Читать книгу Che. Der Traum des Guerillero - Heinz-Joachim Simon - Страница 12

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Die Musik vor Beginn der Corrida

Die Zeitschrift Life schickte mich nach Mexiko. Es war das Beste, was einem Journalisten passieren konnte. Ein Life-Journalist zu sein war wie ein Ritterschlag. Dafür, dass alle staunten, sorgte der Patriarch. Dabei war es durchaus eine nachvollziehbare Entscheidung von den Life-Leuten, mich damit zu beauftragen. Ich hatte eine Serie über spanische Stierkämpfer in Paris Match veröffentlicht, insbesondere über die miteinander rivalisierenden Schwäger Dominguin und Ordoñez. Aus diesem Grund hielt man mich für kompetent, über den Machismo in Mexiko zu schreiben. Vielleicht lag es auch daran, dass sie auf die Schnelle keinen Topjournalisten fanden, der genügend Spanisch konnte. Ein Bericht über mexikanische Stierkämpfer wäre eine leichte Übung gewesen und genug Beleg dafür, dass die mexikanischen Männer stolz auf ihr Machotum waren. Nein, ich sollte auch über die Macht der Drogenmafia berichten, über ihre Rituale mit dem ganzen Männlichkeitsgetue. In meiner Naivität sagte ich zu, nicht weil mich das Thema begeisterte, sondern weil ich vorhatte, nach Fertigstellung der Story nach Argentinien weiterzufliegen, um meine Eltern in Córdoba zu besuchen, mit denen ich seit Jahren nur in schriftlichem Kontakt stand. Als Sohn war ich für sie seit Jahren ein Ausfall. Aber sie waren trotzdem stolz auf meine Erfolge und wenn ein Artikel von mir in einer US-Zeitschrift erschien, schrieben sie mir, wie glücklich sie wären. Wenn ich an die beiden Alten dachte, bekam ich immer ein schlechtes Gewissen.

Mexico-City ist keine Stadt, sondern ein Albtraum. Bist du arm, ist sie die Vorhölle. Die Stadt liegt 2.240 Meter über dem Meeresspiegel zwischen zwei mit dichten Wäldern bedeckten Bergketten, las ich in meinem Baedeker. Aber diese dürren Worte sagten nichts über die Wirklichkeit der Stadt, die schön und zugleich hässlich, wohlgeordnet und auch chaotisch ist. Neben geschichtsträchtigen Kolonialbauten stehen in provozierender Dürftigkeit die Wolkenkratzer der Moderne. Pomp und Armut liegen nur einen Steinwurf weit voneinander entfernt. Und in manchen Gassen, in denen die Häuser auf den Ruinen des einstigen Tenochtitlán bestehen, spürt man noch immer den Geist von Montezuma und Cuauhtémoc, dem letzten Aztekenkaiser.

Als ich aus dem Flugzeug stieg und mit dem Taxi in die Innenstadt fuhr, bekam ich gleich den richtigen Eindruck, der sich auch später nicht verflüchtigte. Ein Sandsturm wehte in die Stadt hinein und verdeckte die Sonne hinter einem Schleier. Ein fahles gelbliches Licht lag über den Dächern mit den Wassertanks. Die Vorstädte waren so schlimm wie die von Delhi, das ich für den westdeutschen Spiegel besucht hatte, um über die Auswirkungen des Kastenwesens zu berichten. Wellblechhütten, Bretterbuden mit rachitisch aussehenden Kindern davor. Fast übergangslos wurde es dann pompöser. Prächtigere Kirchen gab es nicht einmal in Rom. Die Regierungsbauten vermittelten den Eindruck von Macht und Stärke, was in Mexikos Geschichte aber Gewalt und Ausbeutung bedeutete. In verdreckten Straßen sah ich Menschen wie verloren an den Ecken stehen, als warteten sie darauf, von Totenkarren aufgesammelt zu werden.

Als wir am Zócalo vorbeikamen, wo die großen Alleen mündeten und der Nationalpalast, die Kathedrale Metropolitana und der Palast des Obersten Gerichtshofes standen, erschien mir die Leere des riesigen Platzes wie eine Wunde, die seit Cortez’ Frevel nicht verheilt war. Die City von Mexiko-Stadt wurde auf dem Tempel des alten Tenochtitlán errichtet, auf den Knochen tausender hingemetzelter Azteken.

Mein Taxifahrer in dem alten, nach Tabak stinkenden Volkswagen hörte nicht eine Minute auf zu reden und erzählte von Kirchen, Schlössern und Ruinen, die ich unbedingt besuchen müsse, verbunden mit dem Angebot, mich überall hinzufahren und mir einen Spezialpreis zu gewähren.

Ich hatte einstweilen keine Lust auf eine Sightseeing-Tour und ließ mich zur Zeitung Pancho Villa kutschieren, einem linksliberalen Blatt, das mir der Redakteur von Life empfohlen hatte. Es lag nicht weit des Zócalo in der Madero-Allee. Die Redaktionsräume sahen aus wie bei uns in Frankreich, nur der Grad der Verwahrlosung war noch ein wenig stärker ausgeprägt. An der Decke drehten sich große Ventilatorenflügel und verteilten die rauchgeschwängerte Luft. Aus dem offenen Fenster strömten der Lärm der Straße und der Gestank der Abgase herein. Um dies zu übertönen, musste jeder schreien, um sich verständlich zu machen. Die meistgebrauchten Wörter waren »Hurensohn«, »Leck mich«, »Arschficker« und »Schwanzlutscher«. Jeder Kommentar endete mit einem Vorwurf oder einer Beleidigung über die erotischen Vorlieben des Gesprächspartners. Doch kurz darauf wurde gelacht und auf die Schultern geklopft und plötzlich kreiste eine Flasche Tequila. Man war in ständiger Erregung und die Welt vor dem Untergang. Als ich jemanden nach dem Büro des Chefredakteurs fragte, sah man mich an, als wäre ich eine Erscheinung.

»Eh, ein Gringo?«, staunte ein kleiner, untersetzter Mann mit dem Gesicht eines Mestizen und dann sprudelte er los. Ich verstand kein Wort, aber wenigstens zeigte er die Richtung an. Hinter einer dicken Tür traf ich auf eine Frau mit wilden dunklen Augen und dem Blick der Katy Jurado in »High Noon«, geheimnisvoll, lasziv und vereinnahmend. Ihre lockigen Haare hingen ihr wie die Schlangen der Medusa bis in den Nacken. Als ich nach Esteban Juan Jesús Colorado fragte und mich vorstellte, bekam ich ein Lächeln, das den Papst zum Protestantismus bekehrt hätte.

»Wir haben Sie schon erwartet, Señor Mahon.« Sie nahm den Hörer ab, drückte einen Knopf und sprach zu jemandem, mich dabei unverwandt musternd, als wolle sie in meine Seele sehen.

»Wie ein Franzose sehen Sie aber nicht aus«, sagte sie mit einer tiefen, gutturalen Stimme, die sehr entschlossen und bestimmt klang. »Ich hätte Sie eher für einen Deutschen gehalten oder für einen Gringo aus Boston oder New Hampshire.«

»Ich bin in Deutschland geboren, in Argentinien aufgewachsen und lebe in Frankreich.«

»Hört sich nach einer komplizierten Person an, wenn Sie von all diesen Ländern etwas mitbekommen haben«, sagte sie nachdenklich. »Ach ja, Sie können hineingehen. Esteban erwartet Sie.«

Colorado war mir als Kontaktperson und als Guide empfohlen worden.

»Er ist ein Schlitzohr, Gauner und Hurensohn, aber ein hervorragender Journalist. Absolut zuverlässig und ein guter Kamerad«, hatte der Chefredakteur Ewing von Time ihn mir geschildert. Es waren ein paar sehr widersprüchliche Eigenschaften, aber die brauchte man wohl, um hier zurechtzukommen.

Er saß vor einem Misthaufen von Papier. Der Teppich war mit Kaffee- und Brandflecken übersät. Auf dem Fußboden lagen Zigarrenstummel und Pappteller mit Essensresten. Wie konnte man in so einem Saustall arbeiten? Er konnte es und nach Ewings Worten sogar erfolgreich.

»Ha, der Gringo aus Frankreich! Willkommen im verrücktesten Land der Erde!«, brüllte er, sprang auf und nahm mich in die Arme und küsste mir feucht die Wangen. Er tat so, als wären wir Schwippcousins, fegte ein paar Papiere vom Sessel und bat mich Platz zu nehmen. Er war muskulös und untersetzt und hatte einen Schnurrbart, um den ihn selbst der dritte Napoleon beneidet hätte. Der sündhaft schönen Señora bellte er zu, dass sie eine neue Flasche Tequila besorgen solle, schließlich habe er einen Gast aus Frankreich zu bewirten.

»Du solltest Señor Mahon nicht gleich die schlechten Angewohnheiten mexikanischer Machos vorführen«, gab diese zurück, nahm den Geldschein aus Colorados Hand und stöckelte hinaus. Sie schwenkte dabei den Hintern so gekonnt, dass ich ein paar sündige Gedanken bekam. Colorado musterte mich und grinste verständnisvoll.

»Ja, die mexikanischen Frauen verstehen uns Männern kräftig einzuheizen und Marizia ist eine Königin darin. Doch nun zu dir, Amigo. Was kann ich für dich tun?«

Ich schilderte ihm meinen Auftrag. Er bekam Augen wie Wagenräder.

»Ha, sind die New Yorker verrückt geworden? Das mit dem Machismo ist kein Problem, wir haben genug Corridas, Hahnenkämpfe und Rodeos. Aber die Sache mit den Drogenkartellen ist absoluter Wahnsinn. Die haben dich auf eine Reise ohne Wiederkehr geschickt. Einen ihrer Leute wollten die verdammten Yankees damit nicht beauftragen, also schicken sie ein europäisches Greenhorn mit dem Scheißauftrag los.«

»Ich bin kein Europäer«, stellte ich richtig.

»Ha?«, machte er nur.

Als ich ihm von Argentinien erzählte, wurde seine Miene nicht freundlicher. »Also, ein verdammter arroganter Argentinier mit deutschen Wurzeln. Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt.«

Dazu muss man wissen, dass die Argentinier in ganz Südamerika als arrogant, eingebildet und aggressiv gelten. Ich konnte das nicht so stehen lassen und verteidigte meine Heimat, denn, von den Hernández-Brüdern einmal abgesehen, die eigentlich Deutsche waren, konnte ich eigentlich nur Gutes über Argentinien sagen. Es gab dort nicht mehr Gauner als anderswo.

Marizia kam mit der Flasche Tequila zurück, stellte sie auf den Tisch, stützte die Hände in die schmalen Hüften und wartete.

»Schon gut, meine Hübsche, wir brauchen dich nicht mehr.«

Marizia schüttelte ihre Schlangenmähne.

»Erstens könntest du mir einen Tequila anbieten – schließlich habe ich fast bis zum Zócalo laufen müssen – und zweitens würde ich gern verhindern, dass der Besuch von Señor Mahon zu einem Abstecher in ein mexikanisches Bordell ausgenutzt wird.«

Wenn ich nun dachte, dass Esteban Juan Jesús Colorado einen Wutanfall bekommen würde, wurde ich enttäuscht. Er lächelte verlegen und wedelte mit der Hand, was so viel bedeuten konnte wie »Ach, diese Weiber«.

Marizia holte aus einem Schrank drei Gläser, hielt sie gegen das Licht, nickte zufrieden und goss, ohne Einwände abzuwarten, drei Gläser voll und verteilte sie.

»Auf eine gute Zeit in Mexiko, Señor Mahon. Herzlich willkommen«, sagte sie und hob das Glas. Esteban nickte eifrig.

»Herzlich willkommen«, nuschelte er.

Sie kippten den Schnaps hinunter und ich tat es ihnen nach und bekam einen Hustenanfall, der bei den beiden ein amüsiertes Gelächter auslöste. Marizia klopfte mir den Rücken und fragte besorgt: »Geht’s noch, Gringo?«

»Was ist das?«, keuchte ich. »Spiritus?«

»Ach was, normaler Tequila. Nachher werden wir einen Mezcal Gusano de Oro trinken, dann wirst du wissen, was ein richtiger Schnaps ist«, erklärte Esteban. »Du musst dich daran gewöhnen. Wir Mexikaner sind alle große Säufer.«

»Also, Gringo, was führt dich nach Mexiko?«, fragte Marizia ungeniert.

»Das geht dich nichts an!«, brüllte Esteban. »Nun raus mit dir! Sie ist so neugierig wie ein syrischer Geldverleiher.«

»Ich bin außerdem Jude«, nahm ich das Gespräch über meine Identität wieder auf.

Esteban machte ein betroffenes Gesicht. »Was nicht noch?«

»Tja, bei mir kommt einiges zusammen.«

»Na, Schwamm drüber! Hauptsache, du bist ein Kerl. Was ist, Marizia? Hast du dich noch nicht verzogen?«

Marizia winkte höhnisch ab.

»Na warte, ich zahl es dir heim, wenn du mich wieder mal anschmachtest.«

»Ach, Täubchen, versteh doch. Wir haben ein ernsthaftes Männergespräch zu führen.«

»Dein Schwanz ist für mich ohnehin gestorben«, fauchte sie und ging hinaus. Colorado sah etwas verlegen drein.

»Sie übertreibt immer, unsere gute Marizia.«

Mir war nun klar, dass die beiden mehr verband als eine normale Arbeitsbeziehung und ich war ein wenig enttäuscht darüber. Nicht, dass ich mir bereits Chancen ausgemalt hätte, diese Schönheit zu erobern, aber ihre glutvollen Augen hatten meinen Pulsschlag beschleunigt.

»Sie ist eine Hexe und hat den Teufel in sich!«, schickte Esteban als Erklärung hinterher.

Ich fragte nicht, was sie nun sei, ein Teufel oder nur eine Hexe.

»Also, Esteban, kannst du mir helfen?«, kam ich auf mein eigentliches Anliegen zurück. Colorado schenkte zwei neue Gläser ein, nickte mir auffordernd zu und wieder protestierten meine Magenwände bei dem scharfen Zeug.

»Tja, Amigo, das kann ich tatsächlich. Die Oberhäupter der Drogenbanden sind mir alle bekannt.«

»Tatsächlich? Und die Polizei verhaftet sie nicht?«

Colorado bekam einen Lachanfall, so dass ich schon Angst hatte, dass er daran ersticken würde.

»Oh, Amigo, man sieht, dass du so ahnungslos und vertrauensselig wie die Jungfrau von Guadeloupe bist. Den Drogenbaronen gehören der Staat, die Minister, die Polizei, sogar das Militär. Alle sind gekauft. Sogar Präsidenten hatten sie schon in der Tasche. So läuft das hier bei uns.«

»Und warum lässt man sich das gefallen?«

»Bist du so naiv oder tust du nur so? Bei den Wahlen mischen sie tüchtig mit. Sie versorgen ihre Kandidaten mit Geld und bekommen sie dadurch in die höchsten Ämter. Wenn wir im Pancho Villa etwas gegen sie schreiben würden, wären unsere Redaktionsräume am nächsten Tag Kleinholz. Wenn wir dann noch nicht kapiert hätten, wäre ich am nächsten Tag eine Leiche. Doch nun lass uns in eine kleine Cantina gehen, etwas essen und ein wenig deinen ersten Tag in Mexiko feiern. Ich erkläre dir, wie wir es machen werden, ohne dass wir beide zu Schaden kommen.«

Er nahm seine Jacke vom Haken. Marizia, die in seinem Vorzimmer an der Schreibmaschine saß und lustlos auf eine riesige Triumph Adler einhackte, sah hoch.

»Meine Kleine, wir gehen ein wenig Marc Mahons Ankunft feiern. Willst du nicht mitkommen?«

»Du willst mich doch danach nur …«

»Nein, Täubchen. Heute doch nicht.«

Sie sah ihren Chef kritisch an. Als ihr Blick auf mich fiel, wurde er weicher.

»Na gut, vielleicht komme ich nach, um aufzupassen, dass du Señor Mahon zu keinem Unsinn verführst. Ich muss hier noch dein Geschreibsel für einen Brief an den Abgeordneten Mequito entziffern.«

Wir gingen zum Zócalo und nahmen ein Taxi zum Chapultepec-Wald, einem Vergnügungspark an einem See, und setzten uns in eine Bodega mit dem Namen Hombre, ein Lokal, das auch in Madrid keinen schlechten Eindruck gemacht hätte. Das Personal begrüßte Esteban mit großem Hallo. Wir mussten viele Hände schütteln und bekamen einen Tisch, der etwas abseits lag, von dem man gleichwohl eine gute Sicht über das Lokal und den davor liegenden See hatte. Esteban bestellte Bier, Tequila und ein Gericht, von dem ich noch nie gehört hatte, was sich aber auf meine Frage hin als Rippchen mit Bohnen herausstellte.

»Fangen wir an«, sagte Esteban gewichtig. »Sieh dir die Leute an dem runden Tisch neben dem Eingang an.«

Es waren sieben Männer, die dunkle Jacken trugen, schwarze Hüte und rote Bermudashorts. Ihre Socken wurden von Sockenhaltern in der gleichen Farbe gehalten. Ihre schwarzen Schuhe blitzten wie die Stiefel von Kavallerieoffizieren. Sie hatten dunkle, harte Gesichter und redeten mit großen Gesten aufeinander ein. »Was ist mit denen? Sympathisch sehen sie nicht gerade aus.«

Colorado kicherte.

»Die sehen nicht nur unsympathisch aus, sondern sind es auch! Leutnants der Juarezbande. Es ist der zur Zeit mächtigste Clan hier.«

Das Essen kam und da ich Hunger hatte, schaufelte ich mir eine Mischung aus Bohnen und Mais auf den Teller, die so scharf war, dass ich erneut einen Hustenanfall bekam und Esteban meinen Rücken malträtieren musste. Die Rippchen waren dagegen ausgezeichnet. Natürlich wurde das Essen von einem Mezcal Gusano de Oro begleitet, den man trank, nachdem man eine Prise Chilisalz in der Handbeuge zwischen Daumen und Zeigefinger zu sich genommen hatte. Dass in der Flasche ein Wurm schwamm, machte mir dann auch schon nichts mehr aus.

»Man muss Feuer mit Feuer bekämpfen«, erklärte Colorado.

Ich konnte nur mit einem Schluck Bier einen erneuten Hustenanfall verhindern. Ein hochgewachsener, sportlich schlanker Polizist betrat das Restaurant. Er trug eine schmucke schwarze Uniform mit viel Lametta und Orden auf der Brust. Er ging zu dem Juareztisch, setzte sich und sie begrüßten sich, indem sie ihre Fäuste gegeneinander schlugen.

»Das ist Arrios, der Hauptmann der hiesigen Stadtpolizei.«

»Und der verhaftet die Dealer nicht?«

»Warum sollte er das tun? Hier sitzt seine beste Einnahmequelle.« Esteban wies mit dem Kopf zur Tür. »Es kommt noch besser. Du bekommst heute einen richtigen Anschauungsunterricht über die hiesigen Verhältnisse.«

Ein elegant aussehender Mann in einem weißen Anzug war eingetreten und steuerte den Juareztisch an.

»Der Häuptling der Bande?«, fragte ich.

»Nein. Der Direktor der größten amerikanischen Bank. Sein Name ist, wenn wir alle anderen Vornamen mal weglassen, Marquez. Er begrüßt gerade seine besten Geschäftspartner.«

»Heiliger Güemes, da habe ich mir ja den richtigen Job andrehen lassen.«

»Deine Amis haben sich schon den richtigen Mann ausgesucht. Wenn sie einen richtigen Yankee hierhergeschickt hätten, wäre seine Lebenserwartung sehr gering gewesen. Die Juarezleute mögen keine Journalisten und noch weniger einen Yankee, obwohl sie Yankeedollars kräftig einsacken.«

Marquez verteilte Zigarren. Sein schwarzes Haar glänzte wie Ebenholz.

»Sicher Havannas!«, brummte Esteban neidisch.

Nun kam Marizia herein. Ihre Hüften schwenkte sie verführerisch in einem roten Satinkleid, das für ein Büro viel zu provokativ wäre, hier aber wohlwollendes Aufsehen erregte. Selbst der Juareztisch begleitete mit großen Augen ihren Gang zu unserem Tisch.

»Marizia, du hast eben dein Bewerbungsschreiben bei den Juarezbrüdern abgegeben. Schau nur, wie ihnen der Glibber aus den Augen tropft.«

»Benimm dich, Esteban. Was soll Señor Mahon von mir denken! Ich gebe mich doch nicht mit solchem Dreck ab«, sagte sie abschätzig und warf ihr langes Haar zurück.

»Da ist immerhin der stinkreiche Marquez dabei.«

»Ich bin nicht käuflich. Nur weil ich einmal eine schwache Minute mit dir hatte, musst du nicht glauben, dass ich mit jedem Halunken ins Bett steige.«

»Unsere Marizia«, seufzte Esteban. »Warum lasse ich mir so viel von ihr gefallen?«

»Weil du scharf auf mich bist«, gab sie schnippisch zurück.

»Wie viel habt ihr schon getrunken?«, fragte sie nach einem Blick auf die halbleere Flasche Mezcal Gusano de Oro.

»Nur drei Kleine und ein Bier. Wir sind noch so nüchtern wie ein Taxifahrer am frühen Morgen.«

»Dann bin ich im Hintertreffen und genehmige mir erst mal einen.« Sie griff zur Flasche und aus ihrer Ankündigung wurden zwei. »Also, warum schickt man einen Gringo nach Mexico-Stadt?«, fragte sie neugierig. Ihre Augen funkelten wie Sterne am Äquator. Colorado erzählte, nachdem er sich schnell ein Glas gegönnt hatte, was ich in dem Land der Azteken zu suchen hatte. Sie machte genauso runde Augen wie ihr Chef bei meiner Offenbarung im Büro des Pancho Villa.

»Was sind die Yankees doch für Gusanos. Das ist doch das reinste Todeskommando. Sind die so naiv oder haben sie was gegen dich?«

Ich wunderte mich nicht, dass sie mich bereits mit dem vertraulichen »Du« ansprach. Schon Esteban hatte sich da keine Hemmungen auferlegt. Es schien hier so üblich zu sein und aus so schönem Mund hörte es sich verdammt gut an.

»Vielleicht dachten sie, dass ich so mutig wie ein Stierkämpfer bin. Ich hatte eine Reportage über Dominguin und Ordoñez geschrieben, der auch in den USA gut ankam.«

»Hör zu, meine Schöne«, sagte Esteban und goss unsere Gläser wieder voll. »Er braucht erstmal ein Zimmer in einer Gegend, die nahe genug beim Hauptquartier der Juarezbrüder ist, aber dennoch weit genug, um nicht gleich aufzufallen. Zweitens muss sich jemand um ihn kümmern.«

»Wie kümmern?«, fragte Marizia gedehnt. Dann lockerte sich ihre Miene und sie sah mich von oben nach unten an, als hätte sie mich in Colorados Büro nicht bereits genug beglubscht. Ich sah zwar nicht aus wie der Glöckner von Notre Dame, bin aber auch nicht gerade der Typ, den Frauen sofort anschmachten. Mit James Dean oder Paul Newman konnte ich es nicht aufnehmen. Aber in Mexiko war ich für die Weiblichkeit durch meine Körpergröße und die blonden Haare schon ein Kerl, nach dem sie sich zweimal umsahen.

»Na schön. Ich bringe ihn bei meinem Cousin Julio unter, der ein kleines Hotel in der Calle de Florencia hat. In der Nähe wimmelt es von Bars und Spielhöllen und vielen Stundenhotels. Genau dort wird sich jemand einquartieren, der Kontakt zur Rauschgiftszene sucht.«

»Eine gefährliche Gegend! Was hast du nur für Verwandte.«

»Das Hotel liegt noch im serösen Teil der ›Rosa Zone‹, wie man den Stadtteil nennt«, schob sie mir gegenüber erklärend nach. »Julio ist schon in Ordnung. Jeder muss sehen, wie er klarkommt. Ich werde ihm flüstern, dass Señor Mahon mein Amigo ist und er wird sich anständig benehmen.«

»Gut. Ich werde bei den Juarezbrüdern streuen, dass ein großer europäischer Schriftsteller ein Gespräch mit dem Oberfürsten führen möchte, um ein Buch über ihn zu schreiben. Das wird ihn vielleicht kitzeln.«

»Gut. Bis dahin werde ich Marc die Zeit vertreiben und ihm die Schönheiten der Stadt zeigen. Natürlich wird dies während meiner Arbeitszeit geschehen. Die Zeit musst du, lieber Esteban, also bezahlen.«

Colorado seufzte.

»Ich kann dir die Unkosten erstatten«, bot ich an.

»Nein, lass man. Dafür wird mir Marizia …«

»Nein. Das werde ich nicht. Es war ernst gemeint: Dein Schwanz existiert für mich nicht mehr!«

»Ich wusste ja, dass du ein launisches Luder bist. Aber was soll das? Wir sind doch gut miteinander ausgekommen.«

»Sind wir und werden wir auch zukünftig, wenn du vernünftig bist. Aber was passiert ist, passiert nicht mehr. Was würde deine Frau dazu sagen, wenn du plötzlich auf die Idee kämst, mich heiraten zu wollen.«

Colorado japste und starrte eine Weile düster vor sich hin. Ich war über die offene Sprache und ihren Umgang miteinander etwas schockiert. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass mexikanische Frauen sehr viel auf die Kirche hielten, an ›unbefleckte Empfängnis‹ glaubten und sich bis zur Hochzeit daran hielten.

»Mach nicht so ein belämmertes Gesicht, Marc!«, sagte Marizia und legte mir die Hand auf den Arm. »Ich bin selbst für Mexikaner etwas … unzivilisiert. Marc, was ist das eigentlich für ein Name? Ich werde dich …« Sie seufzte und betrachtete mich wie ein Möbelstück.

»Du hast die Augen eines Wolfes. Kalte blaue Augen. Ich werde dich El Lobo nennen. Ja, das ist der richtige Name für einen Argentinier, der aus Deutschland stammt und aus Frankreich kommt.«

»Warum nicht El Cortés«, stichelte Colorado eifersüchtig. Er war über die Entwicklung nicht gerade begeistert.

»Ich hoffe, dass er das nicht ist«, antwortete sie schnippisch.

Am Juareztisch wurde nun mächtig gelärmt. Sie klatschten einander die Hände und bestellten Champagner.

»Die sind gut drauf!«, brummte Esteban.

»So, nun werde ich mit dem Gringo verschwinden und du trollst dich zu deiner Ehefrau und deinen zehn Kindern und wirst den guten Hausvater spielen. Vielleicht nimmt dir deine Frau diese Rolle immer noch ab.« Marizia stand auf. Esteban winkte dem Kellner zu und zahlte.

»Das nächste Mal bin ich dran«, bemerkte ich dazu.

»Du bist Gast. Ich stelle alle Unkosten ohnehin den verdammten Amerikanern in Rechnung. Die kommende Dürrezeit für meinen Schwanz kann mir aber niemand ersetzen.«

»Mach ein elftes Kind!«, sagte Marizia trocken.

Wir gingen hinaus. Mittlerweile war es dunkel geworden. Esteban stieß einen Pfiff aus und schon kam ein Volkswagen herangerauscht.

»Ich melde mich bei dir, sowie ich Kontakt mit den Juarezleuten hatte.« Nach einem wehmütigen Blick auf Marizia trollte er sich leicht schwankend zum Zócalo hin. Wir krochen beide in den Fond des Volkswagens, da der zweite Vordersitz ausgebaut war. Ich hatte nichts dagegen, dass es hinten sehr eng war.

»Hat Colorado tatsächlich zehn Kinder?«

»Klar doch, und eine Geliebte.«

»Ich dachte, dass du …«

»Ich? Nein. Ich bin nur die, die er neulich während der Bürozeit dazu brachte, die Schulden abzuzahlen. Was glaubst du, warum ich den Job bekommen habe? Es ist eine gute Stellung. Dafür ihm einmal die Titten ins Gesicht zu drücken und den Schwanz zu lutschen, ist nicht zu viel bezahlt. Nichts ist umsonst in Mexiko. Wir leben in einem Raubtiergehege. Und man überlebt nur, wenn man sich nach den Regeln richtet. Aber Esteban übertreibt es nicht. Natürlich hätte er gern mit mir ein Dauerverhältnis und ist wegen einer Wiederholung ganz schön lästig. Aber er schmeißt mich nicht raus, wenn ich nein sage. Eigentlich ist er ganz in Ordnung.«

»Hast du keine Eltern, Freunde oder zukünftigen Ehemann?«

»Mein Vater war ein Richter, der versuchte das Gesetz durchzusetzen. Er und meine Mutter starben im Kugelhagel. Ich überlebte nur, weil ich im Internat war. Unser Haus ging in Flammen auf. Ich hatte nichts als meine gute Schulbildung und mein Aussehen. Oh ja, einen Ehemann bekam ich schnell. Aber es war ohnehin der falsche Mann. Er verschwand eines Tages und ich musste sehen, wie ich durchkam. Unser Kind starb kurz nach der Geburt. Ich nehme an, dass mein Enrique einer Drogenbande im Weg war. Von einem Tag auf den anderen war er fort. Also besuchte ich eine Abendschule und bekam wegen meiner Titten den Job beim Pancho Villa. Nun weißt du, woran du bist. Aber ich bin keine schlechte Frau und gehe nicht mit jedem ins Bett.«

Ich verstand. Sie war eine Frau, die sich in einer Männergesellschaft durchschlagen musste. Sie rebellierte nicht dagegen, weil sie es ohnehin nicht ändern konnte. Sie beugte sich plötzlich zu mir und küsste mich. Ich hatte das Gefühl, eine Raubkatze fällt über mich her. Aber meine Gegenwehr war nicht sehr ausgeprägt. Mir ging es eigentlich nur etwas zu schnell.

»Legt man in Mexiko immer so ein Tempo vor?«, fragte ich, nachdem ich wieder zu Atem gekommen war.

»Mexikanische Frauen sind kein Roséwein. Unsere Liebe ist so scharf gewürzt wie unser Essen. Hat es dir nicht gefallen, mein prüder Gaucho? Oder bist du etwa schwul?«

»Nein. Aber bei uns in Frankreich …«

»Ich dachte immer, die Franzosen sind die feurigsten Liebhaber der Welt. Ach richtig, du bist ja kein Franzose. Wir sind übrigens gleich da.«

Wenn der Taxifahrer von ihrem Einsatz etwas bemerkt hatte, ließ er es nicht erkennen. Wir verließen die Calle Florencia und bogen in eine Seitenstraße ein, die sehr belebt war. Viele rote und gelbe Neonreklamen verrieten, dass hier für jeden Spaß gesorgt wurde. Die Bars hießen Moulin Rouge oder Big Apple, Don Quichotte und Fuego. Bordsteinschwalben gab es genug, die herausfordernd ihre Handtaschen schwenkten. Es wurde viel Fleisch gezeigt. Und manche Angebote wurden nur von der Dunkelheit abgeschwächt. Schließlich hielt das Taxi vor einem efeubewachsenen Haus, vor dem zwei leicht bekleidete Damen uns erstaunt musterten. Als hinter mir Marizia aus dem Wagen kletterte, brachen sie in Jubelschreie aus und es endete in Umarmungen und Küssen.

»Dass du dich auch mal wieder sehen lässt!«, sagte die Kleinere mit den schlecht gefärbten blonden Haaren. »Gerade gestern habe ich zu Margarita gesagt, dass Marizia uns wohl vergessen hat. Sie muss das große Los gezogen haben.« Dann musterte sie mich. »Ist er das? Ich meine, das große Los?«

»Nein. Er ist ein Freund aus Frankreich.«

»Frankreich?«, kreischte die Größere los, deren Schritt kaum bedeckt war. »Also doch. Ein Franzose. Ein Glückslos!«

Es hatte keinen Sinn, die beiden aufzuklären und Marizia stieß mich zum Hoteleingang.

»Sie hat es eilig, ihren Blondi glücklich zu machen!«, rief uns die Kleinere hinterher.

Wir betraten eine Bar, die sich bemühte, wie eine Bar auszusehen. Rohe, blank gescheuerte Tische und lange Bänke. Eine Theke aus groben Brettern. Nur die Flaschen dahinter verrieten, was der Sinn des Raumes war. Einerseits. Andererseits zeigte ein Bord mit vielen Fächern und fehlenden Schlüsseln, worum es auch ging. Hinter der Theke stand ein geschniegelter Jüngling. Ein unausgereiftes Gesicht mit einem scharf ausrasierten Schnurrbart. Nach der Kleidung zu urteilen, schien es ihm nicht schlecht zu gehen. Das Rüschenhemd sah allerdings etwas affig aus.

»Cousinchen!«, rief er strahlend, kam hinter der Theke hervor und drückte Marizia an sich. Er hielt dabei seine Hand länger auf ihrem Hinterteil, als dies schicklich war. Sie riss ihm die Hand weg.

»Hör auf, du Lüstling!«

»Du weißt doch, ich hatte immer eine Schwäche für dich.«

»Und für deine Mädchen. Wieviel Kinder hast du schon? Fünf oder sechs und alle von verschiedenen Frauen.«

»Ach, du weißt doch, wie das läuft. Die Frauen lieben mich nun mal.«

Dann fiel sein Blick auf mich und seine Augen wurden so schmal wie sein Schnurrbart. Ich gefiel ihm so wenig wie er mir.

»Mein Amigo«, stellte sie mich vor.

»Was? Ein Yankee?«

»Nein. Ein Mann aus Frankreich.«

Julio riss die Augen auf. »Und was willst du hier mit ihm?«

»Er wird eine Zeitlang bei dir wohnen.«

»Und warum? Kannst du nicht bei dir mit ihm vögeln?«

»Quatsch nicht! Er ist Schriftsteller und will ein Buch über uns hier schreiben.«

»Über mich?«, fragte er nun höchst erfreut und drückte die Brust heraus.

»Über das Milieu hier«, half ich Marizia.

»Bumst ihr miteinander?«

»Was nicht ist, kann noch werden. Das geht dich nichts an«, sagte Marizia wenig beeindruckt und zwinkerte mir zu. »Julio glaubt, sich solche Frechheiten erlauben zu können, weil ich kurze Zeit Bardame bei ihm gespielt habe.«

»Ich könnte deinem Amigo einen Rabatt für die Mädchen einräumen, wenn er länger bleibt.«

»Das wird nicht notwendig sein«, entgegnete ich mit rotem Kopf.

»Er futtert nicht an jedem Trog«, setzte Marizia hinzu.

Ich gestand mir ein, dass ich für diese Gegend tatsächlich etwas zu schamhaft war.

»Du gibst ihm dein bestes Zimmer!«, forderte Marizia.

Julio langte nach hinten und gab ihr einen Schlüssel.

»Sehen wir uns erstmal die Bude an«, sagte Marizia, zog mich aus der Bodega und ging mir voran eine verdächtig knarrende Treppe hoch. Es roch nach verschwitzten Leibern und billigem Parfüm. Das Zimmer lag am Ende des Ganges. In Europa wäre jeder wieder hinausgetaumelt. Ein Eisenbett, das auch in einem Krankenhaus hätte stehen können. Ein kleiner Tisch mit zwei wackligen Stühlen, eine Anrichte, auf der eine angeschlagene Waschschüssel stand. Eine Glühbirne hing nackt ohne Schirm herunter. Das Fenster ging auf die Straße. Ich öffnete es, um den muffigen Geruch zu vertreiben. Der Lärm von unten war selbst zu dieser Stunde noch ohrenbetäubend. Hupen schien in Mexiko Nationalsport zu sein. Schreie in allen gehobenen Tonarten. Ich glaubte, sogar Schüsse zu hören. Gegenüber auf der anderen Straßenseite blinkte das Licht einer Neonreklame in regelmäßigen Abständen und warf ein rotes Dreieck ins Zimmer. Golden Nugget hieß der Laden und der Cowboy aus Neonröhren winkte mit der Hand lässig zu mir herüber. Ein Zwilling des Cowboys vor dem Golden Nugget in Las Vegas.

»Hier ist das Bad. Sogar mit Dusche. Was Besseres hat er nicht«, sagte sie und öffnete die Tür. Der Blick auf den schmutzigen Rand der Badewanne sagte mir, was ich hier nicht tun durfte. Die Dusche mit dem billigen Plastikvorhang sah auch nicht viel besser aus.

»Sag deinem Cousin, er soll hier mal ein Mädchen mit Sagrotan hochschicken. Ich wäre ihm sehr verbunden.«

»Sagen kann ich es ihm schon, aber …«

»Na gut, dann trete ich ihm in den Hintern, wenn er nicht spurt.«

»Du bist in Europa sicher anderes gewohnt.«

»Es wird schon gehen. Ich war ja auch schon im Irak, in Indien und Pakistan.«

»Na, dann will ich mal. Ich hole dich morgen früh ab und dann zeige ich dir die Schönheiten der Stadt.«

Sie merkte, dass ich ein wenig enttäuscht war, als sie sich verabschiedete. Nach dem Kuss hätte ich eigentlich mehr erwartet. Aber jetzt war sie so zurückhaltend wie eine Klosterschülerin. Sie nickte verstehend und schenkte mir das allerreizendste Lächeln der Katy Jurado, verschämt und doch lockend. Sehr verlockend.

»Ich werde Julio sagen, dass er auch die Betten frisch bezieht. Vielleicht hast du ja bestimmte Bedürfnisse und holst dir ein Mädchen hoch. Aber sei vorsichtig. Einige sind krank.«

»Den Teufel werde ich tun!«

»Das kann ich dir auch nur raten. Bis Morgen, Lobo.«

Sie trat dicht an mich heran und sah mich mit dem Blick einer Tempelhure aus Babylon an, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und – ehe ich mich versah – war sie fort.

Ich packte meinen Koffer aus, stellte die Schreibmaschine auf den wackligen Tisch und überlegte, was ich mit dem Abend noch anstellen konnte. Ich beschloss mir die Umgebung anzusehen. Ich ging hinunter. Als ich an der Theke vorbeikam, sah Julio hoch.

»Marizia ist schon weg. Ihr habt nicht …? Du weißt schon.« Er schlug mit der flachen Hand auf die Faust und grinste schmierig.

»Nein. Wir sind nur Freunde.«

»Freunde? Da kichern ja die Hühner. Ich kenne mein Cousinchen. Sie lässt dich zappeln, um deinen Appetit zu vergrößern. Marizia ist heiß auf dich, Gringo. Vielleicht willst du ja mal eine Zwischenmahlzeit nehmen. Soll ich dir nachher ein Mädchen nach oben schicken?«

»Nein. Kein Bedarf. Aber sorge stattdessen für frische Betten und eine saubere Dusche!«

»Wird gemacht, Gringo! Marizia hat mir schon Bescheid gegeben. Meine Gäste haben meist etwas anderes im Sinn, als sich über Betten und Dusche aufzuregen. Wenn du kleine Jungs vorziehst … Auch damit kann ich …«

»Du bist ein Scheißkerl, Julio! Bis nachher.«

»Sei vorsichtig! Es ist hier ein gefährliches Pflaster für einen Yankee.«

»Ach ja?«

Er schien mir die Beleidigung nicht übel zu nehmen. Vielleicht weil hier ohnehin jeder ein Scheißkerl war. Die Mädchen vor der Bar waren verschwunden und sicher bei der Arbeit. Ein Junge zupfte an meinem Ärmel und sah mit einem frechen Grinsen zu mir hoch. Der Knirps war kaum älter als zwölf.

»Zwei Pesos, dann beschütze ich dich.«

Ein altkluges Gesicht. Das Haar fiel ihm unordentlich in die Stirn. Die Kleidung hätte auch mal wieder gewaschen werden können. Seine Füße steckten in grünen Badeschlappen. Ich strich ihm lachend über den Kopf.

»Du willst mich also beschützen?«

»Ja, wenn ich bei dir bin, wissen alle, dass du unter dem Schutz von Juarez stehst. Ich gehöre bei ihm zum Bandenanwärter. Was willst du erleben? Schnee oder Weiber, kleine Mädchen oder Jungs?«

»Keines deiner Angebote interessiert mich.«

»Du bist also kein Liebhaber?«

»Liebhaber für was? Nein, geh mal davon aus, dass deine Angebote kein Interesse bei mir finden. Wie heißt du, Frechdachs?«

»Alfredo. Ich bin der Älteste von dem Scheißkerl da drin.«

»Julio?«

»Ja. Der Bock ist mein Vater. Ein Miststück. Ich hasse ihn.«

»So spricht man doch nicht von seinem Vater. Hast du noch nicht davon gehört, dass man Mutter und Vater ehren soll?«

»Meine Mutter gern, aber nicht diesen Misthund. Wenn du wüsstest, was der so alles deichselt, würdest du genauso von ihm sprechen.«

»So schlimm kann er doch nicht sein. Ein Verwandter von Marizia ist doch kein Lump.«

Das Gesicht des Jungen erhellte sich. Er konnte sogar lächeln.

»Ja, Marizia ist in Ordnung, aber Julio ist das genaue Gegenteil. Marizia kennt nicht die schlimmsten Geheimnisse des Miststücks. Solange sie an der Bar stand, hatte er Sadomaso noch nicht im Angebot.«

Wir gingen an vielen Bars vorbei. Das mit seinem Schutz schien tatsächlich zu stimmen. Keine Bordsteinschwalbe sprach mich an und wenn mir ein Mann zu nahe kam, stellte sich Alfredo mit gekreuzten Armen neben mich und starrte den Fremden drohend an. Als ich ins Fuego hineingehen wollte, weil dieses, wie ich durch die offene Tür sehen konnte, einen anständigen Eindruck machte, sagte Alfredo: »Lieber nicht, wenn du nicht auf Männerbekanntschaften scharf bist.«

Bei einem anderen Lokal wies er darauf hin, dass der Wirt keine Yankees mochte. Als wir vor dem Moulin Rouge ankamen, warnte er erneut, auch dort nicht reinzugehen. Da ich aber Durst hatte, tat ich es trotzdem. Auf einer Bühne tanzten drei junge Mädchen, was entfernt nach einem Cancan aussah. Alfredo war nicht mit reingekommen, sondern wartete draußen vor dem Etablissement. Die Bar war gut besucht. Ich ging an den Tischen vorbei bis an die Theke und bestellte ein Bier.

»Yankee?«, fragte der Barkeeper, ein schmächtiger junger Mann mit einem verlebten Gesicht und einem Diamantgehänge an den Ohren, das sicher falsch war, aber schön glitzerte.

»Nein. Ich komme aus Frankreich.« Das mit Argentinien wäre für ihn zu kompliziert gewesen.

»Ein Landsmann!«, rief er erfreut. »Ich stamme aus Marseille«, sagte er und reichte mir seine schwammige Hand. Sofort fragte er mich, was in Frankreich so laufe. Ich erzählte ihm, was er hören wollte, dass Gott dort immer noch lebte und er stimmte mir zu, dass es sich nur in Frankreich leben ließe. Er schien mächtig Heimweh nach Marseille zu haben.

»Warum gehst du nicht zurück?«

»Weil man sich nur hier ohne große Umstände die Nase pudern kann«, erwiderte er grinsend und tippte auf seinen Nasenflügel.

Plötzlich lärmte es am Eingang. Eine Horde Polizisten stürmte herein und schlug auf die Gäste ein. Sie machten keine Umstände und hielten sich nicht mit der Ausweiskontrolle auf. Kein Zweifel, dass sie auch auf mich keine Rücksicht nehmen würden. Alles stob auseinander. Aber auch aus dem rückwärtigen Gang kamen Polizisten, um sich an der Prügelei zu beteiligen. Schon erreichten sie die Theke. Zwei kräftig gebaute Bullen wollten mir nun zeigen, wie tüchtig mexikanische Polizisten zuschlagen können. Ich hätte Alfredos Warnung ernst nehmen sollen.

Che. Der Traum des Guerillero

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