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Kapitel 4

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René stand stumm neben den beiden und schaute wie verzaubert auf Simone. Diese hörte scheinbar ganz interessiert auf Eckys witzig und. charmant geführte Unterhaltung, dabei konnte sie sich in Wirklichkeit gar nicht konzentrieren und verstand nur die Hälfte von dem, was er sagte. Sie musste sich regelrecht zwingen, nicht nach dem Manne hinzusehen, der sie mit seinen schönen Augen so verzaubert hatte. Dann sah Ecky plötzlich einen Bekannten, den er dringend sprechen musste.

„René, bitte tu mir einen Gefallen, unterhalte Simone eine Weile, bis ich zurück bin, und besorge ihr doch etwas zu trinken, das hatte ich Esel vor lauter Quatschen vergessen.“

Sprach' s und rannte davon. Zurück ließ er zwei Menschen, die völlig vergessen hatten, wie frei, lässig oder elegant sie sonst in solchen Situationen reagierten. Wie ein Pennäler und ein Backfisch beim ersten Rendezvous standen sie sich gegenüber und stotterten etwas von interessanten Leuten, nette Party und sonstiges Bla-Bla. Dann hörte René sich selbst sagen:

„Kommen Sie, wir wollen woanders hingehen, der Trubel hier geht mir auf die Nerven.“

Er erschrak vor seinen eigenen Worten; wie kam er nur dazu, so taktlos zu sein und eine ihm völlig unbekannte Dame überreden zu wollen, mit ihm diese Party zu verlassen und zu einem nicht definierten, anderen Ort zu gehen. Er schaute fast ängstlich auf die blonde Schöne und erwartete, böse getadelt zu werden. Simone war empört. In ihren Gedanken formulierte sie eine flammende Protestrede: was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Der musste ja eine seltsame Meinung von ihr haben, der glaubte wohl, sie wäre irgendein Flittchen, welches mit jedem mitlief. Eine solche Einladung auszusprechen, kaum dass man sich einige Minuten kannte, war doch der Gipfel und kam schon einer Beleidigung gleich. Sie setzte zornig zu einer Antwort an, um dann zu ihrer eigenen Überraschung eine freundliche, ja fast freudige Zustimmung aus ihrem Mund zu hören. Sie war verwirrt und dachte: was ist denn mit mir ,los, spinne ich denn? René, welcher die Gedanken erahnte, die da unter der hübschen, aber jetzt nachdenklich gekrausten Stirn abliefen, fasste sie kurz entschlossen am Arm und geleitete sie in Richtung des Ausganges, damit ihr ja keine Zeit blieb, die spontan getroffene Zusage zu widerrufen. Es gelang ihnen unbemerkt die Gesellschaft zu verlassen. Draußen war es noch hell, es war kurz nach einundzwanzig Uhr, und man schrieb den ersten Juni. Dieser Tag hatte mit strahlend schönem Sommerwetter und einem azurblauen Himmel eine Schönwetterperiode eingeleitet, welche von nun an fast zwei Monate anhalten sollte. Das Lokal, in dem diese Party abgehalten wurde, hieß zum Holzwurm, weil in seinen Mauern früher eine Schreinerei untergebracht, war, jetzt war es umgebaut und zu einer gemütlichen Bauernkneipe gemacht worden. Es lag am Anfang des Dorfes, zu Füßen der Weinberge. Die beiden schlenderten in Richtung der Rebhügel hinauf. Sie gingen nahe beieinander, ohne sich jedoch zu berühren. Die Richtung ihre Spazierganges war ihnen gleichgültig, und so gingen sie ziellos durch die unteren Bereiche der Weinberge. Erst waren sie sehr schweigsam, aber nach und nach verloren sie ihre anfänglichen Hemmungen, und bald schon waren sie in ein reges Gespräch vertieft. Das uralte, aber ewig junge Spiel einer neuen Liebe begann., Zwei Menschen, die sich sympathisch fanden, erlebten das einmalige Gefühl der ersten, langsam wachsenden Beziehung. Alles war neu an diesem Menschen, Aussehen, Redeweise, Benehmen, Gestik. Alle diese neuen Eindrücke wurden von beiden ohne Abstriche positiv aufgenommen. Bald schon flirteten sie heftig miteinander wie es nur Neuverliebte machen können. Als René merkte, dass Simone an den Steigungen außer Atem geriet, ging er langsamer und nahm ihre Hand, die sie ihm willig überließ. Mit sanftem Ziehen machte er ihr den Anstieg leichter. Auf einer Bank, die schon so hoch in den Weinbergen lag, dass man auf das Dorf hinunterschauen konnte, nahmen sie Platz, um eine kleine Verschnaufpause zu machen. Simone schaute hinter der Bank zum Berg hinauf, der noch weit und hoch über ihnen aufragte.

„Da möchte ich so gern einmal hinauf, aber Sie haben ja gesehen, dass dazu meine Kondition nicht reicht.“

„Nun, dann müssen wir beide ein wenig trainieren, und in zwei Wochen sind Sie dann so fit, dass Sie da oben hinauflaufen können.“

Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, und sie lächelte schmerzlich.

„Das wäre wunderbar, aber leider ist es nicht möglich.“

Dann wechselte sie abrupt das Thema und nahm ihm so die Möglichkeit Fragen zu stellen.

„Sind Sie auf Urlaub hier, denn in der Klinik habe ich Sie noch nie gesehen?“ fragte Sie ihn stattdessen.

„Ich wohne im alten Weingut, oben, versteckt in den Hügeln. Dort habe ich ein schönes Zimmer, gutes Essen und nicht zuletzt den besten Wein, den sie dort keltern. Dazu kommt die Ruhe und Abgeschiedenheit, die ich gesucht habe, um mich vom Arbeitsstress zu erholen. Wenn Sie so gern die Welt dort oben kennenlernen wollen, dann lade ich Sie einmal ein, mit mir dort hinauf zu fahren. Ich habe mir für die Zeit, in der ich hier bin, einen kleinen Geländewagen gemietet, damit komme ich überall hin. Für meinen eigenen Wagen habe ich im Dorf eine Garage genommen. So habe ich also für alle Gelegenheiten ein Fahrzeug zur Hand.“

„Das wäre wunderbar, Sie würden mir damit einen schon lang gehegten Wunsch erfüllen.“

„Dann wollen wir es gar nicht mehr lange hinausschieben. Das Wetter scheint schön zu bleiben, wie wäre es mit morgen?“

Sie überlegte kurz, dann nickte sie:

„Ja, morgen, das ginge. Ich habe bis vierzehn Uhr meine Anwendungen einschließlich der abschließenden Ruhepause hinter mir. Dann könnten wir uns treffen.“

„Wäre es Ihnen recht, wenn ich Sie dann um vierzehn Uhr am Brunnen vor der Klinik abhole?“

„Ja, ich komme sehr gern. Mein Abendessen werde ich abbestellen, dann brauche ich erst um zweiundzwanzig Uhr dreißig in der Klinik zu sein. Das heißt, wenn Sie so viel Zeit für mich übrig haben.“

René ergriff ihre Hand und sagte mit einer Stimme, der man anhörte, dass er das meinte was er sagte: „Für Sie hätte ich alle Zeit meines Lebens übrig.“

Danach blieb es einige Zeit still. Diese Redepause brauchten beide, um ihrer Verlegenheit Herr zu werden. Simone entzog ihm ihre Hand.

„Herr Martens, ich glaube, wir müssen an den Rückweg denken. Es wird schon langsam dunkel, und ich muss um zweiundzwanzig Uhr dreißig im Haus sein.“

„Aber Sie sind doch Privatpatientin; gilt für Sie denn das Gleiche wie für die anderen Kurgäste?“

Nein, eigentlich nicht, aber ich habe eine ziemlich angegriffene Gesundheit. Über die ich jetzt nicht sprechen will“, wehrte sie seinen Versuch, eine Frage zu stellen ab. Sie blieb einen Moment still, gab sich aber dann einen Ruck und fuhr mit ihrer Erklärung fort: „Doktor Körber, der Chefarzt und Freund meines Vaters, hat ein Abkommen mit mir getroffen, und daran halte ich mich auch. Alle Anwendungen habe ich am Vormittag, so kann ich die Nachmittage und Abende nach eigenem Gutdünken nutzen, aber ich muss nachts in der Klinik sein und darf dann auch keine Besuche empfangen. Diese Absprache läuft auf gegenseitiger Vertrauensbasis, ich habe sogar einen Hausschlüssel und niemand kontrolliert mich. Aber ich habe bis jetzt mein Wort gehalten und werde es auch in Zukunft tun. Doktor Körber hat zu mir gesagt: „Darauf muss ich bestehen, Simone, ich muss dich ja wenigstens in etwa unter ärztlicher Kontrolle haben.“

Sie standen auf und gingen Hand in Hand hinunter zum Ort, durch diesen hindurch und dann zur Klinik,. Die war auf der anderen Seite an den Berghängen erbaut und lag etwas höher als Dorf. so hatte man von dort aus einen schönen Ausblick auf den Kurort und darüber hinweg bis weit in das in der Ferne liegende Rheintal. Es war fast dunkel geworden, ihr Gespräch war mehr und mehr eingeschlafen, und sie gingen wie verzaubert stumm durch die anbrechende Nacht. An der Klinik gaben sie sich die Hand.

„Gute Nacht, Simone, der Abend war wunderschön. Ich darf doch Simone und du sagen?“

„Ja, René“, hauchte sie leise, um dann schnell zum Eingang der Klinik zu laufen. Dort wandte sie sich noch einmal um und winkte scheu dem Mann zu, der dort noch immer bewegungslos stand und ihr bewundernd hinterher schaute.

Herzkirschen

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