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2Die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Kanton Bern im Kontext gesamtschweizerischer Entwicklungen Lucien Criblez, Universität Zürich 2.1Einleitung
Оглавление«Nun die grossen Schwierigkeiten glücklich überwunden, die vielen Hindernisse beseitigt und die Organisationsarbeiten beendigt sind, kann ich ruhig zurücktreten weil ich die Gewissheit habe, dass die Lehrerbildung auf der jetzt freien und geebneten Bahn sich gedeihlich weiter entwickeln kann» (Martig 1905, S. 110). So beendete Emanuel Martig1, seine «Geschichte des Bernischen Lehrerseminars zu Hofwil und Bern von 1883 bis 1905». Diese Geschichte ist einerseits eine Art Rechenschaftsbericht über seine eigene Amtstätigkeit, war er doch während 25 Jahren (1880–1905) Direktor des staatlichen Berner Lehrerseminars in Hofwil gewesen, andererseits ist sie die Fortsetzung seiner Geschichte der ersten fünfzig Jahre des Lehrerseminars Münchenbuchsee, die er zu Beginn seiner Amtszeit verfasst hatte (Martig 1883). Das Ende der Amtszeit Martigs ging zeitlich mit der Trennung von Unter- und Oberseminar einher: Das Unterseminar blieb im ländlichen Münchenbuchsee/Hofwil, das Oberseminar wurde in die Stadt Bern verlegt,2 dafür wurde auf dem Muesmattareal 1905 eigens ein Neubau eingeweiht (Oberseminar Bern 1905). Damit war die Tertiarisierung der Volksschullehrerbildung3 im Kanton Bern mindestens im Ansatz – als Trennung von Ober- und Unterseminar – eigentlich vollzogen, wäre sie nicht 1968 im Kontext des großen Lehrermangels (Criblez 2016/im Druck) rückgängig gemacht worden: Hofwil und Bern wurden zu zwei eigenständigen und vollständigen Seminarstandorten (Criblez 2002).
Die Volksschullehrerbildung konnte sich jedoch auch nach dem Rücktritt Martigs nicht einfach in «geebneten Bahnen» weiterentwickeln. Dies hat letztlich mit einem ganz einfachen Faktum zu tun: «Teacher education is, if anything, even more uncertain than teaching» (Floden & Clark 1988, S. 522). So beendeten die beiden amerikanischen Erziehungswissenschaftler Robert Floden und Christopher Clark einen Aufsatz zur amerikanischen Lehrerbildungsreform. Daraus lässt sich schließen: Weil die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern so unsicher ist – ob Studierende gute Lehrerinnen und Lehrer werden, weiß man eigentlich immer erst im Nachhinein –, kann man sich über die «rechte Lehrerbildung» (Scherr 1870, S. 34) gut streiten – und immer wieder neu streiten.
Im Folgenden steht die jüngste Reform im Vordergrund des Interesses. Diese Reform begann – folgt man den Rückblicken auf die Gründungsphase und dem Gründungsnarrativ der Pädagogischen Hochschulen (PH) in der Schweiz – in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre und wurde gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts abgeschlossen. Eine eigene Analyse der Strukturdiskussionen zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung zeigt tatsächlich, dass die entsprechenden Strukturdebatten auf den Zeitraum zwischen 1991 und 2002 konzentriert waren, und dass sich die Diskussionen ab 2009 von der Gestaltungs- zur Bilanzierungsperspektive verlagerten (Criblez 2012). Es wird allerdings auch zu zeigen sein, dass der Tertiarisierungsprozess4 nicht erst in den 1990er-Jahren einsetzte. Die Reform wurde 2008 und 2010 von Seiten der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und der Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Pädagogischen Hochschulen bilanziert (Ambühl & Stadelmann 2010, 2011),5 ein Hinweis darauf, dass sie inzwischen abgeschlossen sein könnte. Aber Anfang und Ende einer Reform sind im Bildungsbereich meist nicht eindeutig bestimmbar.
Vor diesem Hintergrund verfolgt der folgende Text zwei Ziele: Erstens soll die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der letzten 20 Jahre in einem längeren Zeithorizont verortet, zweitens die Berner Reform im gesamtschweizerischen Reformkontext situiert werden. Der erste Teil gibt deshalb einen kurzen Überblick über die lange Geschichte der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und ihre hauptsächlichen institutionellen Formen. Die wenigen grundlegenden Lehrerbildungskonzeptionen des 19. und 20. Jahrhunderts werden kurz nachgezeichnet, um anschließend verdeutlichen zu können, was sich in der Reform der letzten 20 Jahre verändert hat. Im zweiten Teil wird aufgezeigt, wie die Berner Lehrerinnen- und Lehrerbildung in den 1990er- und 2000er-Jahren revidiert wurde. In diesem Hauptteil werden zwei Thesen vertreten: erstens, dass die erste Berner Reform im interkantonalen Vergleich sehr früh eingeleitet wurde, sodass sich die gesamtschweizerischen Entwicklungen noch kaum auf diese erste Reform auswirken konnten – und u. a. deshalb eine zweite Reform notwendig wurde. Zweitens wird die These vertreten, dass die Reformen zunächst nach traditionellen Reformvorstellungen und mit den üblichen kantonalen Reformkonzepten eingeleitet worden waren, obwohl sich abzeichnete, dass sich Ziele und Inhalte der Lehrerinnen- und Lehrerbildung mit der gesamtschweizerischen Diplomanerkennung nicht mehr einfach kantonal autonom regeln ließen: Während der Reform hatten sich die «Spielregeln» im bildungspolitischen Mehrebenensystem verändert. Abschließend wird in einigen wenigen Federstrichen zu zeigen versucht, was sich aus der (Berner) Lehrerbildungsreform für Bildungsreformen allgemein lernen lässt.