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Chili, der Mann für alle Fälle

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Der 65 Meter hohe Turm der St.-Nikolaus-Kirche wurde von zwei Seiten angestrahlt und die Glocken hoben zum Mitternachts-Geläut an, als der Auer Max grinsend über den Grünen Markt und weiter zum Mittertor ging.

Zwar tat ihm außer den Haaren so ziemlich der ganze Körper weh, aber er war bester Laune. Die Rosi hatte wirklich alle Register gezogen, und das waren nicht wenige.

Ich meine, du kannst dir ja denken, dass der Max während seiner Zeit bei der Münchner Sitte mit vielen Damen mit ausgeprägtem Penetrations-Hintergrund zu tun hatte. Manchmal auch privat.

Viele von den Mädels haben Sachen drauf, bei denen du aufpassen musst, dass es dir keine Sicherung raushaut. Die Eva mit dem Eiswürfel-Trick zum Beispiel. Der bei gleichzeitiger Anwendung einer Spezialmassage, mein lieber Scholli. Da ist die Nutella-Nummer schon eher was für Anfänger. Oder die rote Lissy, die mit einigen ihrer Körperteile Dinge tun konnte, die man nicht einmal von einem Schlangenmenschen erwartet hätte. Oder die Schwertschluckerin, mein lieber Mann, da könnte ich jetzt noch so einiges erzählen. Aber Fakt ist, dass sich der Max immer alles ganz genau gemerkt hat, und die besten Darbietungen hat er mit der Rosi durchgespielt, ja, was meinst du denn?

Über die Münchner Straße fuhren ein paar Autos, Fußgänger waren nur noch vereinzelt unterwegs und selbst die Dealer im Salingarten gähnten. Aber der Max, bester Laune, grüßte jeden und pfiff vor sich hin.

Man sollte meinen, dass er müde wäre. Aber mit dem ganzen Adrenalin und dem Glücksrausch im Körper war an Schlaf nicht zu denken. Der Rücken brannte ihm, die Beinmuskulatur tat weh, durch den gesamten Unterkörper zog sich ein leichtes Brennen, aber egal.

Also ging er am Sportladen vorbei in die Tiefgarage, wo sein alter 911er stand. So leise wie möglich fuhr er die Rampe hoch und dann links in Richtung Brückenberg.

Nach der Bahnüberführung links rein in die Enzenspergerstraße und weiter zum »Wild Wild West«.

Für die Neuen unter uns: Das »Wild Wild West« ist der Nachtclub vom Chili. Der Chili wiederum ist ein Schulfreund vom Max. Seit der Grundschulzeit in der Königsstraße kennen sich die beiden. Der Max ist zur Polizei gegangen, erst Streife, dann Prüfung zum gehobenen Dienst, Kripo, Sitte.

Der Chili ist auf der anderen Seite des Zauns tätig geworden, aber immer in Rosenheim. Bis auf die paar Ausflüge in die JVA Bernau. Dort hat er den Rest seiner Ausbildung zum Diplom-Ganoven bekommen. Er war ein gesuchter Safeknacker und Auftragsdieb. Aber sein Traum, das war ein Nightclub. Mit Separees, Pokertischen, zwei oder drei Stangen auf der Theke, an denen schicke Mädels tanzen, du weißt schon.

Gut, das »Wild Wild West« ähnelt mehr einer niedrigen, langen Baracke. Aber es liegt abgeschieden, hat einen großen, mit Kies bestreuten Parkplatz, auf dem ein paar uralte Laubbäume stehen, und die nächsten Wohnblöcke sind ein paar Hundert Meter weit weg.

Der Neon-Schriftzug über der schwarzen, sehr stabilen Eingangstür flackert unruhig, weil ein paar der Buchstaben nicht mehr richtig aufleuchteten. Und die Tür selber, die wie eine alte, stählerne Zellentür aus einem Film-Knast aussieht, ist mit einem überlebensgroßen Porträt von Will Smith bepinselt.

Will trägt die Klamotten aus dem »Wild Wild West«-Film, hat in jeder Hand einen Colt, aber irgendwie fehlt ihm ein Teil des linken Beins. Das ist im Lauf der Zeit abgeblättert.

Max ließ den alten Porsche ausrollen, massierte sich kurz die Schultern und stieg ächzend aus. Dann hämmerte er dem alten Will an die Brust, und gleich darauf ging eine kleine eiserne Luke auf und ein mächtiger Kopf, von dem man nur die obere Hälfte sah, kam zum Vorschein.

Den Kopf musst du dir jetzt vorstellen wie den vom Eisenbeißer aus den alten James-Bond-Filmen. Jaws hieß der, glaube ich. Der war zwei Meter und 13 groß, breit wie ein Irschenberger Bauernschrank und übermenschlich stark. Ein Bär mit stählernen Zähnen, erinnerst du dich?

So sah das Ungeheuer aus, das durch die Luke glotzte und sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse verzog, die er selber allerdings für ein freudiges Lächeln hielt. Der Hüne knurrte Unverständliches, riss die Tür auf und zog den Auer Max mit einer blitzschnellen Bewegung an seine Brust.

Jetzt tat dem Max eh schon so ziemlich alles weh, wie du weißt. Und der Riese schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich, dass dem Max die Luft in einer Geschwindigkeit aus dem Körper strömte, wie wenn du eine prall aufgeblasene Luftmatratze mit einem Teppichmesser der Länge nach aufschlitzt.

Dem Auer wurde rot vor den Augen, er sah noch, wie hinter dem Monster eine kleine, rundliche Gestalt in einem glänzenden, pflaumenfarbenen Polyester-Anzug heranrannte.

Der Kleine schrie: »Der Max, ja so was. Das ist eine Freude. Schau nur, wie sich der Arnie freut.«

Der Riese drückte dem halb bewusstlosen Auer einen nassen Schmatz auf die Stirn und setzte ihn vorsichtig ab.

Du erinnerst dich doch noch an die beiden? Danny und Arnie, die Zwillinge? Natürlich waren sie keine echten Zwillinge, aber der kleine dicke Danny und der 2,13-Meter-Mann Arnie waren so verschieden, wie Menschen nur sein können.

Auch deswegen nannte sie der Chili nur »seine Zwillinge«. Arnie, der Finne, sprach nie. Er grunzte meist nur, und der Einzige, der ihn verstand und bei Bedarf übersetzte, das war der kleine Danny, der wirklich ein bisschen wie Danny DeVito aussah. Arnie hatte ein Holzbein. Links, gleich unter dem Knie. Die Prothese konnte er, wenn es die Situation erforderte, sehr schnell abnehmen und die darin befindliche abgesägte Schrotflinte rausziehen.

Der Auer holte tief Luft, klopfte den beiden auf die Schultern und betrat den Laden. Über der runden Tanzfläche drehte sich die silberne Discokugel und warf Millionen von tanzenden Diamanten durch das Halbdunkel.

An der langen Bar-Theke saßen fünf oder sechs Kerle, einer versuchte, die Blonde hinter dem Tresen anzubaggern, und die anderen schauten der Schwarzen im weißen String-Tanga zu, die sich lässig an einer der Stangen vor ihnen bewegte. Aus den Lausprechern dröhnte »Knock on Wood«, in der Fassung von Amii Stewart.

Diese Fassung gefällt mir persönlich ziemlich gut, die von Otis Redding ist aber besser, obwohl es Eddie Floyd, der es zusammen mit Steve Cropper geschrieben hat, auch saucool singt.

Ich hab Steve Cropper 1968, glaube ich, in Saigon in einer Bar in der »Bring Cash Alley« getroffen. Er hat mir erzählt, er und Eddie haben das Lied während eines mächtigen Sturms geschrieben. Da ist ihnen diese einzigartige Zeile eingefallen: »It’s like thunder, lightning …«

Egal, der Auer ging um Arnie herum: »Ist der Chef da?«

Danny zeigte mit dem Daumen über die Schulter: »Im Büro. Du siehst schlecht aus, Max. Wer hat dich so fertiggemacht?«

»Längere Geschichte. Aber du solltest mal sehen, wie der andere aussieht.«

Max ging schnell über die Tanzfläche, warf der Blonden hinter der Bar eine Kusshand zu und verdrehte die Augen zu einem Schielen, als er an der schwarzen Tänzerin vorbeikam. Die streckte ihren erstaunlichen Hintern in seine Richtung und ließ ihn kurz und heftig zittern. »Twerken« nennt man das, glaube ich.

Der Chili saß hinter seinem Schreibtisch, trug ein aufgeknöpftes blaues Jeanshemd, und seine Beine, die in gelben Western-Boots steckten, lagen auf der verschrammten Schreibtischplatte. Vorne rechts, am anderen Ende der Platte, konnte man immer noch den Fleck sehen. Du weißt schon, wo ihm einer den blonden Pferdeschwanz mit Sekundenkleber auf die Tischplatte geklatscht hat und der Auer ihm später das geliebte Teil mit einer Schere abschneiden musste.

Wie dem auch sei, die Haare sind nachgewachsen, der Zopf war wieder da und der Chili sah aus wie immer: ein in die Tage gekommener Surfer. Rechts hinter ihm, über dem Safe, hing das fast quadratmetergroße Foto seiner einzigen und wahren Liebe: ein 68er-Ford-Mustang Cabrio, V8, innen die rote »Red Crinkle«-Ausführung, außen knallroter Lack und, jetzt kommt’s, das äußerst seltene 4-Speed-Getriebe.

Woher ich das weiß? Weil der Chili jedem, aber auch wirklich jedem, der es hören will oder auch nicht, davon erzählt. In aller Ausführlichkeit. Besonders, wenn er betrunken ist. Was nicht oft der Fall ist, aber oft genug.

Geh in das »Wild Wild West«, setz dich an die Theke und bestell dir einen Jackie D., drei Finger hoch, mit einem einzigen Stück Eis. Und wenn der Chili auf einem seiner Kontrollgänge vorbeikommt, sieht er den Drink. So was bestellen nur Kenner. Dann drehst du dich lässig um, schnippst mit dem Finger und sagst: »Kann es sein, dass ich dich neulich in einem 68er-Mustang-Cabrio gesehen habe? So eine rote Sahnetorte mit dem Klang einer Magnaflow-Special-Auspuffanlage? Ich hab nicht so auf den Fahrer geachtet, weil mich der Wagen einfach umgehauen hat? Aber das am Steuer warst doch du, oder?«

Wenn du noch einen draufsetzen willst, dann sag: »Täusche ich mich oder hat der Mustang einen 2-Klappen-Auspuff, so, wie der geklungen hat? Da kannst du jeden Ferrari in die Tonne klopfen.«

So, und spätestens jetzt setzt sich der Chili neben dich, sieht anerkennend auf deinen Drink und fängt an, von seiner Liebe zu erzählen. Und alles, was du an dem Abend trinkst, das geht aufs Haus. Wollen wir wetten? Du musst nur viel Zeit haben, denn wenn der Chili bei den Weißwandreifen auf Speichenfelgen anfängt, über das Getriebe und den Motor zur Innenausstattung kommt und dann liebevoll von der Sechs-Schichten-Sonderlackierung erzählt, dann gehen ungefähr drei Stunden von deiner Lebensuhr ab.

Zurück ins Büro: Direkt hinter dem Schreibtisch befindet sich das doppelflügelige Fenster, das von außen durch ein massives Eisengitter geschützt ist. Auf der anderen Seite steht immer noch das alte, grün gestrichene Holzregal, in dem Bilder, Aktenordner und Miniatur-Mustangs als Cabrio oder Fastback stehen.

Chili schaute den Auer verwundert an: »Oha, was ist denn mit dir passiert?«

Der winkte ab, setzte sich auf den einzigen, unbequemen Besucher-Stuhl und sagte: »Das werde ich jetzt innerhalb von zwei Minuten zum zweiten Mal gefragt. Aber wenn es dich interessiert: Ich war unten am Innspitz beim Löwenjagen.«

Chili verzog keine Miene, während er nach unten fasste, mit Daumen und Zeigefinger zwei Gläser aus einer der Schubladen fischte und gleich danach eine Flasche Jack Daniel’s hervorholte: »Da schau her. Am Inn gibt es also Löwen. Seit wann denn?«

Er goss in beide Gläser circa drei Fingerbreit und schob dem Auer eins davon über den Tisch.

»Jetzt nicht mehr.« Der Max hob sein Glas, prostete dem Chili zu, trank und merkte, wie der Bourbon eine wohlige Wärme in seiner Kehle und im Magen entfachte: »Was heißt, dass ich mich nun anderen Herausforderungen stellen kann.«

»Wenn du so geschwollen redest, willst du was von mir. Wenn du bisher was von mir wolltest und ich es getan habe, habe ich meistens fürchterlich eine aufs Maul gekriegt oder Ähnliches. Und das, wo du genau weißt, dass es für einen wie mich keine Ersatzteile mehr gibt. Aber was soll’s, fang an.«

Jetzt grinste der Auer Max und beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne: »Der Schiermeier Alfons. Was klingelt da bei dir?«

Der Chili trank seinen Jackie D. aus, schenkte sich nach und hielt die Flasche fragend über den Tisch. Der Auer winkte ab und Chili füllte sich nach: »Der Schiermeier war vor einiger Zeit hier. Das war, warte mal …« Er schaute nach oben, schnippte dann mit den Fingern und meinte: »Vorige Woche Montag. So gegen zwei Uhr in der Früh. Er hatte drei Kerle von einem Imker-Verein dabei, denen wollte er ein Grundstück abluchsen.«

»Imker, was? Da kannste mal sehen. Immer diese Imker.«

»Lass mich ausreden. Der eine, so ein mehläugiger dicker Schmierlappen, sagte zu meinem Mädel da draußen: ›Jetzt machst uns schnell einmal vier doppelte Biena-Coladas, Schnucki‹, und die blonde Torte kommt doch glatt zu mir rein und fragt, was ein Biena-Colada ist. Ob das was mit Bienen zu tun hat, ob da Honig reinkommt. Und ich sag: kein Honig, sondern ganze Bienen. Die Imker essen keinen Honig, die kauen die Bienen. Und Blondie staunt mich an und sagt: ›Ihhhh, echt jetzt?‹, und dann noch: ›Aber Chef, wir haben doch gar keine Bienen hier.‹ Max, mein Alter, mit so einem Personal musst du heutzutage arbeiten. Auf jeden Fall, der Schiermeier fängt mich bei einem Gang durch den Laden ab und meint, ich soll die drei schlappen Willis an der Bar richtig abfüllen, Preis spielt keine Rolle. Was hast du mit dem zu tun? Sind denen ein paar Bienen entflogen?«

Der Chili lehnte sich lächelnd in seinem Stuhl zurück: »Und der junge Schiermeier, der Josef, der hat hier Hausverbot. Der hat so ziemlich überall in Rosenheim abends Hausverbot, glaube ich.«

»Genau um den geht’s. Um den Josef. Der ist abgetaucht, nach Salzburg wahrscheinlich. Ich suche ihn und bringe ihn hierher zurück. Das ist der erste Punkt auf dem Zettel.«

»Ein Zettel sogar. Das klingt nicht gut. Was ist der zweite Punkt?«

»Der Schiermeier wird erpresst. Weißt du davon was? Ich meine, was sagen die Buschtrommeln?«

Chili schüttelte den Kopf und trank: »Ahhh, das macht wohlig. Nein, davon weiß ich nix. Ist das der zweite Punkt?«

»Nicht ganz. Ich vermute, ich weiß, wer dahintersteckt. Das ist möglicherweise eine Jamaikaner-Gang, die Gras und so Zeugs vertickt.«

Jetzt verdrehte der Chili die Augen: »Gras? Mary Jane, Weed, schwarzer Afghane, so was? Das ist doch Kinderkram. Das Zeug kriegst du hier tagsüber von jedem zweiten Teenie, wenn’s sein muss.«

»Nein, nein. Die machen schon noch andere Dinger. Zünden hier und dort gerne mal eine Schiermeier-Wohnung an. Und manchmal liegen da auch noch verbrannte Menschen drin.«

»Aber doch nicht der Josef. Der ist blöd wie Weißbrot.« Der Chili kniff die Augen zusammen: »Sag nichts. Der Josef erpresst seinen Bruder Alfons. Die Jamaikaner machen die Drecksarbeit. Was ist mit den Leichen. Du hast in der Mehrzahl gesprochen.«

Auer zuckte mit den Schultern: »Jetzt trinke ich doch noch einen. Lass die Flasche rüberwachsen. Danke.« Er schenkte sich ein. »Da waren zwei junge Frauen in einer Wohnung in der Kastenau. Dunkelhäutige junge Frauen. Die waren aber wahrscheinlich schon vorher tot. Jemand hat gesehen, wie ein paar Rastas nachts große Gegenstände in die leere Villa geschleppt haben. Und kurz drauf war Sankt-Petrus-Feuer angesagt.«

»Jetzt will der Alfons den Josef in die Finger kriegen. Keine Polizei, das war bei den Schiermeiers schon immer so. Woher weißt du, dass der Josef in Salzburg ist?«

»Ich weiß es nicht, aber der Alfons meinte, dort würde er ein paar Zocker kennen, die ihn verstecken. Wo würdest du dich in Salzburg bei Zockern verstecken?«

»Hat er genug Geld dabei?«

»Vielleicht, kann sein. Also?«

Der Chili ließ zärtlich seinen weizenblonden Pferdeschwanz zwischen die Finger gleiten und drehte ihn zu einem Röllchen auf: »Im Stadtteil Itzling, in der Goethesiedlung, da sind Großfamilien, Zockergangs, Spielsalons. Schlimmes Gesindel, das sich da rumtreibt. Die würden aber einem wie mir oder dem Josef auf dem Klo die Gurgel durchschneiden und die Leichen fleddern. Da also eher nicht. Rund um den Hauptbahnhof, in der Elisabethstraße. Oder in der Ignaz-Harrer-Straße, da trauen sich die von der Firma Greif und Fang abends auch nicht mehr hin.«

Chili schaukelte mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl, dann setzte er die Füße auf den Boden und sagte: »Ich hab’s. Wenn der wo ist, dann in der Bessarabierstraße in Lehen oder Liefering. Die Straße geht durch beide Stadtteile. Da hat’s Zockerbuden, die sind im zweiten Untergeschoss unter den Kellern. Da spielen die Profis. Warte, ich rufe den Inkasso-Heinzi an. Der hat in ganz Salzburg seine Connections.«

Dann schüttelte er traurig den Kopf: »Wobei, wenn ich mir das so überlege … Das letzte Mal, als du mit dem Inkasso zu tun hattest, hat es ihm eine Kugel in den Haxen eingebracht. Und grade der Heinzi ist doch so was von nachtragend, selbst bei solchen Kleinigkeiten.«

»Ruf ihn an. Sag ihm, ich brauche einen Termin bei ihm. Und seine Garantie, dass ich lebendig aus Salzburg wieder rauskomme. Frag ihn, was er für eine Konsultation verlangt. Ich biete Zehntausend in bar für eine Audienz. Wenn ich in Salzburg Muskeln brauche, miete ich die von ihm. Er selber hat nichts mit der Sache zu tun. Wenn ich fertig bin, verschwinde ich sofort wieder.«

Chili hob einen Zeigefinger: »Das mit dem Loch im Haxen verzeiht der dir nie.«

»Man kann verzeihen, ohne zu vergeben, sag ihm das, wenn das Thema von dem perforierten Haxen aufkommt. Was ist jetzt? Hilfst du mir, oder ja? Und außerdem, das Loch im Bein hat ihm zwar der Danny verpasst, aber der Heinzi hat uns so was von provoziert und er ist direkt auf den Danny losgestürmt.«

»Schnee von gestern.«

»Sag ich ja. Also, würdest du bitte …?«

Der Chili zog sein Handy aus einer der Schubladen, scrollte sich durch die Nummernliste und drückte dann seufzend auf einen Knopf: »Bitte. Du willst es so. Dein nachfolgendes Leben verkürzt sich möglicherweise nach diesem Anruf um etliche Jahrzehnte.«

Der Auer wollte auch noch was sagen, aber der Chili hatte das Smartphone schon am Ohr und hob warnend einen Finger: »Ja? Hallo? Heinz? Dein Freund Chili aus Rosenheim spricht. Bei was störe ich dich grade?«

Dann stellte er das Telefon auf »laut« und legte es auf die Schreibtischplatte zwischen ihnen. Beide beugten sich vor, um die Stimme aus dem iPhone besser zu verstehen: »I bin grad beim zweiten Frühstück. Is’ ja erst kurz vor aans in da Nocht. Wos wuisst, Chilimann?« Kurze Pause, schlürfende Geräusche, dann wieder Heinzis Stimme: »A so eine Auster is’ ein richtiges Gschiss zum Essen. Warum soi des eine Delikatess’ sei? Do iss i liaba a Eitrige mit am Schoafn und zwa Bugel. Und a 16er-Blech dazua. Wo wüüst?«

Kurz für alle Nicht-Austrianer: Eine »Eitrige« ist nicht das, was du jetzt möglicherweise erschauernd denkst, sondern eine Bratwurst mit Käsestücken drin. Ein 16er-Blech ist eine Dose Ottakringer Bier und ein Bugel ist eine Semmel. Dazu muss ich sagen: Der Heinzi kommt ursprünglich aus Wien. Dort haben sie ihm aber ein paarmal den Körper perforiert sowie ein Auge ausgestochen, also hat es ihn nach Salzburg verschlagen. Was im Prinzip aber genauso ungesund sein kann, weil in Salzburg die Messer genauso tief fliegen wie in der Landeshauptstadt.

»Wie hast du denn mit meinen Leberkäs-Porno-DVDs verdient, mein Lieber?«

»Wennsd du ›mein Lieber‹ zu mir sagst, dann kriag i glei so einen Phantomschmerz im Haxn. Wos wüüst? I muass weidaessen.«

»Pass auf, der Max Auer ist auch hier, er hört mit … und …«

»Woos?« Jetzt ging der Heinzi in eine höhere Tonlage über. Und lauter wurde er auch: »Der grätzige Ex-Kieberer? Der is’ doch schuid, dass mir dein fetter Zwerg a Kugel verpasst hod. Der glaubt, er is’ a Kapazunder (besonders gescheiter Mensch), der Droddel der. Dass den no kaana aus ’m Stand gnommen (umgebracht) hat, des wundert mi’ jetzt aber scho’.«

Der Auer schob seinen Kopf noch näher zum Telefon: »Servus, Heinzi. Pass auf. Ich such jemanden in Salzburg. Einen Zocker aus Rosenheim. Du musst uns da helfen.«

»Goa nix muas i. Geh scheißen, du Schpinatschädl. Mit dia red i nix. Gib mia den Chilligen.«

Max verdrehte die Augen und schob das iPhone näher zu Chili: »Heinzi, i bin’s wieder. Wenn du uns hilfst, dann überlasse ich dir die Pressvorlage für die DVD von meiner neuesten Produktion. Hammerhandlung, pass auf: Eine gemischte asiatische Touristengruppe, so um die zehn Leute, wird im Schloss Neuschwanstein über Nacht eingesperrt. Die verstecken sich in Panik im Folterkeller. Und es gibt genau da ab Mitternacht eine saftige Orgie mit Geistern, toten Adligen, Zombies und Vampiren. In der Früh, bevor es hell wird, kommen dann die Exorzisten mit Kettensägen dazu und machen Sauce Bolognese aus allen Beteiligten. Wie klingt das? Alles in Farbe, Dolby Surround und mit Spezialeffekten, dagegen ist der Untergang der Titanic ein Vogelschiss auf einer Luftmatratze. Und: Ich kann deinen Namen als Produzent und Ideen-Geber noch reinkopieren lassen. Im Vorspann und danach. Was sagst jetzt?«

Man hörte, wie der Heinzi eine weitere Auster schlürfte, trank, dann ertönte ein klopfendes Geräusch: tock-tock-tock-tock-tock.

Chili deckte das Handy ab und flüsterte: »Hörst du das? Jetzt klopft er mit seinem Glasauge auf dem Tisch herum. Das heißt, er denkt nach und ist interessiert.«

Dann sagte er in normaler Lautstärke: »Heinzi, was ist jetzt? Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.«

»Jojo, i denk bloss a bissel nach. Der gschissene Ex-Kieberer soll kommen. I helf’ eahm mit meine Leut’. Er soi die Chef-DVD mitbringen oda wia des haast. I mach sie exklusiv, globusweit, is’ des klar? Hast schon ein Cover für das Werk?«

Chili machte die Becker-Faust und zischte ein fast unhörbares »Jaaa«, dann antwortete er: »Der Auer bringt alles auf USB-Sticks mit. Den Film und die Druckvorlagen für das Cover. Dreisprachig: deutsch, englisch, chinesisch. Was sagst du jetzt?«

Der Heinzi seufzte: »Na ja, bei echter Kunst kann i ned naa sag’n, noch dazu, wenn’s so elegant geamacht is’, des weißt ja eh. Wann kummt der Kieberer?«

Max sagte: »Morgen Abend. In deinen Laden beim Bahnhof, dem XXL? Um neun?«

»Jo, wennsd maanst.«

»Noch was, Heinzi, ich komme alleine nach Salzburg. Und ich will lebendig, an einem Stück und ohne Löcher wieder hier in Rosenheim ankommen. Freies Geleit, zusammen mit dem Typen, wenn wir ihn finden.«

»Den Gschrappen host scho’ so guad wia in da Daschn. Und aus dem Stand nimmt di hier ohne meinen Segen kaana. Wia haasd der Hawara?«

»Josef Schiermeier, Bayer, um die 30, notorischer Zocker.«

»Is’ guad. Bis muagn. Gschamster Diener, Habediehre und Servas.«

Der Chili legte das Telefon beiseite und schaute den Max an: »Und, zufrieden? Weißt du, was mich das kostet? Das war eine extrem aufwendige Produktion.«

»Doch nicht wirklich auf Schloss Neuschwanstein, oder?«

»Spinnst? Aber wir haben einen begnadeten Kulissenbauer. Die Chinesen sind asiatische Küchenhelfer aus München, die Kostüme aus einem Theater in Traunstein geliehen, und die Kettensägen waren ebenfalls Leih-Ware, von OBI. Willst mal in den Film reinschauen? Alleine für das Finale haben wir 80 Liter Ketchup gebraucht. Aber das war Gott sei Dank beim LIDL im Angebot.«

Der Auer Max winkte ab: »Passt schon. Ich bin nicht so der fachkundige Kunst-Mäzen wie der Heinzi. Was meinst du, kann ich ihm trauen? Von wegen freiem Geleit und so?«

Der Chili kratzte sich am Ohr: »Er wird ein bissel sehr exzentrisch, höre ich. Und jähzornig und unbeherrscht war er ja schon immer. Also, Wetten auf deine Unversehrtheit würde ich ab deinem Eintreffen in Salzburg nicht mehr annehmen.«

»Wie?«

»Das war ein Spaß. Der Heinzi ist ein gesalbter Irrer von höchsten Gnaden, aber er hält sein Wort. Das gilt allerdings immer nur für die aktuelle Absprache. Wenn du später noch mal nach Salzburg musst, stehen Neuverhandlungen an. Haben wir sonst noch was?«

Der Auer stand mit einem Ächzen auf: »Nein. Jetzt werde ich so langsam müde. Servus, mein Alter.«

»Warte, nimm deine Lebensversicherung mit!« Chili kramte in einer seiner Schreibtischschubladen: »Wo ist er denn? Ich hab ihn doch gestern noch … ah, da isser ja. Bitte sehr. Der neue Blockbuster für den Heinzi.«

»Danke. Und warum ist das jetzt meine Lebensversicherung?«

»Der Code. Der Film ist codiert und der Schlüssel ist mein Geburtstag. 1811. Erinnere den Heinzi gleich am Anfang des Gespräches daran. Sicher ist sicher. Nur damit er weiß, dass, wenn dir was passiert, er es mit mir zu tun bekommt. Und jetzt: Bon Rasage, wie die chinesischen Pornodarsteller immer sagen.«

Drei Zimmer, Küche, Sarg

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