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Kapitel 5
ОглавлениеAm nächsten Tag stand René schon vor zwei Uhr mit dem Allradwagen vor der Klinik. Simone ging durch die Eingangshalle und sah ihn sofort. Ihr Herz machte einen Freudensprung, und sie wollte spontan zu ihm hinauslaufen. Aber dann sagte sie sich in Gedanken:“He, altes Mädchen, man soll einem Mann nie sofort zeigen, dass man schon besiegt ist!“
Sie stoppte ihren schwungvollen Gang ab und bog kurz vor dem Ausgang nach rechts zu einer Sitzgruppe ab. Dort setzte sie sich in einen großen Lehnsessel, aus dem sie hinaus auf den Vorhof und René schauen konnte. Ungeduldig und ganz zappelig wartete sie, bis der Uhrzeiger über der Rezeption auf zwei gerückt war. Diese wenigen Minuten, die sie dort wartete, wollten einfach nicht vergehen. Als die Uhr mit leisem Klang die volle Stunde schlug, stand sie schnell auf und ging hinaus, dabei musste sie sich zwingen, normal zu gehen und nicht das Laufen anzufangen.
„Hallo Simone, ist das lange her, dass ich dich zum letzten Mal sah. Genau sechzehn Stunden, drei Minuten und zwanzig Sekunden“, sagte er und schaute dabei mit gespieltem Ernst auf seine Armbanduhr.
„Hallo René“, antwortete sie im gleichen Tonfall und gab ihm ihre Hand, die er zärtlich drückte. Sie war verwirrt über die Gefühle die auf sie einstürmten, wenn sie ihn ansah und dem Klang seiner angenehm tiefen Stimme lauschte.
„Komm, steig ein, wir wollen hochfahren, dort auf relativ ebenen Wegen eine kleine Wanderung machen und zum Schluss auf dem Weingut wo ich wohne, eine gutes Viertele Wein trinken.“
Er hielt ihr höflich die Wagentür auf, die er dann sorgsam schloss. Dann lief er um den Wagen herum, stieg ein und sie fuhren los. Er hatte eine schöne Fahrstrecke ausgesucht, hielt des Öfteren an, damit sie die herrlichen Ausblicke genießen konnten. Oben dann, als die Weinstöcke zurückblieben und Wiesen voller Kirsch- und Pflaumenbäumen Platz machten, parkten sie den Wagen. Sie stiegen langsam die letzten Höhenmeter hinauf. Der Hochwald, mit seinen zum Teil uralten Bäumen, nahm sie nun unter sein grünes Dach. Die Bergkuppen waren mit dichtem Laubwald bedeckt und es war dort schattig und angenehm kühl. Die Sonne durchdrang nur zum Teil das dichte Blätterdach, malte goldene Muster und Flecken auf den Boden und ließ geheimnisvolle Strahlenbündel durch die Blätter und Zweige herunterfließen
„Wie schön es hier ist, so still und einsam, ein richtiger Zauberwald“, sagte Simone.
Auf der höchsten Erhebung des Bergzuges stand eine Bank, von der man einen einmaligen Fernblick hatte. Nach rechts sah man in das Tal, wo die Klinik lag und über die nächste Kleinstadt bis weit in das Rheintal hinein. Nach links lag das Nebental mit einem bekannten Weindorf tief unter ihnen. Schaute man darüber hinweg, so lag dort Frankreich in der dunstigen Ferne, und man konnte deutlich das Straßburger Münster erkennen. Hier oben auf der ungeschützten Bergkuppe wehte ein recht stürmischer Wind, und René legte seine Jacke um Simones Schultern. Bald brachen sie wieder auf und wanderten zurück zum Wagen. Beide fühlten sich beschwingt und fröhlich und lustig plaudernd fuhren sie zum Weingut Birkköpfel. Dort war Renés Urlaubsdomizil. Auf der windgeschützten, von Reben umwachsenen Veranda saßen sie im warmen Sonnenlicht und tranken halbtrockenen Weißherbst, eine Spezialität dieses Weingutes. Die Sonne sank langsam tiefer und färbte sich aus silbern gleißender Mittagsglut in sanftere Goldtöne ein.
„Simone, möchtest du zum Abschluss dieses schönen Nachmittages noch etwas Besonderes, Einmaliges erleben?“
„Du machst mich neugierig, ich brauchte eigentlich keine Steigerung mehr, denn ich bin seit langer Zeit wieder einmal glücklich, und dafür danke ich dir, René.“
„Aus deiner Stimme klingt immer eine tiefe, melancholische Traurigkeit. Magst du nicht mit mir über deine Probleme sprechen? Bist du etwa unglücklich verliebt?“
„Ach René, reden wir von schönen Dingen. Irgendwann wirst du von meinem Problem erfahren,' das ist ganz sicher. Aber nicht heute, nicht an einem solch schönen Tag. Aber eines kann ich dir heute schon klar beantworten, unglücklich verliebt bin ich ganz bestimmt nicht. Und nun Schluss mit der Fragestunde. Komm, zeig mir, was du noch Besonderes anzubieten hast, mein guter Fremdenführer.“
„Ganz wie du wünschst Simone, aber wenn du einmal einen Freund brauchst, ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich dir helfen und wenn ich dein Vertrauen erringen könnte.“
Auf dem Weg zum Geländewagen nahm sie plötzlich seine Hand .und drückte sie ganz fest und leise, so dass er sie kaum verstand, sagte sie: „Ich danke dir für dein Angebot, vielleicht komme ich schneller als du denkst darauf zurück. Freunde, wirklich echte Freunde, werde ich bestimmt bald brauchen.“
Als René sie etwas fragen wollte, legte sie ihre Finger auf seine Lippen: „Pst, für heute möchte ich dieses Thema beenden.“
René gehorchte und schwieg. Dann öffnete er ihr die Wagentür und ließ sie einsteigen, ging um den Wagen herum und stieg selber ein. Er fuhr dann etwa anderthalb Kilometer weit über viele Serpentinen den Berg hinauf. Oben, knapp unterhalb der Bergkuppe, windgeschützt in den Hang gebaut, stand eine Bank. Ein Kirschbaum, nur wenig dahinter stehend, breitete seine Zweige wie ein Dach darüber aus. Die Bank war so aufgestellt, 'dass sich dem Betrachter einen Ausblick bot, der so einmalig schön war, dass man schon ein guter Schreiberling sein müsste, um dies korrekt zu beschreiben. Im weiten Halbrund lagen die Weinberge unter ihr. Dann ging der Blick weiter über waldbestandene Hügel, das Dorf mit seiner Barockkirche aus rotem Sandstein, die Klinik und die schönen Fachwerkhäuser, um sich dann im Dunst der unendlich weit erscheinenden Ebene zu verlieren. Vor der Bank senkte sich eine Wiese voller Kirschbäume in sanftem Schwung hinab, um dann auf die Weinfelder zu treffen, deren Reben in atemberaubender Steilheit hinunter standen. Simone wies auf diese Kirschbaumwiese, welche die nun schon recht tiefstehende Sonne dunkelrot eingefärbt hatte und sagte: „Das Gras sieht in diesen Farben aus wie ein goldener Teppich, über den man nur hinunter zuschreiten braucht, um dann auch eine dieser wunderschönen Sonnenstrahlen zu werden.“
Sie lehnte sich an René und legte ihren Kopf :an seine Schulter. Dieser Mann gab ihr soviel Kraft, Ruhe und Sicherheit. Wie war das nur möglich, sie kannte ihn doch erst ein paar Stunden. René ging es ebenso, auch er war erstaunt über die Intensität seiner Gefühle ihr gegenüber. Diese Geste von ihr, sich so an ihn anzuschmiegen machte ihn stolz und glücklich zugleich. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte mit einem zärtlichen Unterton in der Stimme:
„Simone deinen Namen auszusprechen, ihn nur zu denken, macht mich schon glücklich. Ich kenne dich nur kurze Zeit und bin verwundert wie stark meine Gefühle sind die ich für dich empfinde. Ich bin kein Mann der sich etwas von einer Frau nimmt, was diese ihm nicht selbst gern geben würde. Aber bei dir werde ich nicht mehr warten, ich werde dich jetzt küssen, weil ich sonst verrückt vor Sehnsucht nach dir werde.“
Er legte seine Hand zärtlich um ihr Kinn und hob ihren Kopf sanft an. Sie schloss ihre Augen und ließ ihn gewähren. Dann küsste er sie. Dieser Kuss war sanft, zärtlich und doch voller Inbrunst, nicht wild und gierig sondern von intensiven Zartheit wie nur ein Liebender zu küssen versteht. Simone erlebte mit diesem Kuss eine Explosion ihrer Gefühle. Wie bei der ersten Berührung ihrer Hände auf der Party, so floss auch jetzt wieder dieser warme Strom zärtlicher Empfindungen durch ihren Körper und willig, ja mit der gleichen Zärtlichkeit, wie sie auch von ihm kam, erwiderte sie diesen, fast endlosen Kuss. Danach saßen sie eng aneinandergeschmiegt. Er hatte seine Arme um sie gelegt und sie hielt mit festem Druck seine Hände umschlossen. Den Kopf an seine Brust gebettet, bewunderten sie stumm das so einmalig schöne Naturschauspiel des Sonnenuntergangs. Der helle, fast grelle Schein der Sonne wechselte durch alle Farben des Spektrums hindurch. Erst wurde er silbern und glitzerte auf dem kleinen Fluss am Talboden und in den Fensterscheiben der Weingüter, die verstreut in den Hügeln lagen, wie frisch gegossenes Blei. Dann färbte es sich langsam golden und ließ die Konturen schärfer und klarer werden. Dieses Gold wich Rottönen, die immer intensiver wurden, bis die ganze Szenerie in tiefstem Rot erstrahlte. René verschlug es fast den Atem, als er auf Simone schaute. Dieses rote Sonnenlicht ließ sie beinahe überirdisch schön erscheinen. Ihre makellose Haut strahlte das Sonnenlicht zurück, ihr Goldhaar war von einer flimmernden Aura umgeben, und ihre blauen Augen erschienen in diesem Licht fast grün und strahlten, wie es schöner nicht sein könnte. Er saß stumm neben ihr und schaute sie an. Er speicherte dieses Bild als unvergessliche Erinnerung in sich auf und spürte, wie der Wunsch diese Frau nie mehr zu verlassen, riesengroß in ihm aufstieg. Das Rot wurde noch dunkler und glitt in die Violettbereiche, und im gleichen Maße wurden auch ihre Augen dunkler, das Grün daraus war verschwunden, tiefblau wie ein Bergsee strahlte ihr Blick und gab ihr das geheimnisvolle Flair, welches nur wenige Frauen besitzen. Dann versank die Sonne, eine Weile noch zuckten mächtige Lichtstrahlen in Rot, Gold und Violett über den Horizont, der sich dann zum Finale im schönsten Abendrot einfärbte. Dann verblasste dieses Abendleuchten, es wurde dämmrig und dann schnell dunkel. Über ihnen lag nun der Nachthimmel wie eine tiefblaue Samtdecke. Je mehr die Dunkelheit fortschritt, umso mehr Sterne glitzerten durch die klare Bergluft. Nach einigen langen und sehr zärtlichen Küssen drängte Simone auf die Rückfahrt und pünktlich zum, mit Chefarzt Doktor Körner vereinbarten Termin, stieg sie am Portal der Klinik aus dem Wagen und ging in die Kurklinik. Natürlich hatten die beiden für den nächsten Tag eine neues Treffen vereinbart.