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Der Seifenspender

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Dort stand sie, die Spenderin. Bauchig dick, sich nach oben verjüngend, so an die 15 cm hoch. Eine mollige, ältere Dame mit guter Bodenhaftung, in Milchglas gegossen. Obendrauf ein funktional gestalteter Kopf in silbrigem Chromimitat. Eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Bei dem Preis auch kein Wunder. Discounter leben von der Täuschung. Das Utensil stand mit seinem Reinigung versprechendem Inhalt schon seit Jahren in unserem Bad und tat widerspruchslos seinen Dienst, zu dem es sich durch den Kauf verpflichtet hatte. Im Laufe der Jahre blätterte das Chromimitat immer mehr ab und ließ die Grundsubstanz, ein weißes Plastik, durchschimmern. Die stand dem milchglasigen Körper wesentlich besser. Die Zeit heilt alle Wunden. Jede Mode entledigt sich irgendwann ihrer selbst. Erfreut über diesen Gang der Welt, wartete ich geduldig auf die Erreichung des chromfreien Urzustandes. Back to nature. In diese Betrachtungen versunken, ahnte ich in dem Moment nicht einmal, welche dramatischen Entwicklungen kurz davor standen, sich in meinem Leben verwirklichen zu dürfen.

Eines Morgens schob sich wie üblich meine linke Hand unter und meine rechte über den Vertrauen einflößenden Spender. Ohne groß auf irritierende Details zu achten, den Blick in mein Spiegelbild vertieft (gar nicht so schlecht für das Alter), senkte sich meine rechte Hand wie gewohnt auf den sich langsam in seinen Urzustand zurück entwickelnden SSK (Seifenspenderknopf). Dort, wo die Hand einst Halt gefunden hatte, war nichts mehr. Sie knallte unbarmherzig auf den WBR (Waschbeckenrand).

Die füllige ältere Dame war zu meinem Entsetzen - nicht mehr da. „Jeanette!“ Mein hilfloses Rufen verhallte an den weißen Kacheln des Bades. Stoisch verweigerten sie jeden Kommentar, einzig darauf bedacht, den Halt zu wahren, um die Wand vor Nässe schützen zu können.

Die rettende Gattin erschien nach einer Weile. Mein hilfloser Blick folgte der klaren Geste ihres ausgestreckten Zeigefingers der rechten Hand und fiel auf einen länglichen, schlanken, keramisch weißen, röhrenartigen Gegenstand, mit echtem Chromaufsatz, der etwas entfernt vom ursprünglichen Platz des alten, eine neue Heimat gefunden hatte. Fast doppelt so hoch wie sein Vorgänger. Ich fiel in eine Schockstarre. Von einem Tag auf den anderer mit etwas Neuen konfrontiert, das war zu viel für meine empfindliche Seele, die dem Tag noch nicht einmal Hallo gesagt hatte.

Es dauerte eine weitere Weile, bis meine Synapsen sich wieder beruhigt, sich an den unerwarteten Zustand gewöhnt hatten und akzeptieren konnten, dass jetzt Arbeit vor ihnen lag. Sie begannen, sich neu zu orientieren. Gut, die Hände wollen gewaschen werden. Dazu braucht es Seife. Die ist in diesen Behältern. Das neue „Ding“ wird wohl einen entsprechenden Inhalt haben und wahrscheinlich in seiner Funktion dem alten ähneln … Mutig hielt ich also wie gewohnt die eine Hand unter die aus dem funktionalen Design herausragende metallene Röhre und drückte mit der anderen reflexartig auf den Echtchromhals. Die Ejakulat ähnliche Flüssigkeit traf mich weit vor dem erwarteten Kontaktpunkt mit der Hand und klatschte tumb ins Becken. Schmerzlich erwachte ich endgültig in den beginnenden Morgen. In einem zweiten Versuch gelang es mir dann, die fettlösende Flüssigkeit aufzufangen, um sie dann, mit Wasser vermischt, ihre üblichen Dienste verrichten zu lassen.

Meine Trauer um die verlorene Gewohnheit wandelte sich kurze Zeit später in Entrüstung, als ich den alten Spender im Klo entdeckte. Auf einem kleinen EHWB (Eckhandwaschbecken) fristete er sein weiteres Dasein. Vom Bad ins Klo, das Ende einer einst Erfolg versprechenden Karriere!

Nun ja. Ich bin ein Mensch, der Veränderungen nicht lange nachtrauert. Schnell erkannte ich, dass die Verwandlung des Spenderkopfes der alten Dame jetzt mit mehr Ruhe betrachtet werden konnte. Tag um Tag erfreute ich mich bei jeder entsprechenden Sitzung über die Beobachtung der sich entwickelnden Metamorphose.

Allerdings hatte ich nicht mit der Gemütslage der Ehefrau gerechnet. Eines Tages stürmte sie, vollbepackt mit exklusive Label tragenden Taschen, ins gemeinsame Büro. Der nach einer erfolgreichen Shoppingtour entstandene Enthusiasmus hatte sie in einen desensibilisierten Zustand versetzt, der nicht mehr in der Lage war, die Stille eines, von einem momentanen Tun geprägten Raums, wahrnehmen zu können. Von einem Moment auf den anderen ersetzte sie den vorgefundenen kontemplativen Zustand durch ihre im Kaufrausch gereifte Dominanz.

Wohl oder übel unterbrach ich meine Tätigkeit und richtete meine Aufmerksamkeit auf sie. Was kann es schließlich wichtigeres im Leben eines Mannes geben als die Zuwendung zu einer Frau, die ohne anzuklopfen ins Zimmer rauscht und ihrer vorherrschenden Stimmung, in Form eines nicht länger aufschiebbaren Mitteilungs-bedürfnisses, unmittelbar Ausdruck verleiht? Da unterbricht er sofort und leidenschaftlich jeden Flow, in dem er gerade swingt und verliert gern jeden kreativen Gedanken in dem Bewusstsein, ihn nie wiedersehen zu werden. Wohlwollend wendet er sich dem hereinbrechenden, andersartigen Leben zu. Voller Hinwendung, Respekt, Achtung, Sympathie und Liebe, löst er sich von der eigenen bescheidenen, kleinen Welt, um sich den wahren, großen Gedanken einer besseren Welt zu stellen. Hier kann er etwas Wesentliches dazulernen, wozu er mit seiner ihm eigenen Beschränktheit, sonst nie teilzunehmen in der Lage wäre.

Wie gesagt, dieser einzigartige Moment erklärte sich so: Sie war in der Stadt gewesen und präsentierte nun stolz und erfüllt etwas, das ihr schon beim bloßen Anblick den Atem verschlagen hatte. Jetzt, in der Atemlosigkeit ihres Gegenübers, wollte sie die Rechtschaffenheit ihrer Ambitionen zum Kauf, bestätigt sehen.

Aus den Abgründen ihrer Tüten und Taschen zauberte sie einen kleinen Karton hervor, der im Strahlen ihrer Augen zu etwas noch Kostbarerem wurde als er ohnehin, der Verpackung nach, zu sein schien. Ein kleines, rotes Quadrat, mit einer Kantenlänge von circa sieben Zentimetern und einem Oberflächen-Feeling von Samt und Gummi kam zum Vorschein. Oben drauf ein Seifenspenderkopf, echt Chrom: „Sieh mal, ist das nicht süß? Und es passt so wunderbar zu den roten Bündchen in der Toilette.“ Ich erwiderte perplex, der Sprachlosigkeit keinen Raum bietend: „Ah ja. Ähhmm … Steht da nicht schon ein Spender?“ Sie: „Vergiss ihn, der hier ist doch köstlich.“ Worte aus der Tiefe der Betrachtung eines Objektes, von einem Blick begleitet, der mich an die erste Verliebtheit zwischen uns erinnerte. „Da konnte ich einfach nicht dran vorbeigehen.“

Nun ja. Von dem Tag an stand das Designerteil am Handspülbecken neben der Schüssel zur Fäkalienaufnahme. In der beiliegenden Gebrauchsanweisung stand, man müsse vorsichtig sein mit dem Ding, damit man nicht die im Behälter befindliche Seife an die Oberfläche des Gehäuses kommen lasse, das könne zur Beeinträchtigung des Looks führen, und dafür übernehme man keine Haftung.

Nun ja. Ich muss gestehen, es passt gut in den Ort, zu den kleinen, unregelmäßig in die weißen Fliesen integrierten, roten Streifen.

Also hieß es mal wieder Abschied nehmen vom Vertrauten. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Aber musste es immer mein geliebter Seifenspender sein, den ich auf seinem Weg so lange begleiten durfte und der kurz vor der Erreichung seines Urzustandes stand? Mit einem leisen Servus verabschiedete ich mich still von ihm, auf dem vermeintlichen Weg in die Entsorgung.

Am nächsten Tag in der Küche. Dort neben der Spüle, steht auch ein Seifenspender, für Spülmittel. Weiß, keramisch, röhrenförmig, kleiner als der im Bad und breiter im Durchmesser, standhaft auf einem schwarzen Espresso-Unterteller. Damit das imprägnierte Holz unter ihm - eine Erkenntnis weiblicher Logik - geschont wird. Neben ihm – ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen! - stand plötzlich der alte Spender aus dem Klo. Zwei Spender am Spültisch in der Küche! Mein Domizil! Meine angestammte Heimat als Hausmann! Jeden Tag werde ich von nun an zwei Spender vor meinen Augen haben.

Kurz vor der Hyperventilation gelang es mir, mich mit diversen Atemübungen wieder zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen. Sogar etwas Verständnis konnte ich entwickeln: Gut, die Frau denkt ökologisch. Sie möchte nichts verschwenden. Es ist noch Reinigungsflüssigkeit im Spender. Die kann man doch in der Küche noch verwerten, wo mehr gereinigt wird als in Bad oder Klo.

Nun gut, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wer will der Frau an seiner Seite dieses Erfolgserlebnis schon verwehren. Ich betrachtete die verloren geglaubte Flasche. Sie war zu dreiviertel voll. Meine Liebe zu dem Utensil und seiner Entwicklung hielt sich mittlerweile in Grenzen. Erstens hatte ich mit dem Vorgang schon abgeschlossen, glaubte sie auf irgendeiner Müllkippe und zweitens schrie mir die ästhetische Verunstaltung mit dem zweiten Seifenspender schrill ins Gesicht. Aber wie gesagt, wenn sie es so möchte…

Es galt also, sich zu gedulden. Irgendwann würde das Teil, endgültig seiner Funktion beraubt, im Müll verschwinden. Ein Spender ist genug in einer Küche. Wir sind doch keine KVfhFSS! (karikative Vereinigung für heimatlose Flüssigseifenspender).

Eines Tages entdeckte ich, dass der kleine, rote Spender im Abort leer war. Ich schnappte das Teil sofort. In die Küche damit, den anderen Spender aufgeschraubt und umgefüllt. Da kann man das Nützliche mit dem Praktischen verbinden. Fast der gesamte Inhalt ließ sich umfüllen. Die alte Flasche war leer. Es kam nichts mehr raus aus dem Ding. Mit Wohlbehagen nahm ich es auf mich, sie gründlich zu reinigen und zum Trocknen in die Spüle zu legen.

Man könnte das Teil mit Öl füllen, zum Schmieren der Motorrad-kette. Diese geniale Idee kam mir, während ich den Restschaum aus der Flasche unter dem laufenden Wasserstrahl entweichen ließ. „Genial, genial!“, frohlockte es in mir. Siehst du, man muss nur warten können. Prinzip Kairos, im richtigen Moment kommt eine Lösung und dein Herz schlägt wieder zufrieden erfreut beim Betreten der gemeinsamen Küche. Ich hatte lange nicht mehr einen so von allem Übel losgelösten und zufriedenen Tag erlebt.

Am nächsten Morgen, die Sonne schien mir beim Frühstück ins entspannte Gesicht, blickte ich zufrieden von der Zeitung auf, zur wieder in alter Harmonie erscheinenden Spüle.

Sämtliche noch nicht rasierten Gesichtszüge erstarrten unmittelbar zu einer Fratze. Neben dem Spülmittelspender stand, neu aufgefüllt, die alte Flasche. Was ist das? Mein Herz war kurz vorm Gefrierbrand. Meine Stimmung sank auf Null, ich verstand die Welt nicht mehr.

Die Frau, gerade den Raum betretend, auf die Kaffeemaschine zusteuernd, reagierte auf mein Entsetzen mit den lakonisch in den Raum geworfenen Worten: „Tja, tut mir leid, dass hier noch jemand wohnt.“ Ich erklärte mich umständlich, versuchte mein Weltbild zu veranschaulichen, meine Haltung zu erklären... Meine Erwartung um etwas Verständnis erlag schnell ihren Worten: „Das ist doch eh deine Wohnung. Du bist doch den ganzen Tag zu Hause. Da habe ich ja nie was zu sagen. Da kannst du doch eine kleine Idee von mir auch mal akzeptieren, oder?“

Ihr in sich selbst versunkenes Lächeln ließ jeden Kommentar in mir verstummen. Ich verschwamm in einer unendlichen Traurigkeit, angesichts einer sich ausbreitenden Hilflosigkeit. „Warum in aller Welt brauchst du in der Küche einen zweiten Seifenspender?“ „Meinst du, ich will, wenn ich aus dem Garten komme, den ganzen Dreck durch die Wohnung zum Bad tragen, um mir die Hände zu waschen? Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“ Hilflos erwiderte ich: „Da kannst du doch das Spülmittel nehmen, ist auch nur Seife.“ „Du tickst wohl nicht richtig, das verträgt meine Haut nicht.“

Da musste ich passen. Gegen Hautunverträglichkeiten bin ich machtlos. Was musste ich mir immer anhören, dass das Becken in der Küche nur für Küchenvorgänge zu benutzen sei und nicht um Farbeimer auszuwaschen oder Schuhe zu reinigen oder was auch immer. Und jetzt wird mir wie selbstverständlich erklärt, dass der Dreck aus dem Garten im Küchenspülbecken entfernt wird. Sogar mit eigener Seife.

Ich machte mal wieder, wie man so sagt, gute Miene zum bösen Spiel. Nun gut, wenn sie sich dabei wohl fühlt. Das ist der Preis, den die Gemeinsamkeit fordert, nur weil man nicht allein sein will. Der Kompromiss wird zur bestimmenden Lebensform. Das muss man erst mal akzeptieren können, ohne sich als Verräter der eigenen Existenz in den Widerstand der Rechtfertigung zu katapultieren. Ich versuchte also, mich den vorherrschenden Realitäten anzupassen, den jetzt, im Vergleich mit dem angestammten Spender, nicht mehr so gut aussehenden EB+EKSAGA (Exbad- und Exkloseifenausgabeautomaten) hinter den besser aussehenden zu verstecken.

Aber es half nichts. Meine Freude auf die sich irgendwann wieder einstellende Ursprünglichkeit, stellt sich auch nicht wieder ein. Für das Kettenschmieren müssen andere Methoden entwickelt werden.

Mein stiller Protest: Ich benutze den ins Abseits geratenen Spender nicht. Nie. Er steht immer noch da. Ein Dorn in meiner nach Perfektion dürstenden Seele. Ich habe ihn nicht wieder gefüllt. Ich vermute, sie auch nicht. Wahrscheinlich ist er das Letzte, was von unserer Wohnung überbleibt, da selbst der Zahn der Zeit sich weigern wird, daran zu nagen.

Osterhasen küsst man nicht

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