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I. Pferderennen oder Fußball am Wasser? Sprachforscher sind unsicher beim Derby-Begriff

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Borussia Mönchengladbach – 1. FC Köln. Für die Anhänger die „Mutter aller Derbys“. Fohlen gegen Geißböcke. Bockige Ziegenmänner, deren auf „Hennes“ (Weisweiler) getauftes Maskottchen an Karneval 1950 als Zirkus-Geschenk seinen FC-Stall in Müngersdorf bezieht, fünf Kilometer weg vom Rhein. Übermütige Jungpferde, ab 1965 mit Borussias Bundesliga-Aufstieg unter dem Leitfohlen „Jünter“ (Netzer) auf dem magere 61 Meter hohen Bökelberg grasend. Doch was hat das mit Derby zu tun, ist es nicht eher ein Tier-Festival? Gemach, erst mal schauen, woher das Wort „Derby“ sprachhistorisch kommt und was es überhaupt bedeutet.

Einmal ist es belegt mit der Zuchtprüfung für dreijährige Vollbluthengste, die Edward Smith Stanley im Jahr 1780 als 12. Earl of Derby in England einführt („Epsom Derby“). Die Namensgebung nach dem Titel des Grafen wird durch einen Münzwurf ermittelt. Als „eine der großen Legenden des Galopprennsports“ bezeichnet der Handicapper Harald Siemen heute diesen Münzwurf, der einst entschieden habe, ob ein neues Pferderennen den Namen Derby oder Bunbury tragen sollte. Der Wurf erfolgt 1779 in Derbys Haus bei Epsom, als Sir Charles Bunbury bei der Siegerehrung nach einem Stutenrennen vorschlägt, eine ähnliche Prüfung auch für Hengste zu schaffen. Siemen: „Es ist geradezu absurd sich vorzustellen, die Münze wäre anders gefallen und nicht nur das berühmteste Pferderennen der Welt hieße heute ‚Bunbury‘, sondern auch alle anderen Ereignisse, die sich den Namen ‚Derby‘ angeeignet haben, um ihnen einen besonderen Klang zu geben.“

So weit diese Theorie zur Namensgebung. Eine andere basiert auf dem wilden Volksfußball, der seit dem Hochmittelalter auf den britischen Inseln nachgewiesen ist. Sein Wesen als Faschingsbelustigung führt zum Namen Derby, weil der „Royal Shrovetide Football“ seine älteste Ausprägung gleich in zwei Varianten in der Grafschaft Derbyshire hat. Einmal in der Stadt Derby selbst – als Wettstreit zwischen den Pfarreien All Saints und St. Peter‘s mit dem Fluss Derwent und dem Markeaton-Bach als (Tor-)Zielen. Zum anderen mit einem bis heute in Ashbourne geführten Duell am Karnevalsdienstag/Aschermittwoch: Die nördlich des Flusses Henmore Geborenen, die „Up’ards“, spielen gegen die aus dem Süden, die „Down’ards“ – auch hier Hunderte Aktive. Das Spielfeld misst fünf Kilometer, begrenzt durch Mühlsteine am Fluss als „Tore“. Der Spielort liegt 20 Kilometer von der Stadt Derby entfernt. Deren Name stammt wohl vom dänischen Deor-a-by (Dorf des Hirsches). Erwähnt wird er als Deoraby in der „Angelsächsischen Chronik“ des 9./10. Jahrhunderts.

2003 berichtet „BBC News“ über „the Shrovetide match as the world‘s oldest, largest, longest and maddest football game“, als Prinz Charles den Spielball zur Eröffnung unter die Teilnehmer wirft. 2009 hat die BBC weniger lustige Erklärungen über die Ursprünge auf Lager: Die populärste der vielen Theorien scheine zu sein, dass die „Kugel“ ursprünglich ein Kopf war, der nach einer Hinrichtung in die Menge geworfen wurde. Genaueres weiß man nicht, weil in den 1890er Jahren die historischen Unterlagen bei einem Brand im Büro des Shrovetide-Komitees vernichtet wurden.

Ob Pferderennen oder Fußball am Wasser – die Sprachforscher ringen um die Zuordnung. Wobei die Bezeichnung „Derby“ ohnehin nicht die seltenste ist. Es gibt zig Orte dieses Namens allein in den USA von Alabama bis Virginia. Dazu Autos, Fahrräder, Fernseher, Schuhe, Zigaretten, Käse, Mixgetränke und Pferdefutter. 1930 schreibt Edgar Wallace einen Krimi, der in der deutschen Übersetzung als „Der Derbyspieler“ erscheint. „Derby“ heißt ein deutscher Spielfilm von 1949 mit Hannelore Schroth und Willy Fritsch. Und in der Antarktis existiert eine Insel Derby, die aufgrund des Wettlaufs der Expeditionen ihren Namen erhielt.

Längst ist der Derby-Begriff so aufgeweicht wie das Henmore-Gestade in den East Midlands nach dem ausufernden englischen Karnevals-Massenkick aus dem Mittelalter. Die Bezeichnung für Fußballspiele galt und gilt in Deutschland vom Stadtderby (Bayern München – 1860) bis Lokalderby (Eintracht Frankfurt – Kickers Offenbach) über das älteste Regionalderby (1. FC Nürnberg – SpVgg. Fürth) bis zu noch größeren Einheiten wie dem Nordderby HSV – Werder. Manche Derbys sind auch einfach erfunden (Karnevalsderby 1. FC Köln – Mainz 05), um die Attraktivität künstlich zu erhöhen. Den Vogel schießt Berlin ab, als angeregt wird, das nächste Bundesliga-Heimspiel der Hertha gegen die erstmals aufgestiegenen „Eisernen“ von Union zum 30. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2019 auszutragen. Wenn schon kein echtes Stadtderby (vier Duelle in Liga 2 – Spott der „Süddeutschen“: „Sie kennen sich nur vom Hörensagen“), dann eben ein Einheits-Derby, wie man es 1990 schon mal „in Freundschaft“ gekickt hat. Nur: Union hat eigentlich keinen Bock drauf.

Doch Geißbock gegen Fohlen, das ist das „Rheinische Derby“. Dies sehen jedenfalls die Beteiligten so. Haben sie auch Recht? Oder kann man es sich so einfach machen wie das Magazin „11Freunde“ 2018: „Als rheinisches Derby gilt jegliche Kombination aus Fortuna Düsseldorf, Bayer Leverkusen, 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach.“ Dazu etwas Mathematik aus dem Grundkurs und flugs mit dem Binomialkoeffizienten die Anzahl der möglichen Derbys ausgerechnet (6). Dann noch unmathematisch draufgepackt das „Straßenbahnderby“ Fortuna – MSV Duisburg, weil es eine direkte Rheinbahn-Verbindung zwischen beiden Städten gibt. Macht sogar sieben potenzielle rheinische Derbys.

Ganz anders die „Frankfurter Rundschau“, die 2017 alle analytischen Segel streicht: „Es gibt kein wahres Derby, nur die Diskussion darüber, und die ist Teil der Folklore, die den Fußball so liebenswert macht.“ Selbst der Virtuose in Sachen Fußball-Fachwissen kann uns da nicht weiterhelfen: „The derby is always special“, sagt 2018 Ex-Fohlen Lothar Matthäus bei Sky Italia.

Da muss wohl etwas mehr Gründlichkeit her. Um die Ausgangsthese beurteilen zu können, sind zwei Fragen zu prüfen: Ist 1. FC Köln – Borussia Mönchengladbach ein Derby, und wenn ja, ist es das Derby im Rheinland oder gar darüber hinaus? Nicht einfach. Eine verbindliche Derby-Definition per Gesetz oder anderen Regeln gibt es nicht. In einem solchen Fall greift man gerne auf Wissenschaft, Forschung und Lehre zurück, doch auch da sieht es mager aus. Abhandlungen über Derbys – ob im Buch oder im Netz – erschöpfen sich meist in unsortierten Querschnitten oder willkürlichen Wertreihungen.

Eine Ausnahme macht der Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs, Prof. Dr. Christian Koller. Sein Beitrag „Das Derby – traditionelle sportliche Rivalitäten innerhalb und zwischen Städten“ beim Südwestdeutschen Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung wird 2008 veröffentlicht. Koller greift die etymologische Unsicherheit zur Herkunft des Begriffs auf und versteht Derbys einmal als Wettstreit zwischen Quartieren einer Stadt und zum anderen als Konfrontation mit Fremden. Auf Fußballklubs bezogen ist für ihn sportliche Konkurrenz auf Augenhöhe die „notwendige Voraussetzung“. Ähnlich der Sozialwissenschaftler Hartmut Hering aus Gelsenkirchen 2016 im „Deutschlandfunk“. Hering ist 2002 Herausgeber des Buch-Klassikers „Im Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets“. In einer „FAZ“-Rezension von damals heißt es: „Eine gewisse räumliche Nähe ist notwendig für ein Derby, aber sie reicht nicht aus. Dem Publizisten Hartmut Hering ist zuzustimmen, wenn er sagt, es müsse eine Geschichte dahinterstehen, damit aus einem Nachbarschaftsduell ein Derby werde.“

Der Schweizer Koller unterscheidet zwischen Derbys in einer Stadt mit den Varianten „Zweiverein“ und „Vielverein“ sowie Derbys zwischen Vereinen verschiedener Städte. Auch hier: Eine bloße örtliche Zuordnung reicht nicht automatisch. Laut Koller sind vielmehr die Rivalen zusätzlich mit Eigenschaften belegt, „die über die rein topographische Abgrenzung der Einzugsgebiete ihrer Anhängerschaft hinausreichen“. Ähnlich die Argumentation bei Partien zwischen Vereinen aus einander fremden Städten. Koller benennt als Derbys Spiele zwischen Klubs derselben Region (also eine strukturelle Erweiterung der Stadtderbys) sowie Spiele, denen „aus sportlichen oder außersportlichen Gründen traditionellerweise eine besondere Brisanz innewohnt“. Das wirkt nur bedingt präzise. Immerhin stellt Koller fest, dass es bei den Fremdpartien um Spiele geht, die erst dann einen Derby-Status bekommen, wenn gewisse Rivalitätsmuster vorher da sind. Zugleich geht mit dem Traditionen-Element einher, dass Derbys erkennbar Nachhaltigkeit haben müssen.

Legt man eine strenge Elle an, dann ebnet sich Kollers Systematik am Ende ein auf Spiele über einen längeren Zeitraum zwischen zwei gleich starken Klubs, die meist (aber eben nicht immer) benachbarte Standorte haben, immer aber über die vordergründige sportliche Konkurrenz hinaus eine besondere Rivalität zueinander besitzen.


Derby-Forscher: Der Züricher Uni-Professor Dr. Christian Koller, Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs. Foto: Privat

Auf dieser Basis lässt sich arbeiten. Dass Köln und Mönchengladbach einander fremde Gebietskörperschaften sind, ist nicht bestreitbar. Aber sie liegen doch jedenfalls in einer Region, im Rheinland? Hier kommen nun flink die ideologischen Erbsenzähler ins Spiel: Das Duell sei ja gar kein echtes rheinisches Derby, weil Gladbach nicht direkt am Rhein liege. Und damit können sie auch keine Rivalen sein, weil das aus dem Lateinischen („rivalis“) abgeleitet sei und jemanden bezeichnet, der bei der Nutzung eines Wasserlaufs eine Mitberechtigung hat … Umgekehrt wird ein (Fußball-)Schuh draus: Wem würde es wohl einfallen, den Rhein-Anrainer FSV Mainz 05 als Partner im Rheinischen Derby zu benennen?

Die kleinmütigen Bedenken treffen so oder ähnlich auch bei anderen Borussen-Derbys von einst und jetzt zu: die Niederrhein-Derbys gegen Fortuna Düsseldorf, den MSV Duisburg, vorher Meidericher SV, und Bayer Uerdingen. Oder das Grenzland-Derby gegen Alemannia Aachen. Nicht zu vergessen das Derby gegen den Rheydter Spielverein in den beiden nach dem Krieg noch (bzw. wieder) getrennten Städten. Original-Ton Borussia-Chronik: „Keine fünf Kilometer trennten Borussias langjährige Heimat, den Bökelberg, vom Zuhause des ‚Spö‘, wie die Rheydter Fußballfreunde ihren Spielverein liebevoll nennen.“ An hautnahen Vor-Ort-Duellen haben auch die Kölner von Beginn an reichlich – die Fortuna in der Südstadt etwa. Oder die rechtsrheinische Viktoria, vorher Preußen Dellbrück, innerhalb der eigenen Stadtmauern. Oder Bayer Leverkusen an der Stadtgrenze.

Es hat in der Nachkriegs-Fußballgeschichte eine Spielzeit gegeben, in der Kölner und Gladbacher die Rekordzahl von sieben (!) Rheinland-Duellen in einer höchsten deutschen Spielklasse absolvieren: 1953/54. In meinem Geburtsjahr sind in der Oberliga West neben den beiden weiterhin Fortuna Düsseldorf, Bayer Leverkusen, Alemannia Aachen, der Meidericher SV, der Rheydter Spielverein und Preußen Dellbrück versammelt. Von späteren Bundesligisten fehlen nur Rot-Weiß Oberhausen, 1951 aus der Oberliga abgestiegen, Fortuna Köln, 1952 aus der 2. Liga West abgestiegen, und Bayer 05 Uerdingen, das erst im Jahr 1953 mit den Werkssportabteilungen des Chemie-Konzerns fusioniert.

Eine Rarität schaffen die Kölner allein: Im Jahr 1983 spielen der FC und Fortuna Köln das bisher einzige Stadtduell in einem DFB-Pokalendspiel (1:0). Wo? Im Müngersdorfer Stadion.

Das einzig wahre Rheinische Derby

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