Читать книгу Der Enkel des Citizen Kane. Die Geschichte des Sternenjägers - Heinz-Joachim Simon - Страница 8
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ОглавлениеJedes Paradies hat seine Schlange
Es ging durch einen langen Tunnel, bis man vor dem schier endlosen rotsteinigen Band des Autowerkes stand. Ein typisches Bauwerk großdeutschen Wahnsinns. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Hitler und Speer sich gegenseitig daran aufgeilten, das größte Autowerk aller Zeiten zu bauen. Aus ihm sollten die Igel entschlüpfen, die den Deutschen die Mobilität sicherten. Ich meldete mich an der Wache des Werkschutzes. Es war lange her, da hatten mich diese Sheriffs verfolgt, weil ich in dem Tunnel Flugblätter verteilte, die mehr Rechte für Arbeiter forderten.
Als ich das Büro des Alfred Costes nannte, stand der Wachmann stramm. Ich wurde wie ein rohes Ei behandelt und man bot mir an, mich zum Hochhaus zu begleiten, was ich nicht als nötig ansah. Das Hochhaus jenseits des Kanals war selbst vom anderen Ende von Falkenburg sichtbar. Es war das Herz der ganzen Region. Hier arbeiteten die wichtigsten Abteilungen und in dem obersten Stockwerk der Vorstand. In der Halle im Erdgeschoss wurden die Prototypen der Costes-Werke präsentiert. An der Information sagte ich wieder mein Sprüchlein auf und schob den Anmeldeschein über den Tresen. Diesmal konnte ich die Begleiterin, eine hübsche Brünette, nicht abwimmeln. Ich hatte auch keine Lust dazu, denn sie hatte das frische rotwangige Gesicht einer typischen Niedersächsin. Sie fuhr mit mir in das oberste Stockwerk. Von dort oben sah das Werk wie ein langer Güterzug aus, der zu einer glorreichen Zukunft unterwegs war. Im Vorzimmer saßen zwei ältliche Sekretärinnen und … an einem kleinen Tisch meine Lara vom Vorabend. Wir starrten uns beide erstaunt an und sie lachte.
„Kompliment. Gehört das zu Ihren Einfällen?“
„Sie haben mich herausgefordert“, ging ich auf sie ein.
Die beiden Sekretärinnen sahen uns an, als würden wir „Himmel und Hölle“ spielen. Bestimmt war hier oben noch nicht oft gelacht worden.
„Herr Costes erwartet Sie“, stammelte die mit dem Dutt.
„Gehen Sie ruhig hinein“, sagte Lara und zwinkerte mir zu.
Die andere Sekretärin mit einem Oberkörper wie ein Preisringer und stämmigen Beinen sprang auf und klopfte an die Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, führte sie mich vor den Allgewaltigen. Er saß hinter einem Schreibtisch, auf dem gut und gerne der Schlachtplan für Schlieffens Sichelschnitt Platz gehabt hätte. Aber nicht einmal ein vorwitziges Staubkörnchen befand sich auf dem Tisch, abgesehen von einer Batterie Telefone.
Das also war Alfred Costes, der Herrscher über das größte Auto-Imperium Europas. Mich erinnerte er an einen alt gewordenen Uhu, wozu auch der starre Blick beitrug. Er blinzelte nicht. Aufzustehen und mir die Hand zu geben hielt er nicht für nötig. Er betrachtete mich, als wäre ich ein Ausstellungsstück unten in der Halle. Endlich schien er genug gesehen zu haben und nickte.
„Setzen Sie sich“, sagte er und wies mit dem Kopf auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. Seine Stimme war nur unwesentlich kräftiger als ein Flüstern.
Ich stellte meinen Aktenkoffer ab und setzte mich auf die Sesselkante. Ich ärgerte mich über meine feuchten Hände.
„Sie betreuen unsere Geländewagen, Herr Hofmann?“
„Ja. Seit zwei Jahren.“
„Ich habe mir Ihre Werbung angesehen. Nicht schlecht. Man merkt, dass Sie Benzin im Blut haben.“
Ich wusste von dem Marketingleiter, dass dies das größte Kompliment war, das er zu vergeben hatte. Ich nickte erfreut.
„Ich habe hier im Werk meine ersten Schritte in der Werbung gemacht. Außerdem bin ich ehemaliger Falkenburger. Wir leben hier den Autobau.“
Ein gnädiges Kopfnicken. Augenscheinlich hatte ich die richtigen Worte gefunden. Er stand auf, ging an das Fenster und sah hinunter auf das lange Band der Hallen und dann hinüber auf die Stadt, deren König er war.
„Es geht voran. Eines Tages wird die Stadt mehr als hunderttausend Einwohner haben.“ Abrupt drehte er sich zu mir um. „Die Werbung, die Sie machen, zeigt viel Einfallsreichtum und Dynamik. Sie macht Lust, in einen Costes-Geländewagen zu steigen und loszufahren. Kurz: sie macht gierig. So sollte unsere ganze Werbung aussehen. Was würden Sie dazu sagen, wenn wir Ihnen den Etat für unsere neue Modellreihe geben? Ein Budget von 10 Millionen.“
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich würde zwar noch Leute einstellen müssen, aber wir wären in diesem Fall die größte Werbeagentur in Süddeutschland und auf Augenhöhe mit so illustren Namen wie DDB, GGK und Ogilvy.
„Es wäre mir eine Ehre. Ich kann Ihnen versichern, dass wir unsere besten Leute dafür einsetzen würden.“
„Das versteht sich von selbst“, wies er mich zurecht.
Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und ordnete seine Füllfederhalter und Kugelschreiber, obwohl da nicht viel zu ordnen war. Er lehnte sich zurück. Sein Blick wurde herablassend.
„Sie würden alles dafür tun, nicht wahr?“
„Natürlich. Ich selbst würde die Leitung des Etats übernehmen. Er hätte bei mir höchste Priorität. Schließlich bekommt man so ein Angebot nicht zweimal im Leben.“
„Gut. Sie haben es erfasst.“ Wieder durchbohrte er mich mit seinem Blick. „Sie kennen meinen Enkel sehr gut, habe ich gehört.“ Er schoss die Frage ab, als hätte er einen Revolver abgefeuert und erwartete nun, dass ich umfiel. Bei mir dröhnte es im Kopf. Was wollte der Autokönig von mir?
„Ja. Wir sind Freunde.“
„Sie haben an diesem dummen Hörspiel mitgearbeitet, stimmt’s?“
Das wussten nur wenige. Er schien gut über die Aktivitäten seines Enkels informiert zu sein. Claus konnte es ihm nicht gesagt haben, da er keinen Kontakt mehr zu seinem Großvater hatte. Also, woher wusste er so gut Bescheid? Er ließ seinen Enkel beschatten, beantwortete ich mir die Frage und ein Zuträger fand sich immer.
„Sehen Sie sich oft?“
„Nur hin und wieder. Ich wohne in Stuttgart und er …“
„Ich weiß, wo mein Enkel wohnt“, wehrte er ab. „Was treibt der Bengel zur Zeit?“
„Keine Ahnung.“
„Das wissen Sie nicht?“, fragte er unzufrieden. „Er will doch einen abendfüllenden Film machen. Aber dazu fehlt ihm Geld, stimmt’s?“
Ich nickte zögernd. Wenn er das schon wusste, brauchte ich nicht den Ahnungslosen zu spielen.
„Er wird das Geld schon noch auftreiben“, erwiderte ich trotzig.
Auf seiner Stirn erschienen ein paar Falten. „Was soll das für ein Film werden?“
Ich sagte es ihm lieber nicht. Die Idee des Films würde ihm bestimmt nicht gefallen.
„Ein Zehn-Millionen-Etat ist doch wohl ein ausreichender Preis dafür, dass Sie mich auf dem Laufenden halten. Ich will wissen, was mein Enkel so treibt.“
Das war es also. Die zehn Millionen waren ein Judaslohn. Mich ärgerte seine Selbstgewissheit. Ich konnte Claus nun besser verstehen.
„Würden Sie Ihren Freund bespitzeln?“, entfuhr es mir. Sicher die geschäftsschädigendste Frage, die in diesem Raum je gestellt wurde. Aber ich war über die Selbstverständlichkeit, mit der er mir die Rolle des Judas zuschob, so aufgebracht, dass ich alle Vorsicht vergaß.
Er nahm ein Lineal vom Schreibtisch auf und drehte es in seinen altersfleckigen Händen. Ein feines Lächeln deutete sich um seine Mundwinkel an.
„Es ist zu seinem Besten, damit ich auch weiterhin die Hand über ihn halten kann. Noch so eine dumme Sache wie das Hörspiel und die Tarek-Presse wird ihn sich vornehmen und keinen Unterschied zwischen ihm und meinem Konzern machen. Das könnte letztendlich Arbeitsplätze kosten. Was ich Ihnen antrage, geschieht zu seinem und zum Besten aller.“
Womit er vor allem das Image der Costes meinte. Er sprach immer noch leise und überlegt. Man musste ganz genau hinhören, was durch mein linkes taubes Ohr nicht leicht war. Ich glaubte, eine Schlange zischen zu hören.
„Ich verlange nichts Unredliches“, fuhr er fort. „Sie sollen nur einem Großvater helfen, den Enkel auf die richtige Bahn zurückzubringen. Er ist ein Costes und gehört nach Falkenburg.“
Er konnte ja nicht wissen, dass mir Claus einiges, wenn auch damals noch nicht alles, über das Zerwürfnis zwischen den beiden erzählt hatte. Ich stand am Scheideweg. Mir fiel das Gedicht von Kavafis über das Große Ja und Nein wieder ein. Der Greis hinter dem Schreibtisch hatte mir ein Angebot gemacht, wie es ein Pate nicht verführerischer hätte offerieren können. Ich hasste ihn dafür.
„Sie werden mir von seinen Projekten und Kontakten jeden Monat berichten. Sie werden wegen des neuen Etats ohnehin jede Woche in Falkenburg sein müssen.“
Das war der große Augenblick. Ich würde ein Schwein werden und in Geld schwimmen oder noch in den Spiegel sehen können und dafür weiterhin kleine Brötchen backen. Ich schluckte zweimal und schüttelte den Kopf. Ich war ein Narr. Ein Idiot. Aber ich war mir sicher, dass die Befriedigung, einen Bentley zu fahren und in einem schlossähnlichen Anwesen zu wohnen, nicht lange anhalten würde.
„Ich kann mich nur wiederholen“, sagte ich. „Auch ein Costes würde niemals einen Freund bespitzeln und wenn ich auch nicht reich bin und nur ein kleiner Werbemann, so schreibe ich mir doch das gleiche Ehrgefühl zu.“
Wieder dieses feine Lächeln, der kalte Blick, die leise, eisige Stimme.
„Und wenn ich den Etat für unsere Transporter draufschlage? Das wären noch einmal fünf Millionen und ein Vertrag auf fünf Jahre. Sie sind doch Geschäftsmann und nicht nur Künstler. Sie haben in den paar Jahren eine erfolgreiche kleine Agentur aufgebaut, wie mir mein Marketingleiter versicherte. Sie könnten eine erfolgreiche große Agentur haben, vielleicht die berühmteste Deutschlands.“
„Stimmt. Ich bin auch Geschäftsmann. Aber von der hanseatischen Sorte.“
„Ich vergaß zu erwähnen, dass die Werbung weltweit geschaltet wird. Sie würden auch an der Amerikawerbung kräftig mitverdienen.“ Er beobachtete mich weiterhin mit dem Uhublick.
Mir wurde fast schwindlig. Wir redeten hier über ein paar Millionen Gewinn.
„Tut mir leid“, krächzte ich, obwohl mir ein kleiner Teufel zurief: Schlag ein. Es ist nur ein Geschäft.
Das Gesicht des Alten zeigte keine Regung. Lediglich eine Augenbraue ging nach oben.
„Sind Sie ein Narr? Ein Michael Kohlhaas? Jemand, der träumt? Träumer haben im Geschäftsleben selten Fortune. Sie würden ein reicher Mann sein. Reichtum macht unabhängig. In ein paar Jahren könnten Sie sich Prinzipien leisten.“
„Ich würde nicht darüber hinwegkommen, dass ich ein Verräter war.“
Nun kam so etwas wie Erstaunen in seinen Blick. Er lächelte wie eine Kobra, abgesehen davon, dass ich Kobras noch nie habe lächeln sehen. Aber er bekam das ganz gut hin.
„Dann wird es bei Ihrer Werbeagentur wohl bei einer kleinen Klitsche bleiben. Einem Narr kann ich keinen Etat anvertrauen. Der Etat für die Geländewagen wird Ihnen gegen eine kleine Entschädigung sofort gekündigt. Das bekommen unsere Anwälte schon hin.“
Das glaubte ich ihm aufs Wort.
„Tut mir leid, Herr Costes.“
„Das wird es bestimmt. Sie können gehen.“
Ich stand auf, nahm meinen Aktenkoffer auf und ging zur Tür. Bevor ich sie öffnete, packte mich der Wagemut und ich wurde zur Maus, die sich vor der großen Katze noch einmal trotzig aufrichtete.
„Nun kann ich verstehen, dass Ihr Enkel nichts mit Ihnen zu tun haben will.“
„Raus!“, zischte es.
Ich stolperte aus dem Allerheiligsten. Lara – ich wusste ihren richtigen Namen immer noch nicht – wandte sich von ihrem Schreibtisch zu mir um, wo sie mit der Sekretärin mit dem Dutt an einem schwarzen Kasten saß.
„Sie haben Chuzpe, Camus!“, sagte sie mit rotem Kopf und gab mir ihre Visitenkarte. „Holen Sie mich heute Abend, sagen wir um zwanzig Uhr, vom Gästehaus ab.“
Ich sah auf die Karte. Mir fiel fast die Kinnlade herunter. Lara war die Enkelin des Autokönigs, Justine Costes.
„Ich muss eigentlich zurück …“
„Ihre Entscheidung“, sagte sie lächelnd.
„Gut. Ich werde da sein.“
Benommen lief ich an den langen Hallen vorbei zur Wache. Der blau uniformierte Werkschutzmann sah mich merkwürdig an. Meine Hände zitterten.
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte er, als ich meinen Zutrittsausweis zurückgab.
„Nein. Alles in Ordnung.“
Nichts war in Ordnung. Ich musste mir Gedanken machen, ob ich die Agentur zu verkleinern hatte. Ich fuhr zu meinem Hotel am Steimkerberg zurück und rief Claus an. Ich bekam ihn auch gleich an den Apparat.
„Du, es ist gerade schlecht …“, wollte er mich abwimmeln.
„Ich war gerade bei deinem Großvater.“
Nun hatte er Zeit. „Du bist in Falkenburg?“
„Er hat mir gerade den höchsten Judaslohn der Geschichte angeboten.“
Jetzt hatte er jede Menge Zeit für mich. Ich erzählte ihm, wie es abgelaufen war.
„Du bist … du bist der tollste, herrlichste Narr, den es gibt.“
Ein recht zweifelhaftes Kompliment, wie ich fand.
„Ich werde dir das nie vergessen. Es gibt auf dieser Erde sicher keine drei Menschen, die sein Angebot nicht angenommen hätten. Mein Gott, ich hätte verstanden, wenn du darauf eingegangen wärst. Du hättest es doch zum Schein tun können und wir hätten ihn mit Desinformationen vollgepumpt.“
„Das wäre eine Möglichkeit gewesen, aber sehr anständig wäre es auch nicht. Außerdem war ich viel zu empört über das Angebot, um auf so etwas zu kommen.“
„Bist eben ein feiner Kerl. Wie gesagt, ich vergesse dir das nie. Vielleicht kann ich das irgendwann einmal gut machen.“
„Lass dir was einfallen. Übrigens, ich habe deine Schwester kennengelernt. Eine faszinierende Frau. Ich habe mich heute Abend mit ihr verabredet.“
„Justine ist in Falkenburg? Na, da gehört sie auch hin. Ich wünsche dir viel Glück. Sie ist wirklich etwas ganz Besonderes und im Übrigen viel besser geeignet als ich, den Konzern zu führen. Großvater will in seinem grenzenlosen Machotum nicht begreifen, dass sie die geeignete Erbin für das Imperium ist. Übrigens, ich fliege morgen mit Melissa nach London. Sie will unbedingt, dass ihr Vater mich kennenlernt. Er gibt dort im Ritz einen Empfang. Tarek hat drüben jetzt so gut wie alle Boulevardzeitungen in seiner Hand und dies soll gefeiert werden.“
„Du hast es also geschafft, die schöne Melissa zu erobern!“
„War gar nicht so leicht. Sie ist verdammt kapriziös und so selbstbewusst, als wäre sie ein Mitglied der Königsfamilie.“ Er lachte über seinen Vergleich. „Aber sie ist die Richtige für mich. Ich werde sie heiraten.“
„Hast du ihr schon einen Antrag gemacht?“, fragte ich überrascht. Ich konnte ihn mir verheiratet einfach nicht vorstellen.
„Das noch nicht. Aber es läuft darauf hinaus.“
„Was ist mit deinem Film?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Mir fehlt immer noch der Plot.“
„Und Geld“, fügte ich hinzu.
„Schon. Aber das ist der leichtere Teil.“
„Melde dich, wenn es weitergeht.“
„Wir hören voneinander“, schloss er. „Und denke daran, auch Justine ist eine Costes.“
Was sollte sie sonst sein. Ich ärgerte mich nun, dass mir nicht die Idee gekommen war, zum Schein auf das Angebot des Patriarchen einzugehen. Du warst ein paar Minuten ein König im Werbereich und hast es verspielt, machte ich mir Selbstvorwürfe. Aber schließlich beruhigte ich mich mit der Selbsterkenntnis, dass ich das falsche Spiel ohnehin nicht lange hätte durchhalten können. Der Alte war viel zu intelligent, um lange hinters Licht geführt zu werden.
Ich holte Justine vom Gästehaus ab. Ehemals ein Bauernhof, war es zu einem Hotel für VIPs ausgebaut worden. Sie trug einen türkisfarbenen Hosenanzug mit einem Poncho in genau der gleichen Farbe und hohe braune Stiefel. Sie lachte mich fröhlich an. Sie war wie verwandelt. Burschikos hakte sie sich bei mir ein. Ich deutete in Richtung Himmel.
„Es wird bald regnen.“
„Ich liebe Regen. Das einzig Schöne an Falkenburg sind die Laubwälder um die Stadt. Lass uns ein wenig spazieren gehen.“ Ganz unkompliziert war sie zum Du übergegangen.
„Schön. Dann zeige ich dir die ‚Drei Steine‘, wo wir früher immer die Wildwestfilme nachgespielt haben, wenn wir aus dem Kino kamen. Damals, als ich noch ein kleiner Junge und voller Träume war.“
„Hört sich spannend an.“
Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und ich grübelte, was ihre Verwandlung veranlasst haben könnte. Ich bekam es auch bald zu hören.
„Du hast Großvater beeindruckt. Mein Gott, einen Millionen-Auftrag abzulehnen, das hat schon etwas.“
„Hat er dir das erzählt?“
„Auch. Ich habe mitgehört. Jedes Gespräch im Allerheiligsten wird aufgezeichnet.“
Nun wusste ich, warum sie einen roten Kopf bekommen hatte, als ich das Vorzimmer betrat.
„Er misstraut wohl jedem Menschen?“
„Jedem!“, bestätigte sie. „Sonst wäre er nie der große Costes geworden.“
„Du findest es gut?“
„Weiß nicht. Einerseits ist es natürlich klug, aber andererseits führt Misstrauen zu einem autoritären Führungsstil. Ich will sehen, dass ich anders zurechtkomme.“
Damals hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass sie davon überzeugt war, eines Tages in die Fußstapfen des Patriarchen treten zu können.
Wir waren an den ‚Drei Steinen‘ hinter dem Freibad angelangt und ich zeigte ihr den einst verzauberten Ort meiner Kindheit. Damals dünkten mich die Felsen wesentlich größer.
„Sie waren für mich die Rocky Mountains.“
„Du solltest mal zu uns nach Bayern kommen, dann lernst du wirkliche Berge kennen. Warst du schon mal am Starnberger See?“
„Ja. Nein. Immer nur daran vorbei gefahren auf dem Weg dorthin, wo die Zitronen blühen.“
„Italien? Meine Lieblingsstadt ist Florenz. Wir haben dort in der Nähe eine hübsche Villa aus dem 18. Jahrhundert. Lass uns dorthin fahren“, sagte sie spontan.
Es fing zu regnen an. Wir liefen in den Schutz einer mächtigen Eiche. Die Regentropfen liefen uns über das Gesicht. Ich nahm ihren Kopf und wir sahen uns in die Augen. Als ich sie küsste, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Sie zögerte erst, doch dann küsste sie heftig zurück. Sie entzog sich mir plötzlich.
„Das geht mir eigentlich zu schnell, Camus. Gestern kannte ich dich noch gar nicht.“
„Hast du es nicht gefühlt?“
„Was gefühlt?“
„Den elektrischen Schlag?“
„Doch. Schon. Aber das hat nichts zu sagen. Passiert mir öfter.“
„Vielleicht doch. Du hattest gestern noch eine Menge Packeis in den Augen und heute blickst du voller Wärme. Es ist mir egal, wer du bist. Dein Hintergrund stört mich nicht.“
„Warum sollte es auch? Ich bin mein eigener Herr. So wie Claus, nur auf eine andere Art. Wir alle haben seine Gene in uns. Du wirst es nicht leicht mit mir haben.“
„Still!“, sagte ich und legte meinen Finger auf ihre Lippen.
„Was ist?“
„Es ist die Nachtigall und nicht die Lerche.“
Ich wollte ihr auf diese Art zu verstehen geben, dass ich mich trotz aller Widerstände, die ich durchaus voraussah, in sie verliebt hatte.
„Du Spinner!“, sagte sie lachend und boxte mir in die Rippen. Sie sah mich von unten durch ihre nassen Haare an, nahm meine Hand und küsste sie.
„In vier Wochen habe ich eine Woche frei. Wir könnten nach Florenz fahren“, schlug sie vor.
„Gut. Und wenn dort deine Familie auftaucht?“
„Du meinst Großvater? Nein, er liebt Italien nicht. Er ist ein Amerikafan. Und selbst wenn, ich bin ich.“
Ich versuchte sie wieder zu küssen, aber sie schob mich sachte zurück.
„Nicht so schnell, Camus. Ich muss dich erst besser kennenlernen. Wenn jemand so viele Millionen ausschlägt, dann ist er entweder ein besonderer Mensch oder ein Narr.“
Ich verstand. Sie wollte das Tempo vorgeben. Ich kann nicht sagen, dass mir das gefiel.
„Dein Bruder hat mich einen herrlichen Narren genannt. Er meinte, ich hätte auf den Vorschlag eures Großvaters eingehen und ihn mit Desinformationen versorgen sollen.“
„Das wäre nicht lange gut gegangen. Du kennst Claus?“
Ich erzählte ihr, was uns zusammengeführt hatte.
„Oh, mein Gott. Dieses blöde Hörspiel? Das war doch auch so eine Narretei.“
„Zumindest hat es seinen Namen in ganz Deutschland bekannt gemacht. Manche nennen ihn den ‚Wonderboy‘.“
Ich war etwas verstimmt über ihre Einschätzung, aber mehr noch darüber, dass sie den Takt vorgab, den unsere Beziehung haben würde. Dabei hätte ich doch zufrieden sein können. Am Vorabend hatte sie mich noch ganz anders angeblickt.
„Hast du mit Männern schlechte Erfahrungen gemacht, dass du so vorsichtig bist?“
„Mich will jeder haben“, sagte sie wie selbstverständlich. „Ich bin eine Costes. Deswegen ziehe ich die Mitgiftjäger an wie der Honig die Bären.“
„Du hast doch gesehen, dass ich nicht für jedes Angebot zu haben bin.“
„Ja. Das hat mich beeindruckt.“
„Und was spricht sonst noch für mich?“
„Genau das will ich herausfinden“, sagte sie und beugte sich zu mir und wir versanken in einen langen Kuss. Wie gesagt, sie gab den Takt vor. Mein Herz schlug wie wild und es war mir egal, dass ich mit ihr viele Millionen im Arm hielt. Für mich war sie die Lara aus Doktor Schiwago. Aber das behielt ich für mich.
„Weißt du, was mich zuerst an dir beeindruckt hat? Dieses Gedicht von Pasternak. Da wollte ich wissen, was das für ein Kerl ist.“
„Dann buchen wir es auf die Habenseite.“
„Durchaus!“, gab sie zu.
Wir gingen zurück zum Gästehaus.
„Wie geht es weiter?“, fragte ich, als wir dort angelangt waren.
„Das musst du doch wissen.“
„Da ich den Geländewagenetat los bin, habe ich keinen Grund, oft nach Falkenburg zu kommen.“
„Nein? Bin ich kein ausreichender Grund?“
Wir sahen uns eine Weile abwartend an. Jeder von uns wartete, dass etwas geschah.
„Komm!“, sagte sie plötzlich. „So nass wie ein Hund kann ich dich nicht laufen lassen. Du kannst dir bei mir auf dem Zimmer wenigstens die Haare föhnen und deinen Mantel über die Heizung legen.“
Sie hatte eine Suite, die mit schönen antiken Möbeln eingerichtet war.
„Das hier hat Großvater für mich einrichten lassen“, sagte sie, warf den Mantel ab und knöpfte die Bluse auf.
Mir stockte der Atem. Sie trug keinen Büstenhalter. Ich ging auf sie zu und sie drückte sich an mich und wieder küssten wir uns. Erneut gab es diesen elektrischen Schlag zwischen uns. Sie lachte kehlig. Ich küsste ihre Brust und sie streifte meine Kleidung ab und zog mich in das Schlafzimmer. Wir liebten uns mit einer Leidenschaft, wie ich sie bis dahin noch nie gefühlt hatte.
Als wir erschöpft nebeneinander lagen, fragte ich: „Woher der Sinneswandel?“
„Mir war klar geworden, dass wir uns nicht so oft sehen werden. Und bis Florenz ist es noch Wochen hin. Ich wollte dir zeigen, was du verlierst, wenn du mir nicht treu bleibst.“
„Ich bin keiner, vor dem sich die Frauen auf die Bäume retten müssen.“
„Du bist ein Mann“, antwortete sie lapidar und beugte sich über meinen Schoß. Wir liebten uns dreimal in dieser Nacht. Ich hatte Millionen ausgeschlagen und dafür Justine bekommen, was ich für kein schlechtes Geschäft hielt. Aber wie Claus hatte ich mir eine nicht ganz einfache Geliebte ausgesucht.
Am nächsten Morgen beim Frühstück in dem kantinenartigen Restaurant sahen uns die Kellner mit betont gleichmütigen Mienen an.
„Sie wissen natürlich, wer ich bin und wollen so zeigen, dass ich mich auf ihre Diskretion verlassen kann.“
„Mir ist es wurscht, was sie denken. Aber ich bin davon überzeugt, dass dein Großvater bald erfahren wird, dass ich die Nacht mit dir verbracht habe.“
„Das glaube ich auch.“
„Es stört dich nicht?“
„Er soll ruhig sehen, dass ich meinen eigenen Kopf habe und mein Weg muss nicht immer mit seinem identisch sein.“
„Das wäre in diesem Fall auch schlecht möglich.“
Sie prustete vor Lachen und verschluckte sich an ihrem Tee. Die Kellner sahen erschrocken zu uns herüber. Ich klopfte ihr auf den Rücken. Schließlich legte sich ihr Husten.
„So witzig war ich nun auch wieder nicht.“
„Oh doch. Du weißt gar nicht, wie witzig. Warte mal.“
Sie nestelte an ihrem Hals, zog ein kleines goldenes Amulett hervor und reichte es mir.
„Das ist das Ankh-Zeichen. Die Pharaonen trugen es. Es sollte ewiges Leben verheißen. Vielleicht kann es auch für unsere Liebe etwas bedeuten.“
Da sie eine feierliche Miene machte, es ihr also wichtig zu sein schien, öffnete ich den obersten Knopf meines Hemdes und sie half mir, die Kette mit dem Amulett umzulegen.
„Du darfst es nie ablegen“, sagte sie ernst. „Meine Mutter hat es mir geschenkt. Sie hat es einst von einem ihrer Filmpartner bekommen, als sie in Ägypten drehte. Es soll antik sein.“
„Ich werde es nie ablegen.“
Dieses Versprechen sollte ich lange Zeit einhalten.
Wir vereinbarten, dass wir uns täglich um Mitternacht anrufen würden und ich wenigstens einmal im Monat nach Falkenburg und sie nach Stuttgart kommen würde. Wir verabschiedeten uns mit wehmütigen Blicken.
In der nächsten Zeit hatte ich verdammt hohe Telefonrechnungen. Es war die Hochzeit der ersten Liebe und ich wünschte mir, dass sie nie zu Ende ginge.