Читать книгу Schweinetango - Heinrich Thies - Страница 7
|23|3.
ОглавлениеDie Nacht war mild – eine Maiennacht wie geschaffen für frisch Verliebte. Am Himmel funkelten die Sterne, Nebelschleier hingen über den Wiesen. Doch Cord Kröger fuhr mit seinem Geländewagen Marke »Nissan« so schnell, dass er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Straße zu richten hatte. Jetzt, da Jelena – wahrscheinlich erwartungsfroh – neben ihm saß, war sein Mut gesunken. Er war wie betäubt, wagte es nicht einmal, seine Hände zu seiner Begleiterin hinüberzustrecken. Natürlich wagte er es noch viel weniger, einfach nur den Mund zu halten. Und während Kirchboitzen näher rückte, redete er emsig gegen seine Angst an.
Er berichtete Jelena von seinem neuen Trecker, den er angeblich zu einem Spottpreis bekommen hatte – mit gefederten Vorderachsen, Stereo- und Klimaanlage, Super-Reifen, Vario-Getriebe und allen anderen Schikanen. Während sich Cord immer mehr in einen Begeisterungsschub hineinredete, gähnte Jelena gelangweilt. Sie steckte sich eine Zigarette nach der anderen an, sog daran, dass sie rot aufglühten. Schweigend blies sie den Rauch zur Autodecke.
»An der nächsten Kreuzung links«, sagte sie schließlich, nachdem die beiden das Dorf Südkampen passiert hatten.
»Gut«, bestätigte Cord. Doch schon im nächsten Moment wurde ihm der eisige Ton der Wegbeschreibung bewusst. Er war peinlich berührt und räusperte sich verlegen.
»Tschuldigung, dass ich hier so viel quassel. Das interessiert dich natürlich nicht die Bohne. Aber ich …«
Er brachte den Satz nicht zu Ende. Als er verstohlen zur Seite blickte, sah er, wie sich Jelenas Busen hob und senkte. Fast |24|im gleichen Augenblick schob sie ihre Hand zu seiner Hand herüber, die auf dem Steuerknüppel ruhte.
»Stolzer Bauersmann«, raunte sie ihm unvermittelt zu.
Cord stockte der Atem. Er spürte, wie Jelena ihm über den Handrücken strich. Daraufhin nahm er kurz entschlossen ihre Hand und drückte sie.
»Auuu«, stöhnte sie kokett. »Du zerdrückst mich ja.«
»Pardon, das wollt ich nicht.« Cord ließ sofort locker.
»Nicht so schlimm, besser, als wenn du im Geist auf deinem Traktor sitzt«, tröstete ihn Jelena.
»Tut mir leid.«
Sie antwortete, indem sie seine Hand losließ und mit ihren Fingern sanft über seine Oberschenkel fuhr. Cord Kröger war wie elektrisiert, traute sich aber nicht, seinen Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Glücklicherweise ergriff Jelena wieder das Wort.
»Wie viele Pferdestärken hat dein Traktor denn?«
»150, aber davon wollen wir jetzt nicht mehr reden. Ich glaube, ich hab schon viel zu viel gelabert.«
Wonneschauer durchrieselten ihn, während Jelena mit leichtem Druck über seine Lenden streichelte.
»Du hast recht«, sagte sie. »Die Nacht ist nicht zum Reden da.«
»Zum Schlafen aber auch nicht.«
»Zum Schlafen schon«, verbesserte sie ihn. »Ich schlüpfe gleich ins Bett, wenn wir da sind.«
Ihre Hand übermittelte ihm eine andere Botschaft – und ermutigte ihn, die Initiative zu ergreifen.
»Vielleicht können wir ja noch ein Bier bei dir zusammen trinken?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Was soll denn Mutter sagen, wenn ich des Nachts mit einem fremden Mann ins Haus komme? Nein, leider, das geht nicht.«
|25|»Dann komm doch einfach mit zu mir, meine Mutter freut sich immer über Gäste«, erwiderte Cord in einem Anfall von Übermut. Fast hatte er schon befürchtet, dass sie entrüstet ihre Hand wegziehen würde. Doch im Gegenteil, sie ergriff erneut seine Hand.
»So stürmisch auf einmal, der Bauersmann«, spöttelte sie. »Wir kennen uns doch noch gar nicht.«
»Das kann sich aber ja ändern.«
Mit diesen Worten machte Cord Kröger seine Hand frei und strich seiner Nachbarin über den Schoß.
»Ich glaube, langsam wird’s ’n bisschen gefährlich«, sagte er. »Lass uns lieber mal anhalten.«
Da Jelena keinen Widerspruch erhob, bog Cord gleich in den nächsten Feldweg ein. Alle Schüchternheit war jetzt von ihm abgefallen. Kaum hatte er angehalten, schloss sie ihn auch schon in die Arme. Sie küsste ihm die Stirnglatze, die Wangen, den Mund, saugte sich förmlich an ihm fest. Die Küsse schmeckten nach Rauch und Lippenstift und machten Appetit auf mehr. Doch in dieser Hinsicht erwies sich Jelena als sittenstreng. Als Cord ihr den Busen streichelte, entlockte er ihr noch Laute des Wohlbehagens, als seine Hand dann aber weiter in Richtung Schamgegend wanderte, schob sie sie sanft, aber bestimmt zur Seite.
»Das tut man doch nicht im Auto«, hauchte sie ihm zu. »Ich bin eine anständige Frau.«
»Dann lass uns doch einfach zu mir nach Hause fahren. Ist gar nicht weit.«
Anstelle einer Antwort ließ sie wieder ihre Hände sprechen. Wie während der Fahrt strich sie ihm noch einmal über die Oberschenkel. Zur Bekräftigung gab sie ihm einen Kuss.
»War das die Antwort?«
Jelena blieb stumm und lächelte. Also legte er den Rückwärtsgang ein, wendete und fuhr rumpelnd und viel zu schnell auf die Hauptstraße zurück.
|26|Cord schob eine CD ein, Panflötenmusik, die CD hatte ihm mal eine Cousine geschenkt. Die schöne ruhige Musik hatte vor allem den Vorzug, dass man nicht miteinander reden musste. Denn das wäre ihm nun wieder schwergefallen. Es reichte ihm, Jelenas warme Hand zu halten.
Während er auf Klein Eilstorf zusteuerte, musste er an die abfällige Bemerkung denken, die Walter über die »Russin« gemacht hatte. Die üblichen miesen Sprüche, dachte er. Wahrscheinlich hat der nur einmal mit Jelena getanzt und dann den Mut verloren, der Angeber.
Cord war nicht mehr zu seinen Berufskollegen zurückgekehrt, hatte nur noch seine Jacke geholt und sich knapp verabschiedet.
»Herzliche Grüße an Ma-Madame Mortadella«, hatte Walter ihm beim Weggehen hinterhergestottert. Eine blöde Anspielung auf ihren Job hinter der Wursttheke. Aber er hatte sich gar nicht mehr darum gekümmert.
Es war nicht das erste Mal, dass er vom »Single-Tanz« in Damenbegleitung zurückkehrte. Vor einigen Jahren wäre es sogar fast ernst geworden. Fast drei Monate war er mit Angelika zusammengewesen, einer Krankenschwester mit starkem Kinderwunsch. Man hatte sogar schon den Termin für die Verlobung ins Auge gefasst. Doch dann hatte sich die Sache zerschlagen. Die Weizenernte war ihm dazwischengekommen. Von morgens bis abends hatte er auf dem Mähdrescher gehockt, und wenn er verstaubt und verschwitzt nach Hause gekommen war, mussten auch noch die Kühe gemolken werden.
Angelika war dabei zu kurz gekommen, ganz klar. »Ich glaube, es hat keinen Sinn mehr mit uns«, hatte sie ihm schließlich am Telefon gesagt. »Ich glaube auch, dass du in Wirklichkeit mit deinem Hof verheiratet bist und dich erst mal von deiner Mutter abnabeln musst, bevor du dir eine Frau suchst.«
|27|»Wenn du meinst«, hatte er nur betreten erwidert – und wenn er es auch nie zugegeben hätte, im Grunde seines Herzens wusste er doch, dass Angelika recht hatte. Ja, er war nicht nur mit dem Hof verheiratet, sondern irgendwie auch mit seiner Mutter. Im Alter von siebzehn Jahren hatte er ihr das Jawort gegeben.
Aber das war eine Ausnahmesituation gewesen damals, eine traurige Ausnahmesituation. Sein Vater war tödlich verunglückt. Aus heiterem Himmel war er an einem schönen Apriltag abgetreten von der Bildfläche. Mitten bei der Arbeit. Cord und seine Mutter hatten überall nach ihm gesucht. Schließlich hatte Cord ihn in der Jauchegrube gefunden. In der knöcheltiefen Gülle hatte er gelegen, ein lebloses Bündel Bauer in schwarzen Gummistiefeln. Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken mussten her, um ihn aus der stinkenden Brühe herauszuziehen.
Vermutlich war er ohnmächtig von den giftigen Gasen geworden, als er versucht hatte, ein Absaugrohr für die Güllepumpe in Stellung zu bringen. Wahrscheinlich hatte er kaum etwas gemerkt von seinem Tod, war sanft betäubt worden wie unter Narkose.
Für die Hinterbliebenen aber war es schlimm. Nicht nur, dass von einem Tag auf den anderen der Vater, Ehemann und Hofbetreiber nicht mehr da war. Zu Trauer, Schmerz und Zukunftssorgen kam auch noch die Peinlichkeit der unappetitlichen Todesursache. Vor allem Cord hatte unter Hohn und Spott zu leiden. Er ging ja noch zur Schule, besuchte die zwölfte Klasse des Gymnasiums.
»Ach du Scheiße«, hatte einer seiner Klassenkameraden gesagt, als er von dem Vorfall in der Güllegrube berichtet hatte. Und die anderen hatten sich prustend abgewendet und gelacht, wie blöde gelacht. »Tagelang hat es in der Kapelle noch gemüffelt«, wurde erzählt. Dabei hatte die Frau des |28|Bestattungsunternehmers den Leichnam mit Duftstoff eingerieben, um den Jauchegestank zu überdecken.
Der Tod war auf diese Weise zum Witz geworden, Kröger senior hatte nicht nur sein Leben, sondern auch seine Würde eingebüßt. Cord schämte sich für seinen Vater. Es war ihm, als würde ihm dieser elende Güllegeruch bis zum Ende seiner Tage anhaften und ihn in der Wahrnehmung aller anderen zu einem Ekelpaket machen, über den man die Nase rümpfte – einem Stinkstiefel in vollem Wortsinn.
Eine praktische Folge dieses Todesfalls war, dass Cord nun so bald wie möglich den Hof übernehmen musste. Denn der Betriebshelfer, den die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft schickte, war keine Dauerlösung. Gleich nach dem Abitur sollte Cord in die Landwirtschaft einsteigen. Das hatte er seiner Mutter versprochen, hoch und heilig. Ganz durcheinander und verzweifelt war sie in der ersten Zeit gewesen.
Eigentlich hatte er andere Pläne gehabt, eigentlich wollte er nach Abitur und Bundeswehr Landwirtschaft studieren. Doch nun hatte er auf einmal alle Entfaltungsmöglichkeiten verloren. Die praktischen Herausforderungen waren stärker als sein Freiheitsdrang. Nach dem Abitur begann er eine landwirtschaftliche Lehre, und dank Sondergenehmigung musste er nur ein Jahr auf einem Lehrhof verbringen. In den restlichen zwei Jahren seiner Ausbildung war er schon Herr auf seinem eigenen Betrieb.
Gebäude und Geräte waren in miserablem Zustand. Sein Vater hatte nicht viel getan, um Anschluss an die moderne Landwirtschaft zu halten. Die beiden Trecker waren schrottreif, die Ställe feucht und einsturzgefährdet; vor der Haustür hatte sich ein Misthaufen aufgetürmt. Für die notwendigen Renovierungen und Neuanschaffungen musste er hohe Kredite aufnehmen. Um über die Runden zu kommen, pachtete er immer mehr Land dazu. Dadurch kam aber auch immer mehr Arbeit auf ihn zu. An die Anstellung einer Hilfskraft war |29|natürlich nicht zu denken. Nur in der Erntezeit ließ er sich tageweise helfen.
Seine Mutter war seine entscheidende Stütze. Ja, mehr als das. Sie hatte bereits zu Lebzeiten ihres Mannes den »Schreibkram«, wie sie es nannte, übernommen und die Übersicht über Ein- und Ausgaben gehabt. Daran hielt sie fest. Noch zwanzig Jahre blieb der Hof auf ihren Namen eingetragen. Und wenn Cord größere Anschaffungen oder Veränderungen plante, dann sprach Anna Kröger selbstverständlich in ihrem resoluten Befehlston mehr als ein Wörtchen mit.
Anfangs hatte sie zum Beispiel heftig dagegen angekämpft, als Cord die Kühe abschaffen wollte.
»Du bist wohl nicht mehr bei Trost«, hatte sie geschimpft. »Wenn wir die Kühe nicht gehabt hätten, dann wären wir doch längst in Schulden versunken.«
»Dann kann ich ja ’ne Kuh heiraten«, hatte er ärgerlich erwidert. Ein Argument, dem sich auch seine Mutter nicht verschließen konnte. Denn an der Verheiratung ihres Sohnes war auch sie interessiert. Wo sollten sonst die Enkelkinder herkommen? Der Hof sollte ja schließlich nicht an die Verwandtschaft fallen.
Nein, auch für seine Mutter war es ein Herzenswunsch, Großmutter zu werden. So ließ sie sich denn am Ende davon überzeugen, dass die Kühe eine unüberwindliche Hürde auf dem Weg zu den erwünschten Nachkommen darstellten und daher abgeschafft werden mussten. Mit Blick auf die ersehnten Enkelkinder unterstützte sie auch die Brautsuche ihres Sohnes – und zwar manchmal mehr als Cord lieb war.
Er fuhr die Abkürzung quer durch die Marschwiesen. Während er sein Auto auf die schmale Allerbrücke zwischen Bierde und Eilte lenkte, musste er daran denken, wie seine Mutter beim letzten Mal auf seine Nachtbekanntschaft eingeredet hatte. Sie hatte es übernommen, seinen Gast zu verwöhnen |30|und ein üppiges Frühstück mit Rührei und aufgebackenen Brötchen bereitet. Doch der Preis dafür war hoch: In einem fort hatte sie der Frau erzählt, wie schwer die Zeiten für die Landwirtschaft waren und was ihr Sohn (mit ihrer bescheidenen Hilfe) alles getan habe, um sich für die Zukunft zu rüsten. Hoffentlich, dachte Cord Kröger, hält sie diesmal die Klappe.
Seit dem Stopp auf dem Feldweg hatte er mit Jelena kein einziges Wort mehr gewechselt. Als er den Ort Ahlden passierte, wies er seine Begleiterin darauf hin, dass im Ahldener Schloss einst vor dreihundert Jahren eine hochwohlgeborene Prinzessin gefangen gehalten worden war, die ihren fürstlichen Gemahl mit einem Grafen betrogen hatte. »Interessant«, kommentierte Jelena und strich ihm übers Knie. Was sie sich wohl von mir erwartet, fragte sich Cord.
Büchten, Grethem, Gilten – sein Heimatdorf Bothmer rückte näher. Die Windmühle an der Leine zeichnete sich vor dem sternenklaren Himmel ab. Da entdeckte er plötzlich den Feuerschein am Himmel.
»Verdammte Scheiße, das darf doch nicht wahr sein«, stieß er hervor.
»Was ist denn?«
»Na, siehst du das nicht? Es brennt, verdammt! Bei uns im Dorf – schon wieder. Hoffentlich ist es nicht bei uns auf’m Hof.«
Je näher sie kamen, desto heller strahlte der Lichtschein. Schwarze Rauchwolken stiegen auf.
»So’n Mist«, fluchte Kröger. »Der Feuerteufel hat scheinbar wieder zugeschlagen. Vor einer Woche hat er erst bei unsern Nachbarn ’ne Scheune abgefackelt.«
Jelena sah ihn verwirrt an. »Furchtbar, da kriegt man ja Angst.«
|31|Cord schnaubte vor Aufregung, während er den Blick von der Straße auf den noch weit entfernten Feuerschein richtete.
»Das brennt in der Nähe von dem alten Schrottplatz, wahrscheinlich bei Baumanns. Da muss ich jetzt natürlich mal kurz hin. Wer weiß, was da los ist.«
Jelena seufzte. Die Liebesnacht hatte sich förmlich in Rauch aufgelöst.
Es knackte, knallte und prasselte, als er die Autotür öffnete. Eine Scheune stand in Flammen. Gewaltige Hitze schlug ihnen entgegen. Die Strohballen loderten auf wie Zeitungspapier. Überall auf dem Hof rannten Feuerwehrleute in rotweißen Westen mit Leuchtstreifen herum. Sie rollten Schläuche aus, schraubten Verbindungsstücke zusammen, schleppten Leitern an, zogen Absperrbänder. Unter den Feuerwehrleuten entdeckte Cord Kröger auch Björn, den Jungen, der ihm seit einigen Monaten auf dem Hof half. Der Jugendfeuerwehrmann war einer der Eifrigsten. Cord schämte sich, dass er tatenlos daneben stand, während der Junge mit seinen siebzehn Jahren bei den Löscharbeiten seinen Mann stand.
Plötzlich übertönte ein mächtiges Rumsen die Brandgeräusche. Jelena erschrak, blickte erst ängstlich in Cords Richtung und dann auf die brennende Scheune. Funken stoben auf, es krachte explosionsartig. Der Dachstuhl war zusammengesackt. Eine neue Hitzewelle stieg auf. Die Bauersfrau schlug entsetzt die Hände über die Augen. »Herrgott, die schöne Scheune«, wimmerte Erika Baumann. »Das Feuer frisst sich ja immer weiter. Warum macht denn die Feuerwehr nichts?«
»Ach was« erwiderte ihr Mann. »Lass bloß brennen den Mist. Lass bloß abfackeln. Was sollen wir mit den verkokelten Balken anfangen? Hauptsache, dass der Stall kein Feuer fängt. Da sind noch die Bullen drin, die kann ich doch nicht einfach rauslassen, die Viecher.«
|32|Die Feuerwehrleute schienen Baumanns Meinung zu teilen, nach kurzer, lautstark ausgetragener Debatte richteten sie den Wasserstrahl nur noch auf die Nachbargebäude.
Obwohl es noch nicht mal fünf Uhr war, hatte die Sirene viele Dorfbewohner aus den Betten gerissen. Sie bildeten eine Art Halbkreis um die Brandstelle. Manchen sah man an, dass sie ihre Bettbekleidung anbehalten hatten, provisorisch überdeckt durch Mäntel oder Pullover, was man so in der Eile gefunden hatte.
»Der äschert uns noch das ganze Dorf ein«, rief mit dramatischer Gebärde eine Nachbarin, die in ihrem Morgenmantel herausgestürmt war.
»Wer so was bloß macht? Wer so was bloß macht?«, klagte eine jüngere Frau.
»Bei dem ganzen Pack, das hier rumläuft, wundert mich gar nichts mehr«, lallte ein alter Mann mit Spazierstock, der offenbar in der Eile vergessen hatte, sein Gebiss einzusetzen.
»Ach, warte mal ab, das ist wahrscheinlich einer, an den überhaupt keiner denkt«, sagte der alte Zimmermann. »Meistens kommen doch diese Spitzbuben aus dem eigenen Dorf.«
»Gnade dem Gott, wenn ich den erwische«, knurrte ein stämmiger Bauer. »Der kann von Glück sagen, wenn die Polizei den hops nimmt.«
Auch Geister-Gertrud war unter den Schaulustigen, eine Lehrerwitwe, die sich einbildete, das zweite Gesicht zu haben, und viel wirres Zeug redete. »Das sind bloß erst die Vorboten«, sagte sie beschwörend. »Wenn der Himmel brennt, dann brennt es auch auf der Erde. Der Halleysche Komet kommt ja nun immer näher auf uns zu. Das kann doch jetzt jeder mit bloßem Auge sehen. Ich garantiere euch: Ehe der Sommer ins Land gegangen ist, ist es vorbei mit Mutter Erde.«
»Ach, hör doch auf zu spinnen, Gertrud«, fuhr der alte Schmied dazwischen. »Das Feuer hier ist bestimmt nicht vom |33|Himmel gefallen. Der Komet läuft hier wahrscheinlich irgendwo zwischen uns rum.«
Wieder stürzte ein Holzträger um. Funken tanzten über der Rauchsäule, die durch den durchgebrannten Dachstuhl stieg.
Cord fühlte sich unwohl in seinem Tanzkostüm. Es war ihm peinlich, dass Jelena neben ihm stand. Zum Glück konnte man in der Dunkelheit nicht erkennen, wie stark sie geschminkt war. Doch ihr Parfümduft behauptete sich auch noch gegen den Qualm. Sie schwieg verstört, wagte es nicht einmal, ihren Begleiter anzusprechen. Stattdessen wandte sich ein Nachbar Kröger zu.
»Na, prasselt ja wieder prächtig«, spottete der Mann. »Da wird einem doch richtig warm.« Nachdem er Cord Kröger näher in Augenschein genommen hatte, fügte er hinzu: »Bist wohl auch noch nicht im Bett gewesen, Kollege, was? Wo kommst du denn noch her so spät inner Nacht?«
Cord ließ die Frage unbeantwortet. Da stieß ihn der Nachbar kumpelhaft an, indem er einen kurzen Seitenblick auf Jelena warf. »Aber nicht schlecht die Dame, wirklich. Nicht von schlechten Eltern.«
Cord tat, als habe er nichts gehört. »Die hätten die Bullen da man rausholen sollen«, sagte er stattdessen, indem er seine Augen über den Rinderstall schweifen ließ. Tatsächlich drang Muhen und Blöken aus dem Fachwerkbau neben der brennenden Scheune. Die Tierlaute mischten sich mit dem Prasseln und Knacken des Feuers und dem Knattern des Wasserstrahls. Immer lauter tönte nun auch das Heulen eines Martinshorns. Offenbar näherte sich ein zweiter Feuerwehrzug. Auch ein Polizeiauto kam mit Sirenengeheul auf den Hof gerast.
Wieder krachten Balken zu Boden, Funken sprühten auf. Plötzlich stieg Rauch aus dem Bullenstall.
»Mensch, jetzt brennt es auch im Rinderstall«, rief Kröger aufgeregt. »Die Biester müssen raus, verdammt noch mal.«
|34|Im gleichen Atemzug rannte er auch schon auf das Stallgebäude zu, froh, der peinlichen Situation mit Jelena zu entkommen, endlich diese Tatenlosigkeit zu überwinden.
Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schlug, als er vor der Stalltür stand. Brennende Strohhalme tanzten wie Glühwürmchen im Dämmerlicht. Er ignorierte die Warnrufe der Feuerwehrleute, schob den Riegel zur Seite, riss das Stalltor auf. Beißender Qualm wallte ihm entgegen. Die Bullen hatten sich ängstlich an die gegenüberliegende Mauer gedrängt. Er brach sich eine Latte von einer Trennwand, lief auf die Tiere zu und schlug mit der Latte auf sie ein, um sie in Richtung Ausgang zu treiben. »Raus hier, raus, ihr Biester!«, brüllte er. »Oder wollt ihr ersticken?«
Die verängstigten Tiere setzten sich in Bewegung, trotteten durch das geöffnete Tor ins Freie. Gott sei Dank! Endlich!
Gerade aber hatte der letzte Bulle den Stall verlassen, da krachte eine schwere Ladung von brennendem Heu und Balken durch den Dachboden und versperrte den Ausgang.
Cord Kröger stockte das Blut, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Ich sitze hier fest, schoss es ihm durch den Kopf, gefangen. Ein Wasserstrahl knatterte gegen den brennenden Heuhaufen, löschte das Feuer, verstärkte aber gleichzeitig die Rauchentwicklung. Cord wurde schwindlig. Bloß nicht schlappmachen, stieß es ihm durch den Kopf. Bloß raus hier, bloß weg, verdammt. Er spürte, wie ihm die Beine weich wurde, wie er zu taumeln begann. Der Rauch brannte ihm so in den Augen, dass er sie gleich wieder zusammenkniff. Zwischen dem Knistern und Knacken hörte er das Blöken der Kühe, das Tatütata von Martinshörnern und unverständliche Schreie. Fast war ihm, als würde er auch Musik aus dem Klanginferno heraushören, Schlagerfetzen wie »Anita, Anita« – aber das war wohl nur das Martinshorn, wenn er nicht gar schon anfing zu fantasieren.
|35|Plötzlich riss ihn ein Knall aus seinem Dämmer. Entsetzt sah er, dass sich ein Topf mit Schmieröl in Brand gesetzt hatte, er spürte, wie ihn die Hitzewelle erfasste. Eine furchtbare Angst durchfuhr ihn, Todesangst. Doch sie lähmte ihn nicht, sie gab ihm einen letzten Schub, half ihm, sich aufzubäumen gegen das drohende Unheil. Panisch blickte er sich um.
Schließlich entdeckte er das Fenster. Die Hoffnung mobilisierte seine letzten Kräfte. Er torkelte auf das Fenster zu, zertrümmerte mit einer Latte Glas und Fensterrahmen und zwängte sich hinaus.
Er war wie benommen, als er sich hinter dem Stall im taufeuchten Gras wiederfand. Keuchend sog er die frische Nachtluft ein. Ihm wurde schwarz vor Augen. Feuerwehrleute stürmten auf ihn zu, fragten nach seinem Befinden. Obwohl er beteuerte, dass alles in Ordnung sei, bugsierten sie ihn zu einem Krankenwagen. Doch abgesehen von einigen Schürfwunden hatte er die brenzlige Situation im Stall unbeschadet überstanden.
Seine Kleidung allerdings hatte stark gelitten. Hemd und Hose waren verschmiert und zerrissen. Doch das allgemeine Schulterklopfen und die anerkennenden Blicke machten den Schaden mehr als wett. Er fühlte sich wie ein Held. Die Bäuerin fiel ihm um den Hals und dankte für die mutige Hilfe.
Auch der Ortsbrandmeister lobte ihn, wenn er auch einschränkend hinzufügte, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ein Feuerwehrmann mit Schutzkleidung den riskanten Einsatz übernommen hätte.
Cord hielt Ausschau nach Jelena. Seine Tanzpartnerin stand immer noch wie verloren in ihrem eleganten Seidenkleid inmitten der Schaulustigen.
»Was machst du für gefährliche Sachen«, begrüßte sie ihn. »Das Herz hat mir stillgestanden.«
|36|»Ach, sah schlimmer aus als es war«, wehrte er ab. »Aber jetzt bin ich wirklich bettreif, stehend k.o.« Er reichte ihr seine rußverschmierte Hand und zog sie in Richtung Auto.
Die Flammen waren inzwischen so gut wie gelöscht. Dennoch richteten die Feuerwehrleute ihren Wasserstrahl beharrlich auf die Reste der niedergebrannten Scheune, um einen möglichen Schwelbrand zu verhindern.
Auf dem Hof blökten die Bullen, die gerade mit viel Mühe in eine andere Scheune getrieben wurden. Drei waren schon ausgerissen, man wollte sie einfangen, wenn es richtig hell war.
Beim Weggehen sah Cord Kröger, wie Björn am Lattenzaun lehnte. In der einen Hand hielt er eine Zigarette, in der anderen seinen Feuerwehrhelm.
»Rauch nicht so viel, Björn«, rief er ihm zu.
Der junge Feuerwehrmann starrte ihn mit seinen müden Augen an, als sei er ganz woanders. Er benötigte einen Augenblick, bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte.
»Alles in Ordnung, Chef.«
»Dann ist ja gut. Aber sieh mal zu, dass du langsam ins Bett kommst.«
Als Kröger seinen Nissan aufschloss, sah er, dass Morgenrot den Himmel färbte.
»Du bist ja ein richtiger Held«, sagte Jelena im Auto zu ihm. Zärtlich streichelte sie ihm über die verschmierte Hose. Die Lust keimte wieder in ihm auf. Aber gleichzeitig musste er gähnen.