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Salzburg und seine Stierwascher

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Wenn du vom Mirabellgarten aus über die Altstadt auf die Festung Hohensalzburg schaust, dann geht dir schon das Herz auf, das kannst du mir ruhig glauben.

Und der Salzburger an und für sich, der schaut meistens gemütlich aus der Wäsche, aber er hat es faustdick hinter den Ohren. Das war schon immer so. Es ist erst ein paar lächerliche Jahrhunderte her, da wurde die Salzburg wieder einmal von einem feindlichen Heer belagert. So was war damals für Völker mit Migrationshintergrund ein beliebter Zeitvertreib.

Und weil man sich die Hände nicht blutig machen wollte, wenn es nicht unbedingt sein musste, hat man die entsprechende Burg einfach erst einmal belagert. Dazu braucht man keinen strategischen Genius. Man muss nur selber genug zum Essen und Trinken dabeihaben und abwarten, bis ebendieses den Belagerten ausgeht.

Die Salzburger haben sich das eine Zeit lang angesehen, aber irgendwann war das letzte Huhn im Topf und das letzte Schwein verdaut. Ein einziger brauner Stier war noch im Burgstall. Den trieben die Salzburger auf die Stadtmauer, sodass die Belagerer ihn sehen konnten. Dann holten sie das Tier wieder runter, strichen es weiß an und trieben es am nächsten Tag über die Mauer. Tags darauf wurde der Stier schwarz angepinselt und musste wieder auf den mittelalterlichen Catwalk.

So ging das zwei Wochen lang, die Belagerer wurden stinkig und zogen unter dem Skandieren von wüsten Beschimpfungen wieder ab. Die Bürger der Salzburg brachten den Stier runter zur Salzach und wuschen ihm mit reichlich Seife die vielen Farbschichten vom Fell. Der Fluss soll angeblich bis nach Oberndorf runter voller Seifenschaum gewesen sein.

Wenn man bei uns in Bayern wohlwollend zu einem Mitmenschen sagt, er sei »a wuider Hund«, dann ist es in Salzburg ein gut gemeintes Kompliment, wenn man einen schon etwas älteren Eingeborenen dort als »Schdiawoscha« bezeichnet.

Der Heinzi ist zum Beispiel einer, dem dieses Kompliment gebührt. Obwohl er ja eigentlich aus Wien stammt. Die Kronen Zeitung schreibt ja heutzutage gerne, dass speziell in Wien die Kriminalität seit circa 20 Jahren tendenziell rückläufig sei. Kein Wunder, denn exakt so lange treibt der Inkasso-Heinzi in Salzburg sein Unwesen.

Er ist zwar ein gelernter Zuhälter, der seine Grundausbildung und die Lehrjahre im 10. Wiener Bezirk erhielt. Aber Favoriten ist auch nicht mehr das, was es mal war. Der Heinzi war auch in Floridsdorf und Donaustadt aktiv. Dort kam es eines Abends zu dieser denkwürdigen Auseinandersetzung mit Burschen von der Ostbahn-Bande, bei der der Heinzi nebst seinem rechten Auge auch die Lust auf Wien verlor.

Mit einem Glasauge, ein paar Tausend Schillingen in der Tasche und einer Stinkwut im Bauch emigrierte er nach Salzburg und machte sich dort einen Namen. Und nebenbei viel Geld. Aber alles Geld der Welt konnte seine Wut auf die »Griasla« vom Ostbahn-Viertel nicht überpinseln.

Es war schon nach acht, als der Auer über die Kaiserschützenstraße an den Südtiroler Platz kam und in die Einfahrt des Parkhauses einbog. Er fuhr mit dem Porsche ganz nach unten und suchte sich einen Platz, wo keine Gefahr bestand, dass jemand seinen roten Liebling mit schwungvollem Türöffnen beschädigen konnte. Dann schrieb er sich die Parkplatznummer auf das Ticket, schaute, ob der Porsche rundum abgeschlossen war, und streckte sich ausgiebig.

Schnell ging er in Richtung Elisabethstraße, ließ die Pizzeria rechts liegen und marschierte in die Mertens­straße, weiter bis zu einem All-you-can-eat-Pakistaner und bog in den Hinterhof ein, den der Chili ihm beschrieben hatte. Links neben einer Batterie von Mülltonnen war der unscheinbare Kellerzugang.

Zehn Treppen runter und er stand vor der mattgrauen eisernen Tür mit der Klingel rechts in Brusthöhe. Über der Tür war wohl vor langer Zeit eine quadratmetergroße Leuchtreklame angebracht gewesen. Nun erinnerten nur noch die sechs Bohrlöcher und das etwas hellere Mauerstück daran. Links neben der verkratzten und fleckigen Stahltür sah man noch einen kleinen Kasten mit zerbrochener Glasscheibe, in dem früher eine Speisenkarte gehangen hatte.

Jetzt diente der Kasten einigen Generation von dunkelgrauen Spinnen als Wohn- und Arbeitsort.

Ein Blick auf die Uhr: zehn vor acht. Passt.

Er drückte auf den Klingelknopf und wartete. Nichts. Der Auer legte sein Ohr an die kühle Tür und lauschte.

Dann hämmerte er mit der Faust ein paarmal heftig gegen das Eisen. Genau an der Stelle, an der jemand mit blauer Farbe drei große Buchstaben gemalt hatte: »XXL«.

Das heißt, früher waren das wohl mal Buchstaben, jetzt brauchte man viel Fantasie, um das noch zu entziffern. Und in die Tür waren natürlich die üblichen Kunstwerke eingeritzt, du weißt schon: Penisse, Muschis, Brüste und ein paar kurze Sprüche: »Good Fuck, good Blowjob«, dahinter oder darunter ein paar Telefonnummern mit Filzer hastig hingekritzelt und ähnliche Frust-Kunstwerke.

Er schaute nach oben, wo man die Umrisse des Leuchtreklame-Kastens noch sehen konnte. Beim genaueren Hinschauen entdeckte er zwischen all dem Dreck und den Spinnweben, dass sich die Kontur der Leuchtschrift wohl ein bisschen auf das Mauerwerk übertragen hatte.

Ich denke mir, wenn so eine Neon-Reklame Jahr für Jahr, Sommers wie Winters vor sich hin leuchtet, immer fast eine ganze Nacht lang, dann versuchen die Buchstaben an der Wand entlang zu flüchten, was meinst du?

Wie der Auer so vor sich hin schaute und mehr aus Reflex noch mal gegen die Tür hämmerte und mit dem Fuß einen wütenden Tritt hinterherschickte, kann ich dir schnell was erzählen:

In den 80ern hat es viele von diesen Kellerlokalen gegeben. In Wien zum Beispiel, das legendäre U4. Das gibt es heute noch. Aber damals, vor dem Brand, da war das U4 ein räudiger Bunker, eine grottige Mischung aus Arena Beisl und dem Werk. Oder das P1, das war vor dem Umbau ein versiffter Beat-Bunker. Voller Rocker, Skins und ein paar von den Schmalzlocken, so haben wir die Italo-Popper damals genannt. Ich weiß noch, dass es an den Wochenenden so gegen Mitternacht regelmäßig zu den damals traditionellen Fetzereien gekommen ist: Rocker gegen Skins, die Mods gegen alle und die paar Italo-Popper, die nicht schnell genug abgehauen sind, die wurden gleich in einem Aufwasch in die Klopperei integriert. Eine einzige blutige Verbrüderung. Ganz großes Kino. Was natürlich andererseits auch sagt, dass wir früher keine Rassisten waren und auch keine Vorurteile hatten. Wer uns Samstagnacht vor die Fäuste kam, der wurde so behandelt wie ein jeder anderer auch. Da hat man nicht groß auf die Hautfarbe geschaut oder ob einer, seiner Kleidung nach zu urteilen, was Besseres war. Gleiche Faust für alle.

Nur haben wir damals, im Gegensatz zu heute, nicht gleich ein Messer gezogen oder sonstige technische Hilfsmittel benutzt. Die Kids von heute machen sich das einfach zu bequem.

Klar, ich hatte einen Aluminium-Schlagring in der Jackentasche. Aber ich schwöre dir, der hat nie die Jacke verlassen. Nicht einmal zur Abschreckung, denn das wäre ja unfair gewesen. Oder hätte den jeweiligen Gegner auf dumme Gedanken gebracht. Ich sag dir was: Wenn da einer vor dir auf dem Boden lag und dem ist das rote Zeug aus der Nase oder dem Mund getropft, dann hast du gewusst, dass der genug hat. Und du auch.

Und damals, die Keller-Chinesen-Lokale in den Gürtelbögen. Du gingst ein paar Stufen runter, machtest eine Tür auf, und schon warst du in einer völlig anderen Welt, ja, was glaubst du denn? Da waren Gerüche und fremdartige Menschen und eine Musik, wie wenn man ein paar Katzen in einem Wäschetrockner einige Runden drehen lässt.

Dem Essen haben wir nie so recht getraut, weil man ja damals schon wusste, dass die Chinesen alles verarbeiten, was vier Beine hat, aber kein Tisch ist. Böse Zungen behaupten sogar, wenn Adam und Eva, du weißt schon, die aus dem Paradies, wenn die Chinesen gewesen wären, dann hätte die Eva nicht in den Apfel gebissen, sondern in die Schlange. Und wo oder was wären wir dann heutzutage alle? Da darf ich gar nicht drüber nachdenken.

Ich könnte dir jetzt noch viel erzählen, aber die Eisentür ging mit einem ächzenden Stöhnen auf und im Türrahmen stand, du wirst es mir nicht glauben: der Undercut.

Erinnerst du dich: der große, muskulöse schwarzhaarige Kerl mit der Undercut-Frisur? Vor ungefähr einem Jahr auf dem Parkdeck in Salzburg-Himmelreich? Der Undercut sah noch fast genau so aus: immer noch halb Libanese, halb Ägypter, auf der Stirn hatte er eine blaue Madonna tätowiert und die zwei langen Narben auf der rechten Wange konnte man jetzt besser erkennen, weil er keine Haare mehr auf dem Kopf hatte.

Der Undercut trug eine Glatze, die strahlte wie eine polierte Bowlingkugel, mit einer grimmigen Würde und glotzte den Auer wütend an: »Komm rein. Hast du ein Glück, dass wir dir nichts tun dürfen.«

»Umgekehrt wird auch ein Schuh draus. Was ist mit deinen Haaren passiert? Und warum glänzt das wie eine Christbaumkugel? Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?« Den letzten Satz brachte der Auer in einer ganz passablen Franz-Beckenbauer-Imitation heraus und meinte: »Hast du jetzt auch einen neuen Kampfnamen?«

Undercut trat zur Seite, ohne ein Wort zu sagen. Dann knallte er die Tür hinter sich zu und meinte: »Leck mich!«

Der Auer hob einen Finger und sagte: »Sehr schöner Name. Und leicht zu merken. Bring mich zu deinem Chef, ›leck mich‹.«

Jetzt müsstest du die Augen schließen und dir ein China-Restaurant vom alten Stil vorstellen, du weißt schon: riesengroßes Aquarium mit ganz merkwürdigen Fischen drin, von der Sorte, die man lieber nicht isst. Links und rechts, gleich hinter dem Eingang: ein paar metergroße, glänzende Sitzlöwen, an den Wänden schimmerten rote und blaue Seidentapeten. Von oben hingen kleine runde Lampen mit roten Schirmen und goldenen Kordeln dran, das ganze Chinesen-Programm eben.

So, und jetzt denk dir alle Möbel raus und stelle im Geiste einen Roulette-Tisch hin, ein paar Black-Jack-Halbtische, hinter denen ein Geber oder eine Geberin sitzt. Und an die 20 Gestalten, denen du in einer dunklen Unterführung lieber nicht begegnen willst.

Die Spieler, die rauchten, tranken, fluchten, laut lachten oder aufschrien, wenn eine falsche Karte oder eine niedrige Zahl beim Würfeln kam, verstummten, und in dem Raum war es so still, wie wenn du den Kopf in das riesengroße Aquarium hinter der Bar gesteckt hättest. Und manche von den Fischen glotzten, als würden sie genau darauf schon eine Ewigkeit warten.

Als Barkeeper fungierte der Parkdeck-Messermann. Auch er hielt mitten in der Bewegung inne. In der einen Hand hielt er eine Whiskyflasche, in der anderen ein kleines Shot-Glas. Die ganze Szene, wie die alle so standen oder saßen, wie blitzgefroren bei dem, was sie gerade taten, und die Stille dazu, also, da kann dir schon ganz anders werden, das darfst du mir jetzt ruhig glauben.

Der Auer nickte freundlich nach links und nach rechts, sagte zu einem voll tätowierten, zwei Kubikmeter großen Rocker mit Dutt: »Küss die Hand, Herr Kerkermeister«, und ging hinter Undercut durch bis zu der kleinen roten Tür mit der Aufschrift »Büro«.

Drei Zimmer, Küche, Sarg

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