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Fahne auf Halbmast heißt: Ein bissel was geht immer.

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Erinnerst du dich an sie? Leicht braune Haut, dunkle Haare, von der Figur und vom Aussehen her eine reine Zehn. Gut, sie geht jetzt auch schon hart auf die 35 zu, davon merkst du aber nix, denn die Rosi war mal Tänzerin.

Und jetzt hat sie seit einem Jahr oder so dieses Nagelstudio in der Färberstraße, du weißt schon, welches ich meine.

Die Rosi und der Auer Max, die haben ja so eine On-Off-Beziehung, immer unter Volldampf. Du erinnerst dich, dass sie in München schon zusammen waren? Auch dass ihm die Rosi damals für so einen windigen Porsche-Verkäufer von der Stange gegangen ist? Das habe ich schon mal erzählt, weil, eigentlich war es ja so: Der Auer Max hat in seiner Zeit in München bei der Sitte Überstunden ohne Ende geschoben. Denn er hat geglaubt, dass er dann schneller befördert wird. Und die Rosi hat geglaubt, der Max schaut sich die heißen Mädels in den Clubs genauer an und lässt sich ab und zu mal … du weißt schon. Also haben sie beide was geglaubt, und beide das Falsche. Meistens jedenfalls.

Wie es mit dem Auer und der Polizei ausgegangen ist, das habe ich dir im ersten Buch erzählt. Das mit der Rosi habe ich angedeutet. Es war so: Die Rosi sitzt damals, vor zwei Jahren, glaube ich, vor einem Insider-Café in Schwabing. Der »Reitstall«, so heißt der Laden. Den gibt es immer noch. Da triffst du nachmittags schon mal bekannte Leute vom Film oder Musiker oder Bankrotteure, die den letzten Euro mit Stil versaufen und überlegen, wen sie jetzt abzocken könnten. Und Mädels aller Haut- und Haarfarben, die noch an den berühmten Zufall glauben.

Ein Richter hat mal zu mir gesagt: »Weißt du, wie wir vor Gericht Menschen nennen, die an Zufälle glauben? Nein? Angeklagte!«

Also, die Rosi sitzt vor dem »Reitstall«, schlürft einen Hugo, da hält der Kerl mit seinem silbergrauen Carrera S direkt vor ihr und ruft: »Du lieber Gott. Schöne Frau, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch mal um den Block fahren und in drei Minuten nachfragen? Ich weiß übrigens, wo es einen viel besseren Hugo gibt.«

Und die Rosi, immer noch sauer auf den Max, steigt ein und fängt mit dem Kerl auch noch was an. Weil er ihr erzählt hat, er wäre der Chef von dem Porsche-Salon und er würde ihr zum nächsten Geburtstag einen roten 911er schenken.

Aber, wie sich nach ein paar Wochen herausstellte, war der Knabe zwar bei Porsche, aber nur als Aushilfsverkäufer, und der silberne Carrera war ein Vorführwagen.

Der Auer war in dieser Zeit schon in Rosenheim, wie du weißt, und hat fleißig für die Friedl im Family-Business gearbeitet.

Gut, als die Friedl dann erfahren hat, dass die Rosi in Rosenheim ist, hat es vielleicht zwei Schmoll-Tage gedauert, dann stand der Auer Max mit so vielen roten Rosen vor der Brust im Nagelstudio in der Färberstraße, dass er ausgesehen hat wie ein getarnter Truppentransporter bei einem Wald-Manöver.

Es ging da weiter, wo es aufgehört hat, ja, was glaubst du denn? Weil die Rosi ein Temperament hat wie ein Kilo Dynamit, und eine ganz kurze Zündschnur. Wenn ihre tiefschwarzen Augen flackern und sie dieses animalische Wolfs-Lächeln aufsetzt, dann, mein Freund, musst du schauen, dass du Land gewinnst.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Wegen der Fahne.

Pass auf: Der Auer und die Rosi waren ja mal in Las Vegas, in so einem Wahnsinnshotel, The Mirage hieß das. Dort gab es einen riesigen Pool mit Palmen außen rum, und die Kellnerinnen hatten so wenig am Leib, dass sich der Auer gar nicht getraut hat, die beim Bestellen anzuschauen. Das ging übrigens so: Hinten, oben am Kopfteil von jedem Liegestuhl waren 30, 40 Zentimeter lange Plastikstangen mit einer kleinen roten Fahne obendrauf.

Und wenn du die Fahne nach oben schobst, dann stand sofort eine Dreiviertelnackerte neben dir und hat dich angestrahlt, als wollte sie dir gleich an die Badehose gehen. Du hast bestellt (den Erdbeer-Daiquiri kann ich sehr empfehlen), getrunken, und erst wenn du wieder was wolltest: Fahne hoch, und die Dreiviertelnackerte kam angestrahlt.

Und genau so eine Fahne auf einem kleinen goldenen Sockel haben die beiden, der Max und die Rosi, jetzt im Nagelsalon auf der Theke stehen. Die Fahne hat der Max im Internet bestellt und durch einen Übermittlungsfehler hat er eine Norwegische bekommen. Was im Endeffekt ja auch wurscht war, denn, und jetzt pass auf, es ging um Folgendes: Wenn der Max die Rosi abholte, zum Essen oder was weiß ich, dann schaute er immer zuallererst auf die Fahne. War die ganz oben, dann hieß das: Heute geht noch was.

War sie auf Halbmast: Mal schauen, ein bissel was geht immer.

War sie aber ganz unten, auf dem goldenen Sockel aufliegend: FASS. MICH. NICHT. AN!!!!

Was soll ich noch sagen, du ahnst es eh schon: Der Max trabte frohgelaunt in den Salon, die beiden Behandlungsstühle sind leer. Die Rosi flucht im Hinterzimmer. Die Fahne ganz unten auf dem Sockel. Nicht gut. Gar nicht gut.

»Schatzimausi«, rief er, »hast du Lust, dich verwöhnen zu lassen?«

»Schatzimausi ist so was von saumies drauf, Auer, verzieh dich im Schweinsgalopp.«

Der Auer Max kratzte sich am Kopf, während er an der Glastheke lehnte und mit der rechten Hand die trauernde Fahne drehte: »Was immer es ist, Mausi, ich bin diesmal unschuldig. Willst du mit mir reden? Bitte?«

Die Rosi kam aus der Wohnung gerauscht, die sich ja genau hinter dem Salon befand, und fauchte: »Schau dich einmal um!« Sie breitete die Hände aus, drehte sich halb und hatte Tränen in den Augen: »Alles das hier hab ich mir selber aufgebaut. Ich hab jede Menge Stammkunden, verdiene gutes Geld, kann die Miete und was weiß ich alles gut zahlen und es bleibt noch schön was über.«

»Ja, dann freu dich doch.« De Auer schob die Fahne vorsichtig auf Halbmast und drehte sie in Richtung Rosi. Die zerrte die Norwegerfahne mit einer schnellen Bewegung wieder runter auf den Sockel: »Kannst du an nichts anderes denken? Offenbar ist es wirklich so, dass alle Männer Schweine sind, außer Papa. Soll ich dir mal was sagen?«

Sie funkelte ihn an, lag aber plötzlich an seiner Brust, den Kopf auf seine Schulter gedrückt, und heulte los: »Der Anwalt vom Hausbesitzer hat mich vorhin angerufen. Im Lauf der nächsten Tage bekomme ich ein Schreiben, dass ich hier rausmuss. Eigenbedarf, sagte er. Über den Zeitrahmen bis zum Auszug könne man reden, aber wenn ich mich sträube, geht das ruck-zuck vor Gericht, mit Räumungsklage und so weiter. Ihm fällt da schon was ein, sagte er.«

Sie erzählte noch mehr, aber in der ganzen Schluchzerei ging so einiges unter. Dem Auer wurde es warm im Bauch, eine unbändige Wut stieg ihm in den Kopf. Er schob die Rosi ein bisschen von sich, sodass er ihr die Tränen von den Augen küssen konnte: »Das ist bestimmt ein Missverständnis, glaube mir. Wo ist die Nummer von dem Anwalt?«

Sie schniefte und wischte sich die Haare aus der Stirn: »Im Telefon. Anrufliste. Der letzte eingegangene Anruf. Warum?«

Der Auer versuchte, milde zu lächeln, was ihm aber misslang, weshalb er ein Gesicht zog wie ein geschnitzter Halloween-Kürbis: »Gib mir das Handy. Ich geh kurz damit raus. Du wäscht dir jetzt schnell das Gesicht, oder was man als Frau in so einer Situation tut, und dann gehen wir fein was essen.«

Jetzt zeigte die Rosi dem Auer ihre zwei wolfsähnlichen Eckzähne mit einem grausamen Vampir-Grinsen: »Ja du Depp, glaubst du denn echt, mir ist nach Essen?«

Der Auer küsste sie auf den Mund und sagte: »Na siehst du, es geht dir schon besser. Ich bin in fünf Minuten wieder hier drin. Vertrau mir.«

»Ist ja geil, das letzte Mal, als du das zu mir gesagt hast, bist du für zwei Jahre abgetaucht.«

Auer hob den Finger: »Das stimmt nicht. So jedenfalls nicht. Du bist mit dem Porsche-Geier abgeschoben. Schon vergessen? Aber ist ja gut. Der Klügere gibt nach.«

»Wer sagt denn, dass ich nachgebe?«, fauchte sie, und der Auer Max schnappte sich lächelnd das Telefon und verschwand nach draußen. Er ging auf die andere Straßenseite, stellte sich in einen Hauseingang und drückte die Wahlwiederholung. Nach dem zweiten Signalton meldete sich eine samtweiche Frauenstimme, und Auer fauchte: »Auer hier. Max Auer. Den Chef, aber flott.«

Keine 30 Sekundenspäter war der Herr Anwalt in der Leitung, und der Auer knurrte: »Der feine Herr Schiermeier wird in einer Minute diese Nummer hier anrufen und mir erzählen, dass er das Nagelstudio in der Färberstraße der Mieterin überschreiben wird. Er übernimmt sämtliche Nebenkosten, die durch die Schenkung anfallen. Im Gegenzug wird Herr Auer, das bin ich, den Auftrag erfüllen, über den wir vor ein paar Stunden gesprochen haben. Ebenfalls ohne Kosten. Ein Quid-pro-quo-Job. Haben Sie das verstanden? Keinerlei Kosten oder Spesen.«

»Äh, ja, Herr Auer. In der Tat hatte Herr Schiermeier mit einer sehr schnellen Reaktion Ihrerseits gerechnet, sodass ich ihm umgehend Bescheid geben kann. Gibt es noch Alternativen zu Ihrem Vorschlag?«

»Ja, sagen Sie ihm, ich hätte da ein paar zündende Ideen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben zwei Minuten, die Zeit läuft jetzt. Over.«

Max unterbrach die Verbindung und schlenderte zum Laden zurück. Die Rosi saß in einem der beiden weißen, lederbezogenen Behandlungsstühle und schnäuzte lautstark in ein blassrotes Kopftuch, die Augen immer noch tränennass: »Und? Das war’s, oder? Warum sind die Menschen so gemein?«

Sie schluchzte wieder auf, und bevor der Max was sagen konnte, summte das Handy in seiner Hand. Er schnippte mit dem Finger und legte dann Daumen und Zeigefinger auf die Lippen: »Pschh!«

Dann hob er das Telefon ans Ohr: »Ja?«

»Schiermeier hier. Ich bin mit Ihrem Vorschlag, natürlich in etwas abgewandelter Form, einverstanden. Woher wussten Sie, dass mir auch dieses Haus gehört? Egal, die Dame bekommt den Laden und die Wohnung dahinter. Neuer Mietvertrag, Null Miete, sie zahlt nur ihre Nebenkosten weiter. Laufzeit, sagen wir, erst mal zehn Jahre, dann schauen wir weiter. Und Sie machen den Job.«

»Nein, mein Lieber. Sie machen genau das, was ich Ihrem Anwalt erzählt habe. Das ist nicht verhandelbar. Ich bringe Ihren Bruder zurück und sorge dafür, dass seine Spielschulden annulliert werden. Außerdem kümmere ich mich um die Jamaikaner. Die Leute werden Ihre Wohnung und Rosenheim in absehbarer Zeit verlassen. Ich trage alle meine Spesen selber. Und die werden nicht unbeträchtlich sein, weil ich für die Jamaikaner-Sache wahrscheinlich Hilfe brauche. Auch werde ich in gewissen Rosenheimer Kreisen bekannt machen, dass man Sie und Ihre Immobilien besser auf Dauer in Ruhe lässt. Haben wir den Deal?«

Es entstand eine kurze Pause, der Auer hörte, wie das Telefon abgedeckt wurde, und zwei Männerstimmen, dann kam der Schiermeier wieder: »Herr Auer, hören Sie mich?«

»Ja.«

»Gut. Wir machen das exakt so, wie Sie es wünschen. Mein Anwalt regelt die Sache heute noch mit dem Notar, nächste Woche um diese Zeit ist dann die offizielle Umschreibung des Ladengeschäftes und dazugehörender Wohnung. Ab wann darf ich damit rechnen, dass Sie tätig werden?«

»Sobald mir der Notar mit seinem Wort bestätigt, dass es genau so ablaufen wird.«

»Vertrauen Sie mir doch!«

»Vertrau mir, genau das sagte der Fuchs zur Gans. Und wie ging die Geschichte aus? Aber wissen Sie was? Ich mache mich ab morgen dran. Schönen Abend noch.«

Der Auer lächelte, als er das Telefon auf den Tresen legte, was ihm einen zornigen Blick von der Rosi einbrachte: »Was bitte gibt es da zum Lachen? Ich bin ruiniert, du redest von Fuchs und Gans und grinst auch noch wie ein beschissenes Heumandl. Darf ich da auch mitlachen, ja?«

»Wenn du magst, gerne. Pass auf, das ist alles völlig verkehrt rübergekommen. Der Anwalt sollte dir sagen, dass du ab nächster Woche keine Mieterin mehr bist, sondern Eigentümerin. Der Laden gehört dir. Und die Wohnung auch.«

»Spinnst du? Bist du besoffen?«

»Besoffen? Ja, von dir. Ich hab da einen Deal gemacht und mein Preis ist dein Laden. Der gehört jetzt mir und ich schenke ihn dir.«

Sie kam langsam näher, mit vorgestreckten Armen und einem Gesicht wie ein Fragezeichen: »Moooment. Wo sollte einer wie du so viel Geld herhaben? Das ist doch bloß wieder einer von deinen fiesen Tricks, damit du mich in die Kiste kriegst, oder? Genau wie beim letzten Mal? Das hat mir nämlich außer Ärger nicht viel gebracht.«

Dazu muss ich schnell einflechten, dass es in der letzten Geschichte schon so ausgesehen hat, als würde die Rosi ihren Laden vom Max »finanziert« bekommen, erinnerst du dich?

Aber es war halt so, dass der Harzinger, der alte Knabe, der nach wie vor über dem Nagelstudio wohnt, der Besitzer war. Der hat das Studio samt Wohnung über einen Anwalt an den Freund von der Silikon-Wally verkauft. Der wiederum (Günter) ist zu dem Deal vom Auer Max genötigt worden. Also hat der die Immobilie gleich dem Anwalt wieder um den Hals gewickelt, damit der sie versilbert. Gekauft hat der Schiermeier, auch weil der Preis günstig war. Ungünstig für die Rosi hat sich der Deal aber trotzdem ausgewirkt, denn sie musste weiter Miete bezahlen. Deswegen das gesunde Misstrauen ihrerseits, als der Max mit der gleichen Masche jetzt wieder ankam.

»Geld? Hab ich auch nicht. Brauch ich dafür auch nicht. Ich soll was machen, was ich gut kann. Das tue ich. Anstelle von Bezahlung kriegst du deinen Laden. Ich finde, das ist ein Superdeal. Diesmal mit meiner berühmten Geling-Garantie. Und was deinen zweiten Satz mit der Kiste anbelangt: immer gerne.«

Die Rosi flog ihm nun in die Arme wie ein Tornado, biss ihn herzhaft ins Ohr und flüsterte: »Du bist der bescheuertste Typ, den es gibt. Aber ich liebe dich. So, und jetzt zwick mich, damit ich merke, dass ich nicht träume.«

Der Auer Max griff hinter sich, schnappte mit einer Hand die Fahne und zog sie von unten ganz nach oben: »Da wüsst’ ich jetzt aber schon was Besseres, oder?«

Und sie hauchte: »Beam me up, Scotty! Richtung Kiste.«

Drei Zimmer, Küche, Sarg

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