Читать книгу Che. Der Traum des Guerillero - Heinz-Joachim Simon - Страница 10

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Ein Stein im Strom des Lebens

Plötzlich befanden wir uns nicht mehr auf derselben Umlaufbahn. Erst bemerkten wir es gar nicht, weil so vieles auf uns einstürzte. Wir bestanden unser Examen und Che zog mit seinen Eltern nach Buenos Aires. Er kam zwar immer wieder nach Córdoba, um Chichina zu besuchen, aber die Abstände wurden immer größer. Ich bemerkte, dass es zwischen ihnen nicht mehr so innig war wie einst. Ganz nebenbei erwähnte er, dass er sich doch nicht für ein Ingenieurstudium, sondern für Medizin eingeschrieben hatte.

Wir saßen an unserem alten Platz am Ufer des Río Suquia, als er uns dies gestand.

»Als Ingenieur würde ich für die Reichen arbeiten. Als Mediziner kann ich allen Menschen helfen. Aber vorher mache ich mit Alberto Granado eine Reise durch Südamerika. Er hat ein Motorrad, das gut in Schuss ist.«

Chichina senkte den Kopf. Es war klar, dass ihre Beziehung diese Trennung kaum überstehen würde. Ich war zwar ein wenig verstimmt, dass er mich nicht als Reisebegleiter aufgefordert hatte, musste aber zugeben, dass ich dies ohnehin abgeschlagen hätte, da ich andere Ziele verfolgte. Aber fragen hätte er mich doch können. Seine Entscheidung, Medizin zu wählen, hielt ich für folgerichtig, entsprach es doch seinem Denken, dass jeder dazu beitragen sollte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Mit dem Bruder von Felix Hernández hatte ich bisher nicht abrechnen können, obwohl die Scham darüber, was er Esmeralda und mir angetan hatte, noch immer mein Gesicht brennen ließ. Juan Hernández war der Liebling der Stadt, weil er argentinischer Meister auf dem Motorrad geworden war. Ich las von ihm nur in der Zeitung und jedes Mal waren mir dabei die Hände feucht geworden.

Da ich noch nicht wusste, was ich studieren wollte, hatte ich mich als Gehilfe für die Landvermessung einstellen lassen, was zwar nicht viel einbrachte, aber immerhin eine Arbeit war, die ein wenig Köpfchen verlangte. Che hatte mir die Stellung vermittelt. Ich wurde sein Nachfolger. Kurzfristig hatte auch er als Landvermesser gearbeitet. Aber natürlich wollte ich immer noch ein argentinischer Balzac werden, wusste aber nicht, wie ich dies anstellen sollte. Ein Brief veränderte mein Leben. Er kam vom Chef der Zeitung Sierra de Córdoba. Obwohl ich bereits einige Artikel in seiner Zeitung hatte unterbringen können, war ich ihm noch nie persönlich begegnet. Che war über meine Schreiberei begeistert, besonders den Artikel fand er gut, in dem ich die Geschichte der argentinischen Indios geschildert und den Krieg gegen die Indianer im letzten Jahrhundert mit den Indianerkriegen der Yankees verglichen hatte. Es gab darüber einige erzürnte Leserbriefe, die von Nestbeschmutzung sprachen.

Es wäre ihm eine Ehre, wenn ich ihn aufsuchen würde. Mir blieb schier die Spucke weg. Mein Vater sah mich an, als müsse er sich erst mal darüber klar werden, ob ich tatsächlich sein Sohn war.

»Junge, selbst wenn er dir wegen der Indianergeschichte den Kopf wäscht, es ist eine Ehre, dass er dich kennt und obendrein zu einem Gespräch einlädt.«

Aber darüber machte ich mir keine Sorgen, denn ich wusste, dass ihm jeder Artikel zur Genehmigung vorgelegt wurde. Aber weswegen wollte er mich dann sprechen?

Francesco Cristóbal de Aranjaz war ein schwergewichtiger Mann mit einem scharfen Gesicht, der seine Abstammung auf die spanischen Vizekönige zurückführte. Seine Leute nannten ihn hinter seinem Rücken ›El Rey‹. Er empfing mich in seinem holzgetäfelten Büro in dem großen Verlagshaus, unweit der Plaza San Martín. Vorher befragte ich den Redakteur, einen kahlköpfigen Hagestolz, den ich nie ohne Zigarette im Mundwinkel angetroffen hatte.

»Was will Señor Aranjaz von mir? Ist es wegen der Indianergeschichte?«

»Er hat dich zu sich zitiert?«, staunte Broscutto, ein Italiener aus Bologna, der vor den Faschisten nach Argentinien geflüchtet war. Ich zeigte ihm den Brief.

»Es wäre ihm eine Ehre, wenn du ihn aufsuchen würdest? Donnerwetter! Nein, keine Ahnung, warum er dich sprechen will. Dann nimm die Beine in die Hand und lass dich von ihm beehren.«

Nachdem ich seiner Sekretärin den Brief gegeben hatte, sah diese mich freundlich an, so dass ich ruhiger wurde. Sie verschwand und kam nach kurzer Zeit zurück und deutete auf die Tür. Mit Herzklopfen betrat ich das Allerheiligste. Er musterte mich, zündete sich eine Zigarre an, lehnte sich zurück und wies auf den Sessel vor seinem Schreibtisch.

»Setz dich, Marc Mahon. Du willst also ein Balzac werden?«

Ich wurde rot und fragte mich, woher er das wusste.

»Dein Indianerartikel war viel zu literarisch und ich habe mich gefragt, ob wir ihn überhaupt aufnehmen. Aber in der Sache hattest du recht und es war so viel gut gemeinte Empörung darin, dass ich die Erlaubnis gegeben habe. Du musst noch viel lernen. Aber, zum Teufel, Talent hast du! Daraus musst du was machen.«

»Ich will studieren. Natürlich irgendetwas, was mit Literatur oder Schreiben zu tun hat. Aber wir haben das Geld dafür noch nicht zusammen. Ich arbeite zur Zeit als Landvermesser. Wenigstens lerne ich dadurch unsere neue Heimat kennen.«

Aranjaz zog an seiner Zigarre und blies ein paar Kringel in die Luft.

»Wie ich von Broscutto hörte, kannst du Französisch.«

»Meine Mutter ist Französin. Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Neben Deutsch und Spanisch kann ich auch noch Englisch.«

»Donnerwetter, vier Sprachen.«

»Ja. Die Begabung habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Der hat auch ein phänomenales Gedächtnis. Er spricht außerdem Polnisch und Italienisch.«

»Erstaunlich«, kommentierte er verblüfft. »Und warum sprichst du akzentfrei Spanisch?«

»Wir mussten aus Frankreich fliehen und haben ein Jahr in Portugal gelebt. Die Sprache dort weist ja eine gewisse Ähnlichkeit mit Spanisch auf.«

»Verstehe. Ich habe es also mit einer Familie von Sprachgenies zu tun.«

»Ich lerne sehr schnell.«

»So, so. Und dich anzupreisen verstehst du auch.«

»Ich kann mich schnell überall einleben. Als Jude muss man sich schnell eingewöhnen können.«

»Hm, du scheinst ja ungeheure Lebenserfahrung zu besitzen.« Sein Mund zuckte verdächtig und ich fragte mich, ob ich die Trommel nicht zu laut geschlagen hatte.

»Was hältst du davon, zurück nach Europa zu gehen?«

»Europa? Da ist unsereiner nicht sehr gefragt.«

Aranjaz griff über den Tisch, schlug den Humidor auf und deutete auf das Mahagonikästlein.

»Willst du eine Zigarre?«, fragte er.

Ich brauchte eine Schrecksekunde, ehe ich antwortete. Der große Aranjaz, ›El Rey‹, bot mir, dem kleinen, unbedeutenden Refugié, eine Zigarre an. Ich wollte erst verneinen, nickte dann aber. Er reichte mir schmunzelnd den Zigarrenabschneider und gab mir dann auch noch Feuer. Ich paffte weltmännisch ein paar Wolken und befahl mir, nicht in die Hose zu scheißen. Mein Hustenanfall verdarb ein wenig meine Vorstellung.

»Nun hör mal gut zu«, sagte Aranjaz lachend und wedelte dabei mit seiner Zigarre. »Ich habe einen guten Freund beim France Soir, der Mitglied eines Gremiums ist, das Stipendien für angehende Journalisten vergibt. Unter den zehn Auserwählten ist immer auch ein Ausländer. Wenn du willst, hast du das Stipendium. Frankreich hat eines der angesehensten Institute für Journalismus in Europa, vielleicht sogar in der Welt. Das monatliche Stipendium sichert dich einigermaßen ab, aber du bist ein gescheites Bürschchen und wirst dir mit deiner Vielsprachigkeit eine Anstellung in einem der Hotels sichern können.«

Ich wusste nun, dass der Messias erschienen war und mich unter seine Gefolgsleute aufgenommen hatte. Doch meine Freude fiel jäh zusammen. Wie sollte ich nach Europa kommen? Für einen Flug oder eine Schiffspassage hatte ich nicht das Geld. Aranjaz sah, dass sich meine Freude in Verzweiflung wandelte.

»Was ist, Junge?«

»Die Überfahrt«, druckste ich herum.

»Verstehe. Das neue Semester fängt im Herbst an. In den nächsten drei Monaten wirst du bei uns als ›Mädchen für alles‹ arbeiten. Vielleicht können wir dir hin und wieder auch ein Thema geben, über das du schreiben kannst. Dafür bezahlen wir dir das Ticket für den Flug und ein kleines Taschengeld für die ersten drei Monate in Paris, damit du über die Runden kommst und dir ein ordentliches Zimmer mieten kannst. Einverstanden?«

Ich schluckte. Der Messias lebte. »Einverstanden!«, stotterte ich. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar …«

»Schon gut!«, schnauzte Aranjaz. »Du fängst morgen an und meldest dich bei Broscutto. Pünktlich um fünf Uhr beginnt dein Dienst. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Ich spreche nachher mit Broscutto. Er wird dich unter seine Fittiche nehmen. Nun schwirr ab und nutze deine Chance! Ich will in einigen Jahren hören, dass du etwas aus dir gemacht hast.«

Ich stolperte hinaus und lief nach Hause. Mein Vater war gerade im Labor fertig geworden, wo er Hochzeitsfotos entwickelt hatte. Als er mein Gesicht sah, starrte er mich irritiert an.

»Was ist passiert? Bist du dem Golem begegnet?«

»Nein. Dem Messias.«

»Junge, du lästerst.«

Ich erzählte ihm von dem Gespräch mit Francesco Cristóbal de Aranjaz und er umarmte mich. Er war ein Mann, der sich nur selten in Zärtlichkeiten ausdrückte, dazu hatte ihn das Schicksal zu sehr durchgewalkt. Aber diesmal hatte er Tränen in den Augen.

»Ein Wunder!«, stammelte er und rief nach hinten zur Wohnung hin. »Mutter, komm doch!«

Ich musste noch einmal wortwörtlich das Gespräch wiedergeben.

»Vielleicht will Gott etwas an uns gutmachen«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht hat er zu dem Señor Aranjaz einen Engel geschickt.«

»Er wird so fern von uns sein«, klagte die Mutter. »Aber wenigstens ist es Frankreich und nicht Deutschland oder Italien.«

»Begreifst du nicht, Mutter? Er hat die Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Das haben wir uns doch immer für ihn gewünscht. Wir wollen doch, dass er ein gutes Leben hat. Sei glücklich! Heute gehen wir in die Synagoge.«

Als ich mich am nächsten Tag bei Broscutto meldete, empfing er mich schmunzelnd.

»Paris? Dann wirst du wohl eines Tages ein berühmter Journalist werden. Da haben sich deine Eltern gefreut.«

»Ja. Mein Vater hat seinen Glauben wiedergefunden. Wir waren sogar in der Synagoge.«

»Was macht dein Vater?«

Ich sagte es ihm.

»Spricht er so gut Spanisch wie du?«

»Er spricht es wie seine Muttersprache. Mein Vater hat ein Gedächtnis wie ein Elefant.«

»Gut. Er soll morgen Abend mal bei uns reinschauen. Wir brauchen einen Lektor. Den letzten hat der Chef rausgeschmissen, da er oberflächlich war. Dein Vater kann jeden Abend vor der Druckfreigabe lektorieren und sich dadurch ein gutes Zubrot verdienen.«

So endete von diesem Tag an die Not im Haus Mahon.

Als ich Che bei seinem nächsten Besuch davon erzählte, freute er sich, als hätte sich damit auch für ihn der Himmel aufgetan.

»Wir werden uns zwar auf Jahre nicht sehen, aber das ist wohl der Preis dafür, dass wir erwachsen werden«, stellte er fest. Manchmal klang Che so weise wie Rabbi Akiba. »Ich will mich, sobald ich den Doktor habe, auf die Reise durch Südamerika machen«, fuhr er fort. »Ich bin hauptsächlich gekommen, um mich von Chichina zu verabschieden. Es ist uns beiden klar, dass dies ein Ende unserer Liebe sein kann. Doch bin ich nicht nur deswegen gekommen.«

Er holte einen Revolver hervor und gab ihn mir.

»Wir haben hier noch etwas zu erledigen. Das Verbrechen muss gesühnt werden.«

Er hatte recht. Ich hörte wieder die Stimme von Juan Hernández: »Du Jude … du Jude … du!«, und sah vor meinem geistigen Auge Esmeralda auf dem Boden liegen und die Nazibande grölte und Hernández fickte auch sie.

»Kümmere dich um seine Gewohnheiten. Ich komme nächste Woche noch einmal mit Alberto Granado vorbei. Dann kümmern wir uns um das Faschistenschwein.«

Ich hatte also eine Woche Zeit, Juan Hernández’ Gewohnheiten auszuspionieren. Mein Hintern brannte bei dem Gedanken. Der große Motorradchampion kurierte gerade die Folgen eines Motorradunfalls aus. Ich konnte mich jedoch nur nach Feierabend um den Bastard kümmern, da ich in der Redaktion mit tausenden von Arbeiten eingedeckt wurde, wozu auch so wichtige Tätigkeiten wie Kaffeekochen und Ablage in der Registratur gehörten. Aber ich nahm selbst die ungewöhnlichsten Aufträge ohne Murren entgegen, wie die Autos der Redakteure zu waschen oder die Druckmaschinen zu reinigen. Das war der Preis für ein besseres Leben.

Juan Hernández arbeitete, wenn er nicht Rennen fuhr, als Aufpasser in einem Spielsalon in der Nähe der Plaza Martín, unweit der Stelle, wo er mich einst penetriert hatte. Nach Feierabend ging er selten gleich nach Hause, sondern kehrte in der Bodega ›Baleadores‹ ein, um danach mit seinen Motorradfans Billard zu spielen. Dabei tranken sie Unmengen Bier und Tequila. Meistens war er ziemlich angetrunken, wenn er sich nach Haus aufmachte. Samstagabend ging er in ein Bordell am Rand der Stadt, das dicht am Fluss lag. Es war eine verrufene Gegend und das Bordell ›Chica‹ war das verrufenste von allen. Es hieß, dass dort auch Päderasten verkehrten. Nacht für Nacht schlich ich mich aus dem Haus und ging zum Fluss, beobachtete den Puff und machte mich außerdem mit der Waffe vertraut. Einmal gab ich sogar einen Probeschuss ab. Das musste reichen. In der Trommel waren jetzt nur noch fünf Patronen. Weitere Munition hatte ich nicht. Es war ein Colt von Remington, ein riesiges Schießeisen, wie es John Wayne trug, ein Fünfundvierziger mit einem harten Rückschlag. Ich hoffte, trotz des einzigen Schusses mit der Waffe zurechtzukommen.

Als Ernesto mit seinem Freund auf dem Motorrad eintraf, war er stolz wie ein Spanier. Obwohl es mich nicht sehr interessierte, tat ich ihm den Gefallen und hörte ihm aufmerksam zu, als er mir die Vorzüge des Motors erklärte. Für mich sah das Ding nur alt aus, aber ich hatte auch keine Ahnung von Motorrädern. Meine Eltern waren natürlich einverstanden, dass meine Freunde bei uns nächtigten. Mutter sorgte mit vielen Decken dafür, dass sie es einigermaßen bequem hatten.

»Wir werden während unserer Reise meist auf nacktem Boden schlafen«, beruhigte Ernesto meine Mutter. Seinem Freund gegenüber gab er zu verstehen, dass er am Samstag auf uns verzichten müsste, da es eine Abschiedsparty mit Freundinnen gäbe. Es klang nicht sehr glaubwürdig, aber Granado nahm es hin. Von Che war er sicher bereits ganz andere Geschichten gewöhnt. Er war auch viel zu sehr mit den Landkarten beschäftigt, um die richtige Route durch Südamerika auszubaldowern.

Es war drei Uhr, als wir uns Samstagnacht zum Bordell aufmachten. Wir stellten uns dem Bordell gegenüber unter eine Akazie und fassten uns in Geduld.

»Hast du Angst?«, fragte mich Ernesto.

»Ja, dass ich ihn nicht treffe.«

»Ich meine Angst davor, einen Menschen zu töten.«

Ich prüfte mich. »Nein. Davor habe ich keine Angst. Mich ärgert nur, dass ich kein Arschficker bin.«

»Verstehe, Kochba. Jeder, der cojones hat, würde das verstehen. Schieß ihm seinen verdammten Schwanz ab!«

Wir mussten fast zwei Stunden warten, ehe Hernández aus dem ›Chica‹ heraustaumelte. Mühsam das Gleichgewicht haltend, bog er in eine Straße ein, die im funzligen Licht der wenigen Laternen vor sich hindämmerte. Die Straße war ungepflastert. Es hatte am Nachmittag geregnet und die Pfützen schimmerten in einem öligen Gelb. Eine Katze begleitete ihn eine Zeitlang. Wir gingen ihm nach. Wenn er unsere Schritte gehört haben sollte, dann verweigerte ihm sein Gehirn die Erkenntnis, verfolgt zu werden. Es geschah in einer verlorenen, elenden Straße, die niemand aus der Stadtmitte kennen wollte. Wir gingen nun dicht hinter ihm.

»He, Arierschwein! Heute bitten wir dich zum Rendezvous«, sagte Ernesto.

Hernández drehte sich um und musterte uns. Plötzlich ging ihm ein Licht auf.

»Du bist doch der Judenbengel!«, sagte er zu mir.

»Du sagst es. Und ich will dir etwas zurückzahlen.«

»Haut ab, sonst mach ich euch alle!«

»Was für Ausdrücke er hat!«, kommentierte Ernesto.

»So reden Mörder. Das hat er von seinem Vater gelernt, der sicher bei den Totenkopfverbänden der SS war.«

»Was weißt du Judenbengel von der SS? Mit euch werde ich allemal fertig.«

Er zog ein Messer von beachtlicher Länge aus der Tasche. Die Klinge glitzerte gefährlich.

»Jetzt!«, sagte Ernesto. »Töte ihn.«

Ich zog den Revolver heraus und schoss ihm in die Schulter. Aus der kurzen Entfernung konnte ich ihn nicht verfehlen. Die Wucht des Schusses streckte ihn zu Boden. Vom Rückschlag tat mir der Daumen weh. Ängstlich und unter Schock starrte er mich an.

»Dreh dich um!«, befahl ich.

Er dachte nun, dass ich mit ihm das Gleiche vorhatte wie er seinerzeit, als er mir seinen Schwanz in den Anus jagte. Er dachte wohl, dass er dies überstehen würde und sah es als kleineres Übel an und drehte sich um. Ich drückte ihm den Lauf in die Kerbe seiner Hose und drückte ab. Er jaulte auf und bewegte sich nicht mehr. »Das war noch besser«, kommentierte Ernesto. »Ist er tot?«

Um sicher zu gehen, schoss ich noch einmal in den Kopf. Die Regenpfütze neben ihm färbte sich rot.

»Der fickt niemanden mehr, weder Männchen noch Weibchen«, sagte Ernesto. »Doch nun komm!«

Der Schuss hatte niemanden auf die Straße gelockt. Hier mischte sich keiner ein. Wir nahmen Hernández auf, schleppten ihn bis zum Ufer des Flusses und warfen ihn dort ins Wasser.

»Hoffentlich wird er nicht gleich gefunden.«

»Die Strömung wird ihn forttragen«, beruhigte mich Ernesto.

Ich warf die Waffe ein paar Meter weiter in hohem Bogen ins Wasser.

»So ist es richtig«, stimmte Ernesto zu. »Übrigens, du hast cojones. Wirklich! Wenn ich mal in einer gefährlichen Situation bin, hätte ich dich gern an meiner Seite.«

Damals wussten wir nicht, dass sich dieser Wunsch erfüllen würde. Ich staunte auch über mich selbst. Wie konnte ich nur so verdammt ruhig töten? Im Büro von Francisco Cristóbal de Aranjaz war ich aufgeregter gewesen. Ich war mir nicht so sicher, dass das, was ich an mir beobachtete, eine so tolle Eigenschaft war, und ich sagte es Che.

»Mach dir jetzt bloß keine Vorwürfe. Er war ein Faschistenschwein und hat dich vergewaltigt und halb totgeschlagen. Du kannst Esmeralda schreiben, dass du den Anführer der Kerle zum Teufel geschickt hast.«

Ich schrieb ihr nicht. Hernández wurde nie gefunden. Er bekam einen Artikel in der Zeitung und man suchte die Gegend nach ihm ab, tat dies aber mehr der Form halber und gab schnell auf.

Wortlos gingen wir nach Hause. Ich hatte einen Menschen getötet und bedauerte es nicht und gerade das beschäftigte mich. Ernesto war bereits in Gedanken bei seiner großen Südamerikareise. Am nächsten Tag verabschiedeten sich die beiden Globetrotter.

»Mach es gut, was du auch machst«, sagte Ernesto zum Abschied. »Mach es mit Begeisterung, dann wird auch was draus!« Er spielte zum Abschied noch einmal den großen Bruder. Wir küssten uns die Wangen und klopften uns die Rücken.

»Ich hoffe, auch du findest deinen Weg.«

»Das werde ich!«, erwiderte Ernesto nachdenklich. »Ich werde meinen Stern finden und dann auf seinem Schweif den Himmel erhellen.«

Das war ein großer Anspruch. Aber ich traute ihm zu, dass er diesen einlösen würde. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass er so bekannt wie Jesus sein würde, hätte ich das natürlich für eine maßlose Übertreibung gehalten.

Ich sah lange dem Motorrad nach. Ernesto saß auf dem Rücksitz und winkte, so lange ich ihn sehen konnte …

Che. Der Traum des Guerillero

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