Читать книгу Ein planloses Leben – Teil 1 - Heinz Suessenbach - Страница 9
Ja, da kamen meine Mäedels nicht hoch, denn das war eben Männersache Ich verstand das überhaupt nicht, aber Renate hat mir so was immer bissel deutlicher erklärt als die anderen. Ich konnte nicht glauben, daß Deutsche ihre eigenen Soldaten töten können, weil die keine Lust mehr hatten zu kämpfen. Dann kamen die ersten Bomben. Kaum heulten die Sirenen, rannten wir in den Keller und saßen still. Die Frauen beteten. Aber auf einmal fing’s an, lautlos in meinen Ohren zu drücken, aber wie. Junge, Junge, das war gruselig. Am Ende hörte ich gar nichts mehr. Immer nur Wellen von Druck in den Ohren, und den fühlte ich, obwohl Muttel mich in ihrem Schoß vergrub. Endlich sind wir alle die Treppe raufgestiegen, und im Hof war die Luft richtig neblig und gelb und hatte sauren Geschmack. Gegenüber hat’s einen Direkttreffer gegeben. Es war eine dreistöckige Villa, die als Lazarett diente. Die erlitt einen Volltreffer mitten ins Dach. Die Frauen wurden zu Hilfe befohlen, aber Renate und ich mussten im Haus in der Küche bleiben. Draussen gab’s Geschrei und Befehle und lauter Stimmengewirr. Als Muttl mit Annelies zurückkam – mein Gott, die sahen aus. Muttl war grau und alt. Ihre Haare hingen in Strähnen, und ihre Lippen waren weiß und so zusammengepresst. Renate hat mir dann zugeflüstert, dass es viele Tote und Verwundete gegeben hat, und viele Verwundete waren auf unserem Hof aufgebahrt. Als wir am nächsten Tag raus durften, hatte man die Toten schon weggeschafft, und die Frauen weinten über sie. Die armen Kerle waren an der Front verwundet, wurden dann Gott sei Dank in die Heimat transportiert und dankten dem Lieben Gott dafür, und dann wurden sie doch noch getötet. Ich dachte, daß Gott ein böser Kerl war, aber Renate sagte sofort „pssssst!“ Wir durften im Hof zwischen den Bahren der Verwundeten umherwandern und haben mit manchen gesprochen. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite standen viele stolze Villen, die reichen Juden gehörten. Diese Juden waren alle reich, wurde uns immer erzählt, aber die Juden, die ich gesehen hatte, sahen nie reich aus, eher sehr verarmt und zottelig. Sie wanderten umher in schwarzen Mänteln, Hüten und langen Haaren und rochen immer nach Zwiebeln. Ihre Kinder taten uns immer leid, denn die sahen zerlumpt aus und hatten große, hübsche, fragende, dunkle und traurige Augen. Diese Juden gingen von Tür zu Tür und wollten Sachen tauschen – keipeln. „Haben Sie was zu keipeln?” Muttl wollte die Mädls von der Schule zurückhalten, aber das war streng verboten. Sie mussten zur Schule gehen, „denn der Krieg wäre bald zu Ende!“ Außerdem war in der Schule ein großer Keller, also keine Ausrede. Manche Esswaren sind schon ’ne ganze Weile rationiert. Jeder Erwachsene bekam 200 g Brot am Tag, 200 g Kartoffeln, 10 g Zucker, 5 g Malzkaffee (also Ersatzkaffee), 2 g Salz und 25 g Fleisch. Das waren die täglichen Rationen für Erwachsene. Die Kindermarken hatten andere Farben. Wieso ich das alles weiß? Die Mädels hatten mir es immer wieder eingetrichtert und aufgeschrieben, dabei musste ich Zahlen lernen und auch, wie man addiert. Ich konnte addieren, bevor ich zur Schule kam, aber buchstabieren und lesen konnte ich nicht richtig. Es gab auch rationsfreie Kost, z. B. verschiedene Arten von Rüben und Kartoffelmehl. Zuckerrüben waren sehr begehrt, denn da bekam man einen ganzen Berg. Die Rüben musste man schälen, in Stücke schneiden und dann in der Waschküche in dem großen Kessel kochen. Dabei durfte ich rühren, so wie ich das auch beim Wäschekochen durfte. Wie aus diesem Rübenbrei aber Sirup gemacht wurde, das weiß ich nicht, aber daß der prima schmeckte, weiß ich genau. Nach ’ner Weile wurde einem der Sirup-Geschmack aber zuwider. Uns im Hof ging’s wirklich nicht schlecht, denn der Schweinebauer hat uns oft Schweinefleisch gegeben, und für jedes übrige Pfund Schweinefleisch konnte man Butter, Brot und Mehl eintauschen. Also uns ging’s wirklich gut. Dann begannen die Nachtbombardierungen. Es war so wundervoll für mich.