Читать книгу Plus zwei Grad - Helga Kromp-Kolb - Страница 8
Wann wird’s mal wieder richtig Winter?
ОглавлениеMenschen, die viel in der Natur unterwegs sind oder beruflich mit der Natur zu tun haben, wie zum Beispiel Landwirte, bemerken, dass sich in den letzten Jahren etwas verändert hat. Meist können sie gar nicht genau sagen, worin der Unterschied besteht. Manchmal täuscht uns auch unser Gedächtnis. Das Erinnerungsvermögen an außergewöhnliche Wettererscheinungen ist sehr kurz. Kaum jemand kann sich noch an das Wetter vom Sommer vor drei Jahren erinnern. Bei Extremereignissen neigen wir dazu, aktuelle Ereignisse als zu extrem wahrzunehmen, was durch die Medien noch verstärkt wird. „Seit Menschengedenken“ ist daher in Realität ein recht kurzer Zeitraum von einigen Jahrzehnten. Aber unabhängig von unseren Erinnerungen hat der Klimawandel speziell der letzten Jahrzehnte bereits klare Auswirkungen in der Natur und in unserem Alltag.
Seit den 1970er-Jahren ist die Temperatur sehr stark angestiegen (siehe Abbildung 2-1). Dieser Anstieg beträgt global rund 0,5 Grad und im Alpenraum etwa 1,5 Grad. Diese Erwärmung ist durch viele Messungen belegt und Auswirkungen, die darauf zurückzuführen sind, real. Nun wirken 1,5 Grad Erwärmung nicht sehr aufregend, da wir aus unserem alltäglichen Leben deutlich stärkere Temperaturschwankungen kennen. Bei einem Schlechtwettereinbruch kann die Temperatur von einem Tag auf den anderen um gut 10 Grad absinken, und selbst wenn wir im Garten von einem sonnigen Bereich in einen schattigen wechseln, kann der Temperaturunterschied mehrere Grad betragen. Warum also diese Aufregung?
Der Grund ist, dass wir hier von einer Veränderung eines langjährigen Mittelwertes sprechen und mittlere Werte unterliegen deutlich geringeren Schwankungen als jene von Tag zu Tag. Abbildung 2-1 zeigt, dass der Unterschied zwischen dem wärmsten und dem kältesten Jahr in Österreich (in den 250 Jahren, seit es Messungen gibt) gerade einmal 4 Grad betrug. Im Gebirge kennt man auch die Abnahme der Temperatur mit der Seehöhe. Diese beträgt im Jahresmittel etwa 0,6 Grad pro 100 Höhenmeter. Daher entspricht der Temperaturanstieg von 1,5 °C in den letzten Dekaden einer Verschiebung der mittleren Temperaturverhältnisse um rund 250 Höhenmeter im Alpenraum. Dies wirkt sich auf temperaturabhängige Prozesse wie Schneedeckenaufbau oder die klimatische Eignung für Pflanzen und ganze Ökosysteme aus. Dies sind die Auswirkungen, die wir auch mit unseren Sinnen wahrnehmen können.
Abbildung 2-1: Verlauf der Abweichung der österreichischen Mitteltemperatur bezogen auf das Mittel von 1901 bis 2000. Die Erwärmung der letzten 150 Jahre ist in Österreich deutlich stärker ausgeprägt als im globalen Mittel. Dies liegt daran, dass regionale Temperaturanomalien stärker sein können als globale. Zudem war zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa eine besonders kühle Phase vorherrschend. 2
Vielen Menschen fällt auf, dass sich die Jahreszeiten nicht mehr so verhalten, wie man es von früher gewohnt war beziehungsweise wie man glaubt, dass es sein sollte. Im Winter bildet sich im Flachland und in den alpinen Tallagen häufig keine geschlossene Schneedecke mehr aus. Im Frühjahr beginnt die Vegetation deutlich früher mit dem Wachstum. Oft kommt es schon im April, spätestens im Mai, zu ersten Hitzewellen, bei denen sogar Temperaturen um 30 Grad erreicht werden. Starke Hitzebelastungen während mehrerer Tage, die es früher nur während der „Hundstage“ zwischen Mitte Juli und Mitte August gab, beginnen bereits im Juni, dauern oft bis in den September hinein und treten immer häufiger auf. Am Jahresende konnte man zuletzt häufig beobachten, dass die ersten starken Fröste erst im Dezember auftreten und damit die Vegetationsperiode bis weit in den Advent hinein reicht. Bei den Wiener Adventmärkten konnte man neben den Punschhütten noch den grünen Rasen sehen.
All diese Veränderungen hängen mit der globalen Erwärmung zusammen. Die Temperaturänderungen von Monat zu Monat in den Übergangsjahreszeiten im Frühjahr und Herbst betragen etwa 4 bis 5 Grad. Im Sommer und Winter sind sie deutlich geringer: Der Jänner ist etwa um 1,5 Grad kälter als der Dezember und der Juli und August sind um etwa 2 Grad wärmer als der Juni. Die Erwärmung von 1,5 Grad entspricht damit in den Übergangsjahreszeiten etwa einer zeitlichen Verlagerung im Jahresgang von zehn Tagen, während die heutigen Jänner so warm wie früher die Dezember und die Junis beinahe so warm wir früher die heißesten Monate des Jahres sind.
Die Verschiebung der Jahreszeiten kann auch objektiv durch Messungen belegt werden. Von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) werden systematisch sogenannte „phänologische“ Beobachtungen gesammelt. Dabei werden spezifische Pflanzenstadien (z. B. Austrieb, Blühbeginn, Fruchtreife) beobachtet und das Datum des Auftretens aufgezeichnet. Die Apfelblüte etwa setzt heute im Mittel circa zwei Wochen früher ein als noch vor 40 Jahren. Damit hat sich der Beginn der Apfelblüte von der zweiten Aprilhälfte in die erste Aprilhälfte verlagert. Dies war auch eine Mitursache für die schweren Frostschäden, die es in Österreich in den Jahren 2016 und 2017 gab. Ungewöhnlich warme Temperaturen im März und Anfang April führten zu einem frühen Vegetationsbeginn bei vielen Obstkulturen und auch bei Wein. Bei Kaltlufteinbrüchen jeweils um den 20. April traten dann Tiefsttemperaturen bis zu minus 5 Grad auf und verursachten große Schäden. Zwar kommen derart tiefe Temperaturen zu dieser Zeit im Jahr aufgrund der Erwärmung deutlich seltener vor, jedoch ist die Verschiebung des Vegetationsbeginns stärker ausgeprägt. In diesen beiden Jahren handelte es sich auch um das Zusammentreffen zweier seltener Ereignisse, nämlich früher Vegetationsbeginn und schwerer Frost in der zweiten Aprilhälfte. Wie sich das Spätfrostrisiko verändert, kann daher nicht generell gesagt werden, sondern hängt von der Obstkultur und dem jeweiligen Standort ab.
Abbildung 2-2: Entwicklung der Apfelblüte in Österreich. Seit Mitte der 1980er-Jahre tritt die Apfelblüte in Österreich immer früher auf und die Verschiebung beträgt nun bereits rund zwei Wochen. 3