Читать книгу Heinrich Mann - Sämtliche Romane - Heinrich Mann - Страница 27
Оглавлениеrisch. Da habe ich denn gedacht, ob ich deine hundert Mark nicht besser anlegen könnte.«
»Nun?« fragte Andreas mißtrauisch.
Aber sie war im Zuge und sagte ihre Sätze her, als habe sie sie auswendig gelernt.
»Und schließlich habe ich auch was gefunden, wenn ich es mir auch sehr überlegen mußte. Denn es war gefährlich, und dein Geld konnte dabei verlorengehen. Ich habe es also Türkheimer gegeben.«
»Türkheimer?«
»Ja, Türkheimer. Ich gebe ihm nämlich mitunter was von meinem eigenen, wenn ich gerade für etwas keine Verwendung weiß. Er spielt dann damit an der Börse. Manchmal gewinne ich, manchmal verliere ich auch. Da habe ich denn deine hundert Mark dazugelegt und mir von ihm eine Texas Bloody Bank-Aktie besorgen lassen. Die kauft jetzt jeder.«
»Kenne ich schon. Es wird schauderhaft viel daran verdient.«
»Na siehst du! Da sind nämlich wieder Goldminen entdeckt. Und heute stand das Papier richtig schon so viel höher, daß ich lieber verkauft habe, aus Vorsicht und um gleich bar Geld in die Hand zu bekommen, weißt du.«
Sie drückte, sooft sie zu sprechen aufhörte, eine Menge kleiner weicher Küsse auf sein linkes Ohrläppchen.
»Es eilte ja nicht«, sagte er mit vornehmer Handbewegung.
»Nun hat deine Banknote Junge gekriegt. Natürlich hattest du nur ein Fünftelanteil von der Aktie, und du hättest ja auch alles verlieren können. Oh, ein Dichter kann von solchen Dingen nichts verstehen, sie sind zu tief unter ihm. Aber mit Goldminen ist es immer man so, und Friedrich Wilhelm Schmeerbauch, der hier der Hauptmacher ist, verkracht doch noch mal, sagt Türkheimer, aber es darf noch keiner hören. So lange wie’s dauert, steigen Texas Bloody Gold Mounts immer lustig weiter.«
»Ein schöner Name!« meinte Andreas. »Ist der Berg ganz aus Gold?«
Adelheid zuckte die Achseln.
»Türkheimer meint, über so was müsse man sich den Kopf nicht zerbrechen. Texas ist so weit weg. Aber gefährlich war das Geschäft, das kannst du glauben. Du hast keine Ahnung, wie sie einen manchmal hineinlegen. Ich gehe mit Türkheimers Informationen ja ziemlich sicher, aber es hätte dich trotzdem dein Geld kosten können, weißt du.«
Sie sagte immer wieder dasselbe und sah ihn zärtlich bittend dabei an. Als sie ihm die überstandene Gefahr genügend klargemacht zu haben glaubte, wagte sie es, aus ihrem Pelzmuff eine kleine lederne Brieftasche hervorzuziehen. Sie brachte sie ihm mit schüchternen Zickzackbewegungen unter die Augen, und erst nachdem er an den Anblick des Gegenstandes gewöhnt schien, legte sie dieselbe am Rande des Schreibtisches nieder. Andreas sah leicht errötend zur Seite.
»Die Bekanntschaft mit dir kann einem schlecht bekommen«, versetzte er. »Wenn ich mein bißchen Geld losgeworden wäre …«
Er ließ das Schreckliche unausgesprochen. Die Eintracht und Vertraulichkeit, in der ihre Zusammenkunft verlief, ward mehrere Wochen lang durch nichts gestört. Die wichtigste Frage war erledigt, Andreas besaß ein gesichertes Einkommen, dessen er sich nicht zu schämen brauchte. Das Börsenspiel warf genug ab, daß man sorgenfrei davon leben konnte. Anfänglich wunderte er sich wohl, wenn aus einem Hundertmarkschein, den er Adelheid anvertraut hatte, im Laufe einer Woche vier oder fünf geworden waren. Er vertiefte sich in die Lektüre der Börsenblätter, doch verwirrte sie ihn, und er verzichtete bald auf das Verständnis von Dingen, die seiner unwürdig waren, wie die Geliebte ihm wiederholt versicherte. Fortan begnügte er sich damit, die gewonnene Summe, die sie ihm unter diskretem Verschluß überreichte, mit geschäftsmäßiger Leichtigkeit in die innere Tasche seines Jacketts gleiten zu lassen. Woher das Geld kam, mochten die wissen, die im Schlaraffenland das Regiment führten. Hier, wo die Goldstücke auf unbegreifliche Weise unter den Möbeln umherrollten, trug niemand eine persönliche Verantwortlichkeit; man lebte unter der Hand einer höheren Fügung.
Eine leise Verstimmung war nur dann zu fühlen, wenn Adelheid sich nach seinem Drama erkundigte. Sie fand ihn in seinem härenen Kleide an seinem fichtenen Tisch, unter dem blutigen Christus, den Kopf in die Hände gestützt.
»Das Personenverzeichnis ist nahezu fertig«, verkündete er.
»Ah!«
»Die Heldin heißt Hildegard Trentmönichen, auch nach ihrer Verheiratung verlangt sie, so genannt zu werden. Es ist ein ausdrucksvoll romantischer Name, findest du nicht?«
»Wunderhübsch! Wie kommst du nur auf so was?«
»Es hängt so viel von stimmungsvollen Namen ab. Der Mann ist roh materialistisch, ein Bierhuber. Er heißt Alois Pfaundsteißler.«
»Und die große Szene, von der du mir neulich erzählt hast?«
Andreas griff sich mit gespreizten Fingern in die Haare.
»Es ist ein Verhängnis. Diederich Klempner hat sie schon irgendwo gemacht.«
»Dieser Klempner ist ja ein unausstehlicher Mensch!«
»Was willst du? Die Leute aus Schlesien und Posen sind einem überall im Wege. Sie machen heutzutage das Ganze.«
Er zuckte die Achseln.
»Die neudeutsche Kultur hat nun mal was Östliches.«
Auf diesen Gedanken kam er häufig zurück, in einsamen Stunden, wenn er an seinem Werke zu zweifeln begann. Lizzi Laffé hatte im Grunde recht gehabt, die verkannte oder die befreite Frau lag beinahe schon im Rinnstein, so tief war sie infolge des Mißbrauchs gesunken, den die Leute aus Posen und Schlesien mit ihr getrieben hatten. Diese besaßen eben die Schwerfälligkeit und den Fanatismus niedriger Kulturstufen; auf den höheren galt eine leichte Skepsis. Man nahm nichts ernst, und am wenigsten greinende Weiber, bei denen es am Ende nur auf das eine Bewußte ankam. Ein gewichtiges Drama waren sie nicht wert, er beschloß, sie von obenherab zu behandeln. Er wandte sich um und beobachtete im Spiegel ein Siegerlächeln auf seinen Lippen.
Dann schrieb er in einem Rausche jäher Begeisterung das poetische Selbstgespräch eines Gatten nieder, der sich über die bei seiner Frau plötzlich eingetretene seelische Leere wundert und sie vergebens zu begreifen sucht. Der Refrain lautete:
»Wer möchte sie denn auch entwirr’n,
Die Rätsel in dem kleinen Hirn!«
Die letzte Strophe war ausgesprochen unanständig, was Andreas vorübergehend beunruhigte. Doch erinnerte er sich daran, daß er auf das Publikum von »Rache!« zu wirken habe. Wirklich nahm Adelheid, der er sein Werk mitteilte, nicht den geringsten Anstoß daran. Sie zeigte sich stürmisch bewegt von den Schönheiten des Gedichtes, prophezeite dem Dichter die höchsten Ehren und eine strahlende Zukunft und entfaltete, angefacht durch die Bewunderung seines Genius, eine so heiße Leidenschaft, daß sie ihn mit sich riß wie in den ersten Tagen ihrer Liebe.
Dann fiel ihr ein, daß ein Darsteller beschafft werden müsse, um die von Andreas erdachte Idealgestalt zu verkörpern. Es würden einige Proben nötig sein. Sie bestimmte den kommenden Freitag als Tag der Aufführung. Während ihres eiligen Abschiedes ermahnte sie den jungen Mann, den die so nahe Aussicht auf ein erstes persönliches Zusammentreffen mit dem Publikum in Erregung versetzte: »Bleibe ganz ruhig, mein Schatzchen, kümmere dich rein um gar nichts, ein Dichter muß vornehm sein! Ich werde schon alles besorgen. Komme morgen um drei in die Hildebrandtstraße!«
Er gewann es über sich, spät zu erscheinen. Es hatten sich bereits sechs junge Dichter eingefunden, deren Namen er überhörte, in einer Fassungslosigkeit, die er hinter einer unzugänglichen Miene zu verbergen suchte. Außerdem fand er einige Freunde des Hauses vor, Herrn und Frau Pimbusch, Frau Bescheerer und Frau Mohr. Adelheid machte ihn sogleich mit der Hauptperson des Kreises bekannt, mit Herrn Direktor Kapeller. Andreas erkannte ihn wieder: es war der runde, bewegliche Mensch, der sich damals auf der großen Soiree so gefällig durch die tanzlustige Menge und bis ans Klavier vorgedrängt hatte. Gefälligkeit schien in Kapellers Wesen der Hauptzug zu sein. Er war überall zugegen, wo man ihn möglichenfalls gebrauchen konnte. Er horchte aufmerksam und dennoch diskret umher, lauschte der öffentlichen Meinung ihre Launen ab und verstand es, sich ihr unentbehrlich zu machen. Unaufdringlich, aber unwiderstehlich wußte er sich den Mächtigen stets aufs neue in Erinnerung zu bringen, einfach durch seine Gegenwart. Falls einmal irgendein einträglicher Posten an den ersten, der sich einfand, eilig zu vergeben sein sollte, so mußte Kapeller ihn bekommen; denn er war immer bei der Hand.
Wie sein Titel zu verstehen gab, hatte er, vermutlich in weiter Ferne, einmal ein Theater geleitet. Was man hier von ihm verlangte, schlug in sein Fach; er bemächtigte sich sofort mit großer Sicherheit der Lage.
»Meine sehr geehrten Herrschaften«, sagte er mit fetter, sanfter Stimme. Er sächselte leicht und schien sich selbst darüber lustig zu machen.
»Wenn es Ihnen recht ist, übernehme ich die Regie, und die von Herrn Zumsee so schön gedichtete Rolle kann ich auch befingern, ich meine kreieren. Ich habe nämlich von früher her, als ich in Leitmeritz einer Spezialitätenbühne vorstand, Übung in dem Genre. Das heißt, wofern …«
Er unterbrach sich, da er Frau Pimbusch kichern sah.
»Worüber lacht denn die sehr geehrte Dame? Über die Spezialitätenbühne? Dann darf ich wohl sagen: Lachen Sie nicht! Die Spezialitätenbühne ist nämlich in halbwilden Gegenden ein Kulturfaktor ersten Ranges, und wird dieselbe mit Erfolg zur Hebung von Sittlichkeit und Kunstgeschmack benutzt. Ich habe also Übung in dem Genre, das heißt, wofern hier überhaupt von Genre die Rede sein kann, denn das von dem Herrn Andreas Zumsee Geschaffene scheint mir in der Tat etwas ganz Einzigartiges und, wenn ich so sagen darf, noch nie Dagewesenes zu sein. Ein Meisterwerk, das von so neuen und so ungeahnten Schönheiten wimmelt, dürfte wohl nur schwer und auch dann noch unvollkommen auszuschöpfen sein.«
Er blähte sich in breitem Behagen, vollführte eine runde, gewinnende Armbewegung und klappte mit seiner kleinen fettigen Hand ein paarmal durch die Luft, als angelte er nach noch greifbareren Lobeserhebungen. Plötzlich schob er seine wulstige Unterlippe hinter die Zähne zurück, legte den Kopf auf die linke Schulter und umschlang Adelheid und Andreas, die nebeneinander standen, mit einem unverschämt zärtlichen Blick. Nunmehr war Kapeller seines Erfolges gewiß. Er hatte die beifällige Heiterkeit der Damen erregt, Frau Türkheimers zartesten Gefühlen wohlgetan, und Andreas’ Autoreneitelkeit, so anspruchsvoll sie sein mochte, hatte er dennoch befriedigt. Mehr konnte man von ihm nicht verlangen. Die sechs Dichter, die sich scheu in einen Winkel drängten, kamen nicht in Betracht, er behandelte sie mit milder Verachtung und schob ihre Manuskripte achtlos in seine weiten Taschen. Er wußte wohl, wozu man ihn gerufen hatte, und indes er sich hinter ein paar niedrigen Stühlen wie vor einer Rampe aufstellte, begann er bereits das Selbstgespräch des verwunderten Ehemannes herzusagen. Er skandierte behäbig die Verse, unterstrich bedeutsam die verwegenen Gedanken des Dichters und stieß wie jemand, der den Beschwerlichkeiten eines verwickelten Ideenganges entflieht, mit Trompetenstimme den Refrain aus:
»Wer möchte sie denn auch entwirr’n,
Die Rätsel in dem kleinen Hirn!«
Zugleich rannte er mit jäher Behendigkeit zwei-, dreimal um den als Bühne gedachten Raum. Der runde Körper schien sich auf den kurzen Beinchen zu überkugeln; es wirkte verblüffend. Kapeller schmunzelte ins Publikum, er wiederholte jene gewinnende Geste, die die Damen schon einmal entzückt hatte, und er winkte ihnen im Laufen mit der Hand. Sie war unwiderstehlich, diese Hand. Sie glich einem rötlichen Weichtier, das nach Luft schnappt. Plötzlich stand Kapeller wieder an seinem Platze und fuhr fort, sanft und bedächtig, als sei nichts geschehen, seine Einwände gegen eine zu weitgehende Emanzipation der Frauen vorzutragen.
Andreas hatte sich anfangs der einzigen Sorge hingegeben, man möchte seine klägliche Verwirrung bemerken. Der Wert seines Werkes, an den er bisher so fest geglaubt hatte, war ihm unvermutet zweifelhaft geworden. Er erkannte seine Verse in Kapellers Munde nicht wieder, er lauschte ihnen wie fremden Klängen; doch mußte er sich gestehen, daß sie allmählich immer hübscher wurden. Alle Anwesenden schienen derselben Meinung zu sein, und ihre Stimmung teilte sich, ohne daß sie noch Beifallszeichen von sich gaben, dem feinfühligen Autor mit. Als Kapeller, atemlos, seine dritte Schnelläuferübung beendet hatte, empfand Andreas deutlich, daß der Erfolg der Dichtung gesichert sei. Nur noch die ausgesprochene Unanständigkeit der letzten Strophe konnte ihm verhängnisvoll werden, besonders in der von dem Vortragenden beliebten Auffassung. Anstatt nämlich über die gefährlichen Stellen leicht hinwegzugleiten, ruhte Kapeller sich auf ihnen mit seiner ganzen Schwere aus. Er vergrub die Hände in die Hosentaschen, er schob den Bauch vor, er legte den Kopf zurück, daß die niedrige Stirn verschwand und das Doppelkinn, in voller Breite entfaltet, die Stelle des Gesichtes einnahm. Zwischen den Sätzen streckte er die Zungenspitze heraus und ließ sie von einem Mundwinkel in den anderen wandern. Nach Andreas’ Ansicht verkörperte Kapeller den schmutzigsten, abstoßendsten Zynismus. Dennoch erfüllten gerade die Verse, die ihm dazu Gelegenheit gaben, ihren Schöpfer mit besonderem Stolze.
Er sah gespannt im Kreise umher; nur zwei unter den sechs Dichtern waren errötet. Frau Pimbusch schlug sich mit den Handschuhen auf die Knie, daß es schallte. Sie hatte die Augen geschlossen und wand ihren langen dünnen Hals beängstigend hin und her in dem engen Kragen, über dem der Kopf gleich einer zu farbenprächtigen, gedunsenen Giftblume schwankte. Die kleine Frau Goldherz hüpfte leise zwitschernd durch das Zimmer, Frau Bescheerer, reglos, versuchte die Miene zu verziehen. Wie gewöhnlich bewegten sich nur die Falten ihrer Stirn, zwischen denen der grünliche Moosfleck wie lebend hervorkroch. Frau Mohr lächelte gütig, und Pimbusch überließ sich, in abwartender Haltung, der Betrachtung seiner Fingernägel. Der Gesamtanblick des Publikums war beruhigend.
Kapeller war zu Ende. Er wiederholte nochmals den Refrain, diesmal nicht im Trompetenton, sondern mit versagender Stimme und mit einer Miene, durchgeistigt von müder Weltweisheit, die ihm niemand zugetraut hätte. Dann nahm er, bescheiden auf den Dichter deutend, die Glückwünsche entgegen. Unter den Anwesenden verbreitete sich blitzschnell die Meinung, daß man soeben zwei große Künstler entdeckt habe. Pimbusch, in den erst jetzt Leben kam, lief erregt von einem zum andern, um überall nachzuforschen, ob man die Leistung des Rezitators ultrasmart und die Poesie des Herrn Zumsee copurchic und vollkommen auf der Höhe finde. Nachdem er sämtliche Stimmen eingesammelt und seine eigene Überzeugung gebildet hatte, trat er feierlich auf die Künstler zu, schüttelte ihnen in seiner sakramentalen Weise die Hand und versetzte: »Meine Herren, Sie sind vollkommen auf der Höhe! Herr Direktor, Ihre Leistung ist ultrasmart! Herr Zumsee, Sie dichten copurchic, nichts dagegen einzuwenden, vollkommen auf der Höhe!«
Andreas wandte sich ab; er fühlte sich plötzlich am ganzen Körper feucht werden. Nach überstandener Gefahr brach seine nervöse Erregung aus. Er suchte Adelheid auf und war glücklich, sie einen Augenblick allein zu treffen am Teetisch, der eben hereingetragen ward. Sie berührte im Vorüberstreifen seine zitternde Hand und lächelte ihm heiter besänftigend zu. Sie war während der Probe vollkommen ruhig geblieben; ihr Gesicht bewahrte die üppige Blässe, die ihm das Kerzenlicht verlieh. An der alles besiegenden Wirkung des Werkes, das seinen Urheber noch vor kurzem mit ernsthafter Sorge erfüllt hatte, war der liebenden Frau niemals ein Zweifel aufgestiegen, und sie empfing die Komplimente, die ihr noch zahlreicher und lebhafter dargebracht wurden als ihm, mit freundlicher Gelassenheit. Jede ihrer Bewegungen sagte den Leuten: Mir gehört nicht nur die Dichtung, sondern der Dichter! Andreas fand sie prächtig anzuschauen und liebte sie für ihren Stolz.
In seinem Glück verdroß ihn nur Kapeller, mit dem er sich, wie es schien, in den Erfolg zu teilen hatte. Er fand dies unwürdig und wandte sich an Adelheid: »Meinen gnädige Frau nicht auch, daß Direktor Kapeller einen gar zu fleckigen Frack trägt? Man könnte es ihm vielleicht zu verstehen geben, ohne ihn zu verletzen?«
Sie schlug vor: »Wir lassen ihm einfach einen neuen machen.«
Aber Frau Pimbusch, die sich näherte, flüsterte eifrig: »Liebste, verderben Sie nichts! Sehen Sie nicht, daß Kapeller und sein Frack unzertrennlich sind? Einer ist so fettig wie der andere.«
»Natürlich«, bestätigte Frau Mohr. »Kapeller ist ein denkender Schauspieler, und sein Frack gehört zur Rolle. Er macht ja gerade den größten Eindruck …«
»Besonders hier in deinem Salon«, setzte die kleine Frau Goldherz hinzu. Frau Bescheerer berührte Andreas’ Schulter. »Mit dem fettigen Frack steht und fällt Ihre Poesie, mein Lieber«, erklärte sie mit boshaftem Grinsen.
Er zuckte zusammen und erblaßte; doch Kapeller selbst kam ihm zu Hilfe. Der Schauspieler hatte sich scheinbar in dem Winkel zu schaffen gemacht, wo die sechs Dichter sich drängten. Aber so leise die Damen ihre Bemerkungen austauschen mochten, er besaß ein zu gut geschultes Ohr für das, was die Mächtigen sannen und planten. Sein Instinkt sagte ihm, daß etwas Feindseliges sich gegen ihn aufrichte, und er ging mit harmlosem, beinahe demütigem Lächeln auf Andreas zu; das war der Feind, der beschwichtigt werden mußte. Mit gewinnender Offenheit begann er: »Verzeihen Sie, werter Herr, wenn ich Sie beleidigt habe.«
Als der junge Mann ihn erstaunt betrachtete, erläuterte Kapeller: »Ich habe nämlich ein sehr schlechtes Gewissen, weil die Herrschaften so gütig sind und so tun, als hätte ich mitgeholfen zu dem selten imponierenden Erfolge Ihrer Dichtung. Dies beruht jedoch, wie ich gleich bemerken muß, auf einem Irrtum; ich bin, wenn ich so sagen darf, nur ein gemeiner Handlanger und fühle mich gewissermaßen ohnmächtig gegenüber all den Schönheiten, von denen Ihr Werk, wie ich schon einmal erwähnen durfte, förmlich wimmelt. Alle kann ich sie unmöglich herausquetschen, mein werter Herr, ich kann es nicht, Sie müssen mich schon entschuldigen.«
Er legte treuherzig die Hand auf die Brust. Andreas, ganz entwaffnet, wollte alles entschuldigen und winkte ihm freundschaftlich zu. Aber Kapeller war noch nicht beruhigt.
»Ein Mensch allein kann es nicht, und ist auch gar nicht zu verlangen. Ja, wenn wir zwei wären! Ich habe mir schon gedacht, meine Frau, das heißt die unverstandene Gattin, die doch Hauptperson in dem Drama ist, müßte mitspielen. Zu reden braucht sie ja nicht; sie muß bloß pikant angezogen sein, ein freches Gesicht machen und radschlagen. Ist es den werten Herrschaften recht, dann besorge ich ein nettes junges Mädchen, das die Rolle befingern kann, ich meine kreieren.«
Andreas hatte plötzlich einen Gedanken, er sagte sich: ›Der fette Mensch hat ganz recht. Wenn zwei Personen auf der Bühne sind, dann ist es eigentlich kein Monolog mehr, sondern ein Drama. Ich habe also ein Drama geschrieben!‹
Das verblüffte Gesicht, das er bei dieser Entdeckung machte, gab Kapeller sein gutes Gewissen zurück. Nachdem er sich der Erlaubnis der Damen versichert hatte, empfahl er sich bescheiden und geschäftig. Die nächste Probe war auf den folgenden Tag angesetzt.
Zur selben Stunde waren abermals alle versammelt. Kapeller hatte Werda Bieratz mitgebracht, die sofort von Frau Pimbusch in Anspruch genommen wurde. Die Gattin des Schnapsfabrikanten entführte das junge Mädchen in eine Plauderecke, sie legte den Arm um die Schulter der hübschen Hetäre und machte ein Gesicht, das jedem sagte: Wir sprechen von Schlafzimmergeheimnissen. Die kleine Bieratz schlug die Augen nieder, sie raffte mit einer keuschen Gebärde ihr Kleid enger zusammen. Andreas dachte: ›Und dabei wäre sie, wenn ein kapitalkräftiger Unternehmer es verlangen würde, sofort bereit, unbekleidet Unter den Linden spazierenzugehen.‹
Endlich konnte Kapeller beginnen, die Schauspielerin in ihre Aufgabe einzuführen. Er tat es mit breitem Humor. »Während ich deklamiere, müssen Sie Fratzen schneiden und hin und wieder Ihre Beine zeigen. Sonst haben Sie nichts zu tun. Bloß die Bandeaus müssen Sie sich ein bißchen von den Ohren wegkämmen, man sieht von Ihnen ja bloß die Nasenspitze. Und ein rotseidenes Kleid müssen Sie sich leisten.«
Er wandte sich an die Damen.
»Da das Fräulein ein ziemlich unschönes Organ besitzt, ist es nur gut, daß sie in der Rolle nichts zu sagen hat.«
»Wenn Sie nur sonst nichts Unschönes an sich hätten als das Organ, Herr Kapeller!« entgegnete die kleine Bieratz, doch versuchte sie liebenswürdig dabei zu lächeln. Sie war zu klug, um sich hier in der Welt der Salons einen Feind zu machen, dem sie in der Welt der Bühnen überall wieder begegnen konnte.
Bei ihrer gemeinsamen Probe zeigte sich Kapeller gegen seine Partnerin tyrannisch. Er unterbrach seinen Vortrag, um sie zu belehren: »Jetzt biegen Sie die Taille zurück und strecken mir die Zunge aus! Die linke Hand an die Hüfte und das Kleid hochziehen! Sie schämen sich wohl, Ihre Beinchen zu zeigen? Sind allerdings man stöckrig. – Haben die werten Damen schon mal eine Schauspielerin mit schönen Beinen gesehen?« fragte er. »Ich niemals!«
Sein feiner Sinn für die Gefühle der Mächtigen klärte Kapeller darüber auf, daß er den Damen nicht geschickter schmeicheln könne als durch die Demütigung der Schauspielerin. Es ahnte ihm, daß er dadurch in Frau Pimbusch, in Frau Bescheerer und in den anderen einen uneingestandenen Rachetrieb befriedigte. Die Niederlage Lizzi Laffés im Streite mit Adelheid hatte ihnen einiges Vergnügen bereitet; aber eine wieviel stärkere Genugtuung war doch der Triumph über Werda Bieratz, die sie um ihre Laster beneideten und mit der sie in Wettbewerb lagen behufs Ausbeutung derselben Männer. Die Sonne der kleinen Bieratz war erst kürzlich aufgegangen, sie versengte und verschlang einen ansehnlichen Teil von Kraft und Einkommen der Männer im Schlaraffenland. Je mehr sie gewünscht hätten, ihr zu gleichen, desto seliger betrachteten die Damen des jungen Mädchens peinliche Folter. Frau Pimbusch, die vor einer Viertelstunde ihre Brust leidenschaftlich gegen die der kleinen Bieratz gedrückt hatte, geriet jetzt in wollüstige Zuckungen, tief in ihren Sessel versunken. Wie Andreas zufällig an dem Winkel vorüberging, wo die sechs Dichter sich drängten, fiel in dem Haufen der Namenlosen eine Bemerkung: »Nein, diese Weiber! Das grenzt ja an Sadismus!«
Er begab sich zu Adelheid, die, ein wenig abseits von der Gesellschaft, den Dingen mit Gleichmut zusah, und er fragte sie: »Haben Sie schon einmal so etwas gesehen, gnädige Frau? Wie die Damen sich weiden an den Gemeinheiten, die Kapeller dem armen Mädchen zufügt – ich weiß nicht, das grenzt ja an Sadismus!«
»Oh!« flüsterte sie, und sie blickte ihm mit banger Bewunderung in die Augen. »Wie bist du grausam scharfsichtig!«
Den lieblichen Klang dieses Wortes im Ohr, verließ Andreas das Haus. Er meinte, über den guten Ausgang seines theatralischen Abenteuers beruhigt zu sein, doch am nächsten Morgen ergriffen ihn neue Zweifel, und sie wuchsen während der drei Tage, die es abzuwarten galt, bis ins Unendliche. Er begann damit, sich zu fragen: ›Bin wirklich ich es, dessen Drama in Szene gehen soll? Es ist unglaublich! Ganz im Ernst habe ich an so etwas doch niemals gedacht!‹ Und schließlich fühlte er bestimmt, daß ihm ein Mißgeschick zustoßen werde. ›Es muß schiefgehen, solche Geschichten gehen immer schief!‹
Plötzlich übermannte ihn die Verzweiflung. ›Was bin ich nur für ein Tropf! Ich habe das schönste Leben und eine sichere Stellung im Schlaraffenland, um die mich alle beneiden, und nun muß mich der Teufel reiten, daß ich ein Stück aufführen lasse. Aber dadurch stelle ich ja alles in Frage! Ein Mißerfolg macht mich zur lächerlichen Figur, dann bin ich verloren. Wird Adelheid der öffentlichen Meinung Trotz bieten? Nein, sie wird mich fallenlassen!‹
Er sann fieberhaft darüber nach, ob er die Aufführung der »Verkannten« verhindern könne. Er wollte zu Adelheid, um sie auf das Schlimmste vorzubereiten. Aber in der Hildebrandtstraße lagen die sechs Dichter umher, mit deren Werken Kapeller sich jetzt notgedrungen beschäftigte. Der fette Mime erheiterte durch die Indiskretionen, die er sich gegen die kleine Schauspielerin erlaubte, den Kreis der Damen. Welch ein abscheuliches Lächeln würde Frau Pimbuschs blutige Lippen verzerren, wenn Andreas mit verstörter Miene das Zimmer betrat. Er wagte sich nicht dorthin und bat Adelheid mit Rohrpost, ihn zu besuchen. Sie antwortete, es sei ihr unmöglich. Ihr Haus werde auf den Kopf gestellt, »wegen der Vorbereitungen auf Dein Fest«.
Da ergab Andreas sich in das Unvermeidliche. Er stand am Freitag sehr spät auf, speiste reichlich zu Abend und trank eine Flasche Champagner. Um zehn Uhr sollte Kapeller das erste Wort seines Monologes sprechen; erst zwanzig Minuten später betrat der junge Mann den ungeheuren, weißgoldenen Festsaal, an dessen oberem Ende die Bühne errichtet war. Die Gesellschaft saß wie bei jenem ersten Souper, dem Andreas im Türkheimerschen Hause beiwohnte, an kleinen Tischen. Es standen diesmal nur Biergläser und Sektkübel darauf, und alle rauchten. Die Luft war schwer von Ausdünstungen, die von überallher zusammenströmten; aus den parfümierten Toiletten der Damen, aus der Transpiration ihrer Achselhöhlen, aus ihrer mit stark riechenden Wassern vollgesogenen Kopfhaut, aus der Creme, mit der ihr Gesicht und ihre Brust getränkt waren, aus den erhitzten, welkenden Blumen an ihrem Corsage; aus den pomadisierten Häuptern der Männer, ihren Schnurrbärten, deren Spitzen mit Brillantine an den Augen festgeklebt waren, und aus den Tropfen Opopanax auf ihren Krawatten. Der durchdringende Duft ägyptischer Zigaretten vermischte sich mit diesen Dämpfen. Statt des Kerzenlichtes, das früher den Raum erhellt hatte, fiel von drei großen Kronleuchtern ein grellweißer Schein. In den Frisuren und auf den Schultern tanzte der Strahl von Edelsteinen, ein schrilles Kichern sprang irgendwo auf, inmitten des Klingeins der Gläser, die nervöse Finger aneinanderstießen. Ein Knistern von Seide ging unablässig hin und her in der Schwüle, und hier und dort schien in einem Frauenblick ein Flämmchen aufzuzüngeln, eine matte, überreizte Begierde, die schnell in sich zusammensank. Was sie flüchtig geweckt hatte, war die phlegmatische Stimme des beleibten Menschen im fettigen Frack, dessen Hand gleich einem rötlichen Weichtiere, das nach Luft schnappt, den Zuschauern winkte, während er ein letztes Mal im Laufschritt seiner kurzen Beinchen die Bühne umkreiste.
Als er stehenblieb, wankte sein schwerer Bauch, aus aller Fassung geraten, im Takte seines keuchenden Atems auf und ab. Das Tragband mußte sich gelöst haben: zwischen Hose und Weste hing ein Stück nasses, graues Hemd heraus, und das Beinkleid rutschte in jämmerlichen Falten herunter. Die Halsbinde saß ihm unter dem rechten Ohr; er griff sich angstvoll an den Kragen, der ihn bedrängte. Sein Gesicht, auf dem die Schminke zerfloß und in das triefende Haarsträhnen hineinhingen, hielt ein überlegenes Lächeln fest, und Kapeller fuhr fort zu winken mit der Hand, die die Damen begeisterte. Aber er gewährte nach Andreas’ Meinung einen widerlichen, beängstigenden und elenden Anblick. Gleich darauf bemerkte der Schauspieler von seinem erhöhten Standpunkte das bleiche Gesicht des Dichters. Die geblähte Genugtuung verschwand sofort aus seiner Miene, und es erschien eine leidselige Selbstverleugnung darin, die alles Verdienst ablehnte.
Der Beifall wuchs fortwährend. Werda Bieratz, die noch immer in ihrer Rolle dem Publikum verächtliche Grimassen schnitt, wandte ihm plötzlich den Rücken. Sie warf sich in der Taille so geschickt zurück, daß das rotseidene Babykleid aufleuchtend bis über die Schenkel emporflatterte. Es kamen nur Spitzenwolken zum Vorschein, was einige Ausrufe der Enttäuschung veranlaßte. Doch Liebling, nicht weit von Andreas’ Platze, äußerte laut: »Brava! Die Sittlichkeit muß immer gewahrt bleiben.«
»Brava!« wiederholte er mit kraftvoller Stimme.
Die Umstehenden stutzten; das Gerücht verbreitete sich, es sei das Feinste, brava zu rufen, mit einem a anstatt des o. Und als Kapeller von der Bühne in den Saal hinabstieg, umringten ihn Scharen von Verehrern, die aus voller Kehle brava schrien.
Andreas erhielt plötzlich einen leichten liebevollen Schlag auf den Magen. Türkheimer, den Kopf wiegend und auf den Absätzen wippend, lächelte ihm aufmunternd ins Gesicht. Er sagte nachdrücklich und mit schleppender Stimme: »Na, nu weiß man doch, wozu man seine – na, seine persönlichen Pfleglinge eigentlich hat. Hab ich Ihnen nicht immer gesagt, daß ich viel für Sie übrig habe? Ebensoviel wie meine Frau …«
Er kraute sich am Kinn, zwischen den rötlichen Kotelettes.
»In meiner Art natürlich«, setzte er hinzu. »Alle Achtung, mein Lieber, Sie haben’s raus. Alle Achtung!«
Andreas bekam ein wenig Farbe vor Freude über die Anerkennung dieses Mannes, der sich wie wenig andere auf Massenerfolge verstehen mußte.
»Alle Achtung, mein lieber Herr Zumsee!« wiederholte Türkheimer fortwährend, eindringlich und näselnd. Wer war der hübsche junge Mann, dem ein Türkheimer fünf Minuten lang Komplimente sagte? Man begann aufmerksam zu werden, von einem Tisch zum andern setzte sich eine Bewegung fort.
»Das ist der Dichter!«
Ein Unbekannter löste sich aus einer Gruppe, er trat vor Andreas hin, schlug die Hacken zusammen und nannte einen Namen. Andere folgten, dann war es eine Menschenmenge, die vorüberzog. Türkheimer rieb sich die Hände; er schmunzelte, wie ein philosophisch veranlagter Machthaber schmunzelt, wenn ihm zu Ehren Niedrigkeiten begangen werden. Er machte den Dichter mit einigen Verehrern seiner Muse bekannt: »Herr Doktor Klumpasch, unser berühmter Arzt, Herr Baumeister Kokott, Madame Teifeles, Frau Stiebitz, Herr Blosch, Herr Ratibohr …«
Vor diesem verneigte Andreas sich tiefer als vor den übrigen. Denn selbst auf der steilen Höhe des Ruhmes, wo er sich in dieser Stunde sonnte, bewahrte er eine scheue Ehrfurcht vor der erlauchten Abkunft, die man dem Bankier nachsagte, vor dem gefährlichen Rufe, der ihn von Börse und Fechtsaal her begleitete, und vor der besonnenen, sicheren Art, wie Ratibohr Frau Türkheimer an ihren Gatten verkauft hatte.
Türkheimer hatte sich erschöpft aus dem Gedränge zurückgezogen, doch behielt er ein wachsames Auge dafür, ob man dem persönlichen Pflegling seiner Frau die schuldige Reverenz erweise.
Andreas nahm mit unbewegter Miene, gütig und zeremoniell die Huldigungen entgegen. Er bemühte sich, jedem nach Verdienst zu begegnen, und dachte an nichts anderes, als daß es eine gleichmütige, durch keinen noch so trunkenen Sieg erschütterte Haltung zu zeigen gelte. Er drückte Duschnitzki, Süß und Goldherz als alten Bekannten die Hand, er ehrte Claudius Mertens durch die Anrede »Lieber Meister«, und dem Professor Schwenke, dem akademischen Gönner der modernen Literatur, der aus Furcht, pedantisch zu erscheinen, mit den Armen schlenkerte und den Oberkörper beim Sprechen hin und her warf, versicherte der glückliche Dichter: »Was ich kann, verdanke ich nur Ihnen, meinem verehrten Lehrer!«
Doktor Bediener begrüßte ihn mit eleganter Herzlichkeit. Er ließ das Glas aus dem Auge fallen.
»Nun, mein lieber Freund, wer hat Ihnen das alles am ersten Tage vorausgesagt? Habe ich Sie nicht gleich als unser aussichtsreichstes junges Talent entdeckt?«
›So schlimm ist es nicht‹, dachte Andreas, der sich einiger, in der »Neuzeit« noch immer nicht abgedruckter Gedichte erinnerte. Doch erkannte er an, daß die Empfehlung des Chefredakteurs ihm das Türkheimersche Haus geöffnet habe, und so beschloß er, Gnade für Recht ergehen zu lassen.
»Wo wäre ich ohne Sie, Herr Doktor?« versetzte er leichthin. Aber er zuckte zusammen, da die spitzen Knöchel einer Faust seine Schulter trafen, daß es schmerzte. Die russische Weltreisende, Fürstin Bouboukoff, sah ihn mit weichen slawischen Augen an und sagte: »Vous n’y allez guere de main morte, mon ami.«
»Äh?« machte er unwillkürlich. Sie ergänzte: »Vous n’avez pas froid aux yeux, mon coco.«
Als auch dies unverstanden blieb, erteilte sie ihm einen zweiten freundschaftlichen Schlag und ging weiter. Ihr Sohn, der Fürst, der seine zu weit dekolletierte Geliebte hinter sich herzog, wünschte ebenfalls das Wort an Andreas zu richten. Aber der junge Mann, dessen Clowngesicht alle erheiterte, hatte eine schwere Zunge, und die Nachdrängenden ließen ihm keine Zeit, ihren Widerstand zu besiegen.
Liebling, der, wie jedermann wußte, die gewählteste Gesellschaft bevorzugte, weilte gern im Gefolge der Fürstin. Er hatte es eilig, sie einzuholen, und begnügte sich damit, einen kräftigen und verständnisvollen Händedruck mit dem Dichter auszutauschen. Doch hielt er sich verpflichtet, im Vorüberwandeln Zeugnis abzulegen für den sittlichen Gedanken der Dichtung. Wenn die Bestrebungen, denen er sein Leben geweiht habe, jemals durchdrängen, so werde es in dem von ihm erträumten Lande sicher keine emanzipierten Frauen geben.
Andreas konnte ein überlegenes Lächeln nicht unterdrücken. Er nannte den ernsthaften Liebling innerlich einen alten Schäker. ›Noch immer bei deiner Marotte?‹ dachte er. ›Und sie wird dich doch niemals dahin bringen, wo ich jetzt dank der meinigen stehe!‹ Er sagte laut: »Sie haben recht. Und dann auch das Ästhetische! Die Emanzipierten sind alle mager. Ich lobe mir den Geschmack der Wüstenstämme. Als die Schönste gilt die Frau, die nur auf einem Kamel weiterbefördert werden kann. Dann kommt diejenige, die sich beim Gehen auf zwei Sklavinnen stützen muß.«
Inmitten der geräuschvollen Fröhlichkeit, die seine Worte entfesselten, unterschied er ein trockenes Meckern, das ihm bekannt deuchte. Gleich darauf stand ein kleiner bartloser Mann mit Adlernase und gelblederner Gesichtshaut vor ihm, dessen struppiges schwarzes Haar über einen Halskragen von zweifelhafter Weiße fiel und der mit seinem zu langen und zu weiten Gehrock ein Clergyman oder ein Konzertvirtuose sein konnte. Beim Anblick des Doktors Abell gewann Andreas alsbald Ernst und Fassung zurück.
»Das nenne ich mir doch einen gesunden Witz!« rief der Kritiker. »Man sieht, Herr Zumsee, daß Ihnen die Einfälle nicht bloß am Schreibtisch kommen. So soll es sein. Instinkt und Feuer, das ist das Wahre!«
Das Lächeln, mit dem der einflußreiche Theaterreferent seine Worte begleitete, entblößte seine schwarzen Zähne und zerknitterte sein Gesicht in tausend schmutzige Fältchen; doch fand Andreas es gewinnend.
»Herr Doktor, Ihr Wohlwollen beschämt mich«, versetzte er höflich. Aber Abell nahm die Sache ernst.
»Von Wohlwollen sprechen Sie? Von Wohlwollen meinerseits? Aber verehrter Herr! Was heißt Wohlwollen, was bedeutet Wohlwollen angesichts des Dichters, dem wir die kostbarsten Anregungen dieses dramatischen Winters verdanken? Wahrhaftig, vermessen dürfte man solch ein Wohlwollen nennen!«
»Aber Herr Doktor!«
»Die Frucht dieser Anregungen werden Sie im Nachtblatt des ›Nachtkurier‹ finden. Ich sende sie sofort in die Druckerei. Ihre ›Verkannte‹ bietet mir erwünschte Gelegenheit zu vergleichenden Literaturstudien mit Bezug auf die Bühnendichtung im leichteren Gewände. Ich meine unsere nationale deutsche Tingeltangelpoesie und die verwandten Hervorbringungen des Auslandes. Mit letzterem halte ich gründlich Abrechnung. Welch ein Mangel an Tiefe in den französischen Chansons!«
Abell brach jäh ab, denn Pimbusch schob ihn, unter Mißachtung aller feinen Form, unsanft beiseite. Der Schnapsfabrikant war außer sich vor Erregung. Er kam spät, und doch hatte er, um früher als andere vor den gefeierten Dichter hintreten zu können, inmitten des hastenden Getriebes seine Gardenia eingebüßt und seinem Vorhemde Beulen zugezogen. Nun starb er fast vor Furcht, den Augenblick verpaßt zu haben, wo man noch auf der Höhe war, wenn man den Vortrag des Monologes ultrasmart, ihn selbst copurchic nannte. Hatte diese Erkenntnis bereits weitere Kreise ergriffen, dann war es so gut, als sei Pimbusch heute gar nicht dabeigewesen, dann mußte er sich als entehrt betrachten! Er keuchte: »Herzlichen Glückwunsch, Bester! Na, nun sagen Sie selbst, habe ich recht gehabt, als ich meinte, Kapeller spielte ultrasmart und Sie dichteten copurchic? Sehen Sie? Nichts dagegen einzuwenden, ich habe es gleich gesagt, schon auf der ersten Probe.«
Er wandte sich erläuternd an die Umstehenden.
»Wir waren nämlich acht, zehn Personen auf der ersten Probe. Ich, meine Frau, ein paar andere. Aber keine Frage, ich hab es sofort gesagt.«
Die Nachbarn trennten ihn von Andreas, dem er noch von fern mit der im Bogen erhobenen Rechten geschäftig winkte. Und während er immerfort dieselben Sätze wiederholte, ging Pimbusch im Strom der Weiterziehenden unter.
Aber Abell vollführte unversehens einen kraftvollen Stoß gegen die Nachdrängenden, wodurch er nochmals an die Oberfläche gelangte. Er durchschnitt mit einer trockenen, fanatischen Armbewegung die Luft, bevor er wieder begann: »Welch eine Untiefe in den französischen Chansons! Haben Sie jemals wahrgenommen, daß eines von ihnen, gleich Ihrer ›Verkannten‹, eine Zeitfrage zu lösen unternimmt? Niemals! In Deutschland dagegen dringen sozialer Ernst und wissenschaftliche Tiefe bis in die Tingeltangelpoesie! Auch auf diesem Gebiete scheidet sich von der romanischen Frivolität die solide deutsche Bildung – Bildung, ein Begriff und eine Sache, die bekanntlich den anderen Völkern völlig fremd ist!«
›Was will er von mir?‹ dachte Andreas, ein wenig befremdet, indes Abell Kinn und Unterlippe weit vorschob, um durch eine napoleonische Miene sein autoritäres Urteil zu unterstützen. Aber zugleich ward er von einer heranrollenden Welle endgültig hinweggespült. Frau Pimbusch nahte unwiderstehlich. Sie schüttelte dem Dichter kameradschaftlich die Hand.
»Heute imponieren Sie mir! Man fällt ja dreimal in Ohnmacht, bevor man Ihnen was ins Ohr sagen kann.«
Sie brachte ihm ihr Gesicht so nahe, daß er in ihren gekrümmten blutroten Mundwinkeln, zwischen den spitzen Zähnen, ein wenig Feuchtigkeit glitzern sah, und sie flüsterte mit ihrem heiseren Lachen: »Sie gefallen mir heute wirklich, wissen Sie! Sie halten hier Hof wie ein Botschafter!«
»Wie ein Botschafter der Kunst«, sagte er feierlich, aber seine Stimme zitterte leise. »Sie hat mich zu ihrem hiesigen Botschafter ernannt.«
Ein Luftzug wehte ihm ein paar Flocken ihres karminroten Haares gegen die Stirn. Ihre lange, scharfe Nase berührte fast die seinige; sie ragte kreideweiß aus ihrem rosigen, unnatürlich aufgeblasenen Gesicht hervor, dessen Duft sein Fleisch aus seiner Ruhe peitschte. Sein Kopf rötete sich plötzlich. Sie schnitt ihm eine höhnische Grimasse, dicht unter seinen Augen.
»Bravo! Wenn Sie öfter einen so guten Tag haben, dann dürfen Sie mich mal besuchen.
Ich rechne sogar darauf«, sagte sie noch über die Schulter hinweg, bevor sie verschwand.
Für einen Augenblick vergaß er Ort und Stunde, so sehr hatte ihn die Begegnung mit Claire Pimbusch in Erstaunen versetzt. Sie war ja unmenschlich wie ein Symbol, sie war das verkörperte Laster; man meinte von ihr träumen zu müssen – aber konnte man sie begehren? Das war ihm noch niemals eingefallen bis zu dieser Minute. Jetzt erst hatte ihr grünlicher, verquollener Blick ihm ein tief beunruhigendes Rätsel aufgegeben, denn er war offen herausfordernd gewesen, und Andreas nannte ihn sogar verzehrend.
Er hatte, ohne daran zu denken, ein Dutzend Verbeugungen erwidert. Da sagte eine bekannte Stimme: »Nanu, sehr geehrter Herr und Meister, ich glaube gar, Sie kennen Ihre alten Freunde nicht mehr.«
»Ah, Kaflisch!«
»Also doch«, meinte der Reporter, indem er ein abgegriffenes Notizbuch hervorzog.
»Nu machen Sie, los!«
»Wieso, los?«
»Stellen Sie sich doch nicht, als ob Sie von gestern sind, Meister, ich habe Eile. Geboren, wann? Wo? Eltern? Erblich belastet? Ihr Lieblingsgericht? Gefällt Ihnen Berlin? Was zahlen Sie für Ihre Wohnung?«
»Ah, so«, bemerkte Andreas, und er machte die gewünschten Angaben. Kaflisch wiederholte: »Der Dichter ist bekanntlich in dem rheinischen Städtchen Gumplach geboren. Ich setze ›bekanntlich‹, das macht immer Effekt und kostet nichts. Jetzt diktieren Sie mir auch noch die Titel Ihrer Bücher.«
Andreas zögerte. »Ich habe noch keine herausgegeben.«
»Natürlich. Wer sagt denn das? Aber ein paar suggestive Titel werden Sie sich doch ausdenken können? Nein? Ich bitte Sie, das kann doch jeder. Wollen Sie es denn mir überlassen? Na schön, Sie sollen was erleben. Aber daß Sie uns nachher nicht mit Berichtigungen kommen! Oder wenn schon, dann wenden Sie wenigstens mir den Verdienst zu von den paar Zeilen. Sie sitzen ja jetzt in Ihrem werten Fett und können ’n bißchen nett sein mit ’nem armen Menschen.«
Der Journalist wandte sich bereits zum Gehen, aber plötzlich klappte er zusammen, so daß sein Gesicht seinen Magen berührte. Zwei Schritte vor ihnen stand Jekuser. Andreas hatte ihn an einem entfernten Tische, eine Hand in der Hosentasche, behaglich verweilen gesehen. Indes der Saal sich zu leeren begann, war der Besitzer des »Nachtkurier« mit einer letzten Flasche Sekt fertig geworden, und jetzt nahte er, die schwarze Perücke im Nacken, erhaben lächelnd. Gehörte seine Miene einem Schauspieler oder einem Caesaren? In Andreas’ Kopfe vereinigten sich in einer jähen Vorstellung die hunderttausend Abonnenten des »Nachtkurier« mit den Millionen seiner lesenden Untertanen, mit den Ministern dieses Staates im Staate, denn das war der »Nachtkurier«; mit dem Heer seiner kleinen Beamten, mit der Gewalt, Steuern einzutreiben, und der politischen Machtfülle, über die Jekuser, ein konstitutioneller Monarch, gebot. Und so sehr ihn heute die Huldigungen eines ganzen Volkes abgestumpft hatten, vermochte er sich eines ehrfürchtigen Schauers nicht zu erwehren, als der mächtige Mann die Lippen öffnete, um ihn anzureden. Jekuser sprach aber einfach: »Wissen Sie was? Geben Sie uns Ihr Gedicht zum Abdruck.«
»Ich werde mich geehrt fühlen, Herr Jekuser …«
Andreas stotterte; aber der Verleger winkte ihm gut gelaunt, ohne sich länger aufzuhalten. Er erkundigte sich flüchtig: »Sie begnügen sich wohl mit der Reklame, die wir Ihnen machen, und verzichten auf Honorar?«
»Sehr gern.«
»Sehr gern ist kühn gesagt«, bemerkte Kaflisch, als Jekuser außer Hörweite war. »Der Alte hat nun mal ’n Vorurteil gegen Geldausgaben. Sonst ist er ’n Engel – aber eher der Engel Bezechiel als der Engel Bezahleel. Apropos, was haben Sie denn dem Abell versprochen?«
»Wieso?«
»Nu, er schreibt Ihnen doch ’nen Artikel.«
»Und?«
»Aber Meister, Sie sind auch wirklich zu neu. Sie wissen doch, daß man Abell’n immer was versprechen muß. Das begeistert die gute Seele so, daß er einen Panegyrikus gegen Sie losläßt. Nachher geben Sie ihm dann bloß die Hälfte, er nimmt alles. Er hat doch so was Einnehmendes. Aber ich verplaudere mich. Seien Sie mir gegrüßt, mein Meister.«
Kaflisch enteilte. Andreas, den seine Gliedmaßen schmerzten, ward von einem Gähnen befallen. Er sah nach der andern Seite des Saalausganges hinüber und bemerkte, daß auch Türkheimer soeben den Mund öffnete. Es traten ihnen beiden gleichzeitig die Tränen in die Augen. Türkheimer lächelte ermüdet dem jungen Manne zu, und Andreas sagte sich mit Stolz: ›Wir verstehen einander.‹
Die Reihen der Glückwünschenden lichteten sich. Türkheimer, des Schauspiels der freien Schweizer, die Geßlers Hut grüßen, überdrüssig, wandte ihnen gelangweilt den Rücken. Sie hasteten nur um so eifriger herbei, um sich, Andreas gegenüber, in einem schwarzen schwitzenden Haufen zu drängen. Jeder reckte den Hals daraus hervor, jeder fuchtelte mit den Armen in der Luft, rücksichtslos die anderen auf die Füße tretend und von ihnen in die Seite gestoßen. Jeder warf, bevor er vor dem gefeierten Dichter den Kopf senkte und seinen Spruch hersagte, nach der Tür, wo Türkheimer lehnte, einen furchtsamen, erwartungsvollen Blick hinüber, der zu flehen schien: »Mächtiger! Wolle nur eine halbe Sekunde lang darauf achten, daß ich auf der Welt bin! Nimm Kenntnis davon, daß ich meine Pflicht erfülle und dem Individuum, das du berühmt zu machen geruhst, alle menschlichen und göttlichen Ehren erweise. Statt dieses jungen Mannes könntest du mir ebensowohl dein Hündchen zur Anbetung in diesen Winkel stellen, oder auch nur den Unrat deines Hündchens: vor jedem Geschöpf deiner Laune werde ich gläubig und mit gekreuzten Armen im Staube liegen. Aber wenn du wieder einmal einen goldenen Regen auf dein gesegnetes Land herniedergehen läßt und den Deinigen allen davon zu trinken verstattest, dann – o Mächtiger! – erinnere dich gnädig, daß ich dein Knecht und der Untertänigsten einer bin!«
Der Abgeordnete Tulpe, als Politiker gewohnt, Mehrheiten zu achten und nie dem Stärkeren seine Unterstützung zu versagen, sprach auch seinerseits dem Helden des Abends seine Anerkennung aus. Doch erstaunte er einigermaßen, als Andreas ihm hell ins Gesicht lachte. Der große alte Wennichen schüttelte seinen Vogelkopf, daß der weiße Flaum zu tanzen begann; er ließ sich vernehmen: »Brav gedichtet, junger Mann! Ich begrüße Sie als wackern Mitkämpfer für die Ideale der Freiheit und des Fortschritts!«
Andreas aber maß die verjährte Berühmtheit vom Kopf bis zu den Füßen mit einem Blick voll kalten Mitleids.
Es verdroß ihn nachträglich, von Jekusers Majestät auch heute noch eingeschüchtert worden zu sein. ›Was ist denn der Jekuser?‹ fragte er sich. ›Was anders als ein Koloß auf tönernen Füßen? Ein Tritt von Türkheimer, und er fällt auf den Bauch. Ich bin heute mächtiger als er; würde er sich sonst um mich gekümmert haben?‹ Jekuser war genausoviel wert wie die anderen: Bediener, der sich zu Andreas’ Protektor aufwarf; Liebling, der aus seiner sittlichen Würde Kapital schlug; Pimbusch mit seiner Angst, übersehen zu werden, und seine Frau, die den erfolgreichen Dichter durchaus verführen mußte; Abell, der keinen Frack trug, weil er zu unscheinbar darin aussah, und in seinem lächerlichen Pastorenrock auf die Suche nach gut zahlenden Bestellern von feuilletonistischen Lobeshymnen ging; Goldherz, Wennichen, Schwenke und die ungezählte Schar der Namenlosen, die unter Türkheimers Blick den Rücken krümmten, Klienten, Mitesser, gieriges und feiges Gesinde, das gelegentlich ein paar von den Goldstücken erraffen durfte, die hier unter den Möbeln umherrollten. Sie alle waren weit verächtlicher als Kaflisch, der auf Überzeugungstreue keinen Anspruch erhob und harmlos eingestand, daß er sich von Trinkgeldern ernähre. Und wenn sie sich weniger offen auslebten als Kapeller, so besaß im Grunde doch jeder von ihnen die ganz hündische Natur des fetten Mimen, der demütig wedelnd um Verzeihung bat, sobald ein Mächtiger ihn von der Seite ansah, und der, um seinen Gebietern zu gefallen, eine kleine Schauspielerin bis zu Tränen quälte.
Hoch über diesem dunklen Gewühl, der Sphäre, wo man um zu leben Niedrigkeiten begehen mußte, weit entrückt, standen nur zwei Männer: Türkheimer und Andreas selbst. Hier wandelte wirklich einmal der Dichter mit dem König auf der Menschheit Höhn, wie es sein Beruf war. Denn um das Leben ganz zu fassen, mußte er von der Macht gekostet haben, die ein Türkheimer in Händen hielt. Es war eigentlich ein tragisches Geschick, hier oben zu stehen. Man war satt, man hatte nichts mehr zu erkämpfen von dem, was drunten alle Leidenschaften in Bewegung setzte. Welche olympische Langeweile! Denn das Glück zu herrschen ward beträchtlich abgeschwächt durch die abgrundtiefe Verachtung, die man für die Beherrschten hegte. Und das einzige, was dem Mächtigen auf seiner kahlen Höhe übrigblieb, war das wehmütige Vergnügen, die Menschen zu durchschauen.
Unter der Last seiner Gedanken wandte sich Andreas müde zum Gehen. Türkheimer war verschwunden, der Saal leerte sich, es lagerte darin eine übelriechende Wolke von abgestandenen Ausdünstungen. Draußen begegnete Andreas der jungen Frau Blosch, die seinen Gruß ein wenig scheu erwiderte; seine Dichtung mußte die arme kleine Provinzlerin erschreckt haben. Fräulein von Hochstetten, die vorüberkam, musterte ihn durch ihr Lorgnon, fremd und hochmütig. Das Claudius-Kabinett lud ihn ein, es schien menschenleer; aber bei seinem Eintritt regte es sich hinter einer Palmengruppe, und die Baronin Asta rauschte am Arm eines ungewöhnlich langen, blassen Brünetten von verführerischer Geschmeidigkeit an Andreas vorüber und zur Tür hinaus. Ihren Blick voll wütender Verachtung nahm er gelassen entgegen, er sah ihr achselzuckend nach: ›Zurück von der Hochzeitsreise? Herzlichen Glückwunsch! Daß du und ihr alle mich nicht sehr lieb habt, will ich euch glauben, aber was könnt ihr gegen mich ausrichten? Ohnmächtige Sklavenranküne!‹
Er sog aus vollen Lungen den kühlen Atem der Blattpflanzen ein, dehnte die Arme und sank, durch die Ehren des Triumphes angenehm erschöpft, auf einen Polstersitz. Vor ihm stand die zerbrechliche kleine Nymphe, die, über eine Quelle geneigt, sich der burlesken Angriffe eines marmornen Silens zu erwehren hatte.
»Das ist Claudius Mertens’ Kunst!« sagte er vor sich hin, aber ein leises Hüsteln unterbrach seine Betrachtung. Er sprang vor Überraschung auf, denn Diederich Klempner, derselbe, der einst ebendieses Wort an ebendieser Stelle zu ihm, dem Neuling, gesprochen hatte, stand hinter ihm. Auf Klempners forschem Gesicht lag ein Schatten von Verlegenheit. ›Und er hat Grund!‹ meinte Andreas im stillen. ›Wie haben wir uns beide verändert! Ich war damals ein ungeschickter Fremdling voller phantastischen Hoffnungen, und er durfte gegen mich die Güte selbst sein; seine feine Stellung im Schlaraffenland erlaubte ihm das. Jetzt hat man ihn mitsamt seiner Lizzi hinausgefeuert. Er stellt gar nichts mehr vor, und ich – oh, wie das Leben mit uns spielt!‹ Im Glücke galt es, sich edelmütig zu zeigen, und so beschloß er, den andern wie seinesgleichen zu behandeln. Er streckte ihm die Hand entgegen.
»Lieber Kollege …«
»Sie beneidenswerter Herr! Nun, wie bekommt Ihnen der Ruhm?« fragte Klempner. Andreas gähnte.
»Soso. Er macht müde.«
»Sage ich auch.«
»Überhaupt …«
»Nicht wahr?«
Sie saßen einander gegenüber. Klempner faltete die Hände über dem Magen und drehte die Daumen umeinander.
»Alle diese gesellschaftlichen Pflichten – wenn wir’s nicht so nötig hätten!«
»Wenn wir’s nicht so nötig hätten!« wiederholte Andreas. »Aber sie kosten uns unsere besten Kräfte.«
»Und wozu?«
»Das frage ich ja gerade. Wenn man nur loskommen könnte! Ganz zur Arbeit zurück! In einem fünften Stockwerk, mitten in einem Proletarierviertel Berlins, oder in irgendeiner fernen Waldeinsamkeit – gleichviel, nur Arbeit, nichts als Arbeit!«
»Oder aber man müßte die Energie eines Claudius Mertens besitzen«, schlug Klempner vor. Andreas ließ einen zärtlichen Blick ringsum über die Kunstwerke gleiten.
»Ah der! Den stört nichts in seiner Arbeit. Er hat wöchentlich zehn Einladungen. Beim Essen nimmt er Bestellungen an und verdient, während er verdaut.«
Klempner unterdrückte ein Lächeln; er erinnerte sich, daß der andere diese Sätze einst von ihm selbst gehört habe. Aber Andreas hatte es vergessen. Er träumte zur Decke hinan.
»Ah, Claudius!«
»Kennen Sie das Neueste von ihm?« fragte Klempner.
»Was ist es?«
»Arazzi.«
»Bitte?«
»Arazzi, Teppichmuster, symbolistisch, piekfein. Große dekorative Blumen, von Arabesken umzogen. Sieht man aber genau hin, so sind es gotische Lettern, und man entziffert mit einiger Anstrengung den schönen Spruch ›Ehrlich währt am längsten‹.«
»Nanu! Und der Teppich ist vielleicht gar für …«
»Ganz recht, für – Türkheimer.«
»Ah! Ah!«
»Und stellen Sie sich vor, daß der Teppich zehn Quadratmeter bedecken soll. Es werden ungefähr hundertfünfzig Blumen hineingewirkt, und alle mit der Umschrift ›Ehrlich währt am längsten‹.«
»Hören Sie auf! Ich habe keine Luft mehr!«
»Der Teppich soll für Türkheimers Privatkontor bestimmt sein.«
Andreas lag mit dem Kopfe auf der niedrigen Lehne seines Sessels. Sein ganzer Körper war in Zuckungen geraten, er hielt sich die Seiten, die ihn schmerzten. All das Glück, das unvorhergesehene, übermenschliche und traumhafte Glück, das sich heute abend in der Brust des jungen Mannes angehäuft hatte und das bisher unterdrückt worden war, tobte sich plötzlich aus in einer unbändigen, unerschöpflichen Lache.
Klempner lachte schallend mit, doch wandte er dazwischen den Kopf zur Tür, aufhorchend bei jedem Geräusch ferner Schritte. Er faßte sich zuerst und begann wieder, noch immer durch die laute Heiterkeit des glücklichen Dichters unterbrochen: »Claudius macht sich über den ganzen Zimt lustig, er kann es sich erlauben. Und eigentlich muß einem die Bande, mit der man hier verkehrt, doch mehr Mitleid einflößen als sonst was. Ich bitte Sie, die Sitten!«
Andreas richtete sich auf, er kehrte aus seiner Besinnungslosigkeit zurück.
»Was für Sitten?«
»Zum Beispiel die Baronin Hochstetten. Haben Sie sie nicht mit ihrem Liebhaber hier herauskommen gesehen?«
»Asta? Gewiß, und ich habe mir schon gedacht, das Stelldichein hinter den Palmen sei ein bißchen verfrüht.«
»Ich frage einen Menschen! Acht Wochen nach der Hochzeit! Und gar noch als Tochter des Hauses sich hier so zu benehmen!«
Andreas betrachtete verwundert sein Gegenüber. Er überlegte: ›Was ist denn mit Klempner? Warum regt er sich über Astas Liebesleben so auf?‹ Klempner war wieder ganz Männlichkeit und Komment. Er saß in strammer Haltung, sein gestärktes Vorhemd wölbte sich achtunggebietend über der Brust, sein humoristisches Gesicht war in strenge Falten gelegt. Er machte einen hochgradig staatserhaltenden Eindruck.
»Wissen Sie denn so genau, daß das ihr Liebhaber war?« forschte Andreas. Klempner zuckte unwillig die Achseln.
»Oder wenn er’s nicht ist, kann er’s jeden Augenblick werden.«
»Wie heißt er denn?«
»Das ist auch ein erschwerender Umstand. Er heißt von Reszczinski und ist Kollege Hochstettens im Ministerium.«
»Reszczinski?« wiederholte Andreas sinnend. »Wo habe ich den Namen schon mal gehört?
Ah!«
Er schnellte vor Überraschung halb von seinem Sitze auf. Kaflisch hatte ihm doch schon vor einiger Zeit erzählt, daß ein Herr von Reszczinski sich der verlassenen Lizzi Laffé angenommen habe! Also darum gewann Klempner es über sich, dieses Haus, das er das letzte Mal unter so kränkenden Umständen verlassen hatte, nochmals zu betreten. Es waren Nahrungssorgen, die ihn hertrieben! Asta beging unlauteren Wettbewerb! Warum mußte die reiche Frau den armen Leuten ihre Existenzmittel entführen: der alternden Lizzi, die trotz ihres immer fleckiger werdenden Teints eine letzte Stütze gefunden zu haben glaubte, und dem unglücklichen, von aller Welt vergessenen Klempner, dessen »Rache!« nicht einmal mehr in Posemuckel und Meseritz aufgeführt wurde, und von dem kein Hund mehr ein Stück nahm! O die armen Leute! Wieviel Elend verbarg sich unter Klempners schneidiger Miene und in seiner Heldenbrust! Er spielte übrigens eine gelungene Komödie, jeder andere hätte sie ihm glauben können. Aber Andreas war bereits zu sehr gewöhnt an das wehmütige Vergnügen, die Menschen zu durchschauen.
Es galt jetzt nur abzuwarten, in welcher Absicht Lizzis Schützling gerade ihn mit seiner Angelegenheit vertraut machte. Klempners kleine Augen zwinkerten ein wenig hinter dem schwarzumrandeten Klemmer, und der Schmiß auf seiner linken Wange färbte sich dunkler. Doch fuhr er mit großer Sicherheit fort: »Sehn Sie, ich verstehe ja manches. Es ist hier nun mal nicht wie auf dem Lande. Wir leben unter feinen Leuten, und hohe Kultur macht unanständig. Aber es gibt doch noch einiges, was zu weit geht. Wenn zum Beispiel die einzige Tochter des Hauses Türkheimer ausgerechnet acht Wochen nach der Hochzeit öffentlich Anstalten macht, um ihren Mann zu betrügen, und noch dazu mit seinem intimsten Freunde, dann muß ich doch sagen, das grenzt an – an …«
»An?« fragte Andreas gespannt.
»Ich stelle anheim, woran es grenzt. Aber minderwertig ist es jedenfalls, und wenn ich die Mutter wäre, ich würde das verhindern!«
Das letzte verkündete er mit erhobener Stimme. Andreas sagte sich mit Genugtuung, daß er Klempner kommen höre. Er erkundigte sich: »Und meinen Sie, daß ich etwas bei der Sache tun könnte?«
»Als einer der nächsten Hausfreunde – warum nicht? Sie verstehen, ich spreche zu Ihnen im Namen unserer gemeinsamen Ehre. Die Türkheimersche Ehre ist doch gewissermaßen auch die unsrige. Wenn es hier allmählich gar zu gemischt zugeht, dann müssen wir als der Familie Nahestehende uns ja schließlich selbst getroffen fühlen.«
»Ich verstehe vollkommen«, erklärte Andreas. Aber der andere glaubte noch deutlicher werden zu sollen.
»Somit ist es Ihnen ohne weiteres klar, Herr Kollege, in die Existenz wie zahlreicher Menschen Astas schlechte Aufführung eingreift.«
Andreas bestätigte es: »Und überdies ist nicht einzusehen, warum die Türkheimerschen Intimen immer zahlreicher werden sollen. Wir müssen zusammenhalten gegen Eindringlinge!«
Klempner erhob sich, erfreut über soviel Entgegenkommen.
»War mir wirklich ein Vergnügen, verehrter Kollege, ein Stündchen so angenehm mit Ihnen zu verplaudern«, sagte er mit einem kräftigen Händedruck.
»Ihre Bemühungen, um die junge Frau auf dem Wege der Ehre festzuhalten, werden sicher nicht erfolglos bleiben. Heil!«
Andreas sah nachdenklich zu, wie Klempner würdevoll durch die Mitte abging.
›Er will, daß ich mit Adelheid rede. Die Geschichte ist zwar brenzlig, aber was kosten mich die paar Worte? Ich verderbe Asta den Spaß, es ist eigentlich nicht schön. Aber warum soll ich sie schonen? Würde sie mich schonen?‹
Niemand hatte ihn so schmerzhaft verwundet wie Asta, niemand, außer dem Buffetfräulein im Café Hurra. Jetzt konnte er ihr seine Macht zeigen. Auch verdiente die bedrängte Lizzi einige Teilnahme.
Indessen verließ Klempner nicht ungehindert das Kabinett. Unter der Tür geriet er in eine unvermutet hereinbrechende Schar junger Mädchen und wurde, ohne die geringste Beachtung zu finden, gegen die Wand gedrückt. Andreas gedachte bei diesem Anblick mit klopfendem Herzen jenes Bildes nach der Erstaufführung von »Rache!«: Der Dichter, von Verehrerinnen umringt, die ihm die Hände zu küssen versuchten. Wie hatte sich damals in ihm der Ehrgeiz aufgebäumt, eine sengende Sehnsucht, angebetet zu werden wie jener. Und jetzt stürzten dieselben jungen Mädchen an dem vergessenen Klempner vorbei, auf ihn, auf Andreas zu. Es war ein wirres, aufgeregtes Gezwitscher:
»Sagen Sie es, bitte, nicht zu Mama, daß wir hier sind!«
»Ach was, wegen meiner darf er es. Meister, Sie dichten entzückend.«
»Himmlisch, Meister. Sagen Sie, denken Sie sich eigentlich was dabei, wenn Sie so was Unmögliches aufschreiben?«
»Wieso, unmöglich?« fragte eine kleine Bewegliche, die aufgeweckt aussah.
»Das meiste verstehen wir natürlich gar nicht, das können Sie sich doch denken, Meister.«
Andreas erwiderte bescheiden: »Es freut mich, Ihren Geschmack getroffen zu haben, meine Damen.«
Eine blasse Brünette mit vorzeitig entwickelten Formen, von denen sie mehr sehen ließ als die andern von ihren dürftigeren Reizen, bemerkte träumerisch: »Sie sehen eigentlich gar nicht so aus, wie Sie dichten.«
»Sondern?«
»Ganz nett.«
»Geben Sie mir Ihre Adresse, Meister«, sagte plötzlich eine Weißgekleidete, die mit herabhängenden Armen dastand und den jungen Mann kritisch musterte. Er zuckte zusammen und errötete. Sollte sie …? Dies gehörte entschieden zu den Dingen, die Klempner als zu weitgehend bezeichnet hatte! Aber sie lächelte spöttisch. »Ich will Ihnen nämlich mein Stammbuch schicken. Sie dichten mir doch was hinein?«
»Ach ja, Meister, mir auch, aber was recht Passendes.«
»Wo kriegt man Ihre Photographie zu kaufen, Meister?«
»Schenken Sie mir eine, aber mit Unterschrift und Motto!«
»Schenken Sie mir einen alten Handschuh, Meister, einen, den Sie recht lange getragen haben. Ich will ihn auf Butterbrot essen!«
Andreas sah ratlos im Kreise umher, was seine Verehrerinnen zu erheitern schien. Er wußte ihnen nichts zu entgegnen und befand sich keineswegs wohl inmitten dieser Herde von Puten, wie er sie nannte. Aber obwohl er sie verachtete, blieben sie ihm unheimlich, sogar heute noch. Selbst auf der Menschheit Höhn fühlte er die Überlegenheit dieser rätselhaften Geschöpfe mit den hellen, neugierigen und nichtssagenden Blicken, die sich hinter ihre Unschuld wie hinter eine Schanze zurückzogen, herausfordernd und unzugänglich. Kaum hatten sie durch eine Zweideutigkeit den Mann in Erstaunen versetzt, so fügten sie irgend etwas Harmloses hinzu, das ihn über sein Mißverständnis aufklärte, und weideten sich boshaft an seiner Enttäuschung. Er konnte nicht einmal herausbekommen, wie weit in den Huldigungen, die sie ihm darbrachten, die Bewunderung ging, und wo der Hohn anfing! Ängstlich entzog er ihnen seine Hand, nach der sie haschten. Wie sie immer stürmischer auf ihn eindrangen, dünkte ihre Berührung ihn erdrückend schwer, obwohl es nur Gazekleider, Tüllfähnchen, Blumengirlanden waren, die ihm entgegenflatterten. Der Kopf wurde ihm eingenommen von dem herben, säuerlichen Duft, den diese Ansammlung von Jungfräulichkeit ausströmte, und von ihrem planlosen Gezwitscher und Gekicher. Im Hintergrunde flüsterte eine: »Ist er nicht süß? Stell ihn dir vor als Amor, in rosa Trikots!«
Sie kreischte laut auf: »Und mit Flügeln!«
Die anderen ließen sich von ihrer ausgelassenen Laune anstecken, und es erfüllte den jungen Mann mit peinlichem Unmut, diese dalberigen Wesen vor verhaltenem Lachen fast ersticken zu sehen, ohne daß er begreifen konnte, warum. Eine Lange, die sich schlecht hielt, ließ plötzlich eine kleine Schere vor seinen Augen blitzen.
»Eine Locke, Meister!«
Da ward Andreas von einem Entsetzen gepackt, das ihm Mut verlieh. Mit einem jähen Ruck brach er sich Bahn. Inmitten der Stille der ersten Überraschung zog er seine Uhr, denn er besaß jetzt eine goldene, und rief mit Leidenschaft: »Ach! Aber ich vergesse ja das Wichtigste!«
Gleich darauf war er zur Tür hinaus, immerfort laufend, bis das Lachen und Geschrei hinter ihm verhallte. Er erfrischte sich am Buffet und warf beim Kauen stolze und drohende Blicke umher, um Rache zu nehmen für die Verlegenheit, in die ihn die jungen Mädchen versetzt hatten. Aber wen hätten sie nicht aus der Fassung gebracht. Er durfte sich trösten, denn was sollte er mit ihnen anfangen, da sie einen Dichter keinesfalls zu inspirieren vermochten. Von den Bändern, Spitzen und Firlefanz, womit sie sich behängten, borgten sie manchmal einige Poesie; aber poetisch war höchstens ihre Schneiderin, nicht sie selbst. Auch hatten sie meistens zuwenig Fleisch. Es fiel ihm ein, daß er Adelheid heute abend noch nicht begegnet war. Ein Verlangen überkam ihn, sich in ihrer zärtlichen Nähe von den jungen Mädchen zu erholen. Doch suchte er sie vergeblich in allen drei Salons. Im blaßgrünen wollten Bekannte ihn in ein Gespräch ziehen, aber er sah fremd an ihnen vorbei. Im purpurroten bearbeitete jemand den Flügel. Andreas wußte jetzt, daß die Türkheimerschen Hauskünstler mit fünfhundert Mark für den Abend honoriert wurden, und die Achtung vor der hohen Summe bewog ihn, zwei Minuten lang zu lauschen. Aber der Lärm war zu groß. Im dritten Salon, bleu mourant und Rokoko, wurde die Pompadour-Bergere, Adelheids gewöhnlicher Platz, von der entsetzlichen Frau Bescheerer eingenommen. Erschreckt zog der junge Mann sich zurück, um in einem unbewachten Augenblick hinter eine jener spanischen Wände zu schlüpfen, die mit ihren geschliffenen Glasscheiben in verschnörkelten Rahmen geradeso aussahen wie die herausgebrochenen Wände einer alten Staatskutsche. Dort ließ sich, wie er wußte, die Stofftapete zurückschieben wie eine Kulisse. Er betrat ein kleines, mit dicken Teppichen belegtes Kabinett und näherte sich vorsichtig einer zweiten, halb geöffneten Tapetentür; nur wenige Intime kannten diesen Zugang zum gelbseidenen Teezimmer, das an großen Empfangsabenden geschlossen blieb. Andreas spähte hinein. Da lehnte sie über einem der schwarzen Lackstühle mit den goldenen Figürchen, das Knie auf das zart bemalte Kissen gestützt, und träumte leicht gesenkten Hauptes in die Flamme der einzigen Kerze hinein, die auf dem von bronzenen Drachen getragenen Kandelaber zu ihren Füßen brannte. Er sagte sich mit Genugtuung, daß sie ein seltenes Bild gewähre in dem Corsage aus Silberstoff, das ihre mächtige Büste wie ein matt schimmernder Panzer umschloß, und über dem ihr Nacken voll und weiß, in sattem Glanze ruhte; in der Robe aus weißem Seidentuch mit den daraufgestickten großen blauen Lilien und unter dem Feuer jener andern Lilien, die, in farbige Steine geschnitten, den Helm von schwarzen Haaren über ihrer engen Stirn bekränzten. Dämmerung und Stille hielten sie tief gefangen.
Andreas räusperte sich, und sie sah auf, ohne Überraschung.
»Da bist du«, sagte sie einfach.
»Nun?«
Aus dem einzigen Worte waren eine Menge Fragen herauszuhören: Bist du jetzt zufrieden? Freut dich dein Ruhm? Oder hat man dich mit Huldigungen übersättigt? Willst du dich von all den banalen und unwahren Redensarten, die auf dich eingedrungen sind, durch den Hauch echter Liebesworte reinigen lassen? Komm nur! Wie er sie ansah, fühlte er sich, ohne zu wissen warum, ein wenig beschämt, was ihm einiges Unbehagen verursachte. Er sagte schnell, mit einer flüchtigen Liebkosung seiner von dichten, vorn aufwärts gebogenen Wimpern beschatteten Mädchenaugen: »Uff! Es ist eigentlich mehr Strapaze als Vergnügen, weißt du. Diese sündige Menschheit, die mir über die Füße weggelaufen ist! Diese Verbeugungen! Ich bin ganz kreuzlahm und muß mich massieren lassen. Ja, ja, kaum hat man einen Ruhm, muß man ihn pflegen und begießen. Was werde ich alles zu tun haben! Da ist zum Beispiel dieser Abell, der mir Sorge macht. Er will geschmiert werden für ein Feuilleton im ›Nachtkurier‹.«
»Er macht dir einen Artikel? Wie schön!«
»Ganz schön. Aber das Geld! Ich habe im Augenblick keines und wollte dich gerade bitten, mir die zweihundert Mark zurückzugeben, für die du mir gestern Gold Mounts kaufen wolltest. Oder hast du sie schon bezahlt?«
»Ich bitte dich, zweihundert sind zuwenig, bei solcher wichtigen Gelegenheit. Sie stehen ja übrigens schon wieder soviel höher, du hast gewonnen. Ich schicke dir morgen gleich das Geld.«
»Wieviel?«
»Tausend.«
Er stutzte, er kam sich doch übertrieben glücklich vor. Von einem Tag zum andern achthundert Mark zu verdienen! Aber schließlich war es abgemacht, daß ihn diese Dinge nichts angingen.
»Um so besser«, versetzte er leichthin. »Das wird genügen.«
»Du gibst ihm vierhundert und sollst sehen, wie er dich besingt.«
Er schöpfte Atem. »Und dann muß ich noch wegen einer anderen, etwas delikaten Sache mit dir Rücksprache nehmen, wegen deiner Tochter nämlich.«
»Asta?«
»Leider verkennt sie ihre Pflichten.«
»Ach so. Ich habe auch schon davon gehört.«
»Und du gedenkst einzuschreiten?«
»Ich? Sie ist ja eine verheiratete Frau, nicht wahr?«
Soviel Duldsamkeit empörte Andreas. Er sagte: »Aber du als Mutter! Ich verstehe ja manches, aber es gibt doch noch einiges, was zu weit geht. Acht Wochen nach der Hochzeit! Und mit dem intimsten Freunde ihres Mannes! Hast du eine Idee davon?«
Sie zögerte.
»Du hast natürlich recht, mein Schatzchen. Aber andererseits bedenke mal, was würde sie dazu sagen, wenn gerade ich ihr davon spräche. Ich meine, wir selbst – kurz, wie würde ich ihr vorkommen?«
Diese Anspielung auf seine eigene Stellung verstimmte ihn vollends. Er hatte beschlossen, Asta seine Macht fühlen zu lassen und der armen Lizzi mit ihrem Klempner als ein Retter zu erscheinen; und nun störten ihn Adelheids Einwände. Er fand sie geradezu gewissenlos und versetzte hart: »Ich meine, eine Mutter muß unter allen Umständen ihre Autorität ausüben. Überdies ist es für mich eine Ehrensache. Die Türkheimersche Ehre ist doch gewissermaßen auch die der Hausfreunde. Wenn es hier allmählich gar zu gemischt zugeht, dann müssen wir uns ja schließlich selbst getroffen fühlen – und unsere Konsequenzen daraus ziehen.«
Sie begriff nur allmählich und sah ihn entsetzt an. Er wollte sie verlassen! Und bloß aus sittlichem Feingefühl wollte er’s!
»Oh!« Ihre Stimme erbebte in Angst und Zärtlichkeit.
»Wie kannst du nur so reden! Hätte ich gewußt, daß dir etwas daran liegt – du weißt doch, daß ich alles tue, was du willst. Ich mache ihr nötigenfalls einen Skandal, verlaß dich darauf, Herzchen, ich drohe ihr mit Enterbung! Nun, ist es so recht?«
»Ich hoffe, daß die junge Frau sich auf den rechten Weg besinnen wird«, erwiderte er, noch ein wenig strenge, doch halb besänftigt.
Sie legte einen Arm um seine Schulter.
»Sag, Herzchen, bist du eigentlich bloß wegen dieser – Geschäfte zu mir gekommen? Wir stehen schon die ganze Zeit so steif einander gegenüber, als wären wir unter lauter fremden Menschen. Und ich hab dich doch erwartet, hier, wo uns niemand sieht. Denn ich wußte, Liebling, daß du kommen würdest.«
Sie flüsterte heiß: »Heute ist ja ein Freudentag für unsere Liebe. So schön war es noch nie wie heute. Denke nur, jetzt bist du berühmt, und wir sind zusammen glücklich. Wie bin ich glücklich, ich halte meinen großen Dichter ganz fest.«
Er fühlte, daß er etwas tun müsse, und drückte seine Lippen auf ihren Hals.
»Du hast eine schöne Kinnlinie«, bemerkte er.
Dankbar legte sie ihre Wange gegen die seinige. Aus den wogenden Spitzen ihres Corsage stieg ihm ein schwerer Duft ins Gesicht. Er überließ sich einer süßen Betäubung, froh, die Erholung gefunden zu haben, die ihm nach allen Aufregungen und Beschwerden des Abends not tat. Aus der Ferne glitt von den Kunstübungen des Pianisten zu fünfhundert ein weiches, versagendes Echo bis in ihre Versunkenheit wie die letzte Erinnerung an eine düster verlodernde Melodie.
»Er spielt ganz hübsch«, sagte Andreas aus einem Traum heraus.
»Stimmungsvoll«, versetzte Adelheid hinzu. »Es ist ein Notturno von Chopin, ich glaube das zwölfte.«
Dann schwiegen sie wieder.
Er überlegte, daß mit dem heutigen Tage sein Verhältnis zu Adelheid eine wesentliche Veränderung erfahren habe. Bisher mochte man ihn ihren Protege nennen, ihren persönlichen Pflegling, wie der geschmacklose Titel lautete; ein Autor aber, dessen Name mit Posaunenschall über alle deutschen Gaue hinflog, bedeutete für das Haus, in dem er gastlich verkehrte, eine ungeheure Reklame. Fortan schuldete man ihm Dank. Adelheid nannte ihn zwar »ihren« Dichter und glaubte ihn »festhalten« zu dürfen; dies war aber eine völlig verfehlte Auffassung. Welche Rechte besaß sie? Sie liebte ihn, nun ja. Aber wenn er selbst eines Tages ganz und gar aufgehört haben würde, sie zu lieben? Dann, daran war nicht zu zweifeln, würde er das weinende Weib, das sich sträubte, von sich abschütteln, mit dem herrischen Egoismus des Künstlers, der keine Fessel duldet. Eine erloschene Liebe, in deren Asche das Weib herumstocherte, war keine gültige Verbindlichkeit für einen Künstler, dessen erste Pflicht ihn seine Persönlichkeit frei entfalten und seine Individualität ausleben hieß!
Indessen ließ sie, an seine Schulter gelehnt, es sich durch den Sinn gehen, welche Erfolge sie nun schon für ihn ertrotzt habe, wie sehr sie ihn liebe und was sie ihm noch erkämpfen und was ihm hingeben wolle.
Ein sich näherndes Geräusch schreckte sie beide gleichzeitig empor. Adelheid mußte sich darauf besinnen, wo sie sich befand; dann huschte sie mit der Grazie, die sie ihrer schweren Figur zu geben wußte und die Andreas neuerdings ein wenig lächerlich fand, zur Tapetentür und legte lautlos den Riegel vor. Gleich darauf versuchte jemand, die Kulisse zurückzuschieben. Astas Stimme wurde vernehmlich: »Es ist abgeschlossen. Übrigens gestehe ich, daß ich etwas eilig bin. Darf ich nun fragen, was Sie mir so geheimnisvoll zu sagen haben?«
Eine andere erwiderte: »Sie wissen es selbst, liebe Asta, und ich möchte eben Sie um eine Aufklärung bitten über das zweideutige Betragen, in dem Sie sich heute abend gefallen haben. Muß ich es Ihnen sagen? Sie sind im Begriffe, sich zu kompromittieren.«
»Wenn das nun meine Absicht wäre?« entgegnete Asta scharf.
»Asta?«
»Liebe Griseldis?«
»Griseldis?« fragte Andreas leise. Adelheid war zu ihm zurückgekehrt und hielt ihm ängstlich die Hand vor den Mund.
»Fräulein von Hochstetten«, erklärte sie. Er bemerkte: »Der Name wird wohl nur bei großen Gelegenheiten genannt? Er hat auch was Dramatisches.«
»Erklären Sie mir doch nur«, wurde draußen gesagt, »was haben Sie gegen meinen Bruder. Sie gehen auf einen Skandal aus?«
»Auf Scheidung, liebe Griseldis.«
»Ich begreife nicht, warum?«
»Man muß für gewisse Dinge eben ein Feingefühl haben, das in Ihrer Familie nicht genügend ausgebildet zu sein scheint.«
»Was wissen Sie von Familien wie die unsrige, liebe Asta.«
»Mehr als mir lieb ist. Übrigens, wollen Sie mich anhören, liebe Griseldis?«
»Ich bitte.«
»Erst gestern habe ich Ihren Bruder – meinen Mann will ich ihn aus gewissen Gründen gar nicht nennen, er verdient diesen Namen nicht – erst gestern beim Diner habe ich ihn darauf aufmerksam gemacht, daß er in meinem Salon, zumal abends, stets in Lackschuhen zu erscheinen habe. Schon während der ganzen Reise hat er mir durch seine unnobeln, wie soll ich sagen – bürgerlichen Gewohnheiten das Leben unmöglich gemacht. Und was glauben Sie? Heute kommt er hierher, auf einen großen Rout meiner Eltern, in gewöhnlichen Straßenstiefeln! Ich muß es für eine offene Herausforderung halten.«
»Das ist alles? Und Sie bilden sich ein, daraufhin ein Recht auf Scheidung zu besitzen?«
»Gewiß. Ich kenne zwar eure Gesetze nicht, aber ich bin überzeugt, es muß irgendwo stehen, daß eine Frau sich von einem Manne scheiden lassen darf, der keine Lackschuhe trägt.«
»Das hat sie aus ›Nora‹«, flüsterte Andreas an Adelheids Ohr. Asta begann wieder: »Überdies gebricht es Herrn von Hochstetten an den nötigen persönlichen Eigenschaften. Über gewisse Dinge pflegt man mit jungen Mädchen nicht zu sprechen; aber Sie, liebe Griseldis, sind wohl in den Jahren, wo man sie hören darf. Genug, ich habe bei meinem Gatten nur das gesucht, was jede Frau, auch die ärmste, bei dem ihrigen zu finden gewohnt ist.«
»Angenommen, daß ich Sie richtig verstanden habe«, erwiderte das Fräulein sehr kühl, »so könnte ich auch dies für keine berechtigte Klage halten. Sie waren als junges Mädchen gewiß nicht ganz unerfahren, liebe Asta. In der Umgebung, unter der Sie aufgewachsen sind, gibt es keine Unerfahrenheit. Wenn Sie einen Mann aus altem, sehr altem Hause heiraten, so mußten Sie wissen, daß Sie bei ihm nicht das, wie soll ich sagen – gewalttätige Naturell eines Emporkömmlings, eines Menschen aus Ihren eigenen Kreisen zu suchen hatten.«
»Oh, gewalttätig! Sie überschätzen mich, liebe Griseldis. Das habe ich von Ihrem Herrn Bruder nicht verlangt. Aber wäre es nicht seine Pflicht, mir einen Erben zu geben?«
»Sprechen Sie doch nicht von einem Erben Ihres Geldes, liebe Asta, sondern von einem Stammhalter des Hauses Hochstetten!«
»Sie verachten das Geld wohl sehr, liebes Fräulein? Ich tue es ebenfalls, aber spiele auch nicht an der Börse, nicht einmal mit meinem eigenen!«
»Bitte, was wollen Sie sagen?«
»Daß ich mir recht wohl denken kann, warum er keine Lackschuhe trägt. Ihm fehlen ganz einfach die Mittel. Denn das Taschengeld, womit ich ihn so reichlich versehe, das lassen Sie, liebe Griseldis, sich aushändigen, um Gold Mounts dafür zu kaufen.«
»Ah! Das ist schändlich! Schändlich!«
»Sie wollen doch nicht leugnen, liebe Griseldis? Hätten Sie sich noch damit begnügt, für mein Geld wollene Strümpfe nach Palästina zu schicken, zur Bekehrung von Judenkindern. Aber neuerdings müssen es Gold Mounts sein!«
»Wie ist das schändlich!«
In ihrer Verzweiflung schrie Fräulein von Hochstetten laut auf. Andreas krümmte sich vor unterdrücktem Lachen, er versteckte sein Gesicht an Adelheids Hals. Es war zu gut. Also diese Griseldis, die ihn noch heute mit einem Blick voll eisigen Hochmuts gemessen hatte, die hier so fremd und säuerlich umherwandelte, als habe sie genug damit zu tun, den Ekel zu verschlucken, den ihr diese Welt einflößte, und könne weiter nichts genießen: diese vornehme alte Jungfer stand genauso niedrig wie zum Beispiel Kapeller oder Diederich Klempner! Auch sie griff unter die Möbel, wo die Goldstücke umherrollten!
»Wenn ich es geahnt hätte!« jammerte das Fräulein. »Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte von den Zuständen in der Familie, in die mein Bruder hineingeriet. Nie, niemals würde ich es zugegeben haben!«
Asta entgegnete ruhig: »Eine Ahnung, liebe Griseldis? Sie sind bescheiden. Sie waren ja über alles Wissenswerte genau unterrichtet. Aber den kleinen Renten zuliebe, auf die Sie sich Hoffnung machten, sind Sie über die anstößigsten Dinge glatt hinweggekommen. Unter anderem war da meine Frau Mama, die liebe Matrone. Sehen Sie, auch ich wahre mir das Recht meiner Persönlichkeit. Eine moderne Frau schuldet es ihrer Selbstachtung, einen Mann zu betrügen, der sie nicht versteht, keine Lackschuhe trägt und seine ehelichen Pflichten versäumt. Öffentlich betrügt sie ihn, ohne beschämende Ausflüchte und in Schönheit! Sie wählt einen Liebhaber, gegen den der Gatte nichts einzuwenden haben kann, einen aus seinem eigenen Stande, meinetwegen seinen Freund. Er würde es mit Recht geschmacklos finden, wenn ich ihm meinen Kutscher zum Rivalen gäbe. Dies aber tut meine Frau Mama, oder doch etwas Ähnliches, und Ihnen, liebe Griseldis, war es seit langem bekannt. Sie wußten so gut wie ich und wie jeder, der hier im Hause verkehrt, daß Frau Türkheimer unwürdige Beziehungen unterhält zu jungen Leuten von unnennbarer Herkunft, in zweifelhafter Stellung und mit nicht nachweisbaren Einnahmen. Der letzte dieser fragwürdigen Charmeurs …«
Andreas verlor den Schluß von Astas Rede. Er fühlte Adelheid an seiner Seite schwer atmen, und er verstand ihren flehenden Blick. Zum Abschied flüsterte er ihr zu: »Verzeihe, daß ich es dir sage, aber deine Tochter hat eine unfeine und pietätlose Seele.«
Als sie ihm traurig zunickte, fand er noch ein zärtliches, beglückendes Wort: »Oh, du bist anders! Ich danke dir für alles!«
Dann schritt er geräuschlos, aber voll Würde, dem Hauptausgang des Gemaches zu. Astas Anzüglichkeiten, in denen die Ohnmacht greinte, berührten ihn gar nicht. Er fühlte sich zu innig befriedigt durch die Entlarvung der den Versuchungen des Schlaraffenlandes erlegenen Griseldis. Sie vervollständigte ihm das wehmütige Vergnügen, die Menschen zu durchschauen.
Im Treppenhause blendete ihn die Lichtflut. Er wollte sich auf einer der Ruhebänke niederlassen, auf denen in gepunztem Leder ein Türke den Säbel schwang; doch zwischen den hohen Heliotropsträuchern, den Orchideen und purpurnen Kaktusarten erschien das blasse, fette Gesicht des Herrn Stiebitz, der ihn freundschaftlich begrüßte.
»Na, wir wußten auch gar nicht, wo Sie steckten, werter Meister. Was meinen Sie zu einem Jeuchen? Sein Sie so gut und bringen uns ’n bißchen Betrieb in die Bude! Was? Keine Meinung? I, ich sage, reden Sie doch nicht von den Pferdchen! Was heißt Pferdchen? Was sind Pferdchen? Kinderei sind sie. Kommen Sie, wir machen ’n kleinen, kleinen Baccarat. Kennen Sie wohl noch nicht? Gehört aber zur Bildung, und mit Ihrem bestens bekannten Glück können Sie diebisch dabei gewinnen.«
Aber Andreas war schon halb die Stiege hinab. Er sagte sich: ›Solange die Börse genug abwirft, brauche ich keinen Baccarat.‹
Er verließ zu Fuß das Haus und ging elastischen Schrittes, mit schlenkerndem Stöckchen, den Mund zum Pfeifen gespitzt. Am Potsdamer Platz trat er in das Telegrafenamt und entwarf in geläufigen, eleganten Zügen eine Depesche, die den »Gumplacher Anzeiger« von dem phänomenalen, überwältigenden Erfolge der »Verkannten« unterrichtete, »der neuesten dramatischen Dichtung eines hochbegabten Sohnes Ihrer Stadt, des Herrn Andreas Zumsee, der sich im Fluge die Sympathien der Reichshauptstadt erobert hat«.
Dann begab er sich zur Ruhe, und mit dem Gedanken, daß bis zu seinem Erwachen Draht und Presse seinen Ruhm ins Riesenhafte angeschwellt haben würden, entschlummerte der glückliche Dichter.
Morgens um zehn Uhr brachte ihm ein Kommissionär ein Paket ans Bett. Er fand eine blauseidene Bonbonniere darin und stopfte sich gleich beim Ankleiden, in heiterster Laune, den Mund voll Pralines. Sein Jubel erstickte ihn, er mußte ihn jemand mitteilen; doch war sein Nachbar Köpf bereits ausgegangen. Auf dem Korridor begegnete ihm Fräulein Levzahn, der er seit jenem unbefriedigenden Besuch im Zimmer der beiden Frauen beständig ausgewichen war. Sie wollte ohne Gruß an ihm vorbei, aber ihr mürrisches Gesicht beeinträchtigte seine Stimmung. Er empfand das Bedürfnis, das verbitterte Mädchen aufzuheitern, und kniff sie unvermittelt so stark in die Backe, daß sie laut aufkreischte. ›Sie ist wirklich sehr unmusikalisch‹, dachte er, legte ihr aber sogleich den Arm um die Taille.
»Was haben Sie denn heute verschluckt?« fragte sie, indem sie ihm mit erzwungener Koketterie zu wehren suchte.
»Verschluckt? Ja, zum Frühstück schicken mir gleich die Damen was Delikates. Sie verstehen, Fräulein Sophie, man macht hier und da eine kleine Eroberung.«
»Bei Ihnen heißt es auch wohl: Dicketun ist mein Reichtum?«
»Bewahre! Lauter Tatsachen! Wollen Sie mal probieren?«
Sie griff mit zierlicher Zurückhaltung in das Beutelchen. Aber das zweite Mal spreizten sich ihre Finger viel weniger, und beim dritten verschwand die ganze Hand. Ihm wurde bange.
»Genieren Sie sich nur nicht«, sagte er. »Wie schmeckt es denn?«
»Süß«, lispelte sie und versuchte schelmisch den Mund zu spitzen, aus dem ein wenig Schokoladenbrei hervorquoll. Aber plötzlich hörte sie auf zu kauen, und ihre Augen wurden groß. Sie zog ein Papier aus der Bonbonniere und hielt es ihm dicht unter die Nase. Er errötete; es war ein Tausendmarkschein.
»Ach, das muß von Tante kommen«, stotterte er, nach Fassung ringend.
»Von Tante Adelheid, nicht wahr?«
»Sie wissen?«
Sie feixte anzüglich. »Na, man erfährt doch auch einiges, hat doch auch seine Konnexionen.«
Er hob die Achseln. »Wenn es Sie glücklich macht …«
»Nu natürlich, Sie sitzen in Abrahams Wurstkessel, Ihnen kann es gleich sein, was die Leute dazu sagen. ’ne feine alte Tante, die ihrem kleinen Herzken so was Süßes schenkt!«
Sie winkte ihm noch immer mit der Banknote vor dem Gesicht umher. Er besann sich und riß sie ihr aus der Hand.
»Sie haben ja schon ’ne geübte Revolverschnauze«, bemerkte er kalt und wandte ihr den Rücken.
Ihr böses Lachen verfolgte ihn bis in sein Zimmer. Er begriff, daß er sie enttäuscht haben müsse; daher ihre Entrüstung. Aber was wollte sie ihm anhaben?
Er ging aus, kaufte den »Nachtkurier« und ließ sich während des Mittagessens von Abells weichen Schmeicheleien wie von Hurihänden streicheln. Dann stattete er dem Kritiker auf der Redaktion einen Dankbesuch ab und schob, wie in Gedanken, vier Hundertmarkscheine unter einige Papiere auf seinem Schreibtisch.
Kurz nach seiner Heimkehr, um halb vier Uhr, ging die Flurglocke, und er vernahm das wohlbekannte Rauschen von Adelheids Kleidern. Doch trat sie noch nicht bei ihm ein, Frau Levzahn schien sie aufzuhalten. Die grobe, schleppende Stimme der Alten drang bis zu Andreas.
»Gnädige Frau müssen entschuldigen, ich habe mal ’n Wörtken zu reden. Denn gnädige Frau werden doch eine arme Frau wie mich nicht schädigen wollen, und der Vizewirt weiß schon, daß bei meine Herren Damenbesuch kommt.«
»Ich verstehe nicht«, erwiderte Adelheid.
»Oh, gnädige Frau werden woll verstehen, wenn’t auch ’n bißken dauert. Damenbesuch is doch natürlich gegen die Hausordnung. Der Vizewirt kann mich ja jeden Tag hinaussetzen. Und tut er es nich, dann steigert er mich. Man muß doch die Leute kennen, wie sie immer gleich sind und wie sie alle jiepern.«
›Also ein Erpressungsversuch‹, dachte Andreas. ›Das ist bei den sittlichen Bedenken der Levzahns herausgekommen.‹ Mit größter Behutsamkeit öffnete er die Tür ganz wenig und sah durch den Spalt. Sophie stand kampfbereit hinter ihrer Mutter; sie tat ihrer Miene keinen Zwang mehr an, ihre Augen durchsuchten abschätzend, gierig und mißtrauisch wie die eines Wucherers, Adelheids Gesicht und ihren Anzug, sie hefteten sich an ihre Brillantohrringe und schienen ihr den Schirm mit dem goldenen Knopf aus der Hand reißen zu wollen. Sie kam der Alten zu Hilfe: »Die gnädige Frau wird sich gewiß nicht weigern, Muttern anständig zu entschädigen.«
»Ich soll Sie entschädigen?« fragte Adelheid, mehr verwundert als erzürnt. »Aber wofür denn? Was geht es mich an, wenn Ihr Wirt Sie steigert?«
Aber Frau Levzahn verlor die Geduld.
»Stellt sei sick man so düsig, oder is sei’t würklich?« fragte sie ihre Tochter. Sophie versetzte: »Wir können ja leicht zu unserm Gelde kommen, wenn wir uns an den Herrn Gemahl wenden.«
Diese Drohung fand Adelheid unverschämt.
»Mein Mann kennt meine Schritte«, sagte sie kühl abweisend.
»Nee, nu süll doch …!« schrie die Alte, und die ehrliche volkstümliche Entrüstung der Levzahns brach über Adelheid herein.
»So was geht einen ja durch Mark und Fennig! Die feine Dame besucht möblierte Herren, und der Gemahl kennt ihre Schritte! Gott, was für ’ne Schande! Na, ich sage, wenn das die vornehmen Herrschaften tun! Man is ja sonst nich haberig, aber so was is doch, um graulich zu werden.«
»Schweigen Sie doch!« rief Adelheid.
»Nu schlag einer lang hin! Schweigen soll ich, wenn in meinem eigenen Hause so ’ne Geschichten passieren? So was is ja von der Polizei verboten. Sehn Sie denn nich, wie blaß und mükrig der junge Mensch schon is? Er sieht ja aus wie ausgelutscht. Wenn Sie ihn noch ’n bißken weiter kaputt machen, denn stirbt er mir am Ende noch hier im Haus unter de Hände. Denn kann ich sehen, wo ich mit abbleibe. Denn sind die feinen Damen weg, und ich arme Frau hab noch die Kosten von und den Schaden und den Ärger!«
Die Tochter sprach mit scharfer Stimme dazwischen: »Geben Sie uns hundert Taler, Frau Generalkonsul, oder wir machen Ihnen einen Skandal, den solln Sie sich besehn!«
Adelheid fühlte, daß sie mit diesen Leuten ein deutliches Wort in ihrer eigenen Sprache reden müsse; sonst würde sie sie niemals loswerden. Sie nahm sich zusammen und versetzte mit Betonung: »Sie können mir ’n Buckel lang rutschen.«
»Und Sie mich blasen, wo es warm is«, scholl es pünktlich zurück.
Ein Aufschrei, die Tür wurde weit aufgerissen, und Adelheid flog schluchzend in Andreas’ Arme. Er bewies viel Kaltblütigkeit, drehte den Schlüssel um, schleuderte seine Zigarette vor den Ofen und versuchte die in Scham und Schmerz Aufgelöste zu beruhigen. Es war nicht leicht; sie jammerte, von Tränen erstickt: »Hast du es gehört? Oh, dies infame Wort! Alles andere hätte ich ertragen, aber dies infame Wort! Warum müssen wir im Leben so vielen Niedrigkeiten begegnen!«
»Tröste dich«, bat er. »Diese Menschen werden mit schmutzigen Instinkten geboren. Wir verstehen sie nicht, sie sind von einer anderen Rasse. Wenn sie uns einmal in den Weg treten, so ist es, als habe ein widerliches Tier, eine Kröte oder eine Ratte uns berührt. Man wäscht sich die Hände und denkt nicht mehr daran. Denke nicht mehr daran!«
Er verblüffte sich selbst durch seine geistreiche Skepsis. Sie flüsterte unter dem Taschentuch, das sie sich vor das nasse Gesicht drückte: »Oh, du bist edel.«
»Nicht als ob ich einen moralischen Maßstab anlegte«, so fuhr er fort, »aber dieses Volk ist ästhetisch gar zu minderwertig. Gaunereien können Schönheit und Größe haben. Jemand, der ganze Menschenmassen zugrunde richtet, um ungezählte Millionen in seine Tasche zu stecken, wie …«
Andreas besann sich, ob er den Namen Türkheimers nennen solle; doch unterließ er es.
»Nun, so einer wäre moralisch auch wohl anfechtbar, aber ästhetisch hat er einen gewissen großartigen Zug. Er geht öffentlich auf Raub aus, am hellen Tage, und macht dem Gesetz eine lange Nase. Die kleinen, lichtscheuen Gaunereien dagegen, die von bedürftigem Pack in muffigen Hinterstuben ausgeheckt werden, wie sind die widerlich! Stell dir einmal vor, wie lange diese armen Leute untereinander beraten und gefeilscht haben werden, ob sie sich mit achtzig Talern begnügen müßten oder es wagen dürften, dir hundert abzuverlangen! Und welche geheime Angst werden sie bei ihrem lumpigen Erpressungsversuch ausgestanden haben! Sie verdienen, daß man ihnen dafür eine Kleinigkeit schenkt.«
Er durchmaß mit großen Schritten triumphierend das Zimmer.
»Eigentlich ist es ein Spaß«, sagte er. »Das Vergnügen, die Menschen zu durchschauen, sollte uns in dieser Welt mit allen Erbärmlichkeiten versöhnen.«
Adelheid sprang plötzlich vom Stuhl auf.
»Du darfst hier nicht bleiben!« rief sie leidenschaftlich. Sie warf die Arme um seinen Hals.
»Keinen Tag länger darfst du hier bleiben. Vorläufig ziehst du in ein Hotel garni, wo wir ungestört sind, und dann mietest du dir eine eigene Wohnung.«
»Aber das Geld?« wandte er ein.
Sie stampfte mit dem Fuß. Wie sollte sie ihm diesmal über sein Zartgefühl in Geldsachen hinweghelfen. Es würde ihn vielleicht allzusehr überraschen, wenn er unversehens die standesgemäße Einrichtung von drei, vier Zimmern an der Börse gewänne? Sie nahm ihren Mut zusammen und sah ihm fest in die Augen. Ihr Gesicht war blaß, die Nüstern bebten, schwarz und weit geöffnet. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, majestätisch, wie er sie liebte.
»Was ziehst du vor«, sagte sie mit unsicherer Stimme. »Ein paar tausend Mark Schulden zu machen, oder die Frau, die du liebst und die dich liebt, den gemeinsten Beleidigungen auszusetzen?«
»Wie kannst du so fragen?« erwiderte er und drückte einen Kuß auf ihr Kinn. Sie fühlte, daß sie ihn im Sturm besiegt habe.
»Ich suche dir eine hübsche Parterrewohnung und sorge für alles Nötige. Sage nur, wo? Aber es darf nicht weit von uns sein.«
Er sagte zögernd: »Lützowstraße, meinetwegen?«