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Am Sonntagmorgen stand Felicia an der Haltestelle und wartete auf den Bus aus Bregenz. Im Dorf herrschte feierliche Ruhe und die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg über die hohen Berge. Nur ein paar sehr frühe Kirchgängerinnen waren bereits unterwegs. Sie grüßten die junge Lehrerin mit einem freundlichen »Tag«, wobei das »a« sehr lang gesprochen wurde, und musterten sie neugierig. Zum Glück war der Bus pünktlich. Einige Wanderer drängten zuerst aus dem Bus und dann kam in aller Gemütsruhe die blonde, langbeinige Cordula. Die Freundinnen fielen sich um den Hals und umarmten einander herzlich. »Ich freue mich so, dass du da bist, Cordi«, sprudelte Felicia los, »komm, wir gehen zuerst gemütlich frühstücken und später machen wir eine kleine Wanderung. »Gut«, nickte Cordula und sah sich bedächtig um. Sie atmete die frische, klare Luft tief ein und meinte dann: »Schön ist es hier, aber ziemlich weit vom Schuss. Ich bin eineinhalb Stunden im Bus gesessen.« »Für dich als überzeugte Städterin wäre es wohl zu abgelegen, aber du weißt ja, dass ich im Grunde meines Herzens eine Landpomeranze bin«, grinste Felicia. »Fräulein!«, ertönte es von der anderen Straßenseite. Carina hüpfte an der Hand ihres Vaters die Straße entlang und winkte der Lehrerin zu. Das Kind trug einen dunkelroten Mantel aus Samt, ein passendes Hütchen dazu und schwarze Lackschuhe zu weißen Strümpfen. »Tag, Carina, gehst du in die Kirche?« »Ja, Papa hat gesagt, ich darf mitkommen, wenn ich ganz brav bin.« »Na, das ist für dich ja kein Problem«, lächelte Felicia. »Kommst du auch mit?« »Nein, heute nicht. Ich habe Besuch.« »Sie kann auch mitkommen«, beharrte Carina. Eine Ausrede blieb Felicia zum Glück erspart, da Alexander weitergehen wollte. »Einen schönen Tag«, wünschte er und hob die Hand zum Gruß. »Danke, Ihnen auch«, grüßten die jungen Frauen zurück. Kaum waren die Kleine und ihr Vater außer Hörweite, platzte Cordula heraus: »Ist das die kleine Prinzessin, von der du geschrieben hast? Ihr Vater sieht wirklich gut aus. Weshalb bist du mit dem per Sie? Ich dachte, hier redet man jeden mit »du« und dem Vornamen an.« »Eigentlich schon, aber der Schulleiter und ich sind ihm begegnet, als ich zum allerersten Mal hier war, und da hat er mich mit »Fräulein Huber« angeredet und ich ihn mit »Herr Felder« und dabei sind wir geblieben. Ich habe nichts mit ihm zu tun.« »Aber die Kleine ist doch in deiner Klasse«, wunderte sich Cordula. »Das macht alles ihre Oma. Und jetzt komm frühstücken, sonst ist dein Ei kalt.« Damit führte Felicia die Freundin in ihre kleine Wohnung, wo sie gemütlich frühstückten und plauderten.

Später gingen sie zum Schulhaus, wo Cordi die erste Klasse besichtigte. »Das ist ja wirklich urgemütlich hier!«, rief sie begeistert. »Ich glaube, da würde mir das Unterrichten auch Spaß machen.« »Ach, sag das nicht. Es ist nicht so idyllisch, wie es scheint«, seufzte Felicia. Und während sie auf einem schmalen Forstweg zur Mittelstation des Lifts wanderten, erzählte Felicia der Freundin von ihren Schwierigkeiten mit Carina. »Weißt du, an manchen Tagen ist sie fast wie die anderen Kinder und dann gibt es wieder Tage, an denen sie ständig stört und ich mir fast keinen Rat weiß.« Cordula hörte interessiert und aufmerksam zu. Sie nickte: »Das kenne ich auch und im Internat sollen wir dann alles zurechtbiegen, was die Eltern daheim versäumt haben.« Nachdenklich gingen sie eine Weile weiter, als Cordula plötzlich sagte: »Weißt du, ich glaube, du solltest den Vater dazu bringen, sich mehr um sie zu kümmern. Die Kinder sprechen sehr gut darauf an, wenn Männer etwas mit ihnen unternehmen. Bei uns im Heim sehe ich das immer wieder.« »Das ist ja genau das Problem, dass sich ihr Vater kaum um sie kümmert. Angeblich hat er keine Zeit«, rief Felicia aus. »Weißt du, manchmal hab ich eine solche Wut auf den Kerl, aber ich weiß nicht, wie ich ihn dazu zwingen soll, sich um Carina zu kümmern.« »Du wirst schon eine Möglichkeit finden«, versprach Cordula. Inzwischen waren sie an der Mittelstation angekommen, wo sich ein kleines Restaurant mit einer sonnigen Aussichtsterrasse befand. Die Freundinnen setzten sich an einen der Biertische und bestellten Würstchen und ein Radler, ein mit Limonade aufgespritztes Bier, das sehr gut gegen den Durst war. Dann aßen und tranken sie gemütlich und genossen die herrliche Aussicht auf die umliegenden Berge und die milde Herbstsonne. Der Weg ins Tal führte sie über die Rossalpe, wo jedoch schon alles für den Winter verriegelt worden war.

Im Dorf tranken sie noch eine Tasse Tee bei Felicia und damit war es für Cordula auch schon Zeit heimzufahren. »Nächstes Mal kommst du nach Bregenz, damit du wieder einmal Stadtluft schnuppern kannst«, forderte sie die Freundin auf. »Ja, in den Herbstferien komme ich bestimmt«, versprach Felicia, »bis dahin sind es nur noch drei Wochen.«

Der Gedanke, Alexander Felder dazu zu bringen, sich mehr um seine Tochter zu kümmern, ließ die junge Lehrerin nicht mehr los. Cordi hatte Recht, dessen war sie sich inzwischen sicher. Die Gelegenheit dazu bot sich schon zwei Wochen später. »Alexander Felder hat gefragt, ob Carina nach den Herbstferien noch eine Woche frei haben kann. Er besucht mit dem Kind zu Allerheiligen immer die Großeltern in Italien und wegen drei Tagen steht sich der weite Weg nicht dafür. Ich hab es genehmigt«, erklärte Markus am Morgen in der Schule. Da wusste Felicia, dass ihre Chance gekommen war. »Es ist nicht gut, wenn das Kind eine ganze Woche Unterricht versäumt. Meinst du, ich kann ihnen ein paar Sachen mitgeben, die sie dann im Urlaub machen können?«, fragte sie ihren Chef. Dieser lächelte wohlwollend: »Wenn du dir so viel Arbeit machen willst, ist das natürlich gut für Carina.«

Und mit dieser Erlaubnis machte sich Felicia an die Arbeit. Mit Feuereifer bereitete sie den Stoff für die Woche nach den Ferien vor. Sie kopierte Arbeitsblätter, schrieb in den Heften vor und arbeitete einen Tagesplan für Carina und ihren Vater aus. Dann suchte sie mit diebischer Freude noch geeignete Spiele aus ihrem Regal. Der Mann würde sein blaues Wunder erleben, wenn er das alles mit Carina schaffen wollte, davon war sie überzeugt.

Am Montag, dem letzten Schultag vor den Herbstferien, begleitete sie Carina nach Hause. »Ich bringe deinem Papa ein paar Spiele und Sachen, die er mit dir in den Ferien machen kann. Ist das in Ordnung?«, erklärte sie Carina. »Au ja, dann kann Papa mit mir spielen! Bei Oma gewinne ich beim Memory immer«, freute sich das ahnungslose Kind. Es ist alles zu ihrem Besten, beruhigte Felicia ihr schlechtes Gewissen. Die beiden betraten das Hotel. Geschickt hatte man aus der vorderen Stube einen Rezeptionsbereich und eine gemütliche Halle gemacht. »Tag, Susanne, wo ist Papa?«, rief Carina selbstbewusst. »Im Büro«, antwortete die junge Frau an der Rezeption freundlich. Ein wenig nervös war Felicia nun doch, als sie an der Türe klopfte. Aber Carina wartete das »Herein« nicht lange ab. »Papa, das Fräulein bringt uns Sachen und Spiele für Italien«, rief sie und stürmte ins Büro. Alexander schaute von seiner Arbeit auf und lächelte freundlich. »Hallo, Cara, Tag, Fräulein Huber. Sie bringen uns Sachen für Italien? Das ist aber nett von Ihnen.« »Ja, ich dachte, es wäre nicht gut, wenn Carina zu viel Lehrstoff versäumt. In der ersten Klasse verliert man schnell den Anschluss. Ich habe Ihnen einen Arbeitsplan gemacht, damit müssten sie zurechtkommen.« »Danke, dass sie sich so viel Mühe gemacht haben. Da müssen wir dem Fräulein wohl etwas aus Italien mitbringen«, wandte er sich lächelnd an seine Tochter. Felicia musste sich ein Grinsen verbeißen. »Wenn Carina fleißig war, hat sie sich übrigens eine Belohnung verdient, das sagen alle Ratgeber einhellig.« Alexander nickte. »Und falls es schwierig werden sollte, bitte auf keinen Fall körperliche Strafen«, ergänzte die Lehrerin ihre Ratschläge. Alexander runzelte die Stirn: »Ich habe Carina noch nie geschlagen und habe es auch in Zukunft nicht vor.« »Dann ist es gut. Und jetzt will ich Sie nicht länger stören, auf Wiedersehen. Schöne Ferien, Carina!« Mit einem Nicken in Alexanders Richtung und einem herzlichen Lächeln für Carina verließ Felicia das Büro. Auf der Straße konnte sie sich ein schadenfrohes Lachen nicht mehr verkneifen. Sie musste sofort Cordi anrufen. Jetzt vor dem Mittagessen war es eh günstig. Fast hüpfte sie zum Gemeindeamt.

Alexander schüttelte entrüstet den Kopf. Wie kam diese Person auf die Idee, er würde seine Tochter schlagen? Und wieso sollte es schwierig sein, mit einem Kind ein paar Schulaufgaben zu machen? Dann schaute er auf die Uhr. Viertel vor zwölf, da konnte er noch schnell die Meldeformulare zum Tourismusbüro bringen.

Felicia kramte ein paar Münzen aus ihrer Geldtasche und wählte Cordulas Nummer. Der Rektor meldete sich gleich und holte sie ans Telefon. »Hallo Cordi, ich bin's!«, rief Felicia aufgeregt ins Telefon. »Du, ich hab Carinas Vater drangekriegt. Sie hat eine Woche frei bekommen, weil sie die Großeltern in Italien besuchen wollen, und jetzt hab ich ihn bis über beide Ohren mit Material und Spielen eingedeckt.« Sie lachte triumphierend. »Hey, gut so! Ich hab dir ja gesagt, dass du es schaffst, Feli«, freute sich die Freundin mit ihr. »Mann, Cordi, wäre das nicht super, wenn es klappen würde? Die arme Oma tut mir immer so leid. Statt ihr Mittagsschläfchen zu machen, muss sie sich mit den Hausaufgaben plagen, obwohl das eigentlich gar nicht ihre Aufgabe ist.« »Ich halte dir die Daumen«, versprach Cordula, »du hast es jetzt probiert und mehr kannst du nicht tun. Wann kommst du nach Bregenz?« »Ich komme morgen und bleibe bis Donnerstagmittag, o.k.? Am Abend haben wir Chorprobe. Mein großes Solo, du weißt ja«, lachte Felicia selbstironisch. »Gut, ich freue mich schon.« »Soll ich den Schlafsack mitbringen?« »Nein, Bettwäsche haben wir hier genug und eine Wäscherei auch«, wehrte Cordula ab. Felicia sah durch den Spalt unter der Telefonzelle ein Paar sauber polierte Herrenschuhe und eine graue Hose mit Bügelfalte. »Cordi, ich muss aufhören, draußen wartet einer. Also bis morgen, Servus.« Damit hängte Felicia den Hörer ein und stürzte aus der Telefonzelle, bereit, sich bei dem Wartenden zu entschuldigen. Nur, draußen stand niemand mehr.

Turbulenzen im Paradies

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