Читать книгу Rockstar | Band 2 | Erotischer Roman - Helen Carter - Страница 4

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2.

Selbst im Frühling konnte die Abendluft extrem kalt und trocken sein. Das wurde Ivy klar, als sie, mit offenem Mund und um Atem ringend, vom Auto zu ihrem Haus ging. Sie fluchte leise vor sich hin, denn sie hatte die große Canvas-Tasche viel zu voll gestopft und so schnitt diese mit jedem Schritt schmerzhaft in ihre Schulter.

Es war ein langer Tag gewesen mit vielen komplizierten Patienten und so war sie nicht mal dazu gekommen, auch nur ein Sandwich zu essen. Ihr Magen knurrte seit längerem nicht mehr, stattdessen war ihr übel. Alle paar Schritte hatte sie das Gefühl, stehen bleiben und sich übergeben zu müssen. Trotzdem schaffte sie es immer weiter. In ihrem nächsten Leben, so beschloss sie, würde sie auf dem Land leben. In einem Dorf, wo sie jede Menge Platz zum Parken haben würde und sich die Praxis nur ein paar Schritte von ihrem Cottage entfernt befinden würde.

Da das aber Ivys Plan für ihr kommendes Leben war, musste sie sich vorerst mit dem aktuellen auseinandersetzen. Dies bedeutete, dass sie sich glücklich schätzen konnte, wenigstens eine Wohnung im Erdgeschoss gefunden zu haben und das bei Vermietern, die nicht aus Transsilvanien kamen und nur nachts ansprechbar waren.

Sie atmete tief durch und die Nachtluft fuhr scharf in ihre Lungen. Ivy schob das längliche Kissen am Trageriemen hoch und positionierte es sorgfältig über der am meisten schmerzenden Stelle ihrer Schulter. Es waren nur noch wenige Schritte bis zur Haustür, aber mit diesem Gewicht waren es sehr lange Schritte. Gerade versuchte sie, auch noch ihre Aktenmappe neu zu platzieren, als etwas energisch an ihrem Trageriemen zog und ihn ihr förmlich entriss.

Ivys Gedanken waren blitzschnell. Ein Dieb! Aber hier? Direkt vor den Häusern, hinter deren Fenstern noch das Licht brannte? Sie überschlug den Inhalt der Tasche und ob es sich lohnte, dafür zu kämpfen. Im Bruchteil einer Sekunde entschied sie sich, zu fighten. Egal, was in dieser Tasche war, niemand würde es ihr wegnehmen. Und da die einzige Waffe, die sie dabeihatte, ihre Aktenmappe war, streckte sie ihren Arm aus und begann sich gleichzeitig so schnell wie möglich im Kreis zu drehen. Ivy taxierte aus dem Augenwinkel, wo sich der Kopf, und damit die empfindsamste Stelle des Gegners, befand. Dann ließ sie mit dem so erzeugten Schwung die Aktenmappe gegen die Seite seines Kopfes krachen. In der Mappe befanden sich ihr Notebook, ein Taschenrechner und Stifte.

Sie spürte befriedigt, dass sie ihn mit voller Wucht getroffen hatte, denn der Dieb sackte mit einem Keuchen auf die Knie. Er hatte ihre Tasche fallen lassen und presste seine Hände gegen seine Schläfen.

Ivy wusste, dass es höchste Zeit war, zu rennen. Aber irgendetwas hielt sie davon ab. Es war keineswegs plötzlich aufkeimendes Mitleid oder gar ein schlechtes Gewissen, es war vielmehr die Erkenntnis, dass sie den Mann, der da vor ihr auf dem Gehweg kauerte und vom Stöhnen zum Fluchen übergegangen war, nur allzu gut kannte.

»Jeff!«, stieß sie verblüfft hervor und trat einen Schritt auf ihn zu.

Vorsichtig, und offensichtlich noch immer von Schmerzen geplagt, hob er sein Gesicht zu ihr.

Im gleichen Moment schienen sich die Hände eines Riesen um ihren Brustkorb zu legen. Sie bekam keine Luft mehr und der Schmerz drang bis in ihr Rückgrat durch.

»Ja verdammt. Machst du das immer so, wenn dir jemand helfen will?« Seine Stimme klang keineswegs amüsiert.

Ivy hatte ihn offensichtlich wirklich heftig getroffen.

»Nur, wenn er mir im Dunklen meine Tasche wegreißt«, knurrte sie. »Wenn du willst, kannst du aber mit reinkommen. Dann kümmere ich mich um deinen Brummschädel.«

Jeff kam auf die Füße, griff nach der Canvas-Tasche und schwang sie über seine Schulter, als wöge sie rein gar nichts. So von ihrer Last befreit, konnte Ivy zügigen Schrittes auf das Haus zugehen.

Drinnen angekommen, steuerte sie sofort auf die Küche zu und füllte einen Kühlbeutel mit Wasser und Eiswürfeln. »Setz dich schon mal auf die Couch«, rief sie und ging mit dem Kühlbeutel zu ihm. »Wir nehmen erst mal das und wenn es nicht reicht, habe ich ein paar Tabletten für dich.«

Indem sie sich ihm gegenüber in den Sessel setzte, hatte sie automatisch den Platz gewählt, der am weitesten von ihm entfernt war. Das war auch gut so, denn als sie ihn jetzt zum ersten Mal richtig ansah, bekam sie weiche Knie.

Er hatte sich einen Bart stehen lassen, der wie der eines Ritters aussah. Dazu sein ebenholzfarbenes Haar mit dem leichten Glanz, das dicht und glatt über seinen Rücken fiel. Ivy erinnerte sich daran, wie er damals auf der Liege in der Praxis gelegen hatte und sein Haar fast bis zum Boden herabgeglitten war. Mit dem Bart sah er noch besser aus, da er ihm etwas Verwegenes gab.

Für einen Moment hielt Ivy die Luft an. Dann aber fragte sie: »Wieso bist du hier?«

Sie freute sich nicht wirklich, ihn zu sehen. Es war einfach zu viel geschehen. Er mochte vielleicht nicht an allem schuld gewesen sein, aber in ihren Augen war er ein Mann wie eine tickende Zeitbombe. So wie er im Moment aussah, die Haut noch immer blass, von einem alabasternen Ton, der Griff fest und die Augen klar – schien er allerdings weder mit Alkohol noch mit anderen Drogen Probleme zu haben. Andererseits sagte sein Aussehen nicht unbedingt etwas über seine psychische Verfassung aus.

Innerlich bebte Ivy, weil sie nicht den leisesten Schimmer hatte, weshalb er hier aufgetaucht war. Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Kurz nachdem er die Klinik verlassen hatte, hatten sie sich noch einmal getroffen, aber das hatte zu nichts geführt. An der Feststellung, dass zu viel geschehen war, hatte sich nichts geändert, und auch nicht an der Erkenntnis, dass sie keine weiteren Katastrophen ertragen konnte. So sehr sie ihn auch einmal geliebt hatte ...

»Warum bist du hier?«, wiederholte sie. Ivy gab sich nicht einmal die Mühe, ihrer Frage einen freundlichen Unterton zu geben. Allein durch sein Auftauchen bedrohte er ihr inneres Gleichgewicht, und damit konnte sie nicht umgehen.

Seltsamerweise hatte sie damit gerechnet, dass er ihr jetzt wie aus der Pistole geschossen eine Antwort geben würde, doch er tat es nicht. Stattdessen stand er auf und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.

»Ehrlich gesagt war ich gerade in der Gegend und wollte sehen, wie es dir geht. In die Praxis gehen kann ich ja schlecht und deine Handynummer funktioniert nicht mehr.«

Er klang wie jemand, der einen Schlafplatz für die Nacht suchte und nicht so recht wusste, wie er es begründen sollte.

»Ich habe ein neues Handy«, sagte sie kühl und ging in die Küche. »Willst du auch eine Tasse Tee?«

Dass er ihr folgte, passte ihr nicht und gleichzeitig fand sie es verwirrend, dass er diese Gefühle in ihr auslöste. Er stand so dicht hinter ihr, während Ivy Wasser in die Kanne laufen ließ, dass sie ihn spüren konnte. Sie atmete tief durch, um den Druck in ihrem Brustkorb zu mindern, doch genau dadurch, berührte sie ihn. Der Geruch seines Aftershaves umgab sie sacht und schien sie in ein Wohlgefühl zu versetzen, vor dem sie sich beinahe fürchtete. Es war, als griff man nach einem Seil, das einen in genau die Richtung zog, in die man nicht geraten wollte.

»Nimmst du Zucker oder Sahne in deinen Tee?«, fragte sie leise, um die Sehnsucht nach ihm in ihrer Stimme zu verbergen.

»Zucker bitte.« Jeff beugte sich nach vorn, um zwei Tassen vom Regal zu nehmen, da glitt sein Haar über ihre Schultern und berührte dabei ihre Wange.

Sie wollte sich dem Sturm aus Gefühlen entziehen, die diese Berührung in ihr auslöste, doch sie schaffte es nicht, sich an ihm vorbeizudrängen. Sollte sie ihn denn wissen lassen, was sich gerade in ihr abspielte? Es schien ihr, als hielte er seinen Arm länger als nötig an ihren Oberarm gedrückt.

»Wo hast du die Teebeutel?«, fragte er.

Ivy deutete nach oben. Es war mit einem Mal wieder die alte Intimität da. Wie konnte das sein, überlegte sie. Hatte sie ihn nicht gerade noch hinauswerfen wollen? Aber es tat gut, mit jemandem zusammenzusein, den man so gut kannte. Sie beobachtete ihn und kannte jede noch so winzige Bewegung.

»Und du? Nimmst du deinen Tee immer noch mit Süßstoff ... Frau Doktor?«, fragte er gedehnt und zog sie auf.

»Ja, tue ich. Auch wenn es nicht gerade gesund ist.«

Jeff trug die beiden Tassen an Ivy vorbei ins Wohnzimmer. Sie nahmen wieder ihre alten Plätze ein und Ivy griff impulsiv nach der Teetasse. Im gleichen Moment schnellte Jeffs Hand nach vorn und ergriff ihr Handgelenk. »Nicht! Die ist noch schweineheiß!«

Ivy wich sofort zurück.

Sein Griff brannte wie Säure auf ihrer Haut. Und dennoch wollte sie sich um nichts in der Welt davon lösen. Im gleichen Moment fragte sie sich, wie ein solcher Wandel möglich sein konnte.

Plötzlich spürte sie, wie er seine Fingerkuppen tiefer unter ihren Ärmel schob. Ivy holte tief Luft. Sie merkte, dass sie feucht wurde. Dass sich wieder dieser intensive Druck in ihrem Unterleib auszubreiten begann, den sie so lange vermisst hatte. Er streichelte sanft die dünne Haut an der Innenseite ihres Handgelenks, dort, wo das Blut direkt unter der Haut floss.

Langsam hob er sein Gesicht zu ihr empor und fixierte im gleichen Moment ihre Blicke. Er sagte mit seinen Augen: Ich berühre dich, du magst es und ich weiß das. Lass uns weitergehen ...

Ivy erwiderte seinen Blick, hielt ihm stand. Nun fixierten sie sich gegenseitig. Was sie da taten, war Wahnsinn, und Ivy war sich dessen in jeder Sekunde bewusst.

Sie wollte, dass er ging!

In den zurückliegenden Monaten war es unglaublich mühselig gewesen, sich mit Arbeit von all diesen Erinnerungen abzulenken. Und jetzt machte er alles mit einem Schlag kaputt.

Ivy lehnte sich zurück und entzog ihm so ihren Arm. »Und? Was macht die Karriere?«, fragte sie zur Ablenkung.

Er strich seine Haare hinter die Ohren und hatte plötzlich diese professionelle Aura, die ihn umgab, wenn er den Vertretern irgendwelcher großen Medienanstalten gegenübersaß, um ihnen ausschweifende Interviews zu geben. Ein Bein über das andere geschlagen, schaute er wie suchend in seine Tasse. »Ich kann mich nicht beklagen. Die Veränderungen haben der Musik absolut gutgetan. Verglichen mit früher, ist es jetzt gigantisch geworden. Ich hatte immer gedacht, dass ich eine Band um mich herum brauche, aber Montague hat mir bewiesen, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil. Eine Band bremst mich.«

Ivy drehte die Tasse in der Hand und stellte sie dann auf den Tisch, ohne getrunken zu haben. »Das ist ja fabelhaft. Hast du wirklich verdient. Dieser Montague muss ja ein Zauberer sein, was man so im Internet liest. Er bringt wirklich frischen Wind und frisches Geld.«

Ein merkwürdiger Blick zur Seite machte ihr deutlich, dass dies der falsche Satz gewesen sein musste.

»Mit Montague habe ich mehr Erfolg denn je. Na ja ... ich denke, ich bin aus vielem herausgewachsen.«

»Da gratuliere ich dir. Das freut mich sehr.« Sie wusste, dass er wusste, dass der Satz gelogen war, denn für Ivy stand fest, dass sie zu den Dingen gehörte, aus denen er herausgewachsen war. Sie hörte sich selbst zu und fühlte sich elend. Sie wollte ihm gegenüber nicht so klingen.

»Bist du zufrieden mit dieser Entwicklung? Immerhin lief das ja mal alles ganz anders«, versuchte sie beim Thema zu bleiben.

Jeff hob die Schultern an und ließ sie wieder heruntersacken. »Ehrlich gesagt, weiß ich es noch nicht. Aber Montague macht nicht die gleichen Fehler wie Ashes. Er behandelt mich wie einen erwachsenen, selbstverantwortlichen Mann und nicht wie ein Kind, das man von einem Punkt zum nächsten schieben muss. Du solltest ihn unbedingt mal kennen lernen. Er hat auch schon viel von dir gehört.«

Er nickte seinen eigenen Worten zu, doch Ivy fragte sich, worin der Sinn bestehen sollte, dass sie, die Ex-Freundin, seinen Manager kennen lernte.

»Also nicht mehr die gleichen Fehler wie damals?«, fragte sie leise.

Jeff presste die Lippen zusammen und schüttelte vorsichtig den Kopf.

Ivy schluckte hart, denn in der aktuellen Situation taten sie beide besser daran, kein Wort mehr über die Vergangenheit zu verlieren. Zumal sie ihm alles zutraute, vor dem Hintergrund, dass er unversehens hier aufgetaucht war, ohne ihr einen vernünftigen Grund dafür nennen zu können. Wie sehr er sich auch geändert haben mochte, es war mit Sicherheit nicht genug, dass sie sich ihm wieder annähern würde. Er reizte sie, weiß Gott, sein Gesicht, das lange Haar, dieser Körper, der ein einziges erotisches Versprechen war ..., aber für eine Beziehung taugte er sicherlich immer noch nicht und für alles andere hatte Ivy keine Kraft und keine Ausdauer. Es gab in diesem Business zu viele willige Frauen und zu viele schmierige Dealer.

»Und wie sieht es bei dir aus?«, fragte er und zog sie aus ihren Gedanken.

»Alles beim Alten. Die Praxis ist noch dieselbe und die Patienten auch. Man muss sich halt nach der Decke strecken, zumal die Regierung ein Kürzungspaket nach dem anderen verabschiedet und ich meinen Patienten erklären muss, wie sie damit umgehen sollen. Hier in Tottenham, wo die Gehwege sowieso nicht mit Gold überzogen sind.«

»Und sonst in deinem Leben?«

Ivy wusste sofort, worauf er hinauswollte. »Ebenfalls alles beim Alten, wenn du so willst.«

»Tja ... Bei mir auch«, stieß er hervor und erhob sich.

Sie war sich nicht sicher, auf welchen Status er sich dabei bezog: auf den, wo er mit ihr fest liiert gewesen war oder wo er es mit allem getrieben hatte, was sich ihm in den Weg geworfen hatte.

»Dann danke ich dir für den Tee und mache mich wieder auf den Weg.«

Ivy stand ebenfalls auf und brachte ihn zur Tür.

»Man sieht sich«, sagte er, ohne sie dabei anzuschauen. Es mochte die Enttäuschung sein, weil sie nicht mehr für ihn gehabt hatte als Belanglosigkeiten, aber Ivy war unfähig, weiter auf ihn zu zugehen. Dazu fehlte ihr die Kraft.

Monatelang war in jeder Nacht das Gleiche geschehen: Sobald sie das Licht gelöscht hatte, tauchten Bilder aus ihrer Vergangenheit auf. Immer wieder sah sie, was mit ihm geschehen war, was er getan hatte. Ab da hatte sie sich vorgenommen, ihn zu vergessen. Für Jeff Armstrong gab es in ihrem Leben keinen Platz mehr.

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