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Pedanteritis

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Im Bewusstsein, dass heute eventuell ein Bild des Sohnes im EM-Rausch veröffentlicht wird, lege ich die Zeitung auf den Frühstückstisch und beginne mit den Vorbereitungen für die erste Mahlzeit des Tages. Es ist halb acht, normalerweise bin ich um die Zeit der Einzige in der Küche. Doch es rumort schon. Das Kind, aus dem Bad kommend, ohne irgendein Interesse an sich und seiner Umgebung, verschwindet ohne Gruß, gähnend wieder in seinem Zimmer: „Ich leg mich wieder hin.“ Kurze Zeit später ist die Frau im Bad zu hören. Ihre Stimme gibt mir zu verstehen, dass ich auf dem richtigen Weg bin: „Mach schon mal Frühstück!“ Im tiefen Bewusstsein von ungestörter Zeit - wenn sie erstmal im Bad ist wird sie da so schnell nicht wieder rauskommen - ordne ich die Dinge an meinem Frühstücksplatz: Teller, Tasse, Besteck rechts, die Zeitung links. Sichere Positionen, um in Ruhe und Ausgeglichenheit die Katastrophen der Welt- und der lokalen Lage verkraften zu können. Weise plane ich im Voraus... Wenn „sie“ dann da ist, habe ich den ersten Teil gelesen, kann ihn rüber legen und dann in aller Ruhe den Rest „abarbeiten“. Als Krönung des Morgens, als Schmankerl sozusagen, den Artikel mit dem Sohn in der Zeitung lesen.

Derart beruhigt, in einer sich immer mehr im Chaos wiederfindenden Welt, lasse ich mich entspannt in einen sonnendurchfluteten Morgen gleiten. Keine Geräusche, außer denen der umblätternden Zeitung.

Wie aus dem Nichts kommend, steht die Mutter einer sich in der Öffentlichkeit spiegeln sollenden Leibesfrucht plötzlich, weit vor ihrer normalen Zeit, mitten in der Küche: „Und, ist er drin?“ „Weiß ich nicht, da bin ich noch nicht“, verkündet meine Vorfreude, die es liebt, sich langsam auf einen Höhepunkt hinzuarbeiten. Die Erotik des Alltags eines älter werdenden Menschen. Gutmütig deute ich an, sie möge sich doch setzen und weise auf den von mir schon gelesenen ersten Teil des Tagesblattes hin, der ordentlich gefaltet neben ihrem Teller liegt: „Möchtest du einen Cappuccino?“

Auf dem Weg zur Espressomaschine kann ich nur noch hilflos mit ansehen, wie alle meine Vorbereitungen für ein gemütliches Frühstück in den Abgrund getreten werden. Wild, fast schon hysterisch, wird die ordentlich auf einem Stapel neben meinem Teller liegende Restzeitung brutal durchwühlt. „Ach, da ist es ja - schön, schau mal, sieht er nicht gut aus auf dem Foto, zwischen Bogdan und Lisa, mit dem Bierglas in der Hand? Na, da wird Opa aber nicht sehr erfreut sein.“

Broch! Wie eine Monsterwelle knallen die Worte auf mein bis dahin friedliches Gemüt. Das häusliche Wetter verändert sich schlagartig. Aus nicht mehr heiterem Himmel bricht sich ein Taifun seine Bahn, mit mir als Opfer mittendrin. „Nein, ich möchte das jetzt nicht sehen!“, schreie ich die mich völlig verdutzt anschauende Frau an. Der italienische Kaffee schwappte aus der Tasse, die ich für sie bereitet habe: „Erst dann, wenn es an der Reihe ist!“

„Oiihh, juiii, juiii! Was ist denn mit dir los? Ich denke, du liebst das Strukturlose. Wirst du alt? Muss ich mir Sorgen machen? Habe ich dich morgen schon in meiner Gruppe?“ (Sie arbeitet in einem psychiatrischen Krankenhaus.)

Ein Blick von mir stoppt die unwürdige Situation. Schweigen breitet sich aus. Ich bringe ihr den Rest des Cappuccinos, setze mich ohne weitere Worte an meinen angestammten Platz und nehme die Zeitungslektüre wieder auf.

Wie von mir vorsorglich exakt geplant, will ich mich jetzt dem Braunschweiger Teil der Zeitung widmen, als ich den oben liegenden Wolfenbüttler Teil in den Händen halte. „Da, das ist das Ergebnis deines blinden Aktionismus. Jetzt bin ich mit Braunschweig noch nicht fertig und muss Wolfenbüttel lesen, um dann wieder in Braunschweig zu landen. Ist es das, was du wolltest?“

Ein Blick totalen Unverständnisses streift meine Seele, die bloß und verletzlich unter den Sonnenstrahlen auf dem Tisch, in einen nicht voraussehbaren Schatten geraten ist.

Tschongggg…! Ein alles durchdringender Ton kündigt eine spontane Heilung in der Aktivierung einem der Tageszeit adäquaten Bedürfnisses an. Der Toast ist fertig. Ich will ihn mit Philadelphia beschmieren, dazu einen kleinen Rettich aus dem Garten. Eine Hand löst sich von der Zeitung und ist fast am Frischkäse, als mir die Tagesgazette vor meinen Augen, brachial aus der anderen Hand gerissen wird. Ein hämischer Blick trifft meine entsetzten Augen. Von der anderen Seite des Tisches flötet es: „Sie war einsam, aber schneller“ - ein von mir in ähnlichen Situationen gern benutztes Zitat.

Das Telefon klingelt. Ein Freund ruft an und will wissen, wie es mir so geht. Ich erzähle ihm betrübt die Ereignisse des jungen Morgens. Er hört ruhig zu. Nachdem ich die Geschichte beendet habe, wird es still in der Leitung. „Was ist denn nun, Jürgen?“, lasse ich mich hören. Aus der Ruhe im Hörer kommen seine Worte: „Sie spricht wenigstens noch mit dir.“

Ohne weitere Kommentare räume ich den Tisch ab und wische geräuschlos die Krümel unter ihrer Tasse weg, um sie in ihrer Zeitungslektüre nicht zu stören.

Osterhasen küsst man nicht

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