Читать книгу Plus zwei Grad - Helga Kromp-Kolb - Страница 6

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Skeptiker sagten lange, es gäbe keinen Klimawandel – mittlerweile ist aber weltweit anerkannt, dass es ihn gibt. Manche glauben allerdings immer noch, dass er zeitlich weit weg sei und dass er andere betreffe, nicht sie selbst. Mit zunehmenden Extremereignissen auf der ganzen Welt wächst die Erkenntnis, dass er doch schon im Gange ist. Auch in Österreich haben die extremen Wetterereignisse – Hitzeperioden, Dürren, Überschwemmungen, Spätfröste – viele bis dahin skeptische Menschen überzeugt, dass auch unsere vermeintliche „Insel der Seligen“ vom Klimawandel betroffen ist. Jetzt hoffen viele, dass neue Technologien, insbesondere erneuerbare Energien und Energieeffizienzmaßnahmen, helfen werden, den Klimawandel zu stoppen. Zunehmend aber wird klar, dass technologischer Fortschritt allein den Klimawandel nicht in ausreichendem Maß und schnell genug bremsen kann. In Österreich wächst der Energieverbrauch rascher als erneuerbare Energien dazukommen; das heißt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch derzeit sogar sinkt, nicht steigt. Die technologischen Veränderungen greifen auch stark in bestehende Strukturen und in die Gesellschaft ein.

Oft heißt es, der Markt werde diese Probleme regeln. Die österreichische Klima- und Energiestrategie ist eine Kombination aus Technologie- und Marktgläubigkeit, gepaart mit der Übertragung von Verantwortung an Privatpersonen. Aber die Märkte im neoliberalen Wirtschaftssystem schützen nachgewiesenermaßen Gemeinschaftseigentum wie das Klima (sogenannte Allmende) nicht und führen zu keiner gerechten Verteilung der Lasten. Änderungen im Lebensstil der Einzelnen sind zweifellos wichtig und notwendig, aber auch dafür müssen Hemmnisse aus dem Weg geräumt und Anreizsysteme geschaffen werden. Obwohl die Politik regelmäßig Österreich zum „Klimamusterschüler“ stilisiert, haben wir hier noch Nachholbedarf. Ohne staatliche Eingriffe, deren Ziele international abgestimmt sind, besteht die Gefahr, dass es zu spät wird und das Klima nicht zu stabilisieren ist. Dann bliebe nur mehr Anpassung, aber diese ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Das Pariser Klimaabkommen ist ein Versuch, die notwendigen staatlichen Eingriffe zu beschleunigen.

Der Aufbau des vorliegenden Buchs orientiert sich an dieser Entwicklung: Zuerst wird gezeigt, dass es den Klimawandel gibt, und zwar hier bei uns in Österreich, mit Folgen, die für jeden schon jetzt sichtbar sind. Aber wie viel Klimawandel ist verkraftbar? Wann wird er gefährlich? Dieser Frage widmet sich das dritte Kapitel, bevor das vierte, wieder stark auf Österreich fokussiert, mögliche zukünftige Klimaentwicklungen aufzeigt. Die grundsätzlichen Reaktionsmöglichkeiten – Emissionen senken, an die Änderungen anpassen oder großtechnologische Maßnahmen setzen, die in das Klimasystem eingreifen – werden in Kapitel fünf behandelt. Die internationalen Bemühungen, den Klimawandel einzudämmen, werden im sechsten Kapitel beschrieben, bevor im darauffolgenden Kapitel sieben abermals auf die österreichische Situation eingegangen wird. Dabei zeigt sich, dass wir im Klimaschutz nicht das Musterland sind, für das wir uns so gerne halten.

Die nächsten beiden Kapitel betten den Klimawandel in die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO ein. Diese wurden 2015 beschlossen und gelten als Vision von einem „guten Leben für alle“ innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten. Das achte Kapitel erläutert zunächst die ökologischen Grenzen und warum sie wichtig geworden sind, während das neunte darauf eingeht, warum das derzeitige Wirtschafts- und Finanzsystem ungeeignet ist, das Problem Klimawandel zu lösen. Geeignetere Ansätze werden beschrieben. Ein wichtiger Punkt dieses Buches ist es, auch positive Initiativen anzuführen und bewusst zu machen, dass jeder seinen Beitrag zur Rettung unseres Planeten leisten kann – und sei er auch scheinbar noch so klein. Dass es schon viele Menschen aus unterschiedlichen Fachgebieten, Gesellschaftsschichten und Kulturkreisen gibt, die sich um Lösungen bemühen, wird in Kapitel zehn klar und schließlich ermutigt Kapitel elf, selber aktiv zu werden. Denn, wenn die nachfolgenden Generationen fragen: „Was habt ihr gewusst? Was habt ihr getan?“, soll jeder guten Gewissens eine befriedigende Antwort geben können.

Ein Blick über den Tellerrand

In einem Buch, das man gerne zur Hand nimmt, das nicht zu schwer in der Hand liegt und nicht so umfangreich ist, dass man befürchtet, das Ende nie zu erreichen, muss vieles ungesagt bleiben. Das war für uns schmerzlich, denn es gäbe so viel, was wir Ihnen auch noch sagen wollten – so vieles, das Sie mit Recht einfordern könnten. Wir hoffen aber, dass Ihnen dieses Buch dennoch ein einigermaßen rundes Bild vom Klimawandel und seinem Antlitz in Österreich gibt. Wir sind dabei weit über das hinausgegangen, was Meteorologen und Klimatologen als ihren eigentlichen Fachbereich betrachten. Wir sprechen über Wirtschaft und Finanzen, über Demokratie und Politik. Wenn man den Klimawandel nicht nur als Forschungsgegenstand betrachtet, sondern die Forschungsergebnisse als Aufforderung, an Lösungen mitzuarbeiten, versteht und daraus Verantwortung ableitet, kann man nicht bei der Berechnung von Temperaturänderungen haltmachen. Dann muss man sich über die Auswirkungen Gedanken machen und über die tiefer liegenden Ursachen für das Nichthandeln der Politik und der Gesellschaft.

Wir beschäftigen uns nun bereits seit Jahren auch mit der nationalen und internationalen Politik und den Treibern dieser. Wir haben in diesem Buch unser Verständnis der Zusammenhänge dargelegt. Es wird nicht ungeteilte Zustimmung finden. Das ist auch nicht zu erwarten, weil es dem Weltbild des neoliberalen Denkens diametral widerspricht. Aber wir sind mit unserem Verständnis keineswegs allein. Gerade die moderneren, realitätsnäheren Wirtschaftswissenschaftler, vor allem aber die Praktiker, sehen die Zusammenhänge ganz ähnlich wie wir. Vielleicht werden Sie es auch als befreiend erleben, sich von den scheinbaren Zwängen eines idealisierten Marktes zu lösen und wieder an die Menschen, nicht an Sachzwänge, zu glauben.

Während wir dieses Buch geschrieben haben, ist die Welt unsicherer geworden, ein Nuklearkrieg weniger unwahrscheinlich, die Demokratie in vielen Ländern brüchiger. Das macht aber das Thema nicht weniger wichtig – im Gegenteil. Der Klimawandel verschärft bestehende Probleme und schafft zusätzliche. Je schwieriger das Leben, ja, das Überleben, desto offener sind die Menschen für Populismus und autoritäre Führung. Nur noch 36 Prozent der jungen US-Amerikaner und Europäer halten es für wichtig, in einer Demokratie zu leben! Seit Jahrzehnten stagnierender Lebensstandard, Identitätskrisen als Folge der Globalisierung und die Verstärkung der eigenen Sichtweisen durch die sozialen Medien zählen zu den Ursachen. Aber noch ist Kritik an den Zuständen und den Regierungen, noch sind abweichende Meinungen zulässig.

Die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO sind eine Möglichkeit, dem Populismus etwas entgegenzusetzen, ein gemeinsames Ziel über Nationen, über gesellschaftliche Schichten hinweg zu finden; etwas Positives, für das man gemeinsam kämpfen kann. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein integraler Teil davon. Dieses Buch soll Mut machen, sich an diesem Kampf zu beteiligen. Denn noch ist es nicht zu spät dafür, auch wenn uns das viele einreden wollen.


Ergänzung zur dritten Auflage, Juli 2019

Seit der Fertigstellung des Buchmanuskripts hat sich viel verändert: Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat festgehalten, dass Entwicklungen wieder einmal unterschätzt wurden und daher 1,5° C, nicht 2° C die richtige Obergrenze für die globale Erwärmung ist. Aus wissenschaftlicher und technischer Sicht sei sie auch einhaltbar, es komme aber darauf an, die Treibhausgasemissionen rasch, entschlossen und mutig zu senken. Hunderttausende junge Menschen setzen sich in den Freitagsprotesten für die Rettung ihrer Zukunft und der Welt ein. Wissenschaftler, Eltern, Lehrer, Künstler und viele andere haben sich ihnen angeschlossen. Einschlägige Aufrufe junger Blogger wurden von Millionen Menschen wahrgenommen. Wie die Europawahlen zeigen, könnte sich damit das politische Feld verändern. Gerade jetzt, in dieser Phase politischen Umbruchs, ist der Beitrag jedes Einzelnen wichtig – jeder könnte den Tropfen beifügen, der das Fass endlich zum Überlaufen bringt.


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