Читать книгу Anwaltshure 3 | Erotischer Roman - Helen Carter - Страница 6
ОглавлениеErwachen
Von meinem Bett aus sah ich Felsen. Heidekraut. Ginsterbüsche. Dazwischen die schmutzig-weißen Wollkugeln der Schafe.
Schottland. Da ich selbst in Nordengland aufgewachsen war, hatte ich oft die Ferien mit meinen Eltern an den schottischen Lochs verbracht. Ich kannte und liebte diese ebenso karge wie archaische Landschaft.
Was war nur geschehen? Wie ich mich auch zu erinnern versuchte – ich hatte einen kompletten Filmriss seit dem Moment, als ich im Maybach eingeschlafen war. Meine Kehle wirkte wie zugeschnürt und mein Magen knurrte. Vorsichtig richtete ich mich auf und sah mich um. Das Zimmer war definitiv größer als mein Wohn- und Schlafzimmer zu Hause. Das Mobiliar bestand aus einem wuchtigen Himmelbett, in dem ich lag, einem riesigen Schrank, der wie der Eingang zu einem Mausoleum aussah, und einem Schreibtisch.
Auf dem Schreibtisch lag meine Tasche. Sie hatten mich also nicht beklaut? Gegenfrage: Seit wann klauten Leute, die Maybach fahren, einer Nutte den Geldbeutel? Das war so absurd, dass ich beinahe darüber gelacht hätte.
Ein Hotel war das nicht. Es gab keine Bibel im Nachttisch. Apartment? Kein Apartment der Welt war so eingerichtet und besaß statt Tapeten Stoffbespannungen an den Wänden. Meine Knie waren noch weich, doch eher vom leeren Magen, als von dem Betäubungsmittel, das man mir mit Sicherheit in den Drink gemischt hatte.
So stand ich also auf und inspizierte zuerst mal meine Handtasche. Abgesehen von meinem Handy, befand sich noch alles darin. Ich sah mich um. Es gab drei Türen. Die erste führte in ein üppiges Badezimmer mit einer riesigen, altmodischen Wanne, die zweite war abgeschlossen und die dritte ging zu einem langgezogenen Flur, von dessen stark abgelaufenem Teppich ein leicht muffiger Geruch aufstieg. Den Flur hinunterzugehen, wagte ich noch nicht. Also zog ich mich wieder in das Zimmer zurück und stellte mich ans Fenster.
Die herrlichste Landschaft, die man sich nur denken konnte, breitete sich vor meinen Augen aus. Eine nicht mehr sehr kräftige Wintersonne leuchtete über grauen Felsbrocken, die sich durch die grüne Landschaft hindurch nach oben gedrückt hatten. Lila Farbflecken, wo die Heide sich strahlend an die Steine schmiegte.
Für mich gab es keinen Zweifel mehr: Ich war in Schottland, wo man Schlösser noch Schlösser nannte, und nicht in dieser merkwürdig übertrieben untertreibenden englischen Art »Houses«.
Mit bebenden Händen testete ich, ob das Fenster zu öffnen war und Augenblicke später drang frische, kühle Luft zu mir herein und überströmte dabei mein Gesicht und meinen Körper. So weit als möglich lehnte ich mich hinaus und erkannte, dass ich tatsächlich in einem Schloss war. Es bestand aus dem gleichen grauen Stein, der sich überall in der Landschaft zeigte und wirkte dadurch sicherlich aus der Ferne, als handele es sich bei dem Bauwerk nur um eine weitere, beeindruckende Felsformation.
Wie ich aber so dastand und auf eine Hügelkette hinausblickte, deren Spitzen bereits mit Schnee überpudert waren, empfand ich eine Mischung aus Besorgnis und Zorn. Man hatte mich betäubt und hierher gebracht. Wieso aber hatte man das getan? Verliefen Entführungen so? Aber welche Entführer setzten ihr Opfer in ein wunderschönes Zimmer in einem echten Schloss?
Es konnte nicht anders sein: Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Doch dies schied aus, denn wenn ich genauer nachdachte, hatte der Fremde im Maybach ja meinen Namen gekannt und gewusst, welchen Job ich machte. Er hatte es also durchaus auf mich abgesehen gehabt. Das war kein Zufall gewesen. Vielleicht ein perverser Sex-Gangster, der durch George von mir gehört hatte und nun seine kranken Spielchen mit mir treiben wollte.
Wie ich das Erlebte auch hin- und herdrehte – es gab keine logische Erklärung für die Vorgänge. Lösegeld konnte niemand ernsthaft für mich fordern. Meine Mutter war seit vielen Jahren tot und mein Vater besaß wahrlich keins. Ginge heute sein Kühlschrank kaputt, hätte er kein Geld für einen neuen. Er müsste es sich bei mir holen. Ich hatte zwar ein großartiges Apartment, aber das hatte George mir geschenkt. Und ja, ich verdiente als Gespielin seiner betuchten Kundschaft nicht gerade schlecht, aber mein Lebensstil war auch – vorsichtig gesagt – aufwendig.
Also: Lösegeld? – Fehlanzeige!
Ich hatte nur zwei Dinge, auf die ich mich verlassen konnte: Meine Tatkraft und meinen »Sexdrive«. Und mit eben dieser Tatkraft im Gepäck trat ich vor den großen Spiegel an der Wand, warf mein Haar nach hinten und marschierte dann auf den Gang hinaus. Diese merkwürdigen Entführer wollte ich kennenlernen.
Im Rückblick kann ich sagen, dass mein Verhalten natürlich ein anderes gewesen wäre, hätte ich mich in irgendeinem Loch wiedergefunden. Vielleicht an Händen und Füßen gefesselt und misshandelt. So aber fühlte ich mich gestärkt von dem Wissen um die gute Behandlung und, so absurd es auch klingen mochte, die Tatsache, dass der Typ aus dem Maybach durch George auf mich gekommen war. Mittlerweile rechnete ich im Übrigen eher mit einer neuen Sex-Spiel-Variante, als mit einer wirklichen Bedrohung.
Der Flur war düster. Nur in großen Abständen hingen kleine Lampen an den Wänden, denen der Staub auf den Schirmen auch den letzten Rest an Helligkeit raubte. Zwischen den Lampen hing immer ein sorgfältig gerahmter Druck, meist mit Jagdszenen. Nach der Wanddeko zu urteilen, befand ich mich also in einem jener Zimmer, die in Filmen immer den weniger wichtigen Gästen zugeteilt wurden. Je näher man in diesen Schlössern den Haupträumen kam, desto üppiger und kostbarer wurde auch die Wanddekoration. Ich ging also den Flur mit vorsichtigen Schritten hinunter, wobei ich angestrengt bei jeder meiner Bewegungen auf etwaige Geräusche von sich nähernden Personen lauschte.
Doch alles blieb still.
So ließ ich denn den Gang hinter mir und orientierte mich bei meinem Weg an dem Ausblick, der sich bot, wenn ich durch die Fenster schaute.
Wie es schien, musste ich mich dem Hauptteil nähern, denn beim Blick nach unten fiel mir auf, dass jetzt mit Kies bestreute Wege auftauchten. In der Ferne sah ich eine breite Straße, die sich wie ein anthrazitfarbenes Band über die Hügel hinzog und auf das Schloss zuzulaufen schien. Tannen und Rhododendron-Büsche wiesen auf die gestaltende Hand eines Gärtners hin. In meinem Innersten drängte es mich, schneller zu gehen, doch meine Vernunft bestand auf Vorsicht. Inzwischen waren aus den Drucken an den Wänden kleinere Gemälde geworden. Und in einer merkwürdigen, aber vielleicht auch gewollten Parallelität zu der wertiger werdenden Dekoration im Innern, wandelte sich auch die Außenanlage. Rabatten zogen sich nun unter den Fenstern hin, zunächst noch zurückhaltend bepflanzt, bald aber bunter werdend und schließlich in einer Art floralem Crescendo vor dem Haupteingang jene Gäste umfließend, die hier mit ihren Limousinen vorfuhren.
Und wie meine Blicke auf dieses Portal fielen, das von einem auf Säulen ruhenden Vordach überragt wurde, befand ich mich auf einer Empore, die rund um die gewaltige Eingangshalle führte. Über meinem Kopf spannte sich eine gewaltige, mit riesigen Gemälden verzierte Decke. Die Seitenwände zierten überlebensgroße Porträts irgendwelcher historischer Ahnen. Die Damen in üppig wallenden Röcken, die Herren mit den elegantesten Uniformen. Und zwischen diesen Gemälden standen Ritterrüstungen, als gelte es, die archaischen Ursprünge des Geschlechts in Erinnerung zu halten.
Meine Finger umklammerten den Handlauf der Ballustrade, während ich auf den steinernen Boden hinabblickte. Hallende Schritte ließen mich zurückschnellen. Ich wollte bereits in Deckung gehen, als ich eine tiefe, beinahe grollende Stimme meinen Namen rufen hörte. »Miss Hunter?«
Es gab keinen Zweifel. Der Entführer aus dem Maybach! Ertappt beugte ich mich wieder ein wenig nach vorn und sah, dass der Mann mittlerweile in die Mitte der Halle getreten war und mit weit aufgerissenen Augen zu mir nach oben schaute. »Miss Hunter! Könnten Sie bitte runterkommen? Mr MacNeill würde gern mit Ihnen sprechen.«
Seine Stimme schien noch immer nachzuhallen, während ich leicht schwankend die mächtige Treppe hinunterging. Eine Treppe, wie gemacht für Scarlett O’Hara. Nur, dass die sich sicherlich nicht so hätte festklammern müssen, wie ich, da ich offensichtlich eine gewisse Höhenangst entwickelte.
Am Fuß der Treppe nahm mein Entführer mich in Empfang. Doch anstatt meine Hände zu fesseln, streckte er mir die seine entgegen und verkündete herzlich: »Thomas O’Leary, Miss Hunter. Oder darf ich Emma sagen?«
Für einen Mann, dessen Schwanz ich schon so gut wie im Mund gehabt hatte, war er auffallend zurückhaltend ...
Was für eine Entführung war das denn?
»Mister O’Leary ...«, erwiderte ich perplex.
»Ich darf Sie ins Kaminzimmer begleiten? Mr MacNeill hat einen leichten Luncheon für Sie herrichten lassen. Sie sind sicher hungrig.«
Er war so eifrig wie ein neu eingestellter Diener. Seinen vornehmen Anzug vom Vortag hatte er gegen eine legere Jeanshose und ein Polohemd getauscht. Noch immer sah er distinguiert aus und attraktiv. Dabei war er eher der Typ, den man sah, wahrnahm und gleich wieder vergaß.
Wir durchquerten die Halle, wobei mein Kopf von all den Fragen sirrte, die ich stellen wollte. Doch da er offensichtlich vorhatte, mich dem Boss vorzuführen, schenkte ich mir das.
Thomas hielt mir die Tür auf und ich blickte in einen herrlichen Raum, der seinem Namen wirklich alle Ehre machte. In einem wunderschönen rustikalen Kamin prasselte ein behagliches Feuer, vor dem man einen wuchtigen, ledernen Ohrensessel aufgestellt hatte. An der Seite gab es eine passende Club-Couch, über die ein Foulard geworfen worden war. In dem Sessel saß ein Mann, der meinen Atem stocken ließ. Seine langen Beine waren lässig übereinander geschlagen, während seine Hände gefaltet auf seinem Bauch ruhten. Sein dunkelblondes Haar glitt in leichten Wellen bis weit über seine Schultern und lenkte den Blick fast von seinem ruhigen, ovalen Gesicht ab. Die gesamte Erscheinung mir gegenüber schien einem anderen Jahrhundert entsprungen. Lediglich die enge blaue Jeans und das um einen Knopf zu weit geöffnete schwarze Hemd erinnerten daran, dass MacNeill sehr wohl in unser Jahrhundert gehörte. Er mochte Anfang, Mitte dreißig sein, hatte aber die Aura eines älteren Mannes.
Als er mein Näherkommen bemerkte, erhob er sich und begrüßte mich mit Handschlag. »Miss Emma Hunter ... Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Es freut mich, Sie kennenzulernen.«
Meine Zunge drückte sich durch meine zusammengepressten Zahnreihen. So viel konnte es nicht sein, denn er hatte noch keinen Ständer, dachte ich und musste beinahe lächeln. »Ich wollte, ich könnte das Gleiche von Ihnen sagen, Mr MacNeill.«
Der hochgewachsene Mann deutete mit einer eleganten Handbewegung auf einen kleinen Tisch, wo sich ein Tablett mit Essen befand. Mein Blick fiel auf appetitlich präsentierten kalten Braten, französisches Weißbrot, Salat und auch auf Wein. Mein Magen knurrte so laut, dass es selbst Scotland Yard hätte hören müssen, und doch lehnte ich das Essen ab. Stattdessen starrte ich MacNeill so feindselig wie nur irgend möglich an, was mir fast ebenso schwer fiel, wie die Ablehnung des Essens.
»Sie sollten etwas zu sich nehmen ...«, beharrte er.
»Danke. Aber wie Sie sehen, bin ich keine geübte Geisel. Ich werde nicht jeden Tag betäubt und entführt. Deswegen falle ich auch gleich mal mit der Tür ins Haus und frage, was das alles hier soll. Hätten Sie mich einfach eingeladen ...«
»... wären Sie wohl kaum gekommen«, vervollständigte er meinen Satz.
Ich wollte etwas ungemein schnippisch Geistreiches zu ihm sagen, doch es fiel mir nichts ein. Nur, dass ich mich nicht bedroht fühlte, stellte ich beruhigt fest.
»Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig«, sagte er ruhig.
Und ich antwortete: »Das ist ein unkonventioneller Schritt für einen Entführer. Daher gehe ich mal davon aus, dass Sie auch noch nicht so geübt sind. Erfahrene Entführer pflegen ihren Geiseln wohl keine Erklärungen abzugeben.«
Mit gesenktem Kopf trat er an einen kleinen Servierwagen, auf dem sich diverse Flaschen befanden, zusammen mit Soda, Eis und Gläsern. Er goss sich Brandy ein und trank langsam.
»Ich habe Sie hierher holen lassen, weil wir ihre Hilfe brauchen.«
»Ich kann nicht behaupten, dass diese Entführung gerade durchschnittlicher wird«, gab ich etwas zickig von mir. »Ach, und übrigens: Wer ist wir?«
Er hielt das Glas vor seinem Mund in der Schwebe und betrachtete mich über den Rand hinweg.
Jetzt hatte ich genug. »Hören Sie zu, Mr MacNeill ... Ich bin nichts weiter, als eine kleine Nutte, die für George McLeod seine Klienten bei Laune hält. Wenn ich mich so umsehe, glaube ich kaum, dass Sie es auf ein Lösegeld abgesehen haben. Das im Übrigen von McLeod kommen müsste, da ich keine großen Reichtümer gehortet habe und auch niemanden sonst kenne, der für mich zahlen würde. Wenn Sie mich jetzt und hier die Zinnen dieses Schlosses hinunterstoßen, wird die einzige Folge sein, dass Mr McLeod per Annonce eine neue Mitarbeiterin suchen würde. Sie sagen, Sie brauchen meine Hilfe. Fein! Und wobei?«
Überraschend ergriff er meine Hand und schob mich zu dem Club-Sofa. »Setzen Sie sich. Es ist alles im grünen Bereich. Ich werde Ihnen keinen Schaden zufügen und Sie werden mir helfen, Miss Hunter.«
Seine Hand fühlte sich samtig und warm an, doch darunter lagen harte, intensiv drängende Muskeln. Wie eine Schülerin bei der Prüfung saß ich auf der Couch. Steif. Während MacNeill sich leicht seitlich gesetzt hatte und sein Bein so über das untere geschlagen, dass es praktisch wie ein Riegel vor meinen Knien ruhte. Im Bruchteil einer Sekunde konnte er die Hand ausstrecken und mich festhalten. Es war keine offene Bedrohung oder gar Einschüchterung, sondern eine einfache Demonstration des Willens.
»Wie Sie bereits selbst erwähnt haben, sind Sie Nutte bei McLeod ... Das heißt, Sie gehen tagtäglich mit Männern ins Bett, die reich und mächtig sind.«
Innerlich nickte ich zustimmend, äußerlich blieb ich ausdruckslos. »Rechte Hand« war ein guter Ausdruck, schoss es mir durch den Kopf und ich musste schmunzeln. »Ich will jetzt wissen, um was es geht.«
MacNeill saugte seine Unterlippe zwischen seine Zähne und nickte. »Kennen Sie eine Gruppe, die sich ›The Avengers‹ nennt?«
Natürlich kannte ich die. Schließlich waren die Zeitungen und Fernsehprogramme voll mit Berichten über diese Leute, die ganz offensichtlich in Robin-Hood-Manier Banker und Manager hereinlegten und ihnen jede Menge Geld abluchsten. Nach den Zockereien der Banken, für die die Bürger geradestehen mussten, erhielten die »Avengers« alle möglichen positiven Reaktionen, von verhaltener Neugierde, bis zu offenem Beifall.
»Ach ja. Ich verstehe. Und da haben Sie noch eine Emma Hunter gebraucht ...«
Er lächelte nicht. Sein Gesicht nahm eine gewisse Härte an, seine Züge schienen sich zu verspannen und seine Bewegungen wurden steif. So sah ein Mann aus, dem es um etwas ging. Seine Lippen waren so schmal, dass man sie kaum wahrnahm. Dennoch war es ein Mund, der einen nicht mehr loszulassen schien. Ich betrachtete ihn genau und prägte mir sein Bild ein.
Wusste ich auch, dass ich gut daran getan hätte, ihm zuzuhören, verleiteten mich meine weiblichen Triebe dazu, seinen Körper zu betrachten. Von den beinahe stechenden grauen Augen, bis zu dem flachen Bauch und den langen Beinen. Meine Fantasie malte Bilder von ihm, wie er wohl nackt aussehen mochte ... Hier, vor dem prasselnden Kamin. Ich hatte ja weiß Gott schon genügend Liebhaber gehabt, sodass es ein Leichtes für mich war, mir einen Mann zunächst in Kleidern und dann nackt vorzustellen ...
Entschlossen begann ich, ein wenig zurückzurudern. »Das ist also eine Art Robin-Hood-Truppe«, sagte ich verbindlich, und er nickte. »Nur, dass die ›Avengers‹ das Geld wohl behalten.«
MacNeill sprang wie von der Tarantel gestochen auf. »Wir tun was?!«, stieß er empört hervor. Er wirkte wie jemand, der sich sofort abreagieren musste. »Wir behalten keinen Penny! Abgesehen vom Nötigsten.«
»Das ist aber schon sehr romantisch, Mr MacNeill«, sagte ich spitz. »Wir nehmen von den Reichen und geben es den ... ja, wem denn dann eigentlich?«
»Den Leuten, die um ihr Geld beschissen worden sind. Den kleinen Anlegern, die ihren Bankberatern vertraut haben. Sie kriegen ihr Geld zurück.«
Ab diesem Moment hielt ich seine Worte für Lüge. »Aha. Und wieso hört man dann nichts von all den glücklichen Entschädigten? Wieso schweigen die sich aus und lassen stattdessen den guten Robin als geldgeilen Betrüger dastehen?«
»Weil wir es Ihnen so sagen. Käme heraus, von wem sie das Geld bekommen haben, würde man es sofort zurückholen und den Hedge-Fonds-Managern, den Anlageberatern und sonstigen Betrügern zurückgeben.«
Ich musste gestehen, dass ich nun doch beeindruckt war. Allerdings tauchte gleichzeitig die Frage in mir auf, wo ich denn in das ganze sozialromantische Gemälde eintrat. »Und welche Aufgabe hat die gute Emma bei diesen Aktionen?«
MacNeill hatte sich wieder beruhigt und setzte sich. Er reichte mir einen Drink und ich nahm einen Schluck, was ich fahrlässig fand, denn ich hatte ja noch nichts gegessen. Und tatsächlich stieg mir der Brandy eindeutig zu Kopf, was nicht gut war in meiner Situation.
»Das wird Ihnen ... nennen wir ihn Robin ... erläutern.«
Dann bestanden »The Avengers« also aus mindestens drei Personen ...
»Wer ist dieser Robin?«
»Er ist der Gründer und Kopf unserer Gruppe. Er kann Ihnen alle offenen Fragen beantworten.«
Jetzt schlug ich einen Haken. »Nein. Ich will umgehend nach London zurück. Dann vergesse ich meinen kleinen Ausflug ins Hochland und basta.«
MacNeill beugte sich vor, nahm ein Feuerzeug von dem kleinen Couchtisch und zündete sich eine Zigarette an.
»Danke. Ich nehme auch eine«, sagte ich ruhig in seine Ignoranz hinein.
»Oh, verzeihen Sie.«
Nachdem wir kurz schweigend geraucht hatten, legte er seinen Zeigefinger an die Schläfe und sagte: »Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht gehen lassen. Sprechen Sie heute Abend mit Robin. Er empfängt ein paar Gäste. Es gibt ein schönes Dinner und dann – in entspannter Atmosphäre – lassen sich sicherlich alle Unklarheiten beseitigen.«
In entspannter Atmosphäre ... Den Ausdruck kannte ich allerdings sehr gut!