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Paella „Stocker“

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für circa 10 Personen:

1Kilo gemischtes Fleisch

(Rippchen/kleingehackt und ein Huhn/in 10 Teilen),

1 Kilo Paellareis, Bombaqualität (zur Not tuts auch ein guter

italienischer Risottoreis),

Eine große Aubergine, 2 Artischocken,

Ein Kilo gemischte Bohnen (weiß/rot),

500 Gramm Erbsen

Eine rote und eine gelbe Paprika,

2 Zwiebeln, 10 oder 12 Knoblauchzehen,

Brühe und Wein,

Safran, süßes Paprikapulver,

Safran, gute Qualität

Der Stocker brät das Fleisch und Geflügel in der Riesengusseisenpfanne über der Holzkohle an. Salzt gut und nimmt das scharf angebratene Fleisch, nachdem es schön braun ist, raus und gibt den Reis in das Bratfett.

Den Reis anbraten, mit der Brühe langsam auffüllen und immer umrühren.

Dann die Bohnen, Zwiebeln, Knoblauch und das Gemüse dazu. Paprika und Safran, Pfeffer und einen kräftigen Schluck Wein. Dann das Fleisch dazu.

Jetzt im Backofen noch ein bisschen Oberhitze. Voila.

Der Benito steht die meiste Zeit daneben und sagt nichts.

Aber wie der Stocker die Paellapfanne aus dem großen Backofen zieht, da sagt er: „Schmeckte, seh ik vonne hia.“

Und so sitzen sie alle am Tisch vor der Natursteinmauer und schaufeln aus der Gusseisenpfanne, und der John schaut zum Stocker rüber und grinst. Benito setzt sich an den Tisch, legt dem Stocker den Arm auf die Schulter und sagt: „Ma erlik, biste Koche?“

Nein, denkt der Stocker, eigentlich bin ich nur ein diplomierter Brezensalzer, und schüttelt den Kopf. Aber der Benito redet weiter: „Könnti ein gebrauch, wo sprikt gute deutsch.“ Das können die meisten Bayern schon ziemlich früh, denkt der Stocker und nickt.

„Komme morge bei de zehne in de Immobilbüro, schauma, obbe du willst verkauf meine Häuse an deutsch Leut.“

Der John und seine Gang haben den Stocker wie den verlorenen, oder besser gesagt, wiedergeborenen Sohn gefeiert, und es ist eine lange und feuchte Nacht geworden.

So ist der Stocker am nächsten Morgen ziemlich verkatert runter ins Dorf gefahren, wo der Benito schon taufrisch im Büro bei einem caffè con leche saß.

„Du kriegste zehn Prozente, unne hia, da habi Leut, wo sinde hia nechsta Woch für Haus. Petro, da sitze er, zeigt die Häus und gibbe dir de Schlussels.“

Jetzt war der Stocker also über Nacht und eine Paella zum Hausverkäufer aufgestiegen. Damals war das so, ich schwör’s. Der erste Klient war ein österreichischer Unternehmer (Windschutzscheiben für Lkw en gros) mit seiner kroatischen Katalogfrau. Slowa oder so ähnlich hat sie geheißen, aber er hat immer nur Susu zu ihr gesagt.

Das Sagen hat sowieso sie, denkt der Stocker, wie er sie so anschaut, die Susu. Also zeigt er den beiden erst mal was Günstiges ohne Meerblick. Hundert Quadratmeter mit Blick auf die Grünmüllhalde. Aber der Preis ist gut, um die 200.000 Mark waren das damals.

Der Unternehmer sagt: „Passt, sowas tut‘s schon lang für den Urlaub.“

Stocker schaut auf die Susu und sagt zu dem Windschutzscheibenkönig: „Wissen Sie was, das Haus verkaufe ich Ihnen gar nicht.“

Der Mann schnauft und meint: „Hamses ned nötig, der Herr? Mög‘n S‘ mei Geld ned?“

„Nein“, sagt der Stocker, „aber schauen Sie doch mal Ihre Gattin an. Die geht hier drin ein wie eine Rose ohne Wasser. Da wüsst ich schon was anderes für Sie beide.”

Die Susu lächelt den Stocker dankbar an, streckt ihrem Scheibenhändler die Brust entgegen und sagt: „No, dann mechtmer schaun, was die Mann da hat, was meinst, Tigerchen?“

Das Tigerchen bleckt die Dritten und sagt: „Na dann schauma, dann sehn mirs schon.“

Und so fahren Sie im Chevy-Van vom Stocker die gewundenen, engen Straßen den Berg hoch. Bis sie vor einer Villa stehen, mit einer breiten Treppe, die zu einer riesigen überdachten Terrasse hochführt. Von da aus hat man einen unfassbaren Blick über das Dorf, die Burg, den Hafen und raus aufs scheinbar unendliche dunkelblaue Meer. Ein Blick zum Süchtigwerden.

In der Villa: um die siebzig Quadratmeter Wohnzimmer, nach zwei Seiten verglast, und wieder dieser Blick in die Unendlichkeit. Ein mannsgroßer offener Kamin in der Ecke, offene amerikanische Küche mit Tresen. 4 Schlafzimmer, alle aufs Meer raus. Und eben alles, was sonst noch dazugehört. Ganz zu schweigen vom Grundstück: leichte Hanglage, ca. 2.000 Quadratmeter. Mit Pool, mit Grillhaus, mit, ach ich weiß nicht was noch alles. Auf jeden Fall kriegt die Susu den Juweliersblick. Weißt schon, dieses Stieren, dieses hypnotische, das manche Frauen beim Anblick von teurem Schmuck bekommen.

Sie streicht ihrem Tigerchen über den beachtlichen Bauch und gurrt: „Das ist meine Haus, gell, Tigerchen.“

Jetzt kommt die unvermeidliche Frage: „Wieviel?“

„950.000”, sagt der Stocker.

„Bist deppert?“

„Nein“, sagt der Stocker, „sowas kostet eben sowas, aber wir können gerne wieder ins andere Haus zurück.”

„Mit was, bitte, soll ich das zahlen?“, fragt der Dicke seine Susu.

„Dann verkaufst eben was von deine blöde Aktien“, sagt sie. Ende der Diskussion.

„Na Servas!“ Der Tiger ist sichtlich gealtert. „Was soll‘s, dann kauf ma‘s eben.”

Die Susu fliegt ihm um den Hals und flüstert ihm was Kroatisches ins Ohr, das kann man jetzt nicht so einfach übersetzen. Auf jeden Fall: der Windschutzscheibenkönig packt sie am Hintern, grinst den Stocker über ihre Schulter an und sagt: „Mach den Vertrag, ein paar Tausend hab ich als Anzahlung dabei, Rest gibts vor dem Notar, wenn alles sauber ist.“

Und so hat der Stocker sein erstes Geld verdient. Der Benito, der alte Verbrecher, der hat natürlich was von „weichen Kosten“ und so weiter erzählt, die er dem Stocker von der ersten 10%-Provision abziehen muss. Aber es sind so um die 70.000 (Mark waren das damals noch) übrig geblieben, und die hat der Stocker auch gleich nach dem Notartermin, der ein paar Wochen später war, bekommen. Bar. Macht was her, sowas. In der Zwischenzeit sind aber noch ein paar Häuser und Wohnungen gelaufen, und der Stocker und die Rosi haben sich beim Benito selber ein Haus gekauft.

Also, anzahlungsmäßig. Rest wird von den Provisionen abgezogen. Weil, der Benito, der hat den Stocker ab sofort geliebt und gemerkt: der kann verkaufen. Das muss man sich jetzt mal vorstellen: Da kommst du in ein Land, das so ganz anders ist als Bayern. Wohnst zur Miete, in einer doch relativ baufälligen Hütte. In sowas würde dir in Rosenheim der Tierschutz aufs Dach steigen. Und dann, keine acht Wochen später: Haus. Ach was: Villa!

Mit Pool, mit Meerblick. Mit 2.000 Quadratmeter Grund. Da drauf: Palmen, Hibiskus, Bougainvilleas, Feigen, Pinien und was weiß ich noch so alles. Und im Haus erst: Wohnzimmer mit achtzig Quadrat, offener Kamin. Dann die Treppe hoch zur Küche, die nochmal dreißig Quadrat hat. Die Schlafzimmer, also da kann man locker einlochen üben (Golf mein ich jetzt).

„So ein Haus“, sagt die Rosi, „das haben in Deutschland nur schwule Volksmusiksänger.”

„Mein Gott“, denkt der Stocker, „allen meinen Freunden und Bekannten laufen die Frauen davon. Nur ich hab das Glück nicht.”

So sind die beiden eines Abends auf ihrer Terrasse vor dem Monsterpool (12 mal 10 Meter, mit Gegenschwimmanlage - oder wie man das heutzutage nennt) gesessen. Haben über die Burg und das Dorf auf den Hafen geschaut, wie die Fischerboote reinkamen. Und auf die Schwärme von Möwen, die hinter den zehn oder zwölf Booten hergeflogen sind, um was von den Fischabfällen zu ergattern.

Der Stocker nimmt sein Weinglas und schaut die Küste lang nach Osten. Da geht irgendwo ein Feuerwerk hoch. Und das Telefon läutet. Der Benito ist in der Leitung: „Ola, meine liebe Jung, como estas?“ Immer schlecht, wenn der so freundlich ist.

„Hab ich morge ein Russ, der sprikt englese, kannste doch, oda?“

„Claro“, sagt der Stocker, schon ganz Katalane „Was will der denn?”

„Eine Hause mit gucke bis Ibiza, du dumme Kartoffel, wasse sonst? Wirst ihm zeige de Hause ganz auf de Berg, ne? Weisste welche?“

Klar weiß der Stocker das. Ein Anwesen wie aus „Vom Winde verweht“. Nur eben mit 180-Grad-Panoramablick, ohne Scarlett, dafür auf einem unfassbar großen Grundstück.

Preis: eineinhalb Millionen (Mark).

Der Russe, Igor heißt er, kommt am nächsten Tag um elf ins Büro. Blass, gut angezogen, so ein bisschen ein Putin-Typ. Zusammen fahren sie erst mal durch das Dorf. Runter zum Hafen. Hoch auf die Burg. Von da hat man den Burgherrenblick über alles: Dorf, Meer, Hafen. Und nach hinten: auf den Monte Orba. Dort stehen die richtig teuren Häuser.

Der Russe sagt: „Good, show me your best house now.“

Der Stocker denkt sich: „Bingo.“

Oben am Haus geht der Igor zweimal durch alle Räume. Stellt sich auf die Terrasse und schaut übers Meer. Und sagt doch tatsächlich: „Where is Ibiza?“

Der Stocker sagt: „An klaren Tagen da drüben.“ Und zeigt irgendwie unbestimmt über das weite Meer. Weil, so genau weiß er das selber nicht.

Aber der Igor nickt und meint: „Good, lets make a contract. I buy the house.“ Und so haben alle Probleme angefangen.

Am nächsten Vormittag kam nämlich der John rüber zum Stocker ins neue Haus. Der Stocker war mit der Rosi grade im Monsterpool gewesen, und die Rosi hat wieder mal eine Story von ihrem Exfreund erzählt: „Dann kommt der Depp doch heim und erzählt mir, er hat sich eben jetzt einen Hundertmarkschein auf den Schwanz tätowieren lassen. Ja, warum, sag ich. Weil er so gerne großes Geld in die Hand nimmt, sagt der. Kannst dir das vorstellen?“

Der Stocker sagt: „Ja, schon. Ich hab da mal einen gekannt, der hat sich ‘Rumbalotte‘ auf den Pimmel tätowiert.“ Der Rosi kann mal ja alles erzählen, und an schönen Tagen kann man der beim Denken richtig zusehen, und prompt fragt sie auch nach: „Rumbalotte, was heißt denn das?” „Heißt so gesehen nix, aber wenn sein Ding steht, dann heißt das ‘Ruhm und Ehre der baltischen Flotte‘!“

Die Rosi überlegt. Ganz ernsthaft. Dann sagt sie: „Echt, jetzt? Nein, oder?“

Und der Stocker denkt, der könnt ich auch Grundstücke auf dem Mond verkaufen. Auf jeden Fall, jetzt steht der John unten an der Mauer und hupt. Der Stocker beugt sich über die Terrasse und sieht ihn winken.

„So wie der da die Treppen hochrennt, bedeutet das nichts Gutes“, denkt der Stocker. Der John hat eine Tasche dabei, einen roten Kopf und sieht über die Schulter den Berg runter zur Straße. Der Stocker geht rein und holt zwei kalte Bier raus auf die Terrasse. Bei fünfunddreißig Grad im Schatten passt das immer. Nach dem ersten tiefen Schluck und einem Rülpser sagt der John: „Zwei von den ‘Los Muertes‘ sind unten im Dorf und fragen nach dir.”

„Die Muertes, die Zigeunermotorradgang?“, fragt der Stocker. „Kann mir nicht vorstellen, was die von mir wollen. Hab ich nie mit zu tun gehabt. Das sind doch Geldeintreiber und sowas. Ich hab bei niemandem hier Schulden.”

Der John trinkt und hält sich die kalte Bierflasche an die Schläfe: „Kann schon sein, aber irgendwas wollen die von dir. Über kurz oder lang haben die raus, wo du wohnst. Was machst du dann?“

„Keine Ahnung.“

„Super Plan. Könnte von mir sein, funktioniert aber nicht immer. “

Er beugt sich im Stuhl nach seiner blauen Tasche und legt sie auf den großen Eisentisch mit den Terrakottafliesen. Der Reißverschluss singt, und John fasst in die Tasche. „Du gehörst ja jetzt irgendwie zur Familie, und der Benito meint auch, dir sollte besser nichts passieren.“

„Hier“, er holt eine abgesägte doppelläufige 12er-Schrotflinte aus der Tasche. Mit Lauf ist die vielleicht um die dreißig Zentimeter lang. Die legst du im Haus irgendwohin, wo du gut drankommst, wenn‘s sein muss.”

Dann greift er nochmals in die blaue Wundertüte: „Das da ist eine Neunmillimeter. Makarov. War die bevorzugte Pistole der östlichen Geheimdienste. Die funktioniert sogar noch, wenn du sie aus Versehen mit Käse überbäckst.“

Jetzt legt er noch einen Beutel mit Schrotpatronen und drei volle Magazine für die Pistole auf den Tisch. Außerdem ein Handy. „Das Handy ist spezialgechipt“, sagt er, „Bob the Blob kann dich auf seinem Laptop überall orten. Und wenn du nicht rangehst, wenn er anruft, dann sind meine Jungs da. Theoretisch, jedenfalls.” Der John rülpst, so wie nur Engländer rülpsen können.

„Brauchst du Einweisung mit den Dingern da?“

„Nein“, sagt der Stocker, „ich war ja beim Militär. Gebirgsjäger. Ist lange her.”

Jetzt kennen die Engländer natürlich keine Gebirgsjäger. Wo sollen die denn auch hinklettern auf ihrer Insel? Und bei dem Essen, das die da haben, wär denen eh schnell die Luft ausgegangen. Der Stocker hat dem John dann was erzählt. Von der Kaserne in Mittenwald. Von den Felswänden, die sie hochgeklettert sind, sodass sogar die zufällig anwesenden Gemsen in ein vorübergehendes Neidkoma gefallen sind.

„Dann ist das ja sowas wie unser SAS (Special Air Service). Elite, also“, meint der John und sieht den Stocker mit ganz anderen Augen an. Oder wie man nach drei Bieren eben so schaut.

Aber jetzt kommt die Rosi aus ihrem Liegestuhl am Pool raus. Der Stocker und der John räumen die Eisenwaren und das Handy in die Tasche zurück. Der John sieht sich die Rosi an mit ihrer spärlich bedeckten Oberweite und sagt: „Also, irgendwas von einem Gebirgsjäger hast du ja immer noch, oder?“

Die Rosi weiß jetzt nicht, warum die zwei am Tisch so blöd grinsen und überlegt im Reingehen, ob sie beleidigt sein soll oder nicht.

Am nächsten Morgen, so gegen sieben, geht der Stocker raus auf die Terrasse und will rüber zum Pool. Wie immer wirft er einen Blick runter über das Geländer auf den Palmengarten zur Straße hin.

Und sieht, da muss er jetzt aber zweimal hinschauen, weil, das glaubst du einfach nicht: eine Gestalt, ganz in Weiß, da auf dem Grundstück hinter der Bruchsteinmauer hockt. Im Lotussitz. Dicht daneben, ebenfalls sitzend und die Gestalt anhimmelnd: der Hirni. Ganz in Schwarz, wie immer. Der Stocker rennt, mit Badehose und Schlappen, so wie er ist, die Außentreppe runter und steht vor den beiden.

Der, ganz in Weiß, ein Typ um die Vierzig, Fünfundvierzig (um den Hals hat der doch glatt eine Kordel mit einer goldenen Christbaumkugel dran), also, der öffnet die Augen und sagt zum Stocker: „Omm und Hallelujah, Bruder. Ich bin der Shimvalee.“ Der Hirni nickt dazu. Jedenfalls kommt es dem Stocker so vor.

„Bitte, wer?“

„Shimvalee“, wiederholt die Lichtgestalt, „okay, früher war ich der Klaus-Dieter Brömsfelder aus Detmold-Rohrbostel. Aber das war in einem anderen Leben.”

„Und was genau machst du hier auf meinem Grundstück?“, fragt der Stocker.

„Ich bin auf der universellen Suche. Außerdem habe ich einen Verwandten hier getroffen“, sagt der Erleuchtete und blickt gütig auf den Hirni.

Der schleckt ihm umgehend den grauen Bart ab und schaut den Stocker an.

„Ja, wenn das so ist“, meint der Stocker. Und weil er nicht so genau weiß, was er machen soll, sagt er noch: „Komm mal mit hoch, ich hab grad Kaffee gemacht.”

Oben, am Tisch, bei Kaffee und Semmeln (die Rosi schläft noch, weil, das ist gut für den Teint, meint sie), erzählt der Shimvalee mit vollen Backen kauend seine wundersame Geschichte: In Indien war er (noch als Klaus-Dieter, versteht sich). Da ist er eines schönen Morgens auf eine Palme geklettert, um sich seine Frühstückskokosnuss zu holen. Das machen da alle so, sagt er. Auf jeden Fall, oben in der Palme, da ist er irgendwie ausgerutscht und hat die vier oder fünf Meter freien Fall nach unten auch in einer relativ guten Zeit geschafft.

Unten, nach dem Aufprall ist ihm auch noch seine Kokosnuss, die er in der Palme pflücken wollte, auf den Kopf gefallen. In dem Moment, da hat er das Licht gesehen und IHN. ER hat ihn milde angesehen und gesagt: „Du, mein Auserwählter, du bist ab jetzt der Shimvalee. Geh hinaus“, hatte ER gesagt, „lass die schnöden Nüsse und such das Universum. Dann findest du mich wieder.”

„Super“, sagt der Stocker. „Und dann?”

„Nichts und dann“, mampft der Shimvalee, „seitdem bin ich unterwegs. Wie ich da gestern Nacht über deine Mauer gekommen war, weiß ich jetzt auch nicht. Aber dieses Wesen hier”, damit reicht er dem Hirni ein Stück Weißbrot, und das liebt der ja sowieso, „dieses Wesen hier hat mich willkommen geheißen. In einem früheren Leben war das ein naher Verwandter von mir, das spüre ich.“

„Na Servus“, denkt der Stocker und sagt: „Okay, du kannst ein paar Tage unten im Gästehaus unterm Pool wohnen. Dafür gehst du mit deinem Verwandten hier dreimal am Tag Gassi.” Irgendwann in der Nacht, das muss so gegen drei gewesen sein, ist der Stocker wachgeworden. Die Rosi hat ihn angestoßen. „Da ist wer im Haus.“

„Was, wo?“, fragt der Stocker.

„Unten im Wohnzimmer, glaub ich. Da war was.“

Stocker zieht seine Shorts und das T-Shirt über und sagt: „Komisch, der Hund sollte doch anschlagen. Aber der ist wahrscheinlich bei unserem Scheinheiligen im Gästehaus unten.“

Wie er die Treppen ins Wohnzimmer runtergeht, sieht er im Mondlicht, das durch die bodentiefen Fenster kommt, eine Gestalt im Ohrensessel vor dem Kamin. Und rechts vor dem Kamin steht noch einer. Zwei also. Im Halbdunkel sieht er auch die ärmellosen Lederkutten mit den Aufnähern drauf: LOS MUERTES.

„Amigo“, sagt der im Ohrensessel (zweihundert Jahre altes Einzelstück aus England. Geschenk von einem Freund, der schon lange nicht mehr lebt).

„Amigo, da bist du ja. Wir müssen reden. Und wir haben gedacht, wir kommen einfach mal vorbei.“

„Was reden?“, fragt der Stocker und denkt, gleich fall ich tot um.

„Du machst so gute Geschäfte, wie wir hören“, sagt der Muerte, „da müssen wir doch ein bisschen unser Schnäbelchen dran wetzen, wie wir in Andalusien sagen.” Er grinst und lässt seine Goldzähne aufblitzen.

„Weißt du, so ziemlich alle zahlen. Und haben dafür Schutz. Wenns mal Ärger gibt. Mit dem Russen, zum Beispiel“, sagt er und grinst ,„von dem hast du doch so um die eineinhalb Mio kassiert. Davon gibst du uns fünfzigtausend. Und von jedem weiteren Geschäft fünf Prozent. Dafür passen wir auf dich auf. Gut, ha?“

In dem Moment kommt die Rosi die Treppe runter. Sie hat sich einen guten Spruch überlegt, weil sie glaubt, die beiden Bärtigen sind Kumpels vom Stocker. Und wenn die Rosi was überhaupt nicht abhaben kann, dann ist das, wenn jemand ihren Schönheitsschlaf stört.

Der Muerte, der am Kamin stand, der packt die Rosi an den Haaren, zieht sie zu sich ran und hat plötzlich ein Messer in der Hand. Das hält er ihr an die Kehle und sieht den Stocker nur an. Die Rosi erstarrt. Schockkoma, sozusagen. Der andere Muerte, der im Ohrensessel, lacht und sagt: „Jetzt schau mal. Entweder, wir kommen klar, oder deine kleine Frau hier, die wird zum Kiemenatmer.“ Mit der linken Hand knipst er die Standleuchte an.

Was tun, denkt der Stocker, die Schrotflinte ist auf dem Bücherschrank, und die Pistole, die klebt im offenen Lederholster unter der Tischplatte vom Wohnzimmertisch. Durchgeladen und entsichert. Aber bis dahin sind‘s zwei Meter Luftlinie. Immerhin: auf der Seite vom Stocker.

Jetzt, ob man es glaubt oder nicht, geht die Tür zur Poolterrasse auf, und der Hirni stürzt rein, dicht gefolgt vom Shimvalee. „Hallelujah“, ruft der, „der Hund ist so nervös. Irgendwas...“ Weiter kommt er nicht. Denn der Muerte im Stuhl ist so tödlich erschrocken wie der Hirni auf ihn losgesprungen ist und spielen wollte, dass er fast hinten übergekippt wäre. Der zweite, der mit dem Messer, hat zu seinem Kumpel rübergeglotzt und das Messer sinken lassen. Die Rosi hat sich vorsichtshalber eine Schutzohnmacht genommen und ist hollywoodmäßig darniedergesunken.

Ja, und der Stocker, der hat jetzt einen Riesensatz zum Tisch gemacht, die Pistole rausgerissen und, ohne groß zu zielen, zweimal in Richtung des Messermannes geschossen. Schön mittig und schnell hintereinander, so, wie man ihm das damals bei den Gebirglern eingebleut hat. Bamm, bamm.

Den Messermann hat‘s zweimal in Höhe der linken Schulter erwischt, sodass er herumgerissen wurde wie nach einem Elefantentritt. Im Fallen hat er sich den Kopf noch richtig heftig am Kaminsims angeschlagen, und da sind ihm die Sicherungen endgültig rausgeflogen. Der Goldzahn-Muerte im Ohrensessel hat nach dem Hirni getreten, und das wiederum konnte der Shimvalee nicht abhaben. Mit einem schrillen „Huuuaaahhhommm!“ ist er quer durch den Raum geflogen und hat den Muerte mit dem gestreckten linken Fuß an den Kopf elfmetermäßig ausgeknockt.

„Na, super“, denkt der Stocker und sieht sich um: Der Shimvalee sitzt in der Ecke, mit dem Hirni auf dem Schoß und redet ihm leise zu. Die Rosi liegt, wo sie liegt.

Der Messer-Muerte liegt ebenfalls. Sieht aber unschön aus, mit dem ganzen Blut um ihn rum. Und der Goldzahn-Mann, der blinzelt mit den Augen und kommt grunzend ins Hier und Jetzt zurück. Der Stocker rappelt sich auf und geht zu ihm rüber. Stinksauer, denn er hat sich die Knie angeschlagen und die Rippen schmerzen auch. Er schiebt dem Muerte den Pistolenlauf in den Mund.

„Amigo“, sagt er, „wo sind eure Mopeds?”

Der Muerte spricht, aber unverständlich. Also zieht der Stocker die Pistole aus dem Mund und hält sie ihm unter die Nase: „Wo?“

„Unser Auto steht unter an der Straße. Hundert Meter von hier.“

„Gut“, sagt der Stocker, „du nimmst jetzt deinen Kumpel hier. Dann verpisst ihr euch. Deinem Meister sagst du, wenn von euch Schwuchteln noch welche hier auftauchen, kriegt er die im Sack zurück. Comprende?”

Der Stocker klopft Goldzahn mit der linken Hand ab. In einer Hosentasche findet er einen Derringer, zweischüssig und Kaliber 22. Außerdem ein Combatmesser im rechten Stiefel.

„Ich weiß auch nicht“, sagt er zu dem Dicken, „was willst du denn mit dem Spielzeug? Guck mal, das hier ist eine richtige Pistole.” Und haut dem Muerte die Makarov auf den Schädel. „Jetzt mach die Fliege. Nimm deine Schwester da mit und bete, dass ich dir nicht in den Arsch schieße.“

Der Dicke nimmt seinen immer noch weggetretenen Vereinsfreund auf die Schulter und wankt zur Tür hinaus. Die Rosi kommt zu sich und schaut sich verständnislos um, während der Shimvalee anklagend zum Stocker sagt: „Also weißt du, meine Götter sind über tausend Jahre alt. Die können so einen Stress nicht mehr abhaben. Ich zieh morgen weiter, hier ist kein besonders gutes Karma.“

Noch in der Nacht ruft der Stocker den John an und erzählt von den letzten Stunden, nein, eigentlich waren es ja nur Minuten. Der John meint: „Heute Nacht passiert nichts mehr. Und für morgen überlegen wir uns was. Lass mich mit den Jungs sprechen, ich hab da schon eine Idee.“

Der Stocker hat den Shimvalee und den Hund wieder runter ins Gästehaus geschickt, der Rosi zwei Schlaftabletten gegeben und sie ins Bett gebracht. Dann hat er sich mit der Schrotflinte im Arm in den Ohrensessel im Wohnzimmer gesetzt und gewartet, bis es hell wird. Um neun ist der John gekommen. Mit Bob the Blob und Tony J., seinen beiden Adjutanten.

„Okay“, sagt der John, „so sieht‘s aus: die Muertes lassen uns und unsere Kunden in Frieden, und wir tun denen nichts. So war‘s bisher. Du bist aber jetzt in unserem Clan. Also müssen wir was tun. Dafür wirst du was für uns tun. Dazu kommen wir später.”

„Bob hier“, sagt er „hat ein Haus in der Stadt. Da ziehst du in die Penthauswohnung. In den unteren Wohnungen sind Leute von uns.”

Er nickt mit dem Kopf zu Tony J. rüber: “Tony J., der wird die nächsten Tage in deiner Nähe sein, aber du wirst ihn nicht sehen.”

Zum Bob the Blob sagt er: „Du fährst zu Tiburon raus und siehst zu, ob man mit dem Irren verhandeln kann. Sag ihm, der Albin ist einer von uns.“

Zum Stocker sagt der John: „El Tiburon, der Hai. Das ist der Obermacker der Muertes hier. Mit dem haben wir eigentlich einen Deal. Der Bob redet heute mit ihm. Ich rede mit dem Benito, dass du einige Tage auf Kur bist. Okay? Und hier in dein Haus kommen auch zwei von unseren Jungs. Solange, bis wir sehen, wies läuft. Okay für dich, oder willst du uns in Richtung Germany verlassen?“

„Lass mich drüber nachdenken“, sagt der Stocker, „ich bleib auf jeden Fall hier im Ort und lauf nicht davon. Ich sag dir heute Nachmittag, wie ich das machen will.”

Der John und seine Jungs haben ihr Bier ausgetrunken und sind abmarschiert. Der Tony J. hat sich aus seinem Auto eine lange Flinte geschnappt und ist damit im Wald hinter dem Haus verschwunden. Der Stocker ist ins Gästehaus unter dem Pool gegangen, um zu sehen, wie es seinem Hausheiligen, dem Shimvalee geht.

Auf dem Tisch in der Wohnküche lag ein großer Zettel: „Danke für alles, aber ich muss weiter. Der Hund ist kein Hund, sondern eine höhere Reinkarnation. Deshalb ist er mitgegangen. Bei dir wäre er immer nur Hund gewesen.

Du wirst glücklich werden, aber nicht hier.

Shimvalee.“

Für den Stocker war der Hund aber nie einfach nur Hund, sondern, ach ich weiß auch nicht, schon was Besonders. Und das war dann der zweite Schock in so kurzer Zeit. Also hat er sich noch ein kaltes Bier geholt und am Pool, mit den Beinen im Wasser, überlegt, wies denn nun weitergehen soll.

Dann ist kurz drauf auch noch die Rosi auf die Terrasse gekommen und hat gesagt: „Ich halt das hier nicht aus. Hier kann ich nicht mehr schlafen oder leben. Und das Land ist auch nicht mein Land. Ich will zurück nach Rosenheim. Für heute Nachmittag hab ich einen Flug ab Alicante nach München. Bringst du mich zum Flughafen?“

Was willst du machen, denkt der Stocker, wenns kommt, dann kommts dick. Er nickt und schaut in die Sonne.

Jetzt muss ich sagen: der Stocker ist natürlich eine melancholische Frohnatur. Das heißt, umhauen tut ihn so schnell nichts. Weil: alles hat seine zwei Seiten, sagt er immer.

So fährt er die Rosi mit ihren sechs Koffern nach Alicante. Und sie küsst ihn zum Abschied. Aber mehr so, wie die Liliane ihren Lothar geküsst hat. Nicht mehr so die Inbrunst, meine ich, und das ganze Drumherum, kennt man ja. Gegen sechs ist er zum John rübergefahren. Immer mit ca. drei oder vier Wagenlängen hinter ihm: Tony J., mit einem Grinsen im Gesicht und mit der 12er-Remington-Pumpgun auf dem Beifahrersitz.

Der John konnte nun wirklich nicht verstehen, dass sich der Stocker nicht im Penthaus vom Bob the Blob verstecken wollte. Und vom Stocker seinem Plan hat er überhaupt nichts gehalten. Der sieht so aus:

„Die Muertes glauben, ich hab die Hosen voll, wenn ich abtauche. Und dass ich gleich heute was gegen die unternehme, damit rechnen die auch nicht. Also geh ich heute Nacht in die Bude vom Tiburon und mach dem ein Angebot.“

Der John sieht den Stocker mit einem zugekniffenen Auge an: „Albin“, sagt er, „dem kannst du keine Angebote machen. Das ist ein Viersterne-Irrer, staatlich geprüft.”

Dann ist ja fast kein Unterschied zwischen dem und euch, denkt der Stocker, der es übrigens hasst, wenn man ihn Albin nennt.

„Gib mir den Tony J. und den Bob als Rückendeckung“, sagt er zum John, „rein geh ich alleine.”

Der John meint: „Tiburon wohnt in einem Haus am Strand unten. Da geht die Straße nicht weiter. Einer oder zwei von seinen Jungs schieben Wache. Immer, rund um die Uhr. Da kann man nicht so einfach reinmarschieren.“

Er fingert an seinem Laptop rum und dreht den Bildschirm zum Stocker rüber. Über Google Satellit sieht man das Haus und das Grundstück, so, wie wenn man mit einem Hubschrauber zwanzig oder dreißig Meter drüber stehen würde. „Da“, sagt er, „da ist die Einfahrt. In dem kleinen Verschlag, gleich hinter dem elektrischen Tor, da ist immer einer von seinen Jungs. Und mindestens noch einer ist immer im Haus. Außerdem ist die Straße zum Haus kamera-überwacht. Wie willst du da reinkommen?”

„Pass auf!“ Der Stocker nimmt einen Zug aus seinem Cigarillo und deutet mit dem Finger auf den Bildschirm, „ich komm vom Wasser her. Über den Strand. Vielleicht können deine Jungs oben an der Straße einen Kurzschluss im Stromverteilerkasten hinkriegen. Überleg mal. Dann ist im Haus für einige Zeit kein Strom und ich geh rein. Seine Leute rennen wahrscheinlich hoch zum Straßeneck und sehen nach, was los ist.” Der John grinst: „Ich denke mal, die sollten den Verteilerkasten einfach über den Haufen fahren. Ins Auto von den beiden packen wir noch zwei Mädels. Die schreien rum. Dann sieht das ganz nach Beachparty und zu viel Alkohol aus.“

Der Bob sagt: „Okay, dann kommen die also angerannt. Wir grölen rum, lassen die auf fünfzig Meter oder so rankommen und hauen mit heißen Reifen ab. Die sehen sich den Verteilerkasten an und brüllen hinter uns her. Das heißt, du hast vielleicht maximal irgendwas zwischen fünf bis zehn Minuten oder so. Reicht dir das?“

„Müsste“, meint der Stocker, „ich brauch vielleicht eine Minute ins Haus. Schnapp mir den Sack und sag ihm, was Sache ist. Dauert nicht lange. Dann verschwinde ich genauso, wie ich gekommen bin. Mir geht‘s darum, dem zu zeigen, dass ich genauso bei ihm reinmarschieren kann wie seine Jungs bei mir.”

„Schau mal“, sagt der John, „hier ist ein Grundriss vom Haus. Das ist nämlich ein CHK-Modell 4, die sind alle gleich. Von denen hat der Benito sicherlich über hundert gebaut. 350 Quadratmeter Wohnfläche, drei Schlafzimmer, zwei Bäder. Unten sind nur der Küchen- und Wohnbereich und ein Gäste-WC.” Er deutet auf den Bildschirm: „Hier unten, zum Wasser hin, da ist das Wohnzimmer. Über die Terrassentür kommst du da gut rein. Einhebelsystem. Bohr genau unter dem Griff an und drück dann dagegen. Die Tür schwingt auf wie nichts. Dann rennst du durchs Zimmer, die Treppe hoch. Erste, zweite und dritte Tür rechts sind die Schlafzimmer. In welchem er ist, weiß ich nicht. Hast du sowas schon mal gemacht?“

„Nein“, sagt der Stocker, „aber wir haben beim Militär ja auch solche Sachen geübt: über den Strand mit dem Boot oder mit Tauchflaschen. Sollte schon klappen.”

„Okay“, sagt der John, „um zwei gehts los. Wir fahren mit meinem Boot die Küste lang bis Los Almendros, dann gehst du über Bord und schwimmst die hundert Meter zum Strand. Um genau drei-fünfzehn fährt der Bob den Stromkasten über den Haufen. Ich warte mit dem Boot draußen auf dem Wasser bis drei-vierzig. Wenn du dann nicht zurück bist: War nett, dich kennengelernt zu haben. Cheers.”

Damit hebt er sein Glas und nimmt einen tiefen Schluck. Und ich hab immer gedacht, ich hab Kriechstrom auf der Festplatte, denkt der Stocker, aber die hier, das sind die echten Borderliner. Ein Blick auf die Uhr: zweiundzwanzig-dreißig. „Gut“, sagt er, „ich geh und pack was fürs Picknick zusammen, um eins-dreißig bin ich wieder hier.”

Und so fährt er ins Haus zurück, mit dem Tony J. im Rückspiegel und einem bösen Grummeln im Magen. Wie leer so ein Haus sein kann, denkt er, wenn die Seele woanders hingeflogen ist.

In eine wasserdichte Tasche packt er die Makarov, die Schrotflinte, eine Stirnlampe, sein Tauchermesser und natürlich die kleine Makita-Bohrmaschine. Flossen und den schwarzen Neoprenanzug daneben. Wie schnell sich alles ändern kann, denkt er. Gestern um diese Zeit, wenn mir das einer gesagt hätte.

Kurz vor zwei Uhr nachts hustet und stottert der Dieselmotor von Johns umgebautem Fischerboot im alten Hafen unten. Um die Zeit ist sonst keiner mehr hier. Die Boote der Berufsfischer dümpeln vor sich hin, Drähte und Leinen schlagen im Wind an die Masten und erzeugen ein buntes Klangbild. Wie im Vigelandspark bei Oslo, oder wie der geheissen hat, denkt der Stocker. Da war er mal, vor vielen Jahren. Und da wäre er auch jetzt gerne.

Der John steht auf der Brücke und checkt die Armaturen. Einer der Manchester-Jungs, little Bigmac, macht die Leinen los. Die beiden Signalleuchten an der Hafenausfahrt draußen an der Mole blinken abwechselnd grün und weiß. Das Boot nimmt Fahrt auf. Der Stocker sitzt hinten bei den Fischkästen und schaut über das dunkle Wasser zurück zum Dorf. Die nächtliche Fahrt an der Küste entlang hat was Beruhigendes. Lichter schimmern vom Land her, und es sieht aus, als würde man sich einem neuen Planeten nähern.

Sie fahren langsam. Zeit genug, keine Eile. Gesagt ist alles, der John sieht über das Wasser und auf seine schwachgelb leuchtenden Anzeigen. Little Bigmac raucht und starrt in den Sternenhimmel. Gegen drei sind sie da. Ungefähr hundert Meter weiter sieht man im Mondlicht, wie die Wellen an den Sandstrand brechen. Sechs kleine, eine größere. Der Stocker zählt mit: sechs kleine, eine größere. Durch das Nachtglas vom John sieht er zur Villa rüber: der untere Bereich und eins der Zimmer oben sind hell beleuchtet. Runter zum Wasser stehen drei oder vier Laternenmasten mit jeweils drei Lichtern, der Pool und der Grillplatz sind ebenfalls mit Strahlern bestückt. Zum Strand hin alles offen, kein Zaun, keine Hecke. Zwischen den Nachbarhäusern links und rechts ist reichlich Abstand. Um die hundert Meter jeweils.

Ein Hund bellt durch die Nacht. Im Sekundenabstand. Der macht Dienst nach Vorschrift, denkt der Stocker. Dann zieht er die wasserdichte Tasche über die Reling. Nickt dem John zu und gleitet in das Dunkel. Das Schwimmen mit der Tasche ist doch anstrengender als gedacht. Trotz der Flossen. Aber nach ein paar Minuten spürt er Sand unter den Füßen und geht auf den Strand zu. Die Flossen legt er neben einen Stein. Aus der Tasche nimmt er die kleine Bohrmaschine, die Makarov steckt er hinter den Tauchergürtel, die abgesägte Schrotflinte kommt in ein Schenkelhalfter rechts am Bein, auf die linke Seite das Messer.

Drei-dreizehn. Von irgendwoher wehen leise Musikfetzen rüber: „Power of Love“ von Huey Lewis.

Drei-fünfzehn. Ein hochgedrehter Motor. Laut. Bremsenqietschen. Ein Schlag. Bammmm. Und dunkel ist es. Zumindest hier an diesem Strandabschnitt. Der Stocker sieht, wie in acht oder zehn Häusern das Licht ausgeht, zusammen mit der Außenbeleuchtung. Türenschlagen in der Tiburon-Villa, dann rennen zwei Typen mit Taschenlampen in Richtung Straße hoch. Stocker rennt ebenfalls. Ein paar Sekunden später steht er vor der Terrassentür. Die Makita rutscht zweimal ab, dann hat er die richtige Bohrung. Rein, acht oder neun Zentimeter. Raus mit dem Bohrer. Ein kräftiger Schlag mit der flachen Hand gegen die Tür. Und sie schwingt lautlos nach innen.

Der Stocker setzt in großen Sätzen durch den Wohnraum. Keiner hier unten, denkt er. Im Halbdunkel springt er die Treppe hoch. Unter der zweiten Tür flackert Licht, huscht unter dem Türspalt. Taschenlampe, denkt er. Mit der rechten Hand nimmt er die Schrotflinte auf Hüfthöhe, mit dem linken Fuß tritt er gegen die Tür, wenig unter dem Schloss. Die Tür fliegt krachend auf, der Stocker ist mit einem Satz im Zimmer. Der Tiburon steht mit einer Taschenlampe neben dem riesigen Bett. In seinen roten Boxershorts und mit dem wirren Haar und dem irren Blick sieht er aus wie der Gaddafi, die lybische Trümmertranse, denkt der Stocker noch, bevor er sieht, dass der Typ in der linken Hand einen Revolver hat. Den reißt er hoch, aber der Stocker hat schon durchgezogen, und die 12er-Schrotladung wirft El Tiburon lärmend rückwärts durch das Panoramafenster. Glas klirrt, Gardinen fliegen nach hinten. Der Tiburon hält die Taschenlampe immer noch fest und beleuchtet so seinen letzten Trip. Die Panoramascheibe löst sich in tausend kleine Teile auf. Wie Diamanten. Im Mondlicht sieht der Splitterregen wirklich aus wie tausende von Edelsteinen. Und der Tiburon fliegt nach hinten in die Nacht, umgeben von dem Diamantenregen. Wie ein König, der seinen Schatz mit in den Hades nimmt.

Der Stocker steht da wie gelähmt. Wird wach, weil er Schreie hört. Dreht um und rennt die Treppe runter. Raus aus dem Haus. Runter zum Strand. Hört einen Wagen oben an der Straße mit durchdrehenden Reifen wegfahren und spanisches Gebrüll. Zwei oder drei Schüsse. Am Strand unten: die Tasche. Flinte rein, dann die Bohrmaschine und die Makarov. Tasche zu. Flossen an. Und raus aufs Meer. Den Bootslichtern entgegenschwimmen. In Rückenlage, mit der Tasche auf der Brust und dem Kopf schräg nach hinten gedreht.

Nach endlos langen Minuten ist er am Boot. Little Bigmac nimmt die Tasche und zerrt den Stocker an Bord. Der John drückt zwei Hebel bis zum Anschlag nach vorn, und das Boot hebt sich mit dem Bug aus den Wellen. „Hab mit dem Glas gesehen, wie er durchs große Fenster kam“, sagt der John, „schon irgendwie überzeugend, dein Verhandlungsstil.” Dabei reicht er dem Stocker eine kühle Bierdose nach hinten. „Wollt ich nicht“, sagt der Stocker, „aber der Kerl hatte einen Revolver in der Hand.”

Auf halber Strecke zum Hafen werfen sie die Flinte, die Pistole und die Bohrmaschine über Bord. Kurz vor der Hafeneinfahrt läutet das Handy vom John. Der Bob ist dran: „Der Goldzahn hat mich gesehen, glaub ich. Der weiß jetzt, dass der Gruß von uns kam. Was war im Haus?“

„Der Albin hat den Tiburon entsorgt“, sagt der John, „er wird heute in deinem Haus schlafen. Wir sehen uns gleich bei dir.” Minuten später sind voraus die Hafenlichter zu sehen, und das Boot gleitet langsam an der Mole vorbei an den Liegeplatz. Der John löscht die Lichter, stellt die Maschine ab, und Little Bigmac zurrt die Leinen fest. Dann gehen sie schnell zum Rangerover vom John. Der Stocker hat den Neoprenanzug auf dem Boot gelassen und ist in Bermudas und T-Shirt. Kurz darauf sind sie am Haus vom Bob. Gelbe Straßenbeleuchtung zwischen den Dattelpalmen. Ein paar streunende Hunde. Sonst niemand. Bob und Bigmac öffnen das Eisentor zum Innenhof und schließen es sofort hinter dem Rover wieder.

„Der Tony J. wird heute Nacht bei dir bleiben“, sagt der John, „dann sehen wir weiter. Ich hab einen Informanten bei den Muertes, den ruf ich in ein paar Stunden an.“

Damit sind alle bis auf den Tony J. weg. Der hat sich einen Stuhl zum Fenster geschoben und sitzt da, wiegt seine Flinte im Schoß und schaut auf die Straße. Der Stocker liegt in einem der Schlafzimmer im ersten Stock. Die Zimmerdecke hat Risse, die sich im Halbdunkel scheinbar bewegen.

„Tinnitus“, denkt er, „jetzt hab ich auch noch Tinnitus.”

Irgendwann in den frühen Morgenstunden ist er dann eingeschlafen. Ein unruhiger Schlaf, in dem immer wieder der Film abgelaufen ist, wie der Muertes-Chef rückwärts, alle Viere von sich gestreckt, durch die geplatzte, bodentiefe Panoramascheibe nach hinten in die Nacht verschwunden ist.

Gegen neun muss es wohl gewesen sein, als ihn jemand an der Schulter rüttelt. John steht über ihn gebeugt: „Steh auf, wir haben was zu besprechen“, sagt er, „bei den Muertes geht‘s zu wie in einem Hornissennest. Goldzahn ist jetzt der neue Capo. Der hat als erste Amtshandlung eine Million Peseten Kopfgeld auf den Bob ausgesetzt.”

„Nicht viel“, meint der Stocker, „ist ja ein Schnäppchen. Da wird der Bob schon beleidigt sein, oder?”

Jetzt muss man sagen, eine Million Peseten, das sind grade mal um die sechstausend Euro, also, ungefähr. „Ja“, sagt der John, „der ist richtig stinkig. Aber erstmal auf dem Weg nach Manchester, denn ich kann jetzt hier keinen Bandenkrieg brauchen. „ Er zündet sich eine Zigarette an: „Auf dich, Albin, hat der Goldbeißer fünf Millionen Peseten ausgesetzt.”

Schon ganz was anderes, denkt der Stocker, das sind immerhin um die dreißigtausend Euro.

„Für dich haben wir in drei Stunden einen Flug nach München“, sagt der John, ”Tony hat zwei Koffer mit Klamotten aus deinem Haus geholt. Auch deine Papiere und das Zeug aus dem Safe.“

Und ich hab immer geglaubt, der Safe wäre sicher, denkt der Stocker.

„Und dann?“, sagt der Stocker „wie soll‘s denn laufen? Haus, Auto, das alles?“

Der John sieht aus dem Fenster. „Einfach. Wir verkaufen über Jimmy W. dein Haus und das Auto. Bringt ungefähr eine Million von euren Euros, sagt er. Zwanzig Prozent nehmen wir, der Rest geht auf ein Konto, das du in Deutschland eröffnest. In deinem Safe waren um die fünfzigtausend, die sind hier, mit deinen Papieren.“ Er öffnet eine Reisetasche und zeigt dem Stocker seinen Pass, drei Uhren, Papierzeug und ein Bündel Scheine. Er dreht sich zum Stocker: „In zwei bis drei Monaten ist alles verkauft. Mit dem Benito rede ich auch, falls du da noch was offen hast. Ich hab was gut bei dir. Vergiss das nicht. Einen Gefallen. Wer immer auch kommt, dem hilfst du, okay?“

Der Stocker nickt. Der John nimmt ihn in den Arm. „Ich geh jetzt. Mach‘s gut, Freund.“

So kam‘s, dass der Stocker an einem schönen, trockenen Freitag in München-FJS aus dem Flughafen, Terminal 2, marschiert ist. Mit zwei Koffern, einer Umhängetasche mit dem Aufdruck MANCHESTER UNITED und keinem blassen Schimmer, wie‘s jetzt weitergehen sollte.

Von Valencia aus, kurz vor dem Abflug, hat er noch seine Schwester Perla angerufen. Die ist natürlich nicht auf „Perla“ getauft worden, sondern alle haben sie als Kind schon so genannt, und dabei ist es dann auch geblieben. Besagte Perla hat nach Bemmerling in einen Bauernhof eingeheiratet. Bemmerling, das ist ein ziemlich kleines oberbayrisches Dorf in der Nähe von Dings, wie heißt das jetzt gleich, wo der Franz Josef begraben liegt. Jetzt muss man wissen, das ist ein Landstrich, in dem „Esoterik“ noch „Marienerscheinung“ heißt.

Auf jeden Fall, da lebt sie jetzt. Mit dem Schwager vom Stocker, ihrem Mann. Der ist erzkatholisch, sieht ein bisschen aus wie Dr. House und sammelt Sterbebilder (aber nur vom benachbarten Friedhof, wegen der Exklusivität). Außerdem sammelt er alte Traktoren. Eigentlich praktisch, weil man das eine mit dem anderen gut transportieren kann.

Die Perla ist ein ziemlich resolutes Frauenzimmer in den Vierzigern, und sie hat zum Stocker gesagt: „Du bleibst jetzt erst mal bei uns. Hab dir oben im ersten Stock zwei Zimmer klargemacht.“ Sie fährt ihren Geländewagen genauso, wie sie spricht: „Wieder nur die Arschlöcher unterwegs. Jetzt schau dir bloß den an.“ Damit hupt sie einen Kleinwagen von der Straße, der logischerweise Vorfahrt gehabt hätte. „Außerdem“, sagt sie, „hab ich Ärger mit der Putzfrau. Reinigungsdamen heißen ja jetzt Facility- und Lifestylemanager. Aber bei uns auf dem Land, da darf man zu den Losern noch Deppen sagen, hab ich gedacht. Da ist die einfach gegangen. Aber so supersauber ist‘s bei euch in Spanien ja auch nie gewesen, mit dem ganzen Sand und dem Zeugs.“

„Wie geht‘s meinem Schwager?“, fragt der Stocker.

„Der entwickelt Humor. Du glaubst es nicht.“ Sie schüttelt den Kopf und hupt wieder mal. Diesmal macht ein Trecker mit einem vollen Güllewagen hinten dran einen Satz zur Seite. „Pah!“, sagt sie „wenn der jetzt in den Graben gefahren wär, hätten seine Kühe das ganze Jahr umsonst geschissen.“ Sie grinst zum Stocker rüber: „Nein, ehrlich. Dein Schwager. Da kommt doch gestern der Spengler. Nichts Großes. Normale Heizungswartung. Ich sag zu meinem Alten: Bleib neben dem stehen und schau ihm zu, vielleicht lernst du ja was dabei. Sagt er zu mir: Nächste Woche, da geh ich mit dir in München in einen Strippladen. Dann setzen wir uns ganz vorne hin, an der Bühne. Und dann sag ich zu dir das gleiche.“

Wieder die Dreiklangfanfare. Die Perla schnaubt: „Lauter diplomierte Brezensalzer unterwegs heute.“ Ein miserabel getunter Skoda versucht sein Heil in der Flucht. Gegen den 400-PS-Geländewagen hat er aber nicht den Schimmer einer Chance. Auf dem hinteren Stoßfänger des Skoda ist auf einem Sticker zu lesen: „Ich mache bei hübschen Frauen Brustvergrößerungen durch Handauflegen.” Und grade die Perla kann über sowas garnicht lachen. Also wird das getunte Ei überholt und geschnitten.

Nach endlosen fünfzig Minuten waren sie in Bemmerling. Der Stocker schleift seine Koffer in den Flur. In der Küche steht der Schwager. Mit trauriger Miene sagt er: „Grüß euch. Ich hab einen Hecht.“ Das sagt er so, als hätte er eine ansteckende Krankheit, weil ihn der Fisch kurz vor seinem Exitus noch gebissen und somit kontaminiert hat. Die Perla grinst zum Stocker rüber: „Besser, du kochst uns was. Dein Schwager hat neulich Spaghetti eine Stunde lang gekocht. Die hätten wir dann intravenös essen können.”

Also: Blick in den Kühlschrank. Wir haben jede Menge Weißbier, ein paar hilflose Eier, eine depressive Salatgurke. Daraus macht der Stocker, warte mal. Ja!

Chiemseejazz

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