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Der Vormittag war anstrengend gewesen. Am Montag dauerte es immer länger, bis die Kinder ihren Rhythmus fanden und sich an das stille Arbeiten gewöhnten und Carina, Felicias Sorgenkind, hatte wieder einmal ständig Unfug gemacht. Beim Schreiben schmierte sie mit ihrem Stift Benjamin in sein Heft, worauf ein lauter Streit ausbrach. In der Pause spritzte sie im WC die Wände und den Boden nass und die Lehrerin zwang sie, alles aufzuwischen. Später beim Spielen stieß sie Rudi, sodass er hinfiel und sich die Hose zerriss. Wieder musste Felicia trösten und beschwichtigen und Carina verbrachte den Rest der Pause an ihrer Hand, wie meistens. Im Rechnen stieß sie den Kasten mit dem Legematerial von der Bank, sodass die bunten Stäbe in der halben Klasse verstreut lagen. Damit war die mühsam hergestellte Ruhe wieder dahin. Nach dem Unterricht klagte Felicia ihrem Chef ihr Leid. »Du musst weiter probieren, wir können das Kind sonst nirgends hinschicken. Früher gab es im Nachbarort die Sonderschule für besonders schwache und sehr verhaltensauffällige Kinder. Aber die hat man abgeschafft«, meinte er. »Wir können den Vater herbestellen und mit ihm reden, wenn er überhaupt kommt.« »Aber es geht doch um sein Kind, das muss es ihm doch wert sein!«, protestierte Felicia. Markus zuckte die Schultern. »Ich schreibe den Brief, dann kannst du ihn morgen noch unterschreiben und Carina mitgeben«, sagte er.

Alexander und seine Mutter saßen in Thereses gemütlicher Stube mit den schönen alten Bauernmöbeln und den dicken Wollteppichen. Alexander las Zeitung. Er war froh um ein bisschen Ruhe nach einem ausgefüllten Tag. Therese saß ihm gegenüber am Tisch und war, wie immer, mit einer Handarbeit beschäftigt. »Carina hat einen Brief von der Schule gebracht«, sagte sie in die Stille, »du wirst zu einem Gespräch eingeladen.« Sie hielt ihm einen Bogen Papier hin. »Was, jetzt schon?«, stöhnte Alexander. »Es sind doch erst zwei Wochen vorbei.« »Alexander, wir haben uns doch gedacht, dass es schwierig werden könnte. Du solltest wenigstens hingehen und dir anhören, was das Fräulein und Markus zu sagen haben«, ermunterte ihn seine Mutter. »Zeig ihnen deinen guten Willen!« »Wann ist denn der Termin?« »Morgen nach der Schule.« »Morgen Vormittag kommt der Architekt wegen den Zimmern im zweiten Stock. Da kann ich nicht weg.« »Das ist eine Ausrede. Du kannst Markus zu Hause anrufen und den Termin verschieben oder Carina eine Nachricht mitgeben«, sagte Therese nun mit Nachdruck und ein wenig ungehalten. »Geh du hin, Mama, bitte. Du kommst mit Markus besser zurecht als ich und du kannst mir ja alles genau berichten, was sie gesagt haben«, beharrte ihr Sohn. Therese seufzte: »Ich glaube, du machst einen schweren Fehler.« Und damit gab sie nach.

So saßen am nächsten Tag Markus, Felicia und Therese im Konferenzzimmer beisammen. Therese entschuldigte ihren Sohn. Als Felicia und Markus ihr die Lage schilderten, nickte sie bekümmert. »Was sollen wir eurer Meinung nach machen?«, fragte sie. »Versucht, Strukturen einzuführen. Regeln, an die sie sich halten muss. Carina muss lernen, dass sie nicht alles tun darf und dass Regelverstöße Konsequenzen haben«, riet Markus. »Das versuche ich ja, aber es ist schwierig, jetzt gutzumachen, was wir jahrelang versäumt haben, und Alexander hat kaum Zeit dafür.« Jetzt war es an den beiden Lehrern zu nicken. »Es wäre gut, wenn sie wenigstens die Hausübungen machen würde. Bisher war keine Hausübung vollständig«, brachte Felicia vor und zeigte Therese Carinas Hefte. »Das ist meine Schuld«, bekannte Therese, der das Ganze sichtlich peinlich war. »Nach dem Mittagessen lege ich immer ein wenig die Beine hoch und in der Zeit macht Carina die Hausaufgaben. Aber meistens nicke ich dann ein. Das Kind hat brav am Tisch gesessen und wenn ich sie danach gefragt habe, hat sie erzählt, sie sei fertig. Nachgesehen habe ich zu meiner Schande nicht. Bei meinen Kindern konnte ich mich darauf verlassen.« Felicia tat die ältere Frau aufrichtig leid und Markus offensichtlich auch. »Die Zeiten haben sich geändert und die Kinder auch«, sagte er sanft. »Tu, was du kannst. Es wird schon werden.« Als Therese fort war, sah Felicia ihren Chef resigniert an. »Du hattest recht, es bringt nichts.« »Na ja, vielleicht doch«, versuchte er optimistisch zu sein, aber auch er glaubte nicht daran.

Therese erzählte ihrem Sohn von den Schwierigkeiten in der Schule. Aber nachdem sie sich für die Sache mit den Hausübungen schämte, erzählte sie davon nichts. Jeden Tag saß sie nun mit Carina stundenlang an den Hausaufgaben, anstatt ihre wohlverdiente Mittagsruhe zu halten. Eine Qual für beide.

Am Dienstagabend ging Felicia wieder einmal zur Probe der Volkstanzgruppe. Sie mochte Toni gut leiden. Seine direkte, unbekümmerte Art gefiel ihr und er war ein guter, geduldiger Lehrer. »Kannst du gut Englisch?«, fragte er sie an diesem Abend, als sie eintraf. »Ja, schon«, antwortete Felicia, nicht sicher, worauf er hinauswollte. »Ich war ein Jahr in Manchester und ich lese auch englische Bücher, wenn ich welche ergattere.« Jetzt machte Toni doch große Augen. »Weißt du, ich hab mir gedacht, du könntest mir Englischstunden geben. Für die Schikurse wäre das oft praktisch. Und ich könnte dafür mit dir Schi fahren.« »Abgemacht«, grinste Felicia, »Nachhilfe im Schifahren kann ich gut brauchen. Mein Stil ist schrecklich.« »Dann bist du bei mir genau richtig«, grinste Toni zurück. »Ich bin bekannt für meinen tollen Stil.« »Am Mittwochabend habe ich noch frei. Um acht Uhr bei mir, o.k.?« Toni nickte. Sie stellten sich auf und die Probe begann. Also fand sich Toni am nächsten Abend bei Felicia ein und sie übte einfache, gebräuchliche Sätze und Phrasen mit ihm. Toni stellte sich willig und gar nicht ungeschickt an und Felicia machte es Spaß, Englisch zu unterrichten. So kam Toni nun jeden Mittwochabend.

Einmal war sie jedoch so erschöpft, dass sie einnickte, während er einen kleinen Text übersetzte. »Machst du das in der Schule auch so?«, neckte er sie. »Nein, dort habe ich alle Hände voll zu tun, darum bin ich ja so geschafft«, gähnte sie. Toni nickte ernst. »Die Kleine von der Alpenrose, alle reden davon.« »Manchmal weiß ich mir fast keinen Rat«, bekannte Felicia. »Nimm einen Stock und verpass ihr eine Tracht Prügel«, riet ihr Toni unbekümmert. »Wir haben von Schwester Lätitia ständig Tatzen bekommen, da hat keiner Schwierigkeiten gemacht.« »Ach, verschone mich mit deiner Steinzeitpädagogik! Wir leben in den Achtzigerjahren!«, rief sie ungeduldig aus. »Prügel sind keine Lösung!« »Ja, wahrscheinlich hast du Recht«, gab Toni zu, »oft war es ungerecht und manche konnten dann vor lauter Angst nicht mehr lernen. Weißt du, Carina war ein paarmal bei mir im Schikurs. Da fand ich sie eigentlich gar nicht schlimm. Sie war recht anhänglich, nur, wenn sie jemand geärgert hat, wurde sie rabiat.« »Das ist genau mein Problem«, seufzte Felicia, »und oft stört sie auch einfach so. Ruhig zu sitzen ist für sie schwer.« »Hey, mit der Zeit kriegst du das schon hin. Mach zwischendurch Gorillatanz oder so, dann kann sie sich abreagieren. Im Schikurs blödle ich einfach ein bisschen mit ihnen, dann beruhigen sie sich wieder.« »Du kannst mein Assistent werden. Wenn ich jemanden zum Blödeln brauche, rufe ich dich an. Pech, dass die Schule kein Telefon hat«, lachte Felicia. Das halbernste Gespräch mit Toni hatte ihr gut getan. Vielleicht musste sie das Ganze ja einfach lockerer sehen.

Turbulenzen im Paradies

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