Читать книгу Der Enkel des Citizen Kane. Die Geschichte des Sternenjägers - Heinz-Joachim Simon - Страница 6

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Theseus verlässt die Corrida des Minos

Das Gut der Costes lag auf einem Hügel am Starnberger See. Im Stil jener Gegend gebaut, passte es sich harmonisch in die Landschaft ein. Wenn nicht die das Anwesen umschließende Mauer und die vielen Garagen gewesen wären, in denen die Automobile des Costes-Konzerns standen, hätte man es auch für den Hof eines Großbauern halten können. Eine hölzerne Veranda mit herabhängenden Geranien zog sich im zweiten Stock um das ganze Haus. Nur der neogotische Turm neben den Scheunen passte nicht so ganz dazu. Er war das Refugium des Patriarchen, sein Allerheiligstes. Es hatte unten ein Studio, in dem Computer und Reißbretter standen. Im zweiten Stock war sein holzgetäfeltes Büro, im dritten sein Schlafzimmer und unter dem mit Biberschwanzziegeln gedeckten Dach war sogar ein Gästezimmer, in dem aber noch nie ein Gast geschlafen hatte.

Claus hielt in seinem silberfarbenen Jaguar E-Type vor dem schmiedeeisernen Tor, in dessen Mitte ein verschnörkeltes AC in goldenen Lettern vom Besitzer Kunde gab. Er stieg aus, ging an die Sprechanlage, drückte einen Knopf und nannte seinen Namen. Lautlos glitt das Tor zur Seite. Er fuhr in den Hof. Aus dem seitlichen ehemaligen Gesindehaus traten zwei Bodyguards und überzeugten sich, dass wirklich der Enkel des alten Costes gekommen war. Nach einem höflichen Winken zogen sie sich wieder in ihre Wachstube zurück. Claus’ Vater kam aus den Stallungen. Er trug einen roten Reitdress. Mit seinem scharf rasierten Gesicht und der Brille im schwarzen Haar hätte er auch in jedem Heimatfilm dem Dieter Borsche die Frau ausspannen können. Bestimmt hatte er gerade seine Herde Poloponys bewegt.

„Was willst du denn hier?“, fragte Diethelm Costes unwillig. „Ich denke, du bist in Falkenburg oder in Berlin?“

Er war um die Vierzig. Der Begriff Herrenreiter hätte gut zu ihm gepasst. In seinem Jagdrevier in Salzburg nannte man ihn den schönen Diethelm. Im Weißen Rössl hätte er den Oberkellner Ferdinand spielen können. Aber da er sehr unstet und sprunghaft war, hätte er diese Rolle nur ein paar Tage durchgehalten. Der Patriarch hatte seinen Sohn längst aufgegeben. Unbrauchbar für Geschäfte und nur für Empfänge und Public Relations einsetzbar, war das vernichtende Urteil des Alten.

Claus verachtete seinen Vater, was ihn früher in arge Gewissensbisse gestürzt hatte. Manchmal, wenn die Mutter mit verweinten Augen herumgelaufen war, weil ihr seine Eskapaden zu Ohren gekommen waren, hatte er seinen Vater gehasst. Mittlerweile konnte er dieses Gefühl beherrschen.

„Ich will zum Gröbauz“, erwiderte er. Es war eine Verballhornung für „Größter Autobauer aller Zeiten“.

„Sprich nicht so von deinem Großvater“, erwiderte Diethelm Costes erschrocken mit einem Blick zum Turm hin.

„Mach dir nicht in die Hosen, Vater. Er kann uns nicht hören.“

„Du bist und bleibst ein unverschämter Bengel. Woher hast du das nur? Was willst du überhaupt hier?“

„Ihm klar machen, warum ich mich an der Filmakademie in München eingeschrieben habe.“

„Du hast was?“, schrie der Vater. „Weißt du, was das für Großvater bedeutet? Nein, natürlich nicht. Der Herr Sohn lebt in den Tag hinein und kümmert sich nicht darum, was er der Familie antut.“

Es kam Claus nicht in den Sinn, dass er seinen Vater viel gründlicher enttäuscht hatte. Die Mutter kam nun aus dem Haus gelaufen. Isolde Costes war im gleichen Alter wie ihr Mann. Die Sorgen wegen dieses Mannes hatten tiefe Falten um ihre Mundwinkel gegraben. Dass sie einst eine Schönheit und gefeierte Schauspielerin gewesen war, sah man ihr immer noch an. Sie umarmte ihren Sohn und sagte stolz: „Gut siehst du aus, mein Einziger!“

„Stell dir vor, er will das Ingenieurstudium schmeißen!“ Diethelm Costes machte ein Gesicht, als sei der Tag des Jüngsten Gerichts angebrochen.

„Er wird schon wissen, was er tut“, erwiderte Isolde kühl und hakte sich, so ihre Solidarität mit dem Sohn ausdrückend, bei Claus ein.

„Du musst ihm natürlich recht geben!“, fauchte Diethelm Costes.

„Er ist was Besonderes und wird seinen Weg gehen. Kein Schürzenjäger und Playboy.“

„Musst du vor dem Jungen mit mir zanken?“

„Wenn du die Wahrheit nicht aushältst, dann geh zu deinen Pferden oder fahr nach München zu deinen Huren.“

„Hört auf!“, sagte Claus bestimmt. „Ist denn nun der Gröbauz zu Hause?“

Sie nickte. „Willst du es ihm sagen?“

„Muss ich wohl. Sonst versteift er sich weiter darauf, dass ich den Laden übernehme.“

„Musstest du ausgerechnet mit deinem Jaguar hier aufkreuzen? Du weißt doch, dass er es nicht gern sieht, wenn ein Costes ein fremdes Fabrikat fährt“, regte sich Diethelm auf.

„Reg dich nicht künstlich auf. Mir hat er einmal gesagt, dass er als einzigen Sportwagen außer einem Costes den Jaguar akzeptiert“, antwortete Claus.

„Mag ja sein. Aber in Wirklichkeit kränkt es ihn trotzdem.“

„Lass ihn doch“, schlug sich die Mutter sofort wieder auf Claus’ Seite. „Andere tun dem Namen Costes viel Schlimmeres an. Wenn ich daran denke, was in München so über dich geredet wird.“

„Ich möchte jedenfalls nicht dabei sein, wenn Vater erfährt, was Claus vorhat. Ich muss jetzt zu meinem Schneider.“

„Ich weiß schon, in München scheint die jüngere Sonne.“

„Ha, du gehst mir auf die Nerven!“, erwiderte Diethelm Costes, machte eine wegwerfende Handbewegung und stolzierte in seinen hohen Reitstiefeln wie ein Storch über den Hof und verschwand im Haus.

„Da geht er hin“, spottete Isolde Costes bitter. „Er wird sich in den Smoking werfen und dann den Frauen seine ewige Treue ins Ohr säuseln.“

„Er hat ja nichts anderes zu tun“, gab Claus ihr recht.

„Willst du wirklich den Großvater …?“

„Ja. Ich habe es mir lange genug überlegt. Er muss begreifen, dass mich Autos nicht interessieren.“

„Du willst Filme machen wie einst mein Vater?“

Isolde Costes entstammte einer Familie, die sich schon in der Stummfilmzeit einen Namen gemacht hatte. Ihr Vater war ein berühmter Filmregisseur gewesen und dessen Bruder ein Schauspieler, der in Wien am Burgtheater Triumphe gefeiert und in einigen Propagandafilmen der Nazis mitgewirkt hatte.

„Du weißt doch, dass ich schon immer Filme machen wollte.“

„Ich weiß. Auch ich habe davon geträumt, nach meiner Schauspielkarriere in das Regiefach überzuwechseln. Ich hatte meinem Vater ja zweimal als Regieassistentin geholfen und viel von ihm gelernt. Aber die Heirat kam dazwischen und Großvater verbot mir alles, was mit dem Filmgeschäft zu tun hatte und ich habe gehorcht.“ Sie seufzte.

„Mich wird er nicht davon abbringen.“

„Nein, mein Einziger. Du hast das Costes-Gen“, sagte sie besorgt. „Er wird es dir nicht leicht machen.“

„Er kann mich ja nicht in Falkenburg an den Vorstandssesseln festbinden. Er wird es akzeptieren müssen.“

„Wenn du es auf dich nehmen willst, dann geh und steh es durch. Bleibst du über Nacht?“

Er nickte und sah zu den Garagen hinüber, wo sein Vater in einen Costes-Geländewagen stieg. In seiner Jugend war Diethelm Costes Rennen gefahren, aber das war auch das Einzige, was man bei ihm halbwegs als Beruf bezeichnen konnte. Er zehrte immer noch von den paar Siegen bei der Tourenweltmeisterschaft und gern zeigte er den Frauen, wie gut er einen Wagen beherrschte.

„Wieder einmal kneift er, statt dir beizustehen“, sagte Isolde Costes verächtlich. „Was für ein jämmerlicher Feigling. Dann viel Glück, mein Junge.“

Sie küsste ihn auf die Stirn und Claus ging zum Turm des Alten, klopfte und trat ein. Der Alte stand vor einer wandlangen Tafel, die mit Formeln bedeckt war. Unwillig sah er den Störenfried an, nickte schließlich und legte die Kreide beiseite.

Alfred Costes war von vierschrötiger Gestalt mit einer hohen Stirn, einem zerfurchten Gesicht mit stechenden grauen Augen und einem meist höhnischen Lächeln. Jemand hatte mal über ihn geschrieben, dass man bei seinem Blick den Eindruck habe, in den Lauf eines Revolvers zu sehen. Obwohl er bereits an die Siebzig war, konnte man ihm nicht nachsagen, altersweise zu sein.

„Was machst du hier?“, bellte er in seinem bayerisch gefärbten Dialekt.

„Bin gerade angekommen“, erwiderte Claus und warf sich in den Sessel vor dem Schreibtisch, schlug lässig die Beine übereinander und lächelte freundlich.

„Was meine Frage nicht beantwortet“, erwiderte der Patriarch kalt. Die Augen verengten sich zu Schlitzen. Alfred Costes mochte keine Überraschungen.

„Ich habe das Studium in Berlin abgebrochen.“

Der Kopf des Alten ruckte herum, die Augen bohrten sich in Claus’ Gesicht und er setzte sich hinter den Schreibtisch.

„Was soll das?“, zischte er.

„Ich gehe nach München an die Filmakademie.“

„Reichen deine geistigen Kräfte plötzlich nicht mehr für ein Ingenieursstudium?“

„Das ist nicht das Problem, Großvater. Ich sehe nur keinen Sinn darin, weitere Spritfresser zu bauen.“

Die Augen des Alten weiteten sich.

„Du bist ein Costes! Mein Vater hat den Igel konstruiert. Ich habe den besten Sportwagen der Welt gebaut. Du wirst Automobile konstruieren oder konstruieren lassen, die nachhaltiger sind als die heutigen Autos. Wie viele andere junge Männer können von sich behaupten vor solchen Aufgaben, Chancen und Möglichkeiten zu stehen?“

„Das Leben besteht nicht nur darin, Autos zu bauen. Es gibt noch andere Möglichkeiten sich zu entfalten. Ich werde Filme machen. Finde dich damit ab. Vater lässt du ja auch aus dem Geschäft.“

„Dein Vater ist eine Null. Ich konnte nicht zulassen, dass unsere Werke an eine Null übergehen. Du aber bist intelligent, deine Professoren haben mir bestätigt, dass du hervorragende geistige Fähigkeiten hast und nur faul bist. Ich gebe mein Werk nicht in fremde Hände. Du bist der Erbe und wirst eines Tages die Costes-Werke leiten.“

Claus schob die Sonnenbrille hoch und musterte den Alten. Er hatte gewusst, dass es ein harter Kampf werden würde. Gelassen zog er ein Päckchen Zigarillos aus der Tasche und steckte sich eine Sumatra an. Er wusste, dass der Großvater dies für eine Provokation halten würde. Alfred Costes war ein erklärter Nichtraucher, Vegetarier und Alkoholgegner. Es hatte Claus nie beeindruckt. Hitler war das auch gewesen.

„Muss das sein?“, reagierte der Patriarch augenblicklich und wedelte den Rauch weg. „Sei vernünftig, Junge!“, fügte er hinzu und versuchte seinem Gesichtsausdruck so etwas wie Friedfertigkeit und Gelassenheit zu geben. Es gelang nicht ganz. Die Kälte seiner Augen minderte sich nicht.

„Was ist das schon? Filme? Kinderkram!“, stieß er verächtlich hervor. „Das ist doch kein Beruf für einen Costes! Was reizt dich daran? Der Glamour? Filmschauspielerinnen? Ein Costes hat mit Frauen keine Probleme. Als Chef der Costes-Werke werden dich die schönsten Frauen umschwärmen.“

„Mich reizt es, Geschichten zu erzählen. Es verlangt Kreativität, Organisationstalent und Durchsetzungsvermögen. All diese Voraussetzungen bringe ich mit“, setzte er selbstbewusst hinzu.

„All das sind Eigenschaften, die auch an der Spitze von Costes gefordert werden. Filme, das sind pubertäre Träume für infantile Neurotiker. Ich bin für zweihunderttausend Menschen verantwortlich. Eine größere Herausforderung gibt es nicht. Was ist das überhaupt, ein Filmemacher? Regisseur? Filmverleiher? Oder willst du zum fahrenden Volk gehören und Schauspieler werden?“

„Schauspieler? Nein. Regie kann ich mir vorstellen. Aber interessanter finde ich es, Filme zu produzieren. Es muss aufregend sein, die ganze Planung, Finanziers zu finden, den richtigen Plot zu erarbeiten und so weiter.“

„Das ist inakzeptabel. Kindereien!“

„Vielleicht ist es ganz gut, wenn man sich etwas Kindliches bewahrt.“

„Wie dem auch sei. Ich verbiete dir den Abbruch des Ingenieursstudiums. Du bist nun mal der einzige Costes, den wir für die Übernahme haben. Da dein Vater ausfällt, wirst du in fünf Jahren mein Nachfolger. Nach dem Studium durchläufst du die entscheidenden Stationen, also Produktion, Entwicklung und Marketing. Dann hole ich dich in den Vorstand und du kannst mir über die Schulter sehen.“

Der Alte hatte seinen Einstieg bei den Costes-Werken genau durchgeplant. Doch Claus tat unbeeindruckt, wippte mit den Füßen, griff sich ein Wasserglas vom Schreibtisch und schnippte dort die Asche hinein.

„Keine Chance, Großvater. Ich werde Filme machen. Punkt.“

Der Alte lehnte sich zurück. In seinem Gesicht loderte es.

„Wenn wir uns nicht im Guten einigen können, kann ich auch ganz anders.“

Er sprang auf, nahm die Kreide, ging an die Tafel und fragte: „Was braucht man für einen solchen Beruf?“

Er schrieb die Antwort an die Tafel:

- Geld

- Beziehungen

- Studio

„Ich kann dich von allem abschneiden. Du wirst nicht einen einzigen Film machen. Wenn du nach München gehst, streiche ich deine Apanage. Ich habe Beziehungen zu den Bossen der Studios und des Fernsehens. Wenn ich die Drähte glühen lasse, wird keine einzige Filmgesellschaft einen Vertrag mit dir machen. Du bist von meinem Fleisch und Blut und wirst verdammt noch einmal deine Pflicht erfüllen, sonst bist du erledigt.“

„Dann wissen wir ja beide, woran wir sind“, erwiderte Claus, immer noch Gelassenheit vortäuschend.

„Ich kann dich vernichten, Junge! Bekommst du das nicht in deinen pubertären Schädel hinein?“

„Finde dich damit ab, dass ich wie mein Vater keine Lust habe, dein Ding zu machen. Bei ihm hast du dich ja auch damit abgefunden.“

„Weil er kein Benzin im Blut hat. Er ist nur dazu fähig, dumme kleine Schauspielerinnen zu verführen und unsere Oldtimer spazieren zu fahren.“

„Er ist Rennen gefahren und ich habe eben meine Leidenschaft, nämlich Filme machen.“

Der Alte keuchte, tigerte vor ihm auf und ab und schrie: „Ich lasse nicht zu, dass du dich wegwirfst. Du hattest Köpfchen vor dieser Spinnerei mit dem Film. Alle bestätigen mir, dass du eine schnelle Auffassungsgabe hast. Du hast als Jahresbester dein Examen gemacht. Du könntest ein Napoleon des Automobilbaus werden, wie mein Vater.“

„Ich will nun mal kein Napoleon werden. Dein Vater war der Napoleon der Konsulatszeit, du bist der Napoleon der Kaiserzeit und was war der dritte Napoleon? Ein Witz! Ich würde viel lieber der Zola des Films werden.“

„Du wirst, wenn überhaupt, als Filmemacher von Schnulzen enden. Almenrausch und Alpenglühen. Heimatfilme, die dir bald peinlich sein würden. Du kannst den Mount Everest besteigen, wählst aber den nächstbesten Hügel.“

„Ich wusste, dass ich dich nicht überzeugen kann. Aber es entsprach der Fairness, dass ich dich vorher informiere.“

Das Gesicht des Alten zuckte. Von seiner Ruhe und Überlegenheit war nichts mehr zu sehen.

„Du bist ein dummer, verantwortungsloser Bengel!“

„Ich glaube, dass alles gesagt ist. Wir kennen nun unsere Standpunkte“, sagte Claus mit jener Gelassenheit, die vorher der Alte ausgestrahlt hatte. Er wandte sich dem Ausgang zu.

„Halt! Ich habe dich noch nicht entlassen. Wenn du jetzt gehst, dann solltest du wissen, dass ich viel Geld aufwenden werde, damit du scheiterst. Du wirst eines Tages zu mir zurückkommen und darum betteln, wieder in die Familie aufgenommen zu werden.“

„Du kennst mich eben doch nicht gut genug. Wenn ich es nicht schaffe, dann werde ich irgendetwas anderes tun, und wenn ich in Schwabing mein Brot als Kellner verdienen muss. Ich bin dir in einem Punkt sehr ähnlich: Ich gebe niemals auf.“

„Du willst Krieg?“, kreischte der Alte.

„Wenn du es so martialisch ausdrücken willst. Aber hänge es nicht so hoch auf. Ich bin nicht der erste Sohn oder Enkel, der nicht nach der Pfeife der Altvorderen tanzt.“

„Dann bekommst du den Krieg!“, zischte Alfred Costes.

Claus hatte ihn nie so bleich, so unbeherrscht gesehen. Der Alte sah sein ganzes Lebenswerk gefährdet und reagierte mit unverhohlenem Hass.

„Ich mache dich fertig!“, schrie der Alte.

Claus winkte ab, um zu zeigen, wie wenig ihn die Worte des Alten beeindruckten und ging aus dem Turm hinüber zum Haupthaus. Er fand die Mutter oben in der Christophorus-Stube, die nach der Heiligenfigur in dem gemütlichen Herrgottswinkel so genannt wurde. Sie saß im Halbdunkel und er machte das Hauptlicht an.

„Nein. Mach es wieder aus.“

Er tat, was sie verlangte. Er merkte nicht nur an dem Cognacglas auf dem Tisch, dass sie getrunken hatte. Ihre Aussprache war etwas undeutlich.

„Wie war es?“, fragte sie. Ihre Stimme zitterte.

„Kannst du dir doch denken. Er drohte, mich zu vernichten.“

Eine Weile war es still zwischen ihnen. Er nahm ihr Glas und trank es aus.

„Hennessy?“, fragte er.

„Nein. Martell Cordon bleu“, sagte sie tonlos.

„Du solltest nicht …“

„Ich weiß. Hast du Angst?“

„Nein. Ich habe zwar nicht damit gerechnet, dass er so krass reagiert. Aber ich werde damit fertig werden.“

„Er ist sehr mächtig.“

„Ich weiß.“

„Er ist schlecht. Abgrundtief schlecht.“

„Er hat sich nun mal in den Kopf gesetzt, dass nur ein Costes die Werke führen darf.“

„Du entschuldigst ihn? Ich werde dir den Beweis liefern, dass er ein Ungeheuer ist“, sagte die Mutter nun entschlossen. „Ich werde dir etwas in die Hand geben, womit du ihn stoppen kannst. Du denkst, er ist dein Großvater?“

„Natürlich. Was soll er sonst sein?“

„Dein Vater!“, schrie sie.

Er warf den Kopf zurück, als wenn er gegen eine Wand gelaufen wäre.

„Was soll das?“

Sie nickte heftig. Mit brüchiger Stimme erzählte sie, wie es geschehen war.

„Es war kurz nach der Hochzeit. Ich wusste bereits, dass Diethelm mich betrog. Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm mein Leid geklagt. Er hat mich an sich gezogen und mir die Tränen abgewischt und ich dachte, dass er mich trösten wollte. Aber er hat dann nicht nur mein Haar gestreichelt. Er hat mich mit den Worten ‚Wenn dein Mann es nicht kann, dann muss ich eben einspringen‘ vergewaltigt. Ich habe geschrien, mich gewehrt, ihm die Arme zerkratzt. Aber er war stärker.“ Sie schwieg und dieses Schweigen legte sich tonnenschwer über die beiden.

Schließlich fragte er mit erstickter Stimme: „Hast du es Diethelm erzählt?“

„Was hätte das gebracht? Er hat doch viel zu viel Angst vor seinem Vater. Nein, ich habe es niemandem erzählt. Er tat es mehrmals. Immer wenn Diethelm aushäusig war und seine Huren bediente. Als ich schwanger wurde, ließ Alfred eine Weile von mir ab. Er hatte erreicht, was er wollte. Er wusste, dass Diethelm zeugungsunfähig ist. Also sorgte er selbst für den Erben, für den Weiterbestand der Autodynastie“, stieß sie bitter aus.

Claus war nach diesem Geständnis wie vor den Kopf gestoßen.

„Weiß er, dass ich sein Sohn bin?“

„Natürlich weiß er das. Er hat deinen Werdegang auf Schritt und Tritt verfolgt. Er war immer sehr stolz auf deine schulischen Leistungen und sah darin eine Bestätigung, dass er seine Gene weitervererbt hat. Nachdem du da warst, hörten seine Nachstellungen vorerst auf. Ich bin eine Gefangene der Costes.“

Er nahm ihre Hand und drückte sie, und sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und weinte.

„Wie haben mich alle beneidet, als ich Diethelm heiratete. Die Zeitungen nannten es eine Traumhochzeit. Aber es lief von Anfang an nicht gut mit uns. Er ist … beiden Ufern zugetan. Ich habe dann jeglichen körperlichen Kontakt mit ihm vermieden. Er war mit dem Arrangement zufrieden, konnte er doch ohne Gewissensbisse seinen Neigungen nachgehen.“

„Warum hast du dich nicht scheiden lassen?“

„Das wollte ich und bin zum Alten gegangen, aber er hat mir angedroht, dich mir wegzunehmen. Er hat auch mir mit Vernichtung gedroht. Er würde dafür sorgen, dass ich dich im Fall einer Scheidung verliere. Er hat die Macht dafür. Ich hätte es nicht fertig gebracht, auf dich zu verzichten und so verging ein Jahr ums andere und ich habe mich gefügt.“

„Und was ist mit Justine?“

„Deine Schwester kam, wie du weißt, ein Jahr später auf die Welt. Auch sie ist von ihm. Ihm war wohl der Gedanke gekommen, dass ein zweiter Costes für den Fortbestand der Dynastie sicherer wäre. Doppelt genäht hält besser. Er war dann doch sehr enttäuscht, als es ein Mädchen war. Für ihn zählt eine Frau nichts. So modern er in der Technik denkt, so anachronistisch, sogar archaisch sind seine Ansichten, was Frauen betrifft.“

„Warum erzählst du mir das erst jetzt?“

„Weil ich annahm, dass du seinen Weg einschlägst. Aber jetzt, wo er dir droht, will ich dir eine Waffe gegen ihn in die Hand geben. Du darfst sie nur im äußersten Notfall einsetzen. Es würde sich zu einem Skandal auswachsen, wenn es publik würde.“

„Es ist kein Inzest. Du bist nur seine Schwiegertochter. Aber für das Costes-Image wäre es eine Katastrophe.“

„Er hält sich für jemanden, dem keine Beschränkung auferlegt ist. So wie er in seinen Geschäften handelt, regelt er auch sein Privatleben. Kalt. Unbarmherzig. Gerissen. An Heimtücke ist er kaum zu überbieten.“

„In seinem Gottvatergefühl wird er sich kaum davon beeindrucken lassen, wenn ich Vater zu ihm sage.“

„Doch. Es gibt einen Beweis, dass er mich vergewaltigt hat.“

„Ein Beweis?“, fragte Claus erstaunt.

„Du weißt ja, dass ich nach meiner Schauspielkarriere ins Regiefach überwechseln wollte. Ich hatte einiges von meinem Vater gelernt. Du erinnerst dich vielleicht an meine Acht-Millimeter-Kamera? Ich habe sie dir zum zwölften Geburtstag geschenkt.“

„Und ob. Damals begann meine Leidenschaft für den Film.“

„Genau das hatte ich gehofft. Ich wollte, dass du ein Reizenstein wirst und kein Costes. Komm!“, sagte sie, stand abrupt auf und ging mit ihm in ihr Schlafzimmer. Hinter dem Himmelbett an der holzgetäfelten Wand schloss sie ein Fach auf.

„Wie du weißt, habe ich früher viele kleine Filme über uns gemacht. Einen Film über Salzburg habe ich sogar ans Fernsehen verkaufen können. Alfred hat mir dabei geholfen. Wenn ein Costes kommt, der Millionenetats vergibt, ist man natürlich gern behilflich. Hier in diesem Fach hatte ich eine Kamera installiert. Als er reinkam, war er voller Geilheit und hatte ohnehin nur Augen für meinen Körper. Ich hatte am Bett einen Auslöser installiert und da er es gern bei Licht tat, sind die Aufnahmen ganz gut geworden. Ich habe mich gegen seine Zudringlichkeiten gewehrt. Er hat mich geschlagen und mich dann … All das ist auf dem Film. Die ganze schmutzige Wahrheit.“ Sie nahm aus dem Fach eine kleine Filmrolle und gab sie ihm. „Sieh es dir an. Aber nicht hier. Nicht in meinem Beisein. Ich … schäme mich so.“

„Warum hat du mit deiner Mutter nicht darüber gesprochen?“

„Ach, Mutter, Gott sei ihr gnädig, war so stolz, dass ich in die Costes-Familie eingeheiratet hatte. Vater war ja schon tot.“

„Was für eine Geschichte!“, sagte Claus tonlos.

„Alfred ist ein Ungeheuer. Ein geniales Ungeheuer. Er fühlt sich allen Menschen überlegen und verachtet sie. Ich hasse ihn und hatte immer Angst, dass er dir seinen Willen aufzwingt und du so wirst wie er. Ich war froh, als ich merkte, dass du deinen eigenen Kopf hast. Claus, mach etwas aus dir. Werde das, was du sein willst.“

„Er wollte einen Napoleon aus mir machen!“

„Napoleon? Nein, werde ein Käutner, ein Billy Wilder. Greife nach den Sternen. Zeige ihm, dass du ihn nicht brauchst. Das wird die größte Demütigung für ihn sein.“

„Er hat gedroht, mich zu vernichten.“

„Das wird er nicht. Er wird immer hoffen, dass er dich doch noch in sein Geschirr zwingen kann.“

„Warum hast du den Film nicht als Druckmittel eingesetzt?“

„Warum? Weil ich zwei Kinder von ihm habe.“

„Mit dem Film könnte ich ihm das antun, was er mir drohte.“

Er wies auf die Rolle.

„Er ist dein Vater“, sagte sie tonlos. „Drohe ihm damit, wenn er dich bedrängt. Setze den Film aber nur im äußersten Notfall ein. Versprich mir das.“

„Ich bin also das Ergebnis einer Vergewaltigung“, erwiderte er bitter.

„Er glaubt, uns himmelhoch überlegen zu sein. Aber du hast jetzt etwas, was er fürchten muss. Doch nun komm, zieh dich zum Abendessen um.“

Es war üblich, das Dinner in Abendkleidung einzunehmen. Der Patriarch hatte das in England kennengelernt. Er liebte England und sie hatten in London ein Stadthaus und in Kent an der Küste ein schlossartiges Anwesen aus dem 17. Jahrhundert, wo er eine Pferdezucht betrieb. In Ascot hatten seine Pferde einige Rennen gewonnen.

Er ging auf sein Zimmer und zog sich entsprechend um. Der dunkelblaue Smoking kontrastierte ausgezeichnet zu seinem blonden Haar. Claus trug ihn gern. Er wusste, dass nicht nur seine Mutter ihn gern darin sah.

Sie saßen im Salon, der nicht wie andere Räume im Kärntner Bauernstil eingerichtet war, sondern mit kostbaren englischen Antiquitäten-Möbeln aus dem 18. Jahrhundert. Die Haushälterin trug die Speisen auf. Der Patriarch saß bereits an der Stirnseite des Mahagonitisches. Diethelm Costes war zurück. Justine, Claus’ Schwester, hatte ein türkisfarbenes Abendkleid an, das tief ausgeschnitten war. Seine Mutter trug wie üblich weiß. Justine war nur ein Jahr jünger als Claus und er liebte sie zärtlich. Sie war nach ihrer Mutter geschlagen und konnte mit Fug und Recht als Schönheit bezeichnet werden.

Sie sprang, als er eintrat, sofort auf, stürmte in seine Arme und gab ihm einen herzhaften Kuss auf die Wange.

„Schön, dass du mal wieder bei uns bist. Ich bin eben aus München zurück. Es war wieder mal der reinste Horror. Eine Stunde Stau.“

„Was macht das Studium?“

Sie studierte Betriebswirtschaft und hatte viel von der zupackenden Art des Patriarchen.

„Der Herr Enkel hat die Disziplin verlernt. Wir essen pünktlich, müsstest du doch wissen“, unterbrach der Alte ihr Gespräch. Sie setzten sich beide.

Der Patriarch löffelte irgendeine Suppe. Für ihn wurde stets gesondert gekocht. Während die anderen Mitglieder der Familie sich einem Rehbraten mit Kraut und Klößen widmeten, aß er Salate und Körner. Dazu trank er Quellwasser, das extra für ihn in Vichy abgefüllt wurde. Die anderen tranken einen Bordeaux.

„Claus, schwänzt du mal wieder?“, fragte Justine mit lustigem Funkeln in den blauen Augen.

„Nein. Der Herr Enkel will sein Studium schmeißen!“, antwortete der Alte mit einem Blick so kalt wie das Eis in seinem Wasserglas.

„Oh!“, entfuhr es Justine. Ihre Stirn zeigte Sorgenfalten.

„Daraus wird natürlich nichts. Ich habe es ihm verboten!“, fuhr der Alte fort und mümmelte an seinen Körnern.

„Kann ich mir vorstellen“, sagte Justine. „Was willst du denn machen, Bruderherz?“

„Ich habe mich an der Filmakademie eingeschrieben.“

„Ach, der Geist von Mutters Vater reitet dich mal wieder.“

„Ich werde ihm meine Hand entziehen, wenn er die Familie im Stich lässt“, sagte der Patriarch in gewichtigem Ton. Wieder ein Blick, der seine Wut zeigte.

„Sohn, was soll das?“, mischte sich Diethelm Costes ein. „Natürlich gehst du nach Berlin zurück und studierst zu Ende und …“

„Bin nicht daran interessiert!“, schnitt ihm Claus das Wort ab.

„Sollten wir nicht wenigstens bei Tisch den Streit vergessen?“, warf die Mutter zaghaft ein.

Es war eine ungemütliche Mahlzeit. Alle konzentrierten sich nun auf die Teller.

„Also, ich finde, er kann es doch mal ausprobieren“, verteidigte Justine den Bruder. „Vielleicht sieht er dann, dass ihm die Filmerei auf Dauer doch keinen Spaß macht. Ich habe auch erst Archäologie studiert und dann gemerkt, dass es nichts für mich ist.“

„Aber das Betriebswirtschaftsstudium macht dir Spaß“, freute sich Diethelm Costes. Er war recht stolz auf seine schöne Tochter.

„Ja. Das ist mein Ding. Ich werde nächstes Jahr fertig und dann nach Falkenburg ziehen und dort in der Marketingabteilung arbeiten, nicht wahr, Großvater?“

Das Gesicht des Alten wurde nun weicher.

„Wenn du dich weiter gut machst, steht dir alles offen.“

„Na, Großvater, dann hast du doch eine Costes für die Nachfolge“, warf Claus ein. Es fiel ihm schwer, das Wort „Großvater“ über die Lippen zu bringen. Wieder der kalte, basiliskenhafte Blick.

„Autos verlangen Eier! Aus gutem Grund gibt es keine Autofirma, die von einer Frau geführt wird. Tut mir leid, Justine.“

Isolde Costes atmete schwer aus.

„Großvater, du bist hoffnungslos rückständig“, erwiderte Justine mit angestrengter Miene.

„Mag sein, dass ich nicht allen modischen Trends hinterherlaufe. Claus ist der Nachfolger und ich werde ihm die Flausen noch austreiben!“

„Kann man nicht einen ruhigen Abend miteinander verbringen?“, klagte die Mutter.

„Großvater hat recht. Es kommt gar nicht infrage, dass du diesen Filmfimmel weiter verfolgst“, tat Diethelm Costes energisch und zupfte nervös an seinen Manschetten.

„Ich habe gesagt, was ich tue“, erwiderte Claus achselzuckend. „Wir können das natürlich noch einmal wiederkäuen. Aber es bleibt dabei. Ich studiere an der Filmakademie.“

„Das wirst du nicht!“, brüllte der Alte und schleuderte sein Glas nach Claus. Es polterte neben dessen Kopf zu Boden. Claus schmiss lachend ebenfalls sein Glas. Im Gegensatz zum Alten traf er. Der Rotwein lief blutrot auf dessen Smokinghemd herunter.

„Raus mir dir! Raus!“, kreischte der Alte fassungslos. Niemand konnte sich erinnern, ihn jemals so laut schreien gehört zu haben. Immer sprach er sehr leise, selbst wenn seine Worte Zorn ausdrückten.

„Du entschuldigst dich sofort bei deinem Großvater“, brüllte Diethelm Costes.

„Er hat doch zuerst angefangen“, verteidigte sich Claus. „Ich dachte, das macht ihm Spaß“, setzte er ironisch lächelnd hinzu.

„Du verlässt Costeshall auf der Stelle“, kreischte Alfred Costes außer sich.

„Hört auf!“, schrie die Mutter. „Natürlich bleibt er. Hier ist sein Zuhause.“

„Nicht mehr. Er hat sich außerhalb der Familie gestellt. Verschwinde! Von nun an will ich dich nicht mehr sehen, es sei denn, du kommst zur Vernunft und entschuldigst dich bei mir.“

„Das wirst du nicht erleben.“

Claus stand auf, warf die Serviette auf den Tisch, ging auf sein Zimmer und zog sich erneut um. Als er den Koffer packte und einige Sachen aus dem Schrank darin verstaute, kam die Mutter zu ihm und sagte kopfschüttelnd: „Du hättest diplomatischer reagieren sollen.“

„Bei diesem Ungeheuer?“

„Er hat mir gerade befohlen, dass ich dafür sorgen soll, dass du niemals hier bist, wenn er sich auf Costeshall aufhält. Gott sei Dank ist er ja meistens in Falkenburg, sodass dies kein Problem sein dürfte. Hier ist dein Zuhause, habe ich ihm gesagt. Er hat mir nicht mal geantwortet und ist zu seinem Turm gestürzt. Wir werden ihn heute Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen. Fahr doch erst morgen.“

„Nein. Ich fahre sofort. Sonst vergesse ich mich noch.“

„Ach, Claus, es ist alles so furchtbar“, schluchzte sie. Sie tat ihm leid. Was für ein furchtbares Leben führte sie hier.

„Ums Geld mach dir keine Sorgen. Ich habe das Haus meines Vaters verkauft und habe genug eigenes Geld. Ich schicke es dir. Es sind fast fünfhunderttausend Mark. Damit kommst du in den nächsten Jahren über die Runden.“

„Das wird nicht nötig sein, Mutter. Ich kann mich auch so durchschlagen.“

„Rede nicht. Ich schicke dir das Geld.“

„Na schön.“

Er umarmte sie noch einmal. Trotz seiner ersten Weigerung war er froh, sich über Geld keine Sorgen machen zu müssen.

„Mach es gut, mein Einziger“, flüsterte sie.

Auf dem Flur begegneten sie Diethelm Costes, der wohl wieder auf dem Weg zu irgendeinem Stelldichein war.

„Da hast du uns ja einen schönen Streit ins Haus getragen! Wie kannst du dich nur so aufführen? Eine Schande ist das!“

„Wenn etwas eine Schande ist, dann ist es doch wohl dein Leben.“

Wutentbrannt holte sein nomineller Vater aus. Claus wich zurück, sodass ihn der Schlag nur an der Schulter traf. Unter dem nächsten Schlag duckte er sich weg und schlug zurück. Diethelm ging daraufhin zu Boden.

„Er schlägt seinen Vater!“, kreischte er. „Der Sohn hebt die Hand gegen seinen Vater.“

„Du bist nicht mein Vater, das weißt du ganz genau!“

Diethelm warf seiner Frau einen entsetzten Blick zu.

„Hab dich nicht so. Wir sind unter uns. Er weiß es.“

Mühsam rappelte sich Diethelm hoch, klopfte seinen Smoking ab und taumelte hinaus. Es war wohl zu viel für ihn, seinem Bruder ins Gesicht zu sehen.

„Komm bald wieder“, schluchzte die Mutter.

„Es tut mir weh, dich hier zu wissen.“

„Es ist das einzige Zuhause, das ich habe. Er würde es auch nie erlauben, dass ich gehe.“

„Jetzt kann er dich doch nicht mehr erpressen.“

„Es geht nicht. Es ist zu spät. Ich kann kein neues Leben anfangen. Ruf mich öfter an als in der Vergangenheit. Ich muss doch wissen, wie es dir geht.“

Er küsste ihr noch einmal die Stirn und ging hinaus. Als er den Motor anlassen wollte, kam Justine herausgelaufen. Er drehte die Scheibe herunter. Sie beugte sich zu ihm in den Wagen.

„Du hast ja ein schönes Durcheinander angerichtet, Bruderherz.“

„War nicht meine Schuld. Er ist es nicht gewohnt, dass es anders läuft, als er es sich vorstellt.“

„Du ziehst es durch?“

„Natürlich.“

„Schade, dass ich kein Mann bin.“

„Das bedauere ich auch. Dann könntest du den Costes-Konzern übernehmen.“

„Ich werde ihm schon zeigen, dass ich genau so viel kann wie ein Mann und in manchen Dingen sogar besser bin. Aber mit einem Ding zwischen den Schenkeln wäre es halt leichter.“

„Du wirst es schaffen, Justine. Ich bin auf deiner Seite.“

Es war nicht nur so dahingesagt. Er kannte ihre Zielstrebigkeit, ihren Ehrgeiz und blitzgescheit war sie auch. Sie würde es dem Alten zeigen und vielleicht kam er noch selbst darauf, dass sie sogar die bessere Option für die Costes-Werke war.

„Ich liebe dich, Bruderherz. Ich habe schon oft bedauert, dass du mein Bruder bist. Pass auf dich auf.“

„Ich liebe dich auch, Schwesterchen. Du wirst schon jemanden finden, der für Herzschmerzen sorgt.“

„Ich lasse so schnell keinen in mein Herz. Es müsste schon jemand wie du sein. Aber den finde mal. Wir werden uns in München öfter sehen können, nicht wahr?“

„Ganz sicher“, versprach er.

Sie winkte ihm nach, als er aus dem Hof fuhr.

Auf der Fahrt nach München wurde ihm bewusst, dass etwas Neues begann. Er fühlte sich befreit. Er würde das werden, was seine Mutter in ihm gesehen hatte, ein Käutner oder Wilder oder … ein Orson Welles. Warum nicht?

Als er in München war, stieg er, vertrauend auf das Geld der Mutter, im Vier Jahreszeiten ab. Obwohl es nach Mitternacht war, brachte er nur seinen Koffer in die Juniorsuite und ging, trotz des leichten Regens, die Maximilianstraße hoch bis zur Liebfrauenkirche. Er nahm sich vor, in spätestens zwei Jahren diese Stadt erobert zu haben und dann würde Europa drankommen. Obwohl er müde war, ging er gegenüber dem Hotel in eine Bar, die selbst zu dieser späten Stunde noch gut besucht war. Er setzte sich an den Bartresen und bestellte einen Chivas. Eines Tages, er war sich dessen ganz sicher, würde er in Hollywood produzieren. Es gab keine Grenzen. Man muss sich dessen nur bewusst sein. Nun musste er beweisen, dass er für Siege taugte.

Der Enkel des Citizen Kane. Die Geschichte des Sternenjägers

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