Und wegen ›Rache!‹ ist sie so in ihn verliebt?«

»Und wegen seiner sonstigen Tugenden. Er hat doch so was Männliches. Es ist übrigens rührend, wie sie ihn überall mit hinschleppt, sogar hierher zu ihrer Abschiedsvorstellung. Ich sage ja nichts, aber so ’nen Posten wie Klempner seiner kann sich jeder wünschen.«

Andreas lächelte verächtlich.

»Nana. Und wenn der Zukünftige ihn nun nicht mit übernehmen will?«

»Muß er. Ohne Klempner ist bei Lizzi nichts zu wollen.«

»Hat sie denn schon wieder einen?«

»’nen Prätendenten? Und ob. Sie bleibt doch immer Lizzi mit den Brillanten. Einer, der so ’n gewissen historischen Ehrgeiz hat und ihn sich ’n Stück Geld kosten läßt, findet sich allemal. Jetzt soll es sogar ein Herr von Reszczinski sein, Kollege Hochstettens, und noch nicht lange in Berlin.«

»Hä?« machte Andreas unwillkürlich. Kaflisch fragte: »Kennen Sie ihn vielleicht?«

Aber Andreas war nur von der Erwähnung Hochstettens überrascht worden. Die Erinnerung an Asta fiel ihm schwer auf das Gewissen, es war ihm gar nicht wohl bei dem Gedanken, daß er sie hätte antreffen können, als er mit Adelheid in einer Droschke hierhergekommen war. Aber sie blieb unsichtbar, und er atmete auf, wie nach einer überstandenen Gefahr. Der Platz in der Fensternische, hinter dem gelbseidenen Vorhang, flößte ihm noch einige Besorgnis ein, doch überzeugte er sich sofort davon, daß auch Fräulein von Hochstetten fehlte.

»Fräulein Türkheimer zeigt sich ja gar nicht. Ist ihr nicht wohl?« fragte er.

Kaflisch brach, dem jungen Manne dicht unter der Nase, in Gelächter aus.

»Nicht wohl? Sind Sie so besorgt um Asta? Daß sich das man legt! Dem guten Mädchen ist wohler als je, schon darum, weil sie gar nicht mehr Türkheimer heißt.«

»Ah!«

Andreas war so erstaunt, daß er sich von dem laut meckernden Journalisten mit fortziehen ließ.

»Meine Damen!« rief Kaflisch. »Sehn Sie mal die liebe Unschuld! Er weiß es nicht.«

»Was weiß er nicht?« fragte Frau Goldherz.

»Daß Asta sich verändert hat!«

»Und woher soll er es auch haben?« meinte nachsichtig Frau Mohr. »Wir wissen es ja alle bloß vom Hörensagen, sie haben sich doch sozusagen inkognito verheiratet.«

»Weil das dies Jahr das Feinste ist«, bemerkte Frau Bescheerer. »Und ob sie wirklich in Norwegen sind, ist auch nicht mal sicher.«

»Doch!« erklärte Claire Pimbusch. »Norwegen gehört zu Astas Grundsätzen.«

»Norwegen jetzt im Winter?« fragte Andreas. »Was machen sie denn da?« Kaflisch belehrte ihn: »Sie laufen Schlittschuh auf den Fjorden.«

»Wer das nicht kennt, kennt gar nichts«, sagte Frau Bescheerer, und ihre Miene blieb unbewegt, dank der dicken Schminke, die die Falten ihres Gesichtes ausfüllte.

Fast hätte Andreas sich erkundigt, ob die gnädige Frau auch ihrerseits diesem Sport huldige; denn er besorgte ernstlich, Frau Bescheerers mürbe Knochen möchten solchen Anstrengungen nicht gewachsen sein. Doch hielt ihn ein heftiges Erstaunen befangen über all das Ungewöhnliche, das seit seinem Verschwinden geschehen war, ohne daß er darum wußte. Adelheids leibliche Tochter konnte Hochzeit machen, und die Geliebte sagte ihm nichts davon, so tief waren sie beide in ihrer Leidenschaft untergegangen. Frau Pimbusch hatte recht gehabt, er kam geradeswegs aus dem Venusberg und mußte sich in der bürgerlichen Gesellschaft erst wieder zurechtfinden. Er sah sich um, kniff die Augen ein wenig zusammen, legte den Kopf leicht auf die Seite und schritt ganz plötzlich, als setzte ihn jemand von hinten durch einen Stoß in Bewegung, auf Frau Türkheimer zu. Er verneigte sich und sagte mit gemessener Herzlichkeit: »Gnädigste Frau, ich bin beschämt, Ihnen erst heute meinen Glückwunsch abzustatten. Ich hatte von der Verheiratung des gnädigen Fräuleins tatsächlich noch nichts erfahren.«

Sie erwiderte: »Aber werter Herr Zumsee, natürlich sind Sie entschuldigt. Wir wissen ja, daß Sie wochenlang ganz Ihrer Arbeit gelebt haben.«

Vielleicht hatte Frau Türkheimer, während sie Andreas’ Huldigung entgegennahm, nicht alle Zärtlichkeit in ihrem Blicke unterdrückt. Wenigstens war dies die Ansicht einiger Zuschauerinnen. Aber die Sicherheit des jungen Mannes, der sich der Lage über Erwarten gewachsen gezeigt hatte, verblüffte allgemein. Diederich Klempner kam hinter den Röcken der Damen Laffé und Türkheimer hervor, um dem Kollegen die Hand zu schütteln. Er trug einen ernsteren Gehrock als früher und hatte seit der Aufführung von »Rache!« sichtlich an Reife und Würde gewonnen. In seinem humoristischen Gesicht trat der staatserhaltende Zug kräftiger hervor.

Sogar Lizzi gönnte dem unwillkommenen Neuling ein herablassendes Lächeln. Adelheid wandte sich an die Schauspielerin: »Unser Freund ist Ihnen wohl noch unbekannt? Herr Andreas Zumsee.«

»Dramatischer Dichter«, setzte Kaflisch hinzu. »Wird nächstens mit einem Stück hervortreten.«

»Natürlich Frauenkomödie!« rief Frau Pimbusch. »Mit unbefriedigter Heldin!«

»Wirklich?« fragte Lizzi ziemlich trocken.

»In der Tat, mein gnädiges Fräulein«, erklärte Andreas voll Siegeszuversicht. Man hätte ihm sagen können, sein Stück spiele auf den Fidschi-Inseln, im zwölften Jahrhundert, und er würde es bestätigt haben. Er ließ sich auch durch Kaflisch nicht beirren, der ihn in den Arm kniff und ihm zuraunte: »Sie hört nicht auf Fräulein, nennen Sie sie Frau!«

Die allseitige Achtung, von der er sich in diesem Augenblick umgeben fühlte, stieg ihm zu Kopf, und er versetzte mit ritterlicher Leichtigkeit: »Ich habe bei meiner Hauptrolle gerade an Sie gedacht, gnädiges Fräulein, und ich würde mich glücklich schätzen …«

»Ach so«, äußerte Lizzi gedehnt.

Keineswegs gewillt, seinen Ton gelten zu lassen, maß sie den vorlauten Jüngling vom Wirbel bis zur Sohle, bevor sie ihn niederschmetterte.

»Ich habe doch gleich so was vermutet. Verkannte Frauenrollen wirft einem ja jetzt jeder an den Kopf.«

Als sie die Wirkung ihres Verweises auf seinem Gesichte wahrnahm, setzte sie milder und im Tone einer Belehrung hinzu: »Wissen Sie, so was, wie Sie vorzuhaben scheinen, ist verbrauchter Zauber.«

»Ach gehn Sie doch, Lizzi!« äußerte Frau Mohr.

Frau Türkheimer verriet durch eine unwillkürliche Handbewegung ihre innere Erregung. Aber Lizzi war Vorstellungen unzugänglich.

»Ich kenne doch das Theater!« sagte sie lauter. »Was jetzt Mode wird, ist das Volk, und mit der Mode muß man gehen. Die napoleonische Bewegung der Massen …«

»Das hat schon in Abells Kritik gestanden«, bemerkte Adelheid.

»Na also!« rief Lizzi, durch diese Einmischung gereizt. »Das Volk, die Masse, das zieht jetzt. Passen Sie mal auf, ›Rache!‹ wird Schule machen!«

»Schule vielleicht«, erwiderte Frau Türkheimer, »aber Kasse macht sie wohl nicht mehr? Oder wird sie noch gegeben?«

Die Gegnerinnen erklärten sich. Sie sagten einander ihre Eifersucht geradezu ins Gesicht. Andreas, froh, daß man ihn nicht in Anspruch nahm, zog sich vorsichtig hinter Adelheids Stuhl zurück. Klempner wurde von Lizzis Rücken gedeckt. – Die Schauspielerin zuckte mitleidig die Achseln.

»Kasse machen! Solche Händler-Anschauungen, meine gnädige Frau, sind uns Künstlern fremd. Als ob es auf Kasse machen ankäme, wenn es sich um eine neue große Kunst handelt wie bei ›Rache!‹. In Posemuckel und in Meseritz …«

»Ah, Posemuckel und Meseritz.«

»Gewiß. Dort hat ›Rache!‹ Erfolg gehabt, und die wahre Bildung, meine gnädige Frau, findet sich vielleicht häufiger in der Provinz als bei unserem dünkelhaften Berliner Publikum. Ein Stück wie unseres ist natürlich nur für die Elite der Bildung, während die Frauenrechte, na, die liegen doch schon in allen Gossen.«

»Meinen Sie wirklich? Wenn wir von Gossen reden wollen, so kommen in ›Rache!‹ wohl mehr Dinge vor, die nach der Gosse riechen. Überhaupt werden Sie mir erlauben, solche Angriffe auf die besitzende Klasse sehr wenig sauber zu finden, wenn sie von einer gewissen Seite ausgehen, von Leuten, meine ich, die zuallerletzt berechtigt wären, sich über uns zu beklagen!«

Adelheid schöpfte Atem. Sie stand im Begriffe, die von Andreas erlernten Einwände gegen Klempners Sittlichkeit zu wiederholen und dem Verfasser von »Rache!« jedes Abendessen vorzuwerfen, das er von der besitzenden Klasse angenommen hatte, indes er heimlich an ihrem Untergang arbeitete. Doch Lizzi kam ihr zuvor.

»›Die verkannte Frau‹, so kann das Stück Ihres Protege ja heißen, oder es bekommt einen nordischen Namen, Ebba oder Hedda oder so ähnlich. Aber ich bitte Sie, was wollen Sie damit noch anfangen? Von allen Frauenrechten macht auf der Bühne eigentlich bloß das Recht auf Liebe Effekt. Das soll es vielleicht sein?«

Sie sah triumphierend im Kreise umher, bevor sie bedeutungsvoll hinzusetzte: »Vielleicht das Recht auf Liebe – in einem gewissen Alter?«

»In Ihrem Alter, mein liebes Fräulein«, entgegnete Adelheid mit beleidigender Betonung, »sollte man solchen Scherzen wohl entwachsen sein.«

Ihre Stimme zitterte, obwohl Frau Türkheimer, der aufgeregten Schauspielerin gegenüber, eine immer kühlere Ruhe zur Schau trug. Sie war, während Lizzi sich um die Nase herum beträchtlich rötete, im Gegenteil sehr blaß geworden, was ihr gut stand. Aber das Wogen der Brust vermochte sie ebensowenig zu besänftigen wie jene. Lizzi hatte alle Fesseln gesprengt. Sie saß, den violetten Mantel wild zurückgeschlagen und eine Hand auf der Brillantagraffe an ihrem Gürtel, vorgebeugt und jeden Augenblick bereit, der Gegnerin ins Gesicht zu springen.

»Löwinnen, ihre Jungen verteidigend«, bemerkte Kaflisch halblaut zu seiner Nachbarin.

Klempner und Andreas verhielten sich ganz still hinter der sicheren Deckung, die ihnen Adelheids und Lizzis Rücken gewährten. Sie maßen einander heimlich, verlegen und sehr im Zweifel darüber, ob man eine Stellungnahme zum Streite ihrer Beschützerinnen von ihnen erwarte. Andreas meinte es sich schuldig zu sein, dem andern einen offen herausfordernden Blick zu senden, aber er begegnete auf Klempners forschem Gesicht nur einem skeptischen Lächeln. Und nachdem sie sich schweigend darüber verständigt hatten, daß dieses Weibergezänk keine männliche Einmischung wert sei, sahen beide diskret beiseite.

Die Damen ringsumher aber hingen an den Lippen der Rivalinnen. Als sie sich gegenseitig an ihr Alter erinnerten, war Frau Pimbusch einer Ohnmacht nahe infolge des Zwanges, den sie sich antun mußte, um ihre Wonne nicht laut zu verkünden. Frau Bescheerer, reglos und wie durch mechanische Mittel in ihrem Sessel aufrecht erhalten, versuchte wenigstens eine krause Stirn zu machen, wobei jedoch der grünliche, moosartige Fleck gleich einem lebenden Tiere zwischen den Falten hervorkroch. Frau Mohr lächelte begütigend, während Kaflisch jedem, der zufällig an ihm vorübersah, eine scheußliche Fratze schnitt, die sein Vergnügen bezeugen sollte.

Die kleine Frau Goldherz, die unruhig umhergeflattert war, verschwand plötzlich mit einem leisen Aufschrei hinter den Röcken ihrer Freundinnen. Andreas fühlte einen heißen, keuchenden Atem im Nacken, und als er sich umwandte, sah er dem Rechtsanwalt in das schwitzende, apoplektische Gesicht. Dieser Herr riß verstört die zwischen Fettpolstern eingeengten Augen auf, unfähig zu begreifen, wo seine Gattin schon wieder geblieben sei. Sein schwerer Bauch wankte, enttäuscht und traurig, hin und her. Türkheimer stand daneben und wiegte schalkhaft den Kopf. Er erkundigte sich: »Die Damen haben eine kleine Meinungsdifferenz? Ich bin so frei und biete meine Dienste an als ehrlicher Makler, ganz wie unser großer Kanzler.«

»Oh, es ist eine literarische Streitigkeit«, erklärte Adelheid in gleichgültigem Tone. Kaflisch fügte hinzu: »Wegen der deutschen Geisteskultur, wissense, Herr Generalkonsul.«

»Wenn es sonst nichts ist …« sagte Türkheimer.

Adelheid gab, über ihre Schulter hinweg, dem Gatten einige nachlässige Andeutungen.

»Es handelt sich um neue Dramen. Du weißt, mein Lieber, wir müssen unseren Gästen einmal einen dramatischen Abend bieten. Die Geselligkeit wird sonst jedes Jahr monotoner, finden Sie nicht auch, meine Damen? Und woher soll es auch kommen?«

Türkheimer bestätigte höflich: »Adelheid, du hast recht wie immer. Wir müssen was für die Kunst tun, wer soll es sonst? Immer bloß Abfütterung, das ist ja wie beim Mittelstand.«

»Ist es auch«, äußerte Frau Pimbusch. Frau Mohr erklärte: »Die besitzende Klasse ist den Rittern vom Geiste so vieles schuldig.«

»Das sagen Sie nur noch einmal!« rief Kaflisch, indem er sich auf die Brust schlug.

»Der König muß mit dem Dichter gehen, das ist doch ’n Gemeinplatz.«

Und er verbeugte sich vor Türkheimer. Dieser lächelte gnädig und reichte Klempner und Andreas seine beiden Hände hin.

»Herr Klempner und Herr Zumsee, Sie werden uns doch das Vergnügen machen und bei unserer kleinen Veranstaltung mitwirken? Was?«

Aber ein Blick seiner Frau belehrte ihn darüber, daß er zu schweigen habe. Adelheid sagte: »Oh, Herr Klempner ist berühmt, und Berühmtheiten können wir doch für unser Haustheater nicht in Anspruch nehmen. ›Rache!‹ wird jetzt schon in Posemuckel und in Meseritz gegeben.«

»Aber ich bitte Sie, meine gnädigste Frau«, so fiel Lizzi ein, mit einer Stimme, die sanft und süß geworden war.

»Posemuckel und Meseritz haben hierbei wohl nur wenig zu sagen. Übrigens beendet Herr Klempner gerade jetzt ein neues Stück, von dem man behaupten kann, daß so etwas noch nicht dagewesen ist. Es hat einen noch größeren Zug als ›Rache!‹ und wirft alles andere um, wenn ich so sagen darf. Der Verfasser würde sich gewiß glücklich schätzen, Ihrem Hause, meine gnädige Frau, die Primeur zu bieten. Die Creme der Gesellschaft, die hier zusammenkommt, hat gewiß das Recht, solch ein epochemachendes Werk zuallererst und noch vor den breiteren Schichten des Publikums kennenzulernen.«

Adelheid lächelte glücklich in dem Genüsse, die Rivalin in bittender Stellung, schon fast zu ihren Füßen zu erblicken. Sie fand es unnötig, sich zu verstellen, und sie drückte ihr Bedauern, das Anerbieten der Schauspielerin ablehnen zu müssen, mit sichtbarem Entzücken aus.

»Wie schade, es trifft sich schlecht, daß Herr Klempner uns nur so etwas Großes, Abendfüllendes anzubieten hat. Wäre es ein Einakter! Ich habe mir nämlich unser Programm schon zurechtgelegt. Es soll aus Kleinigkeiten bestehen, einzelne Akte und Szenen aus den Stücken unserer Jüngsten, verstehen Sie, damit jeder Gelegenheit hat, sein Können zu zeigen.«

»Aber ich bitte Sie, ohne Klempner geht das doch nicht!«

»Erst recht! Und die Gründe, weshalb wir auf Herrn Klempners Mitwirkung verzichten müssen, sind für ihn so schmeichelhaft, daß er uns gewiß nichts verübeln wird.«

»Schmeichelhaft, selbstredend!« bestätigte Türkheimer. »So ’n genialer junger Mann!«

»Nun?« fragte Lizzi. Adelheid erklärte: »Es ist ganz einfach. Diederich Klempner überragt, wie man jetzt schon in den entlegensten Gegenden weiß, alle seine Zeitgenossen so sehr, daß es ungerecht wäre, die kleineren Dichter mit ihm in Wettbewerb zu stellen. Sein Drama würde, wie Sie selbst, liebes Fräulein, zugegeben haben, alles andere umwerfen. Gestehen Sie nur, das wäre schlimm für unser Programm.«

»Schlimm, schlimm!« wiederholte Türkheimer.

»Aber ohne Klempner bleibt Ihr Programm unvollständig!« rief Lizzi halb verzweifelnd.

»Wir müssen eben auf Vollständigkeit verzichten«, entgegnete Adelheid gelassen.

Klempner, den Lizzi durch häufige Stöße mit dem Ellenbogen zur eigenen Vertretung seiner Interessen aufforderte, verhielt sich schweigend. Er wehrte Adelheids falsche Komplimente durch eine bescheidene Verbeugung ab, und er lächelte mit heiterem Phlegma. Er überließ es seiner unglücklichen Fürsprecherin, sich noch tiefer zu demütigen.

»Meine gnädige Frau«, begann sie wieder, »wie können Sie die Stellung eines jungen Anfängers nur so überschätzen! Klempner hat es so nötig wie jeder andere, daß etwas für seinen Ruhm geschieht. Der Erfolg von ›Rache!‹ ist viel, aber er ist noch nicht alles. Kasse macht das Stück nicht mehr, wie Sie wissen, und die Aufführung seines zweiten Werkes wird vielleicht auf Schwierigkeiten stoßen …«

»Oh!« machte Adelheid. Sie hatte den Kopf zurückgelehnt, und ihre Nüstern, schwarz und weit geöffnet, atmeten sichtlich einen köstlichen Duft ein, den Duft von Lizzis Sorge und peinlicher Erniedrigung. Die Schauspielerin zwang sich zu einer letzten Anstrengung.

»Aus dem Gedächtnis des Publikums verschwindet der Name eines jungen Autors nur zu schnell. Ein Mißerfolg, eine Ablehnung, und es ist vorbei mit ihm. Daß Klempner Förderung verdient, hat er wohl bewiesen, und niemand ist so sehr imstande, ihn zu fördern, wie Sie und Ihr Haus, meine gnädige Frau!«

Adelheid hob ungläubig die Achseln.

»Ich täte Herrn Klempner sehr Unrecht, wenn ich das glauben wollte, was Sie sagen. Unser armes Haus sollte für eine anerkannte Berühmtheit Reklame machen! Aber liebes Fräulein, Sie können geradesogut von uns verlangen, daß wir den Ruhm des großen Wennichen unterstützen. So bescheiden ist das Genie doch nicht!«

Türkheimer führte das Echo aus: »I wo, so bescheiden ist doch das Genie nicht!«

»Nur die Lumpe sind bescheiden!« verkündete Kaflisch mit Nachdruck. Klempner, der tat, als ginge das alles ihn nur sehr entfernt an, brach in Lachen aus, und die anderen stimmten ein.

Lizzi mußte ihre Sache verloren geben. Sie ward plötzlich hochrot im Gesicht, setzte sich stramm aufrecht im Stuhl zurecht und bemerkte schroff: »Es ist doch sonderbar, daß man da, wo es sich bloß um die Kunst handeln sollte, überall auf Cliquen und Koterien stößt!«

»Meinen Sie wirklich?« fragte Adelheid, die mit kalter Neugier Lizzis ohnmächtige Erbitterung betrachtete.

»O ja, meine gnädige Frau, das ist leider so! Gewisse Leute geben vor, etwas für die Kunst tun zu wollen, und wenn man näher zusieht, so ist es bloß, weil sie irgendeinen persönlichen Pflegling in bengalischer Beleuchtung zeigen möchten.«

»Nein, ich sage!« rief Frau Mohr ganz erschreckt dazwischen. Adelheid begnügte sich damit, mitleidig und erstaunt den Kopf zu schütteln. Die Damen kicherten, richteten die Lorgnons auf Lizzi und schoben ihre Stühle ein wenig zurück.

Aber Türkheimer zeigte sich merkwürdig beweglich. Er rieb sich, schwänzelnd und grinsend, die Hände, verbeugte sich mit ironischer Unterwürfigkeit vor der Schauspielerin und begann munter zu scherzen.

»Persönlicher Pflegling in bengalischer Beleuchtung! Famos gesagt, verehrteste Frau Laffé, famos gesagt! Persönliche Pfleglinge haben wir ja alle, das muß man zugeben, dabei ist nichts zu machen. Persönlicher Pflegling ist wirklich gut!

Und wir lassen sie uns auch was kosten, die persönlichen Pfleglinge!« sagte er mit erneuter Heiterkeit. Er ergriff Klempners Hand, gab ihm einen vertraulichen Schlag auf den Bauch und lachte ihm schallend gerade ins Gesicht. Klempner nahm sich die Freiheit, in derselben Tonlage mitzulachen, wodurch Türkheimers Fröhlichkeit verstärkt wurde. Sofort verdoppelte auch der andere die seine, und minutenlang standen sie mit weit offenem Mund einander gegenüber, atemlos, ganz durchschüttelt, tränenden Auges und beinahe blödsinnig. Am Ende machte ihre in Krampf übergehende Ausgelassenheit ihnen bange. Sie sahen einander verwundert an und ließen sich los.

Lizzi erhob sich mit einem Ruck. Sie sandte über die Versammlung hin einen Blick voll Hoheit und Verachtung, dann wandte sie sich zur Tür, rauschend, pomphaft und mit dem tragischen Schritt einer entthronten Königin. Klempner ging hinterher, den Kopf ziemlich tief zwischen den Schultern.

Die Gesellschaft löste sich auf. Andreas, dem diese ganze Szene keinen durchaus wohltuenden Eindruck hinterlassen hatte, wollte still davonschleichen. Aber Türkheimer, der ihm plötzlich in den Weg trat, ergriff seinen Arm, klopfte ihn fast zärtlich und erkundigte sich: »Gehen Sie schon, mein Lieber? Na, wenn Ihnen der Betrieb hier gefällt, kommen Sie doch nur recht bald wieder. Meine Frau, das weiß ich zufällig, hat viel für Sie übrig.«

Er lächelte schlau und fügte hinzu: »Und ich auch.«

Auf der Treppe stieß Kaflisch zu Andreas.

»Denken Sie über Ihre Taten nach?« fragte er.

»Nein, warum?«

»Er weiß es nicht!« rief frohlockend der Journalist. »Da geht er hin und weiß es wieder mal nicht! Aber ich sage es ja immer, den Seinen gibt er’s im Schlaf.«

»Was meinen Sie, bitte?«

»Na, seien Sie nur nicht unfreundlich zu mir, sehr geehrter Herr. Jetzt muß man Sie mit Vorsicht anfassen. Sie haben Türkheimer ’nen Liebesdienst erwiesen, und so was vergißt er nicht. Sie sind jetzt so gut wie versorgt und stehen fein da.«

»Nun erklären Sie aber mal, was Sie eigentlich meinen!«

»Soviel haben Sie jetzt doch wohl heraus, daß Sie unsere Lizzi total verkannt hatten. Mit schönen Rollen, so gern sie welche kreiert, ist sie doch nicht einzufangen, wenigstens dann nicht, wenn ihr ein Konkurrent ihres Diederich damit kommt. Das ist eben der heroische Zug in ihrem Charakter. In Ihrer Unschuld haben Sie das gute Mädchen schwer gereizt, mit Ihrer ›Verkannten Frau‹, wissense. Dafür ist sie gegen Adelheid grob geworden, und die hat sich natürlich gleich gerächt, indem sie Klempnern auf die Zehen trat. Haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden, wie das Sprüchwort sagt – ohne Sie irgendwie kränken zu wollen, sehr geehrter Herr.«

»Werden Sie heute nachmittag noch viel zitieren?«

»Egal weg. Was ich sagen wollte, und die feine Gelegenheit hat dann Türkheimer benutzt, um Lizzi hinauszusetzen, was er sonst nie gewagt hätte. Ich bitte Sie, was hatte er ihr denn vorzuwerfen? Doch nicht etwa Diederich, der ist obligatorisch und vertragsgemäß. Jetzt ist er sie los, und das dankt er bloß Ihnen. Darum war er auch so vergnügt mit Klempner. Sehnse woll, nu machen Sie ’n nachdenkliches Gesicht, und das mit Recht. Vergessen Sie nur nicht, daß ich Ihnen das alles erzählt habe, ich, Kaflisch vom ›Nachtkurier‹, und nehmen Sie’s nicht übel, wenn ich Sie mit Ihren Träumen allein lasse. Ich muß machen, sonst habe ich Krach mit Bediener.«

Er enteilte in großen Sätzen, indes er fortfuhr zu reden.

»Unschuld ist besser als Politik, das kann jeder sehen. Wer und was sagt doch …«

Und er verschwand, ohne das Zitat zu vollenden.

Andreas, der sinnend auf dem Treppenabsatz zwischen den Orchideen und den purpurnen Kaktusarten stehenblieb, vernahm droben die fette Rednerstimme des Rechtsanwalts Goldherz.

»Sagen Sie mal, was ist das eigentlich für ein junger Mensch, den Sie sich jetzt angeschafft haben?«

Türkheimer erwiderte: »Gefällt er Ihnen auch? Das ist ja der persönliche Pflegling meiner Frau. Spaßmacher und Zeitvertreib, wissen Sie.«

»Magerer Zeitvertreib«, meinte Goldherz.

»Noch ’n bißchen mager. Aber er wird schon Fett ansetzen.«

Diese Aussprüche entschieden Andreas’ Urteil über das soeben Erlebte. Indes er mißmutig heimging, erklärte er Türkheimers Zynismus für widerwärtig und Adelheids Auftritt mit der Schauspielerin für geschmacklos und unanständig. Sie hatte vielleicht gemeint, ihm einen Gefallen zu erweisen, indem sie ihn gegen die Rivalin und deren sogenannten Pflegling mit dem Gezeter eines Marktweibes verteidigte? Aber sie hätte sich diskreter verhalten sollen. Eine Frau hatte es wirklich zu leicht, sich für einen Geliebten bloßzustellen, wenn niemand es ihr verübelte und der Mann darüber lachte. Was waren das überhaupt für Sitten! Türkheimer, das war doch klar, fürchtete nichts so sehr, als daß seine Frau ihren harmlosen jungen Menschen verlieren und zu Ratibohr, dem Bankier, zurückkehren könnte. Darunter würden seine Geschäfte leiden, und das war die einzige Angelegenheit, in der er keinen Spaß verstand.

›Woher denn sonst das herzliche Wohlwollen, das er mich fortwährend fühlen läßt. Er spricht mit mir in einem Tone, als ob er mir jeden Augenblick Schmollis anbieten wollte. Er kann mich nicht ansehen, ohne zu schmunzeln, schlau zu lächeln und sich die Hände zu reiben, gerade als ob er einen feinen Coup gemacht hätte. Vielleicht glaubt er, mich mit Adelheid angeschmiert zu haben.‹

Im übrigen hatte Türkheimer sich jetzt der Laffé entledigt, und das mit seiner, Andreas’, Hilfe. Er, Andreas, machte sich am Ende all diesen Leuten nützlich, er diente ihnen als Spaßmacher und Zeitvertreib. Dies waren Türkheimers Worte. Klempner hatte ihn früher mit Pulcinella verglichen, und Köpf schrieb ihm eine glückliche Naivetät zu. Bei alledem fühlte man sich ja schließlich als der Gefoppte. ›Wen betrüge ich denn eigentlich?‹ fragte er sich mit ehrlicher Entrüstung.

In ähnlichen Liebesgeschichten mußte dem Herkommen gemäß jemand hintergangen werden, und konnte es nicht Türkheimer sein, so mußte Adelheid herhalten. Aus solcher übelwollenden Stimmung heraus vollführte Andreas einige heftige Bewegungen gegen das junge Fräulein Levzahn, das ihm die Tür der Wohnung öffnete. Sie gab in der Dunkelheit des Flurs einen als zart beabsichtigten Schrei von sich, der sauersüß klang, und entschlüpfte in die Küche.

»Mutter«, fragte sie, »ist mein Gesicht geschwollen? Der junge Mensch hat so ’n forschen Griff, wenn er einen in die Backe kneift.«

»Ne, nu soll aber doch …« rief die Alte.

»Wer is es denn? Doch nich der Köpf?«

»I wo, so ’n stilles Kaninchen. Der andere selbstredend.«

»De lütte Schriewer? Na, denn bull di man nix in, Zaffie. Dat is man ’n Putschinell.«

Das junge Mädchen machte ein böses Gesicht.

»Mutter, rede doch bloß ’ne gebildete Sprache! Der Jüngling scheint übrigens gar nicht von schlechten Eltern«, setzte sie gleichgültig hinzu. »Er hat doch so ’n großes Portemonnaie.«

»Hat er bloß von die dicke Olsche, die ihm immer besucht, mien Döchting, un die schenkt uns nix.«

»Ach so meinst du das«, bemerkte Sophie harmlos naiv. Die Mutter erklärte: »Is doch ’ne Schande, so ’ne Olsche, die noch auf Freiersfüßen geht und sich ’nen jungen Mann kauft.«

»Glaubst du wirklich, daß sie ihn heiraten will? Das is wohl auch man so ’n fauler Kram, wie sie’s in der vornehmen Welt alle machen, Mutter, das laß man gut sein.«

»Na, wenn sie ihn auch nich heiratet, ’ne Schande is es doch«, behauptete Frau Levzahn hartnäckig.

Nach einer nachdenklichen Pause schien das junge Mädchen einen Einfall zu haben.

»Aber wenn sie den jungen Menschen nachher losläßt, muß sie ihm doch wenigstens ’ne Mitgift und ’ne Aussteuer schenken. Das is doch nich mehr als recht is.«

Sie schwiegen wieder. Die alte Mecklenburgerin stemmte die knochigen Arme auf die Hüften. Ihr weit vorragender, mit Wasser angefüllter Bauch warf einen ungeheuren Schatten auf die Wand. Sie betrachtete ihre aufgeweckte Tochter mit ungeheuchelter Bewunderung, und sie wiederholte schwerfällig: »Tje, dat is denn woll nich mehr as rech is un as man verlangen kann.« Das Mädchen wandte sich errötend ab.

»Auf was für Gedanken du aber auch kommst, Mutter!« sagte sie im Tone eines Theaterbackfisches.

Der Gedanke, den sie meinte, ging der Alten erst jetzt vollends auf. Sie rief der Tochter, die die Küche verließ, eifrig nach: »Nu wart aber erst ’n büschen, ob hei süst noch was van di will, Zaffie!«

Wirklich fuhr Andreas in seinen Angriffen auf Sophie Levzahn fort. Nach dem Abendessen erschien er unter einem hinfälligen Vorwand im Zimmer der beiden Frauen und setzte sich zu dem jungen Mädchen, unter die Hängelampe. Er staunte die Randmuster und die Monogramme an, mit denen sie Rückenkissen und Portefeuilles bestickte, er erkundigte sich eingehend nach den Preisen, schalt heftig auf die Ausbeuter, die ein armes Mädchen die Nächte hindurch für Hungerlohn arbeiten ließen, und erstand ein Kartentäschchen, für seine Tante, wie er angab.

»Tante ist gut«, bemerkte Sophie mit einem verräterischen Senkblick, der Andreas wohltat. Er sagte sich triumphierend, daß er bereits anfange, an Adelheid Rache zu nehmen.

Dann entzückte er sich über die weißen Finger der Stickerin. Sie habe wahrhaftig eine Prinzessinnenhand. Sie schmollte: »So was sagen die Herren alle. Das kostet keinen Groschen.«

Die Alte schlich auf Filzpantoffeln hin und her, und Andreas ward die Empfindung nicht los, als habe er einen Wärterblick im Rücken. Endlich entschloß er sich doch, einen Kuß auf Sophies Haar zu drücken, übrigens ohne Überzeugung, denn ihr Haar war graublond und dünn. Sie kreischte diesmal nur ganz leise, aber wenn es süß klingen sollte, so klang es doch falsch. ›Sie kann nichts dafür‹, dachte der junge Mann. ›Sie ist unmusikalisch.‹

Im ganzen reizte ihre Eroberung ihn nur wenig, obwohl er sie ziemlich hübsch fand. Ihr Gesicht war noch frisch, sie konnte höchstens zwanzig Jahre alt sein; aber vom Hals abwärts schien sie ein wenig schwammiges Fett angesetzt zu haben, wahrscheinlich in dem schlecht gelüfteten Hinterzimmer ihres Vaters, des verstorbenen Budikers Levzahn. Übrigens hatte ihre Koketterie etwas Erzwungenes, man bemerkte zuviel von verlorenen Illusionen und von Berechnung. Trotz aller Mühe, die sie sich gab, um dem jungen Manne zu schmeicheln, blickten ihre scharfen grauen Augen abschätzend, gierig und mißtrauisch wie die eines Wucherers.

Andreas, der ein gutes Herz hatte, empfand schließlich Mitleid mit dem unbefriedigten Geschöpf. Aber er war zu sehr auf Heiterkeit und Sattheit angewiesen, um es lange bei ihr auszuhalten. Er gähnte ein paarmal heimlich, fand nichts mehr zu sagen und empfahl sich etwas kleinlaut.

Mutter und Tochter wußten sein Betragen nicht zu deuten; Sophie überließ sich ihrer Übellaunigkeit. Endlich meinte die Alte: »Sallst di dat nich tau Harten nahmen, Döchting. Hei is man ’n beten düsig, son jungen Minschen!«

Sophie zuckte die Achseln.

»Du kommst heute den ganzen Tag auf schlechte Gedanken, Mutter. Was glaubst du denn? Daß ich hinter so ’n Bengel soll herlaufen und warten, bis seine Alte so gut is und ihn mir rausgibt? Vater war doch ’n ehrlicher Mann, und arm aber anständig hab ich immer gesagt …«

»Is all gut. Aber Ferdienen wird mit ’n großen F geschrieben.«

Frau Levzahn kratzte sich den grauen Scheitel mit einer hölzernen Stricknadel, indes sie auf Mittel sann, um ihre Tochter zu überreden, die weiter nichts verlangte, als überredet zu werden.

»Un denn, Zaffie, wissen wir ja auch noch nich, ob es wirklich so schlimm is.«

»Was soll nich schlimm sein?«

»Das mit die Olsche. Es kann je doch ’ne ganze honette Person sein, kann es je doch, un auch wirklich dem jungen Menschen seine Tante.«

»Das müßten wir erst rauskriegen.«

»Tje, rauskriegen müßten wir das woll erst.«

Die Alte verfiel wieder in Ratlosigkeit und wurde wieder durch die kluge Tochter daraus erlöst. Man redete, schwerfällig und voller Bedenken, noch eine Zeitlang hin und her, aber schließlich erreichte Sophie es, daß die Mutter ganz von selbst auf den richtigen Gedanken verfiel. Das nächste Mal, wenn die fremde Dame zu dem Mieter kam, sollte das Mädchen drunten im Hausflur auf sie warten und ihr heimlich nachgehen. Stieg sie in eine Droschke, so mußte Fräulein Levzahn auch eine nehmen, die Sache war es wert. Als dies beschlossen war, setzte die Alte hinzu: »Un is doch auch, daß wir man wissen, wer hier immer aus un ein geht. Sonst könnt uns hier ja woll jeder kommen. Eine Witwe mit erwachsene Tochter muß auf ihren Ruf sehen.«

Sophie erwiderte: »Nu sagst du doch auch mal ’n vernünftiges Wort, Mutter.«

Andreas, der mit dem Verlauf seines Abstechers zu den Levzahns unzufrieden war, bereitete sich vor, Adelheid sehr kalt zu empfangen. Doch ließ sie ihm gar keine Zeit, seinen Unmut zu äußern. Sie betrat am folgenden Nachmittag mit einem Sprunge sein Zimmer, jugendlicher und elastischer als je. Ihre Wangen waren vom Froste gerötet, und das Glück strahlte auf den Lippen, die sie ihm bot. Aus der herzförmigen Öffnung ihres Handschuhs zog sie ein Stückchen Zeitungspapier und hielt es ihm unter die Augen.

»Da, lies! Eben habe ich es mit Rohrpost bekommen, es ist eine Druckprobe und soll heute abend in den ›Nachtkurier‹!«

Er überflog die Zeilen, erst argwöhnisch, dann immer lüsterner, und sie entwaffneten ihn. Sie lauteten:

»In hiesigen literarischen Kreisen spricht man zur Zeit viel von einer dreiaktigen Sittenkomödie von Andreas Zumsee. Herr Zumsee, ein Protege einer der glänzendsten Damen unserer vornehmen Gesellschaft, ist den Lesern unseres Blattes als eines der aussichtsreichsten jungen Talente längst bekannt. Wie verlautet, wurde das Stück, das den Titel ›Eine Verkannte‹ tragen wird, von einer hiesigen ersten Bühne bereits zur Aufführung angenommen, und dürfte die Erstaufführung noch in laufender Saison stattfinden. Man sieht diesem hochliterarischen Ereignisse allseitig mit Spannung entgegen. Der Erfolg wird zweifellos ein großer sein.«

»Was sagst du jetzt?« fragte Adelheid. Sie lächelte erwartungsvoll. Er ergriff, in einer stürmischen Wallung, ihre Hand, die er streichelte und preßte; dann schlug er die langen, vorn zurückgebogenen Wimpern auf, um sie mit einem Liebesblick zu umfangen, seelenvoll wie seit langem nicht mehr.

»Du bist doch die Beste von allen«, sprach er herzlich.

»Nicht wahr?«

»Wie hast du es nur angefangen?«

»Oh, Kaflisch weiß schon allein, was er zu tun hat.«

»Ah, Kaflisch!« Es enttäuschte ihn, daß Adelheid nicht eigenhändig für seinen Ruhm gesorgt hatte.

»Er hat es vielleicht nötig, sich lieb Kind zu machen?« vermutete er.

»Wohl mehr aus guter Freundschaft. Er ist ein zuvorkommender Mann.«

»Aber das mit dem ›Protege‹«, wandte Andreas ein, »das ist nicht hübsch, das hat er von Lizzi.«

Er ward plötzlich rot vor Vergnügen, weil ihm einfiel, wie schmeichelhaft gerade diese Wendung in Kaflischs Entrefilet für seinen Ruf sei.

»Nun stehen wir also schon zusammen in den Blättern!« sagte er mit unterdrücktem Jubel. Sie warf den Kopf zurück.

»Was ich mir daraus mache!«

So viel selbstbewußte Unabhängigkeit gewann ihm Achtung ab.

»Dann hättest du’s auch der armen Lizzi nicht so sehr verübeln sollen«, meinte er milde. Sie entrüstete sich sofort.

»Wie? Du willst doch die Person nicht in Schutz nehmen?«

»Das gerade nicht. Aber was hat sie eigentlich verbrochen? Du bist doch sonst solche gute Frau!«

Er hätte fast hinzugesetzt: Und immer so nett zu den jungen Leuten!

»Bin ich auch«, bestätigte Adelheid. »Aber diese Person hat mich in meiner Liebe angegriffen, und das verzeihe ich nie!«

»Oh!« äußerte er leichthin, um sie zu reizen, denn das Tragische in ihrer Haltung gefiel ihm. Sie schritt erregt bis zur Tür, dann trat sie wieder vor ihn hin.

»Türkheimer kann in sein Haus einführen, wen er will, und wenn er seine Mätressen bei uns verkehren lassen will, was geht es mich an? Besonders bei solch einem Mann, und wie es mit ihm steht, da wäre es lächerlich, sich aufzuregen. Außer mit Diamanten hat er sie nicht oft glücklich gemacht, das kann ich am besten wissen!«

Andreas begann zu lachen, halb aus Verlegenheit, weil es ihm auffiel, daß er selbst eigentlich unter ähnlichen Bedingungen in der Hildebrandtstraße auftrete wie Lizzi. Aber Adelheid fuhr fort: »Nur das kann man nicht verlangen, daß ich ruhig bleibe, wenn diese käufliche Person …«

Er zuckte zusammen, plötzlich ernst geworden. Nein, der Vergleich stimmte glücklicherweise nicht, denn er war nicht käuflich.

»Käufliche Person!« wiederholte Adelheid eindringlich. »Wenn sie sich herausnimmt, meinen heiligsten Gefühlen zu nahe zu treten!«

Sie erfaßte seinen Arm und sank schwer gegen seine Schulter, so daß er ein wenig taumelte. Schluchzen stieg in ihrer Stimme auf.

»Es ist ja nur deinetwegen, mein geliebter Andreas! Deinetwegen bin ich zu allem fähig, und ich könnte ihr Blut sehen!«

Er glaubte es ihr fast, wie er ihr bebendes Gesicht betrachtete, das bleich schimmerte unter dem schwarzen Haarkamm, mit halbgeschlossenen, dunkel umränderten Lidern und weit geöffneten Nüstern. Er begann, durch diese Szene lebhaft angeregt, feurige Küsse auf ihre Lippen zu drücken, aber sie richtete sich auf, sie war noch nicht fertig.

»Was sie mir sonst gesagt hat, und daß sie mir mein Alter vorwirft, das verzeihe ich ihr! Wer in ihrem Alter schon so aussieht wie sie, der kann mir höchstens leid tun. Ich bin vierundvierzig, du darfst es gerne wissen. Und ob ich alt bin, das kannst du besser sagen als alle andern. Da, ist das alt?!«

Mit einem jähen Ruck riß sie ihre Bluse auf, daß ein paar kleine Perlmutteragraffen durch das Zimmer rollten. Das Kleidungsstück flog zu Boden, Andreas bestaunte mit offenem Munde ihre Behendigkeit. Sie nestelte bereits am Mieder, es war immer nur lose gebunden, wenn sie hierherkam; und als es fiel, wies sie mit einer beinahe feierlichen Gebärde auf ihre Brust, die fest, glänzend und hoch gewölbt über ihre Jahre triumphierte.

»Ist das alt?« wiederholte sie, und er fand sie großartig in ihrer Schamlosigkeit. Ihre Leidenschaftlichkeit überwältigte ihn, er hatte Lust, ihr zu Füßen zu sinken. Aber sie breitete die Arme aus.

Es war bedauerlich, daß sie nach Beendigung der Liebesfeier sich jedesmal so sehr veränderte. Sobald sie ihn erschöpft sah, war alle Größe ihres Wesens dahin, und sie ärgerte ihn von neuem mit ihren kindischen und mitleidigen Kosewörtern: »Mein Schatzchen«, »Mein Kleinchen«, »Mein Herzchen«. Er entwand sich mürrisch ihren Zärtlichkeiten, und wenn er noch nicht wagte, seine üble Laune zu zeigen, so hätte er ihr doch gern zugerufen: Warum entstellst du dich so? Siehst du nicht ein, daß eine vierundvierzigjährige Naive lächerlich ist? Vorher warst du eine schwere und gierige Sultanin, jetzt bist du nur noch eine dicke Amme! Sie verstand keinen seiner wütenden Blicke und fuhr fort zu schäkern.

»Mein Puttchen muß jetzt fleißig sein. Wann schreibst du denn dein Stück?«

»Ach ja, bald.«

»Mach doch, Liebling! Ich will es schon im Januar bei uns aufführen lassen. Im Februar bringen wir’s dann auf eine große Bühne, das besorge ich dir.«

»Wir haben ja schon Dezember.«

»Tut nichts. Halt dich nur dazu, du kannst alles.«

Er sprang erbittert auf.

»Ich kann doch ein dreiaktiges Drama nicht aus dem Ärmel schütteln! Hast du denn gar keine Ahnung, was dazu gehört?«

»Sei wieder lieb, bitte! Ich meine es ja nicht so. Ich weiß schon, die Inspiration …«

»Und die Dokumentierung, bitte sehr.«

»Und die Dokumentierung, ich verstehe dich ja. Sei nur wieder lieb!«

Er ließ sich oberflächlich besänftigen. Aber ihre Mahnungen zur Arbeit, die häufig wiederkehrten, fielen ihm äußerst lästig. Die Notiz im »Nachtkurier« genügte vorerst, und es war so gut, als sei das Stück schon geschrieben. Was wollte sie eigentlich noch mehr. Sie fing abermals an: »Hör zu, Schatzchen! Wenn ich mir’s überlege, so hat es auch bis Februar Zeit. Bis dahin kannst du noch viel dichten. Denk nur, acht Wochen!«

Er hob gleichgültig die Schultern und ließ sie weiterreden.

»Dann lieben wir uns schon drei Monate. Was für eine lange Zeit! Und dann wirst du berühmt und reich.«

Sie flüsterte, süß und träumerisch, nahe an seinem Ohr.

»Sag mir das eine, mein Püppchen, bist du auch mit allem versorgt? Hast du noch Geld?«

Er trat heftig von ihr weg und sah sie an. Seine Augen waren ganz bleich vor Wut. Dann drehte er ihr den Rücken zu, hob die lange Kutte empor und begann, die Hände in den Hosentaschen, laut zu pfeifen. Sie versuchte, sich ihm zu nähern, doch wehrte er ihr durch einen brutalen Stoß mit der Schulter. Er machte einige lange, erregte Schritte und sprach durch die Zähne: »Es ist zu stark! Das ist wirklich zu stark!

Du verwechselst mich mit Lizzi Laffé!« schrie er ihr plötzlich zu.

Sie murmelte, starr vor Schrecken: »Ich bitte dich, beruhige dich, es ist doch nichts geschehen!«

»Nichts geschehen?!«

Er lachte ihr gehässig ins Gesicht und setzte seinen wilden Spaziergang fort. Käufliche Person! Wenn sie nur nicht gerade vorher von der käuflichen Person gesprochen hätte! Und jetzt …

Adelheid sammelte sich. Sie flog auf ihn zu, mit flehentlicher Gebärde die Arme ausgestreckt.

»Du glaubst doch nicht, daß ich dir Geld anbiete!«

»Etwa nicht?«

Er blieb verwundert stehen, fast enttäuscht, denn ihre Ableugnung störte ihn in einer edlen Charakterrolle. Sie verdoppelte ihre Beschwörungen.

»Glaube doch das nur nicht! Wie sollte ich dich so verkennen! Ich meinte bloß …«

Sie spähte voll Angst im Zimmer umher. Plötzlich hatte sie etwas gefunden, sie zerrte Andreas bis vor den Spiegel.

»Ich meinte bloß deinen Toilettentisch! Siehst du, ohne dich kränken zu wollen, aber er ist zu primitiv, und in dem Spiegel sieht man sich immer ganz gelb.«

»Nun, und?« forschte er mißtrauisch.

»Und neulich habe ich irgendwo ein so wunderhübsches Möbel gesehen, in der Leipziger Straße, glaube ich. Ganz passend für dich, Rokoko und mit Aufsatz, und dabei ein Gelegenheitskauf, nur hundert Mark. Darum fragte ich ja, ob du Geld übrig hättest!«

»Ah! Das ist etwas anderes.«

»Siehst du wohl. Und wegen solcher Kleinigkeit wirst du gleich wild, böses Herzchen! Ich hatte gedacht, daß ich ja nachher eben vorfahren kann und das Ding bestellen, aber ich habe kein Geld bei mir.«

»Sehr freundlich von dir. Bitte.«

Er zog die Brieftasche hervor und reichte ihr den Schein, mit einer vornehmen Verbeugung. Adelheid bemerkte deutlich, daß das Portefeuille nichts weiter enthielt.

Er empfand die Verpflichtung, sich zu entschuldigen.

»Ah! Ich bin froh, mich geirrt zu haben«, versetzte er leichthin.

»Nicht wahr? Wie man einander mißverstehen kann! Menschen, die so ganz ineinander leben, wie wir! Oh, unser armes Herz!«

Die Stimmung überwältigte sie. Wenn die Stunde nicht gedrängt hätte, würde sie gerne länger Versöhnung gefeiert haben. Ihre Liebe ging aus diesem Zwischenfall womöglich noch größer hervor; sie mischte sich mit einer weihevollen Scheu vor der sittlichen Stärke des Geliebten. Der bloße Gedanke, ein Geschenk von ihr annehmen zu sollen, hatte ihn außer sich gebracht. So etwas gab es ja gar nicht! Noch in der Tür flüsterte sie unter Küssen: »Du bist edel!«

Als Andreas sich allein sah, kamen ihm doch Bedenken. Hätte er die Gelegenheit benutzen und Adelheid um ein Darlehen angehen sollen? Nicht jeder würde, im Besitz einer reichen Geliebten, soviel Selbstverleugnung bewiesen haben wie er. Und wer sich etwas lieh, war schließlich noch lange nicht käuflich. Überhaupt waren Vergleiche zwischen ihm, Andreas Zumsee, und Leuten wie Klempner oder die Laffé ganz unstatthaft.

Eine hohe Gesinnung ließ sich ihm nicht absprechen; aber um sie sich ohne Unbequemlichkeit gestatten zu können, mußte man eigentlich in entsprechender Vermögenslage sein. Und er suchte seufzend aus allen Taschen das Silbergeld zusammen, das ihm blieb: einundzwanzig Mark fünfunddreißig Pfennige. Es war der Rest seines Spielgewinns bei Türkheimer. Der Hundertmarkschein aber bildete den vollen Betrag des Monatswechsels von zu Hause. Den hatte er nun hingegeben, wofür? Damit Adelheid sich im Spiegel nicht mehr gelb sah!

Auf einen so ausschweifenden Edelmut mußte natürlich der Katzenjammer folgen. Schon lag es wie die sieben mageren Jahre vor seinem geistigen Auge. Die Zeiten des Café Hurra kehrten zurück; er würde wieder wie damals das Mittagessen durch stramme Haltung ersetzen müssen, und doch hatte er eine reichliche Ernährung jetzt viel nötiger als früher! Er würde jeden Pfennig zählen müssen, während er in Kreisen lebte, wo das Geld unter den Möbeln umherrollte. Es war ein schöner Vorzug, in das Schlaraffenland eingedrungen zu sein, wenn man hier, wo alle sich um die Wette vollstopften, durch Enthaltsamkeit glänzen wollte. Er fühlte sich gewissermaßen geschädigt und nahm es Adelheid nachträglich übel, daß sie ihm nicht vernünftig zugeredet hatte.

Und dabei hielten ihn seine Bekannten höchstwahrscheinlich für reich. Es war sogar gewiß, denn Pohlatz und Doktor Libbenow, denen er kürzlich in der Potsdamer Straße begegnet war, hatten seine feine Kleidung mit Blicken gemustert, als ob sie ihm Glück wünschten. Auch erinnerte er sich eines Zusammentreffens mit dem dicken Golem, der zielbewußt auf ihn zugetreten war, mit seinem vertraulichen Lächeln, das stets auf Anleiheabsichten hindeutete. Kaum daß Andreas sich noch um die Ecke gerettet hatte. Alle waren der Meinung, daß seine Verbindung mit dem Hause Türkheimer ihm ein hohes Einkommen verschaffe, und bei dem Gedanken, wie sehr sie irrten, kam er sich gedemütigt und betrogen vor.

Wer mochte sie über seine Verhältnisse so falsch unterrichtet haben? Vielleicht Köpf, der etwas Hinterlistiges an sich hatte. Vermutlich aber Kaflisch, und dieser hätte sich schämen sollen, denn er hatte die hundert Mark, die er von Andreas’ Spielgewinn entliehen hatte, noch immer nicht zurückerstattet. Die Unanständigkeit eines Menschen, der ihm Geld schuldete und inzwischen Klatsch über ihn verbreitete, erbitterte Andreas. Mit kalter Entschlossenheit kleidete er sich an und verließ das Haus.

Es war seine Absicht, den Journalisten in der Redaktion des »Nachtkurier« aufzusuchen, doch traf er ihn bereits Unter den Linden, inmitten einiger Kameraden, von denen er kaum zu unterscheiden war. Sie gefielen sich sämtlich in derselben Allerweltseleganz, und ihre Beinkleider waren mit Kot bespritzt.

Kaflisch wollte freundlich winkend vorübergehen, aber Andreas faßte ihn am Arm.

»Auf ein Wort, bitte«, sagte er bestimmt.

Der Reporter schnüffelte ihm neugierig ins Gesicht.

»Nu, was bringen Sie Schönes? Ist bei Türkheimers was los?«

»Was soll los sein?«

Andreas hatte sich vorgenommen, ein hartes Wort zu sprechen, aber im letzten Augenblick hielt ihn eine Verlegenheit zurück, und er fragte ziemlich höflich: »Apropos, bekomme ich nicht noch hundert Mark von Ihnen?«

»Und?« meinte Kaflisch harmlos.

»Vielleicht geben Sie mir die Summe jetzt wieder?«

»Ist das alles, was Sie wissen? Und wegen solchem alten Witz halten Sie mich von meinen Geschäften ab? Das ist nicht nett von Ihnen, sehr geehrter Herr!«

Er versuchte, sich zu befreien, um den Freunden nachzueilen. Aber Andreas ließ ihn nicht los.

»Ich brauche das Geld«, versetzte er kaltblütig. Kaflisch tat ernstlich erzürnt.

»Machen Sie doch keine Wippchen! Sie wollen wohl Vogtländer spielen? Bei uns zieht das nicht, mein Lieber! Sie verderben sich bloß Ihren Kredit, wenn Sie so ’n paar elenden Groschen nachlaufen.«

»Elende Groschen!« wiederholte Andreas vorwurfsvoll. Hundert Mark bedeuteten ihm jetzt ein Vermögen. Kaflisch behauptete: »Sie haben doch Geld wie Heu und brauchten ’nen armen Menschen nicht so zu bedrängen.«

»Wieso?«

»Nu, wer mit Adelheid Türkheimer zusammensteckt, hat immer Geld wie Heu.«

»Sie wollen mir also nichts wiedergeben?«

»I wo werde ich denn!«

Der Reporter schlug den wohlwollenden Ton an, durch den er die Leute stets davon überzeugte, daß sie im eigenen Interesse am besten täten, ihm zu verraten, was er wissen wollte.

»Sagense mal ganz unter uns, hat sie Ihnen noch kein Geld angeboten?«

Andreas versuchte, ein hochmütiges Gesicht zu machen.

»Ich kann soviel haben wie ich will!«

»Aber?« forschte Kaflisch. »Sie leiden doch nicht an falschem Schamgefühl, armer Freund? Ne wirklich, jetzt wird er rot!«

Er lachte, bis ihm die Luft ausging.

»Wenn mir das nur bekommt«, sagte er, »es ist zu gut! Sie kennen den Betrieb noch nicht, das merkt man, und ich muß Ihnen mal was erzählen. Mein Geschäft ist nun doch verpaßt.«

Sie betraten das Café Bauer und stiegen in den ersten Stock hinauf. Der Journalist schüttelte sich noch immer vor Fröhlichkeit.

»Es ist zu gut, die liebe Unschuld!«

Die Stimme versagte ihm fast, während er »zweimal Nußschale braun« bestellte. Er winkte nach links und nach rechts, teilte einige Händedrücke aus und kehrte zu Andreas zurück.

»Also Sie lassen sich nichts schenken?« fragte er.

»Als Ehrenmann …« versetzte Andreas kalt.

»Kunststück! Ehrenmann ist jeder. Und schenken lassen sollen Sie sich auch gar nichts.«

»Sondern?«

»Sie sollen sich bloß beteiligen.«

»Beteiligen?«

»Natürlich. Man gehört nämlich dazu, oder man gehört nicht dazu. Verstehnse mich? Und wenn man dazu gehört, nu, dann beteiligt man sich auch.«

»Woran?«

»An dem Türkheimerschen Nationalvermögen!«

»Ich begreife nicht.«

»Und ist doch so allgemeinverständlich! Man muß bloß wissen, wer Türkheimer ist. Sehnsemal, stehlen ist ganz gut, aber wenn ein einzelner Mann so blödsinnig viel gestohlen hat wie Türkheimer, dann kann er keinem mehr weismachen, daß ihm das wirklich alles alleine gehört. Und er will es auch gar nicht! Leben und leben lassen, denkt er. Türkheimer ist nämlich ein ziemlich aufgeklärter Mann, er sieht ein, daß der jetzt so beliebte Kommunismus tatsächlich einem Bedürfnis der Neuzeit entspricht. Natürlich bloß der gesunde Kommunismus, der sich in seinen berechtigten Grenzen hält. Über die Familie darf die Politik der offenen Hand nicht hinausgehen, das wäre gewissenlose Vergeudung des Nationalvermögens. Aber die Familie ist weitverzweigt und reicht am einen Ende bis zu den fürstlichen Personen, die im Türkheimerschen Garten hier und da einen Baum zu pflanzen pflegen. Das dachten Sie wohl gar nicht? ’s ist ’n einträgliches Gärtnergeschäft. Und am andern Ende reicht sie bis zu unsereinem, der diesen oder jenen Fünfzigmarkschein aus der Luft wegfängt, mit Rührigkeit und Geschick. Verstehnse mich, sehr geehrter Herr?«

»So ziemlich. Aber man muß auch was dafür tun, scheint mir?«

Kaflisch riß die Augen auf.

»Und tun Sie etwa nichts? Sie Schäker!«

»Ach so«, versetzte Andreas, und er lächelte geschmeichelt.

»Es ist wirklich das reine Schlaraffenland«, bemerkte er, sichtlich aufgeheitert.

»Stimmt, Schlaraffenland. Was sind Sie für ’n begabter Mensch! Na, und jetzt bin ich dabei, Sie in das volkswirtschaftliche System einzuweihen, das im Schlaraffenland die Grundlage alles wohltätig Bestehenden bildet. Bloß nich rühr an! In das System passen nämlich alle hinein, die Sie kennen. Von uns will ich gar nicht reden, ich meine uns vom ›Nachtkurier‹. Was ist denn der Jekuser? Sie werden sagen, er handelt mit den Weltbegebenheiten; aber die wichtigsten sind für ihn die, die er sich auf Türkheimers Bestellung aus seinen Fingern saugt, oder aus Bedienern seinen, was dasselbe heißt. Und wenn Türkheimers Emissionen nicht wären, dann hätte ich nicht mal mehr die schäbigen zehn Pfennig für die kleine Zeile.«

»So mächtig ist er?«

»Immer noch mächtiger. Meinen Sie, daß irgendein Theater irgendwas aufführen würde, wozu er auch bloß sagen könnte: Nanu?! Majestätsbeleidigungen und Gotteslästerungen kann sich bei dem Fortschritt heutzutage der Ärmste leisten; aber haben Sie schon mal jemand gekannt, der an Türkheimer klingelt? Sehnsewoll! Das ist nämlich beträchtlich kitzlicher. Wer so anfängt, der fliegt hinaus, und niemand sieht ihn wieder. Passen Sie mal auf, wie es jetzt mit der armen Lizzi bergab geht, es soll ihr schon gekündigt sein. Und mit Klempnern doch! Kein Hund nimmt ein Stück von ihm. Und wie hatten sie es früher gut, als sie noch im Schlaraffenland wohnten. Wenn Klempner sich von Lizzi erholte und ’n kleines Mädchen mit Hausschlüssel anschaffte, wer bezahlte es schließlich? Na? Türkheimer natürlich. Davon lebte dann ’ne ganze Familie. So tief ins Volk dehnt das Schlaraffenland seine Grenzen aus, sehr geehrter Herr, und alle wollen hinein. Da ist das Freiherrliche Haus Hochstetten, das Asta mit der Persönlichkeit sich jetzt gekauft hat. Nu, das Fräulein von Hochstetten zeichnet in allen Kirchenbaulisten und schickt wollne Strümpfe nach Palästina, zur Bekehrung armer Judenkinder. Und womit tut sie es? Mit dem Türkheimerschen Mammon. Nein, Sie glauben gar nicht, wieviel Versorgungen und sicheres Brot es bei uns gibt. Zum Beispiel Liebling …«

»Liebling? Solch ernster Mann!«

»Und warum auch nicht? Andere machen es mit Ulken, er macht es mit Ernst und persönlicher Würde.«

»Meint er es denn nicht so?«

»Warum soll er es nicht so meinen? Das ist ja gerade das Feine an ihm, und weshalb er es so weit gebracht hat, daß er nämlich alles auch so meint. Felix Liebling ist als das Kind reicher, aber ehrlicher Eltern zur Welt gekommen. Früh entwickelte sich in ihm ein Hang zur Philanthropie, womit es ihm aber anfänglich nicht glücken wollte. Einmal hat er ein Blatt ins Leben gerufen, es hieß: ›Der Bucklige. Zentralorgan zur Vertretung der Interessen sämtlicher Krüppel, physischer wie moralischer‹. Als er hiermit merkwürdigerweise nicht den verdienten Anklang fand, faßte er die Gründung eines Instituts ins Auge, das den schönen Namen ›Muttermilch‹ tragen und der künstlichen Züchtung von Ammen dienen sollte, wobei er von der Überzeugung ausging, daß diese wertvolle Gattung von Mädchen, den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft entsprechend, immer noch viel zahlreicher vertreten sein müsse. Leider vereitelte die Polizei das Zustandekommen seines so menschenfreundlichen Unternehmens. Darauf wandte sich Liebling, wenn auch mit schwindender Kapitalkraft, den verschiedensten Spekulationen zu, aber immer mit dem gewissen sittlichen Etwas, das ihm eigen ist; bis seine Lage ihn veranlaßte, sich ganz auf den Zionismus zurückzuziehen. Damit hat er sich endgültig Anerkennung und Stellung erworben.«

»Und Geld?«

»Wo Stellung ist, ist auch Geld. Das wissen Sie nicht? Liebling ist ja Türkheimers Vertrauensmann. Wie Blosch es für das Geschäftliche ist, so ist er es für das Diplomatische und für das rein Menschliche. Will Türkheimer eine alte Mätresse verabschieden oder eine mit Diamanten besetzte Zigarrenspitze anschaffen, für einen exotischen Prinzen oder für einen Geheimrat, immer ist Liebling der rechte Mann. Sein moralischer Zug hilft über das Schwierigste hinweg. Er hat das ganze Palais in der Hildebrandtstraße möbliert und hat Claudius Mertens entdeckt und sorgt immer für Neues. Die Damen vertrauen sich ihm sogar in Toilettefragen an, er macht alles. Komisch, er hat sein gutes Auskommen dabei, und trotzdem bezahlt Türkheimer gegen früher nur noch die Hälfte. Er sagt es selbst.«

»Nun, dann sind ja alle zufrieden.«

»Im Schlaraffenland sind immer alle zufrieden«, erklärte Kaflisch. Seine eigene Beredsamkeit versetzte ihn in Entzücken, er rückte voll Wohlwollen noch näher zu Andreas heran, schlug ihn auf die Schulter und sagte: »Wissense was? Sie haben heut so ’nen vorteilhaften Tag. Wir müssen noch ’n bißchen zusammenbleiben.«

Während sie hinuntergingen, verkündete er triumphierend: »Ich lade Sie zum Essen ein.«

Auf der Straße gab er weitere Erläuterungen.

»Wir haben nämlich jetzt den Schwindel mit den Texas Bloody Bank Gold Mounts, wobei so schauderhaft viel verdient wird. Türkheimer steckt auch dahinter, man weiß nur noch nicht, wo? Wir vom ›Nachtkurier‹ tun alle mit und spaddeln bloß so im Gelde.«

Und er begann, ohne Rücksicht auf die Vorübergehenden, Schwimmbewegungen auszuführen.

»Wenn Sie jetzt so wohlhabend sind«, meinte Andreas, »dann könnten Sie mir doch vielleicht meine hundert Mark wiedergeben?«

»Warum denn?« rief Kaflisch aufgeräumt. »Kommen Sie bloß nicht wieder damit! Aber ’n feines Abendbrot sollen Sie haben. Was meinen Sie zu Hiller?«

Von Hiller begaben sie sich zu Renz, dann zu Kempinski, wo sie Porter mit Sekt genossen, dann ins Café Keck und dann mit einer Begleiterin, die Kaflisch für sich gewonnen hatte, in die Probierstube von Lukas Bols. Als der Journalist, gegen drei Uhr, an einen Straßenkandelaber gelehnt, den Freund zum Abschied umarmte, sagte er mühsam: »Heute abend, Bruderherz, kosten Sie mich schon lange hundert Mark. Macht nichts, Se sind mer gut. Nu, bin ich nich ’n Ehrenmann? Kunststück, Ehrenmann is jeder!«

Heinrich Mann - Sämtliche Romane

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