Читать книгу Drei Zimmer, Küche, Sarg - Heinz von Wilk - Страница 9
Heiratsschwindler-Böfflamott à la Manfred
ОглавлениеFür vier Personen brauchst du ein Kilo flache Schulter vom Ochsen. Außerdem zwei blaue Zwiebeln, um die 200 Gramm Knollensellerie, 100 Gramm Karotten, fünf Knoblauchzehen, Olivenöl, zwei Esslöffel Zucker, 50 Gramm Tomatenmark, einen halben Liter guten Rotwein, 100 Milliliter Cognac, Räuchersalz, zwei Teelöffel schwarzen Pfeffer, sechs Pimentkörner, 15 Wacholderbeeren, eine Zimtstange, 100 Milliliter Rotweinessig.
Das ganze Gemüsezeugs putzen, in grobe Würfel schneiden und nebenbei das Olivenöl (reichlich) in einem großen ofenfesten Topf erhitzen. Das Gemüse und die Zwiebel- und Knoblauchstücke bei starker Hitze anrösten.
Den Zucker drüberstreuen, karamellisieren lassen und das Tomatenmark einrühren und kurz mitschwitzen lassen. Mit dem Rotwein und dem Cognac oder Weinbrand ablöschen. 750 Milliliter Bratenfond oder Suppenfond zugeben, die 20 Gramm Räuchersalz und die Gewürze in den Topf. Einmal kräftig aufkochen lassen, den Topf vom Herd nehmen und den Sud erkalten lassen. Rotweinessig dazugeben und das Fleisch in die Flüssigkeit legen, sodass es rundherum von der Marinade bedeckt wird.
Jetzt: Klappe zu, Deckel drauf und das Ganze vier Tage lang im Kühlschrank durchziehen lassen.
Vier Tage, denkst du dir? Warum so lange? Genau das ist ja das Geheimnis, die Zeit. Und glaub mir, einer wie der Chefheiratsschwindler Manfred, der weiß genau, wie man altes Fleisch weichkriegt.
Dann: den Topf in den Backofen, bei mittlerer (Umluft 150 Grad) Hitze circa drei bis vier Stunden garen, das Fleisch aus dem Topf heben, die Sauce durch ein großes Sieb passieren, wieder in den Topf, erhitzen und bei Bedarf mit ein paar kalten Butterwürfeln, die man schnell einrührt, binden.
Das Fleisch in Scheiben schneiden, die Sauce eventuell noch mal abschmecken und über das Fleisch geben. Dazu passen Knödel und Rosenkohl oder ein getrüffeltes Kartoffelpüree, was du willst.
Aber weiter in der Geschichte:
Der Manfred wiegte betrübt sein graues Haupt, schaute zu den Sternen hoch und meinte: »Der Otti ist theoretisch und praktisch tot. Ich meine, sie hat mir so viel von und über ihn erzählt, dass ich denke, es war zwar nicht die ganz große Liebe, aber schon nahe dran.«
Jetzt konntest du sehen, wie der Manfred auf eine Antwort vom Auer wartete. Einen Kommentar, ein Schulterzucken, ein Nicken, ein verständnisvolles Grinsen, irgendwas.
Aber so einem abgebrühten Ex-Bullen ziehst du nichts aus der Nase. Im Gegenteil. Der Auer Max hat mir mal erzählt, wie er bei Verhören vorgegangen ist: Du musst erst einmal schauen, hat er gesagt, was für ein Typ dein Gegenüber ist. Kriegt er leicht Stress? Dann musst du ihn unter Druck setzen, weil Menschen unter Stress Fehler machen. Stress erkennst du an der erhöhten Stimmlage, wenn er anfängt, mehr zu blinzeln, wenn er zögert, sich wiederholt, Pausen zwischen den Sätzen macht oder langsam spricht, weil er dabei nachdenkt. Den musst du aus dem Konzept bringen. Stell ihm Fragen wie: »Wenn Sie an meiner Stelle hier säßen, was würden Sie tun?« Pass auf, ein Unschuldiger gibt jetzt konstruktive Ratschläge. Ein Schuldiger gar keine oder er erzählt Blödsinn.
Oder frag ihn: »Was glauben Sie, warum sprechen wir jetzt und hier?« Ein Unschuldiger wird dich direkt hart angehen, der Schuldige schwurbelt herum. Du fragst: »Wer könnte es Ihrer Meinung nach gewesen sein?« Der Unschuldige wird dir lang und breit erzählen, was er denkt, warum, und überhaupt alles, was er zu der Frage weiß. Der Schuldige wird sagen: »Was fragen Sie mich? Ich habe doch keine Ahnung, denn ich war es ja nicht.«
Du musst Vertrauen aufbauen, ihn reden lassen, biete ihm was an, frage, ob er Hunger hat. Erzähl ihm ein bisschen von dir, stell dich nicht clever dar, sondern wie einer, der nur versucht, seinen Job einigermaßen zu machen. Dein Gegenüber soll sich sicher fühlen und vielleicht sogar denken, der kann mir sowieso nichts. Hier bin ich schnell wieder raus.
Aber zum aktuellen Thema: Manfred Gorka. Der ist ein studierter Berufslügner mit Abschluss Summa cum laude. Einer wie der Manfred wird unter Druck erst richtig gut und wachsam, ja was glaubst du denn? So einer macht den ersten Fehler erst, wenn er sich richtig sicher fühlt. Als Heiratsschwindler musst du ein Gedächtnis haben wie die Quizgötter aus »Gefragt – Gejagt«. Du brauchst auf alles eine ganz schnelle Antwort, und wenn’s geht, auch gleich die Hintergrundgeschichte dazu. Genau wie die. Nur in bessere Klamotten, als die im Fernsehen anhaben, solltest du als Heiratsschwindler investieren, wenn ich dir da einen Tipp geben darf. Schau dir bloß den mit den komischen Hemden an. Bei dem Anblick kriegt ja ein jeder Blindenhund sofort einen Knurr-Anfall.
Der Auer Max saß also da, schaute ebenfalls in die Sterne und sagte nichts. Eine oder zwei Minuten lang ging das so, dann murmelte der Manfred: »Ob ich deine Tante liebe, weiß ich selber nicht so genau. Ich habe im Job so vielen Frauen die ewige Liebe geschworen, dass ich schon lange nicht mehr weiß, ob es die überhaupt gibt. Aber ich fühle mich sehr … wie soll ich sagen, glücklich bei ihr. Bei euch. Du hast ja von Anfang an gewusst, wer ich bin oder war. Der Friedl habe ich vieles erzählt, manches nicht, du weißt schon. Aber wir vertrauen uns. Das ist eine solide Basis.«
Er deutete mit dem Glas in der Hand auf das Geländer: »Wenn es sein müsste, würde ich für sie auf der Stelle da runterspringen. Und ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt, für jemand anders von der Terrasse zu segeln. Ich würde auch sofort eine Niere für sie geben oder einen Teil meiner Leber.«
»Mach das und du hast eine Klage wegen Körperverletzung am Hals. Wer deine Leber kriegt, ist todgeweiht.«
Manfred prostete ihm grinsend zu. »War nur so ein Spruch. Du weißt schon, was ich meine. Gut, kommen wir zum Thema.« Manfred schaute sich um, ob die Friedl da irgendwo …
»Wir fahren ja gerne mal ein oder zwei Tage in dieses Nobel-Hotel am Tegernsee. Da nimmt sie immer den Otti mit. Gut, wir buchen jedes Mal eine schöne Suite, er steht dann im Wohnzimmer neben der Obstschale und den hausgemachten Pralinen. Aber er ist da, verstehst du? Wenn wir abends zum Japaner runtergehen, dann dreht sie immer noch schnell die Sanduhr um, tätschelt sie und flüstert irgendwas. Und wenn wir gegen Mitternacht wieder hochkommen, gehe ich ins Bad und sie trinkt noch einen kleinen Schampus und erzählt dem Otti von den Sushis.«
Wenn du jetzt denkst, dass sich der Auer Max zu einem Kommentar hinreißen lässt, dann hast du dich sauber gebrannt. Weil, großer Verhörtrick: Nicke mit einer Miene, die sagt, ich verstehe dich ja so gut, ich würde an deiner Stelle dasselbe fühlen. Schau ihm voll in die Augen dabei und halt bloß die Klappe, denn sonst ist die Stimmung weg, und die Auster klappt zu. Ganz wichtig: auch kein Schulterklopfen, Auf-seine-Hand-Tätscheln oder so. Einfach nur ruhig sitzen und trübe gucken.
»Verstehst du, was ich meine? Also sag ich auf der Heimfahrt, kurz hinter dem Ort Tegernsee, wo eh immer Stau ist: ›Meine Liebe, geht es dem Otti gut dahinten zwischen den Koffern? Sie schaut mich mit diesem Habicht-Blick an, du weißt schon, und meint, ob wir ein Problem damit haben. Ich sag: ›Nein, nein gar nicht. Aber jetzt mal ganz ehrlich, weil wir schon davon reden: Warum hast du ihn eingeäschert und nicht, wie soll ich sagen, also, das, was die meisten machen?‹ Sie schnauft aus, so, wie sie es immer macht, wenn sie denkt, dass sie nur von Idioten umgeben ist, du kennst das ja. Dann denkt sie kurz nach und faucht mich an: ›Ja, sollen wir denn mit einem Skelett ins Hotel gehen? Und wenn die mit dem schnuckeligen goldenen Rollständer zum Auto kommen und die Koffer draufstellen und die Kleidersäcke an diese Stangen hängen? Dann fragt der nette Mann in der Hotel-Tracht: Das Skelett, gnädige Frau, soll das neben die Kleidersäcke und auf dem Zimmer in den Schrank oder wünschen Sie dafür ein Extrazimmer? Und ich sage dann, nein, ganz lieb, den Otti trage ich selber, der soll nirgends hängen, er wird ja schnell seekrank, gell. Willst du das? Ist es das, was dir vorschwebt?‹«
Manfred ließ den Kopf auf seine Brust sinken: »So, und jetzt kommt der Hammer: Sie will eine Karibik-Kreuzfahrt buchen. Zwei Wochen auf der MS Berlin. Die war ja mal das Fernseh-Traumschiff. Flug nach Barbados, drei Wochen Superluxus und zurück ab Curacao. Perlen der Karibik mit Erholungsgarantie.«
Der Max sagte immer noch nichts. So was tut man auch nicht, so kurz vor dem Durchbruch.
Der Manfred schluckte, räusperte sich und sagte, mehr zu sich selbst: »Aber da lass ich ihn bei Vollmond über Bord gehen. Irgendwann ist gut. Der Friedl traue ich noch zu, dass sie den Otti mit zum Käpt’ns-Dinner bringt. Da sitzt er dann neben uns. Oder auf dem Tisch, gleich neben dem Kaviar. Was soll ich tun, sag es mir?«
Der Max kratzte sich am Kopf, überlegte und antwortete: »Ich regle das. Lass dir nichts anmerken, suche mit ihr tolle Landausflüge raus oder was weiß ich. Wenn das Thema auf den Otti kommt, geh einfach mit, wie immer. Aber ich verspreche dir, bevor ihr abfliegt, habe ich das Problem für dich gelöst.«
»Wollen wir ihn gleich hier über das Geländer rieseln lassen?«
»Das wäre im Januar bei Schnee und Glatteis eine gute Idee, aber jetzt? Wie wollen wir ihr das morgen früh verkaufen? Vertrau mir. Ich regle das.«
Manfred stand auf: »Gut. Danke schon mal. Wen soll ich dafür umbringen? Ich brauche noch eine Flasche. Übrigens, mit wem hast du dich denn vor der Rosi getroffen? Die Friedl hat da was erwähnt.«
»Schiermeier. Alfons Schiermeier. Ein Rosenheimer Baulöwe mit Problemen.«
»Sollte ich den kennen?«
»Nein, aber der Otti hat Geschäfte mit ihm gemacht.«
Und im Weggehen stöhnte der Manfred: »Da. Bitte. Da ist er schon wieder! Ich fasse es nicht. Gute Nacht, ich gehe ins Bett. Mit einer neuen Flasche.«
»Ich glaube, du liebst sie wirklich, was?«
»Kann sein. Lass dir von einem Ex-Liebesprofi was sagen: Schmetterlinge im Bauch sind die gefährlichsten Tiere der Welt.«