Читать книгу Ein planloses Leben – Teil 1 - Heinz Suessenbach - Страница 7
Оглавление3 Reichenbach
Und da bin ich am 9. Dezember 1939 und probiere meinen ersten Atemzug. Jemand hat mal geäußert, daß man bei Geburt nackig, nass und hungrig ankommt und obendrein noch auf den Arsch gehauen wird, und danach geht das Leben bergab. Ich bin das dritte Kind von Gertrud und Wilhelm Süssenbach. Meine Schwestern Renate und Annelies sind mir mit 3 bzw. 9 Jahren vorausgeeilt; Mädels sind eben immer schneller. Unsere Adresse lautet Reichenbach, Eulengebirge, Schlesien. Vater ist Schmied und meine Mutter ist Hausfrau. Daß meine Mutter nicht lesen und schreiben kann, wird mir erst im dritten Schuljahr klar. Als sie selber im dritten Schuljahr war, fing der Erste Weltkrieg an, und ihre Mutter starb. Sie hat noch drei Geschwister, von denen sie die Älteste ist. Ihr Vater heiratet schnell ein junges Mädel von 22 Jahren und marschiert in den Krieg für Kaiser und Vaterland. Die Welt hat seitdem nichts dazugelernt, und mit den gleichen hohlen Parolen ziehen junge Soldaten heute noch zu Schlachten für ähnliche Lügen. Der Dank des Vaterlandes ist euch gewiss; Gloria, Victoria, Juchheirassa, und wenn ihr das glaubt, seid ihr nicht schlau. Amen. Wie gesagt: Mutter ist die Älteste und bleibt die Hausmagd. An Schule ist nicht zu denken, denn die war 5 km entfernt; monatelang liegt hoher Schnee, und feste Schuhe sind zu teuer. Die Kriegswinter waren immer eisig und lang. Mein Großvater kommt zurück vom Krieg und produziert noch 4 Kinder, also besteht für unsere Muttl keine Hoffnung, in die Schule zu gehen. Ich hab das meinem Opa nie verziehen. Wie gesagt, als ich dahinterkomme, daß meine Muttl kaum lesen und schreiben kann, nutze ich das schamlos aus. Wenn ich Drohbriefe und Mahnungen von der Schule bringen muß, zeige ich die Muttl nur in der letzten Minute, bevor ich zur Schule muß, und sie unterschrieb hastig. Vatl ist Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, der NSDAP, und lernt Muttl bei einer Parteikundgebung im Lande kennen. Er ist als Organisator behilflich bei solchen Versammlungen. Sie treffen sich, und Vatl verknallt sich in das liebe, ruhige, warmherzige Mädel. Wir haben denselben Geschmack, Vatl und ich. Als ich endlich auftauchte, liegt meterhoher Schnee in Reichenbach. Vatl ist sehr erleichtert, denn jetzt hat er einen Namensträger und ist nun bereit, dem Führer zu helfen. Bis dahin ist es seine Angst, daß der Krieg ohne ihn zu Ende geht. So hat’s uns Muttel später immer erzählt. Deutschland mußte ja der Welt beweisen, was die nordische Rasse alles machen kann – und mußte sich außerdem rächen für die Schmach von Versailles. Die Franzosen waren da echt wahnsinnig gewesen, und gelehrte Leute wußten damals schon, daß darin die Wurzeln für den nächsten Krieg wuchsen. Das Malheur war natürlich die Einladung für Hitler – seine Zeit! Wenn die enorme Rüstung beginnt, fragt kaum einer, wo die Finanzen herkommen. Billionen von Reichsmark. Aber das kannst du, lieber Leser, selber erkunden, denn heute ist das ja einfach herauszufinden im Netz. Die Leute, die von Kriegen Geld machen, sind heute noch da, und es sind oft noch dieselben Firmen oder Banken, und deswegen wird’s immer Krieg auf Erden geben. Wir, das Volk, sind ja so blöde, daß wir immer wieder auf Lügen reinfallen. Aber nicht, daß der Leser denkt, daß ich damals davon was geahnt hatte; nein, ich war der Dümmste von allen, aber eins ist mir klar geworden: Leute wollen ja veralbert werden, das sieht man bei jeder Wahl in den sogenannten westlichen, demokratischen Ländern. Ich bin 10 Monate alt, als Vatl in den Krieg zieht. Er will zu den Panzern, und da mußte er erst in Breslau zu Pferd gedrillt werden, darüber muß ich heute noch lachen. Ich habe noch Bilder, wo er als Husar oder Ulan reitet. Was Pferdereiten mit Panzern zu tun hat, hat uns gewundert. Alle diese Informationen haben mir die Mädels oft geschildert. Als Vater dann endlich zu den Panzern kommt, wird er erst mal irgendwie nach Afrika geschickt für ’ne Weile. Dann geht’s nach Russland. Ja, wir Deutschen müssen ja den armen Russen zeigen, wie man Land bearbeitet, denn von modernem Ackerbau und Viehzucht hatten die Russen nicht viel Ahnung. Die armen Kerle waren sehr primitiv und hatten unter den Kommunisten schwer gelitten, und wir Deutschen müssen das alles in Ordnung bringen. Ja, wie weise waren doch meine Mädels! Als Vatl von Afrika kommt auf dem Weg nach Russland, verbringt er zwei Wochen mit uns, und die Mädels haben mir diese wunderbare Zeit oft in allen Farben geschildert, wie herrlich das war. Mir hat er ein Dreirad gebaut – er konnte ja alles fabrizieren mit seinen Händen –, ein schönes Dreirad mit Gummireifen von ’nem kleinen Flugzeug. Und er hat sich auch riesig gefreut, wie groß wir geworden sind. Aber das Dreirad kann ich erst meistern, wenn ich beinahe 3 Jahre bin. Dann der große Abschied – und zu Weihnachten bin ich wieder da. Dieses traurige Versprechen wurde ja millionenfach wiederholt an allen Seiten der Front. Es kam aber anders. Ich habe aber das Dreirad und seine Tabakpfeife ohne Tabak und sein Käppi. Meine Mädels haben mir das alles immer wieder erzählt. Wir hatten alle ein Bankbuch, und Muttl hat’s mir oft gezeigt. Wir hatten jeder 10.000 Reichsmark auf dem Konto. Vatl und Muttl waren eiserne Sparer.
Mein treues Dreirad
Meine geliebte Pfeife
Na, das kann doch nicht wahr sein, denn ich heulte doch nieee