Читать книгу Sternenstaub für Afrika - Helga Schneider - Страница 4
Meine Kindheit
ОглавлениеEs ist ein lauer Sommerabend. Die Luft ist zart wie Seide und der Nachthimmel ist klar und strahlend hell, er hat heute alle Sterne sichtbar gemacht. Ich sitze auf meinem wunderschönen Balkon und schaue entspannt in diesen wunderschönen Sternenhimmel. Unter mir plätschert unser Dorfbach, der direkt unter meinem Balkon dahinfließt, dieses plätschernde Geräusch ist wie ein sanftes Streicheln für mich.
Und ich sehe auch in der Dunkelheit die Umrisse unseres Waldes, der ganz in meiner Nähe beginnt, man kann ihn manches Mal riechen.
Wenn ich nun so in die Nacht hinein träume, erfüllt mich große Dankbarkeit. Der liebe Gott hat es trotz schwerer Zeiten in meinem Leben doch gut mit mir gemeint. Er hat mir immer wieder seine Hilfe und Gnade zuteilwerden lassen, so, dass ich heute mit meinen 80 Lebensjahren ein ganz zufriedener Mensch bin.
80 gelebte Jahre, da gehen meine Gedanken zurück in das Jahr 1934. Am 9.9.1934 wurde ich geboren. Die ersten Lebensjahre kenne ich nur aus den Erzählungen meiner Mutter, die allerdings nun auch schon 45 Jahre tot ist.
Meine Mutter hatte schon in der Schwangerschaft große Probleme mit mir. Sie musste von den 9 Monaten leider 7 volle Monate das Bett hüten, sonst würde es mich heute nicht geben und als dann endlich die Geburt anstand, da kam das nächste Malheur, denn ich kam natürlich nicht so auf die Welt, wie man es von einem Baby erwartet.
Ich hatte mir ausgedacht, dass ich weder mit dem Kopf, noch mit den Füßen zuerst Mamas Bauch verlassen wollte, sondern ich entschied mich für eine Steißgeburt. Meine arme Mutter musste auch das noch ertragen und da das Ganze im elterlichen Schlafzimmer stattfand, war das kein Spaß.
Aber unter der Mithilfe unseres doch schon sehr betagten Dorfarztes hatte zum guten Schluss doch alles seine Ordnung.
Meine ersten Lebenswochen gestalteten sich schon schwierig, denn es wurde schnell klar, dass ich weder Muttermilch noch Kuhmilch trinken wollte, ich habe sie wohl nicht vertragen und keiner wusste warum.
Mama probierte es dann in ihrer Verzweiflung mit Ziegenmilch und siehe da, das war für mich ein Volltreffer. Nun muss man aber wissen, dass es zur damaligen Zeit noch keinen Supermarkt gab in dem man einfach diese Ziegenmilch hätte kaufen können. In unserem kleinen Dorf gab es ein halbes Dutzend Kleinbauern, die einige Ziegen hielten.
Mama ging nun täglich mit einem kleinen Milchkännchen reihum und besorgte mir so meine Nahrung. Diese Ziegenmilch habe ich übrigens über viele Jahre getrunken, feste Nahrung kam für mich in den ersten 5 Lebensjahren nicht in Frage.
Meine Mutter hatte große Sorge mich gesund groß zu ziehen.
Ich war ein kleines, dünnes, leichtgewichtiges Mädchen, trotzdem aber flink wie ein Wiesel.
Später hat dann eine Kinderärztin festgestellt, dass ich schwer schilddrüsenkrank war. Eine von Geburt an schwere Überfunktion war schuld an diesem Dilemma. Man hat mir dann Hormone verpasst, die ich heute noch einnehme und Mama war beruhigt.
Da meine Mutter aber vor dieser Diagnose nicht wusste, warum ich nicht essen wollte, ging sie davon aus, dass ich einen Trotzkopf habe, das wollte sie ändern.
Meine Eltern waren streng katholisch und mein Vater war der Küster, also immer in seiner kargen Freizeit für die Belange der Kirche und des Pfarrers da.
Sonntags, nach dem Hochamt kam dann immer der Pfarrer zu uns nach Hause und hat bei uns gefrühstückt. Er war ein Mann von respektabler Größe und machte in seinem schwarzen langen Priestergewand wirklich enormen Eindruck auf mich.
Eigentlich hatte ich vor ihm Angst, aber er war immer lieb zu mir.
Es gab damals ein Nahrungsmittel der Firma Nestle - davon hatte Mama eine Dose besorgt und mir einen Brei gekocht, ich war damals 2 Jahre alt und nun sollte der Pfarrer mir diesen Brei füttern.
An dieses Drama erinnere ich mich heute noch.
Der Pfarrer griff nach mir und setzte mich auf seinen Schoß. Er sagte, so kleine Helga, nun zeigen wir mal dem lieben Gott, wie schön Du essen kannst. Weißt Du, er schaut uns nämlich zu. Mama und Papa haben auch zugeschaut.
Und dann nahm der Pfarrer einen großen Löffel und schöpfte damit diesen hässlichen braunen Brei aus dem Teller und stopfte mir das Ganze in den Mund.
Ich war so überrumpelt, dass ich gar nicht protestieren konnte, und habe das Ganze geschluckt, doch sofort kam die nächste Ladung, ich hatte gegen den Pfarrer keine Chance. Irgendwann hatte ich mich dann gefasst und fing an mich zu wehren. Ich machte den Mund nicht mehr auf und strampelte wie verrückt, bis der Pfarrer mich wieder auf den Boden stellte.
Ich hörte noch Mama sagen: na Gott sei Dank, nun hat die Kleine doch wenigstens mal ein paar Löffel feste Nahrung probiert. Danke Herr Pfarrer für ihre Geduld.
Aber da befand sich der Brei schon nicht mehr in meinem Magen, sondern auf dem Küchenboden, wo er meiner Meinung nach auch hingehörte.
Mama hat nie wieder Nestlé-Brei gekocht. Dieser Sieg ging klar an mich.
Dem Pfarrer bin ich wochenlang aus dem Weg gegangen.
Das kommende Weihnachtsfest brachte für mich viele schöne Überraschungen. Mein Vater stellte nebenberuflich in einer kleinen Dachwerkstatt Spielzeug her und außerdem reparierte er auch Schuhe. Er war sehr begabt und fleißig. Er hatte für mich eine Puppenküche und ein Riesenrad für meine Puppen gebastelt und Mama hat das ganze liebevoll eingerichtet. Kleine Gardinen, Deckchen und kleine gehäkelte Teppiche und dies alles hat natürlich das Christkind gebracht.
Es kam immer persönlich in einem wunderschönen langem weißen Kleid und einem Schleier mit goldener Krone. Ich liebte das Christkind. Es gab dann auch noch aus Schokolade ein wunderschönes Schaukelpferdchen in Goldpapier eingewickelt.
Da hatte Mama die Hoffnung, dass ich endlich mal ein Stück Schokolade essen würde. Aber das Pferdchen war unsterblich, da war nichts zu machen. Kurz vor Ostern musste dann etwas passieren, Mama hatte große Sorge, dass sie Schokolade ungenießbar würde. Meine Oma lebte auch noch bei uns in der Wohnung und sie war es, die wiedermal den Pfarrer auf den Plan rief. Er sollte mir das Pferdchen schmackhaft machen, indem er das Pferdchen hinfallen ließ, dann würde ich ja wohl die Schokolade probieren.
Der Pfarrer kam wie üblich zum Frühstück und dann bewunderte er mein Schaukelpferd. Ich brachte es ihm ganz arglos an den Tisch.
Er nahm es in die Hand, hob es hoch und ließ es fallen. Es knirschte schrecklich und als ich sah, dass mein Pferdchen kaputt war, brach ich in Tränen aus, ich konnte mich nicht beruhigen. Mama nahm mich auf den Schoß und sagte zu mir, warte noch ein bisschen, dann bringt Dir der Osterhase ein neues Pferdchen.
Ich wollte aber kein anderes haben, auf einmal überkam mich ein wilder Zorn und ich schlug mit meinen kleinen Händen auf den Pfarrer ein und schrie ihn an, geh fort, ich hasse Dich, diese Redewendung hatte ich irgendwo aufgeschnappt, du böser Pfarrer, du hast mein Schaukelpferd kaputt gemacht, hau ab. Das Ende dieser Geschichte war die Tatsache, dass ich den Pfarrer nicht mehr leiden konnte und
Mama die Schokobröckchen selbst essen musste. Das alles hat mir dann auch sehr leid getan, denn ich habe noch lange um mein Pferdchen geweint. Für mich war dies das erste Mal, dass Erwachsene mir weh getan hatten und das habe ich mir gemerkt.
Als ich ungefähr drei Jahre alt war, musste ich mit Mama das erste Mal zum Zahnarzt. Daran erinnere ich mich noch ganz genau. Wir hatten einen Fußweg von ca. 2,5 km. Da ich mit meinen kleinen Beinen noch nicht so weit laufen konnte, setzte Mama mich auf den Gepäckträger ihres alten Fahrrades, das sie dann geschoben hat, damit ich nicht runtergefallen bin. In den Arbeiterfamilien gab es damals keine Kindersitze, diese hatten nur besser gestellte Familien. Als wir dann in der Zahnarztpraxis waren, wollte ich sofort wieder umdrehen, es roch dort so komisch, ich hatte Angst. Der Zahnarzt war ein älterer Mann, der eigentlich ganz lieb aussah, aber er sah in seinem weißen Kittel auch gefährlich aus, ich ahnte nichts Gutes.
Er hob mich auf diesen komischen hohen Stuhl und sah mir in den Mund. Oh weh, kleine Helga, da müssen wir zwei Zähnchen ziehen, damit du keine Zahnschmerzen mehr hast. Ich wusste ja nicht, was Zähne ziehen bedeutet, aber Mama sah sehr besorgt aus. Der Zahnarzt kam zu mir und legte mir ein weißes Tuch über das Gesicht und sagte zu mir, so Helga, nun wirst du ein bisschen schlafen und danach ist alles wieder gut. Auf einmal merkte ich, dass er irgendetwas auf das Tuch schüttete, das stank ganz schlimm und ich wollte ganz schnell runter von diesem Stuhl. Aber es war schon zu spät, ich rutschte ins Land der Träume, Mama erzählte mir dann später, dass es Chloroform war, was der Zahnarzt mir so verabreicht hatte. Ja, so sahen damals die Narkosen aus. Als ich dann wieder wach wurde, habe ich gemerkt, dass meine Zähnchen weg waren und mein Mund blutete. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei einem Doktor so schlimm behandelt wurde. Da flossen dann aber die Tränen. Erstens tat mir der Mund weh und zweitens hatte ich jetzt eine Lücke in meinem Gebiss, so klein ich auch noch war, ich fand es schrecklich. Mama hat mir dann auf dem Heimweg erzählt, dass dies bei Kindern die Milchzähne sind, die alle ausfallen werden und dass dann neue Zähne wachsen und so sagte sie, wenn man dann die Zähne schön putzt, hat man sie ein ganzes Leben lang. Ich habe danach jeden Tag auf die neuen Zähne gewartet, aber wie man weiß, passierte erst mal nichts.
Auf unserem Heimweg kamen wir an einem kleinen Spielzeugladen vorbei. Mama sagte zu mir, Helga, du warst sehr tapfer beim Zahnarzt, dafür darfst du dir jetzt ein kleines Spielzeug zur Belohnung aussuchen. Sie stellte mich vor ein Regal mit kleinen Püppchen und Holztieren, denn große Geldbeträge hatte sie ja nicht zur Verfügung. Da stand ein kleines Holzpferdchen, es war weiß und grau und es hatte vier rote Räder und eine Schnur zum Ziehen. Dieses Pferdchen wollte ich unbedingt haben und Mama hat es mir gekauft. Auf der Straße habe ich dann das Pferdchen hinter mir her gezogen und ich war so stolz, dass ich den ganzen restlichen Heimweg zu Fuß getrippelt bin. Mit dem Pferdchen, war das gar kein Problem. Ich musste später noch einige Male wegen den Milchzähnchen zum Zahnarzt und Mama gab mir jedes Mal das Pferdchen mit auf den Weg. Zwei oder drei Mal hat das ganz gut geklappt, aber dann wusste ich, wenn Mama das Pferdchen einpackt, muss ich zum Zahnarzt und da gab es dann immer Krieg. Es ist dann auch schon mal passiert, dass Mama mir eine runter gehauen hat, danach setzte ich wie immer meinen berühmten Dickkopf auf, aber es half nichts, ich musste trotzdem zum Zahnarzt.
Als Mama an einem Sonntag zu mir sagte, ich dürfe nun mit ihr in die Kirche gehen, weil ich ja jetzt ein großes Mädchen sei, da war ich ganz aufgeregt, denn in der Kirche war ich noch nie gewesen.
Mama zog mir mein Sonntagskleid und die weißen Lackschuhe an, die passende Schleife steckte sie mir ins Haar.
Ich war mächtig stolz. Wir saßen auf der Empore in der ersten Reihe und ich konnte alles schön überblicken. Ich sah auch meinen Papa am Altar stehen, der einem Mann ein buntes Gewand reichte, wie gesagt, Papa war ja Küster. Das machte mich ganz stolz.
Auf einmal drehte sich der Mann in dem bunten Gewand um und ich sah mit Entsetzen dem Pfarrer ins Gesicht. Ich rief ganz laut in die Stille der Kirche: da Mama, guck, der da hat mein Schockelgäulchen kaputt gemacht. Mama kriegte einen roten Kopf und hielt mir den Mund zu. Die Gläubigen in der Kirche mussten lachen und auch der Pfarrer hat geschmunzelt. Mir war aber die Lust am Kirchgang vergangen und ich wollte sofort nach Hause.
Mama hat mich dann auch heimgebracht.
Es war schon zu meiner frühesten Jugend eine echte Untugend von mir, immer alles lautstark zu sagen, was ich gedacht habe, wenn man mich dafür rügte, stand mein Trotzkopf auf dem Programm.
Unser Dorf zieht sich mit einer Hauptstraße ca 3 km durch die Landschaft, links und rechts sind noch einige Gärten und Wiesen und da fließt noch unser Dorfbach, der den schönen Namen "Goldbach" hat. Aber dann geht es links und rechts in die Höhe bis zum Wald, der unseren Ort wunderschön einrahmt. Wenn man von der Höhe hinunter sieht, liegt Vockenhausen in einer Schneise. Einige Geschäftsleute und wohlhabende Bürger hatten dann ihre Häuser am Hang, aber die meisten Gebäude befanden sich rechts und links der Dorfstraße, ebenso die Geschäfte. Einmal im Jahr, Ende Juli hatten wir in Vockenhausen "Kirmes". Damals war das noch ein großes Ereignis. Nur einen richtigen Kirmesplatz hatte das Dorf nicht, es war alles zu schmal. Es gab einige enge kleine Nebenstraßen und eine kleine Brücke am Bach. Nun wurde das Karussell, es war immerhin doppelstöckig, halb auf diese Brücke und halb auf die Hauptstraße gestellt. Heute wäre das lebensgefährlich, damals hat man sich arrangiert, es fuhren ja auch nicht so viele Autos. Pferdefuhrwerke und Heuwagen brauchten aber auch ihren Platz. Wenn dann das Karussell in Betrieb war, mussten umstehende Personen, die teilweise auf der Straße standen, oft zur Seite springen, wenn ein Fahrzeug kam. Entlang der nicht so breiten Hauptstraße gab es dann noch drei Buden, die ja auch auf der Straße standen, eine Schießbude, eine Süßigkeitenbude und eine Losbude. In einer Nebenstraße war dann noch eine kleine Schiffsschaukel, eine große hatte keinen Platz. Als drei oder dann auch vierjähriges Mädchen fieberte ich schon immer dieser Kirmes entgegen. Bei uns daheim wurde dann immer Kuchen gebacken und alleine das war schon immer ein Riesenspektakel. Mama und Oma mengten morgens Unmengen von Teigen. Hefeteig und Mürbeteig und Schokoladenteig. Dann wurden große und kleine Kuchenbleche mit Teig belegt und dann gab es als Belag Pflaumen und Äpfel mit Zucker und Zimt und Schokoladenstückchen mit Rosinen. Das waren so gute Gerüche, ich habe das geliebt. Allerdings habe ich damals den Kuchen noch gar nicht gegessen, ich hatte ja meine Ziegenmilch, aber ich hatte meine Freude an der ganzen Sache. Die Bleche mit den Teigen wurden dann zum Bäcker gebracht. Alle Dorfbewohner schleppten ihre Kuchen zum Bäcker, dort wurden sie im Hof gestapelt und nach und nach gebacken.
Nachmittags waren sie dann fertig gestellt und wurden wieder nach Hause geholt. Mama und Papa haben sich dann immer gefreut, denn es gab dann am Samstag "Nachmittagskaffee" und Oma servierte von den Kuchen die Randstückchen. Diese sollten am Sonntag nicht dem Besuch hingestellt werden. Wenn dann der Kirmes-Sonntag da war, gab es für mich mein schönstes Kleidchen was ich hatte, viel Garderobe hatte ich ja nicht. Für meine Haare gab es zur Feier des Tages eine Schleife. Besuch zum Kaffee bekamen wir dann von zwei Tanten, auch mal eine Bekannte von Mama, die sogar von Frankfurt angereist kam.
Der Tisch hatte dann eine steif gestärkte weiße Tischdecke und es wurde mit Mamas Hochzeitsporzellan eingedeckt und dann kamen die Teller mit den Kuchenstücken und echten Bohnenkaffee, den gab es sehr selten.
Ich musste dann immer brav mit am Tisch sitzen und fand das eigentlich langweilig, aber ich wusste, nach dem Kaffeetrinken darf ich zum Karussell und dafür bekam ich dann mein "Kirmesgeld" auch vom Besuch kam was rüber.
Mein kleines rotes Geldbeutelchen enthielt dann schon einige Groschen. Eine Fahrt mit dem Karussell oder der Schiffsschaukel kostete damals 10 Pfennige (1 Groschen).
Am Abend sind Mama und Papa mit mir noch einmal zum sogenannten Festplatz gegangen, da war dann überall schöne, bunte Beleuchtung und gegenüber von den Buden waren unsere 2 Dorfgasthäuser, aus denen "Tanzmusik" erklang, das war alles so zauberhaft. Mama kaufte dann eine Tüte Magenbrot und einige "Mohrenköpfe" von denen ich tatsächlich mal einen versucht habe aber nur ein bisschen. Mama war selig, das hatte sie nicht erwartet. Dann musste ich nach Hause zu Oma und meine Eltern gingen zum "Kirmes-Tanz". Papa war ja bei der Feuerwehr und dann saßen alle zusammen mit den Wehrkameraden und den Ehefrauen und hatten einen schönen Abend.
Wenn uns Kindern nun das Kirmesgeld ausging, da waren wir ganz clever. Den Männern, die während der Fahrt die Groschen kassierten, fiel auch öfter mal einer runter und rutschte unter das Karussell. Wir Kinder krochen dann auf dem Bauch unter den Karussellboden und suchten nach den Geldstücken. Wir haben auch oft welche gefunden. Das Abenteuer war ein bisschen gefährlich, aber das war uns egal.
Es gab ja auch noch den hohen Kirmesbaum, der stand direkt gegenüber von unserer Wohnung, oben in der Spitze hing der "Kerbe-Schorch". Die jungen Burschen, die dann sonntags den Festzug gestalteten, zogen mit der Musikkapelle durch das ganze Dorf und wir Kinder liefen dann immer hinterher. An zwei aufeinander folgenden Sonntagen wurde die Dorf-Kirmes gefeiert und danach wurde dann montags am Abend der Kerbebaum eingeholt und der Schorch wurde "beerdigt", da versammelte sich nochmals das halbe Dorf. Es gab einige Reisigfeuer, die dann den Nachhimmel erhellten und es wurde noch getanzt und getrunken. Dann dauerte es wieder ein ganzes Jahr bis zur nächsten Kirmes.
Mein Urgroßvater väterlicherseits war Franzose. Die Familie stammte aus dem Elsass und wenn ich so trotzig war, dann sagte Papa immer zu mir, du kleiner Franzosendickkopf. Vielleicht hatte er recht.
Ich sollte vielleicht an dieser Stelle erwähnen, dass meine Eltern sehr arm waren. Sie waren fleißig und rechtschaffen und auch in unserem Dorf sehr beliebt, aber Reichtümer konnten sie nicht erwerben.
Papa war Gerber und stand in der Lederfabrik im fließenden Wasser und bearbeitete die großen Tierhäute. Diese Arbeit war für den kleinen Mann, der 70 kg wog, viel zu schwer. Er wurde dann auch bald sehr krank.
Er litt an schwerem Ischias und hatte fortan nur noch Schmerzen.
Aber er hat sich nie beschwert.
Mama hatte im Dorf drei Familien, in denen die Hausfrauen besser betucht waren. Da hat Mama einmal die Woche die Wäsche gewaschen.
So ein Waschtag war früher härteste Fron. Waschkessel heizen, Wäsche kochen und dann in einer großen Zinkwanne mit Waschbrett und Bürste bearbeiten, danach im Bach ausspülen und dies einige Male, dann auf die Wiese bringen zum Bleichen. Nach der weißen Wäsche kam dann noch die bunte Wäsche, das Waschwasser wurde gut genutzt.
So ein Waschtag dauerte von frühmorgens bis spät am Nachmittag. Mama bekam für diese schwere Arbeit 25 Pfennige die Stunde. Auch Mama wurde später sehr krank, sie bekam offene Tuberkulose, aber davon möchte ich später noch erzählen.
Wenn meine Eltern auch nicht viel Geld zur Verfügung hatten, so hatten wir nie Hunger und waren auch immer ganz gut gekleidet.
Unsere 2-Zimmerwohnung war sauber und praktisch eingerichtet.
Was viele Häuser damals noch nicht hatten, war bei uns schon vorhanden. Es gab ein Bad. Unsere Mietwohnung gehörte einem Geschäftsmann und er hatte das Bad ausbauen lassen. Das war purer Luxus.
Es gab in unserer Wohnung eine große Küche mit einem vorderen Wirtschaftsteil und durch einen späteren Anbau des Hauseigentümers, einen hinteren Wohnteil. Durch diesen Anbau gab es ja auch das Bad. Die zwei Zimmer waren nicht sehr groß. Von der Küche aus betrat man das kleinere Zimmer, das Oma bewohnte. Von Omas Zimmer ging es dann eine kleine Treppe (drei Stufen) hoch, zum 2. Zimmer. Das war das Schlafzimmer meiner Eltern. Mein Kinderbett stand von Anfang an bei Oma im Stübchen, sonst gab es dafür keinen Platz.
Alle Möbel in unserer Wohnung waren handgearbeitet, denn ein Cousin meiner Mama war Schreiner.
Unser Hausherr, der den dörflichen Lebensmittelladen neben unserer Wohnung führte, war ebenso ein Cousin.
In unserer Wirtschaftsküche gab es einen hohen Küchenschrank, der in den oberen Glastüren schöne, kleine, bunte Gardinen hatte. Daneben war eine sogenannte Anrichte, ein halber offener Schrank bei dem an der Vorderseite zwei Vorhänge angebracht waren. In diesem Schrank waren Töpfe und Pfannen abgestellt und in der Mitte des Raumes stand unser Tisch mit 4 Stühlen. An der Wand stand ein mächtiger Eisenherd, den Papa silbern gebronzt hatte, ich sehe diesen Herd heute noch vor mir.
Es gab noch ein riesengroßes Spülbecken aus weißem Porzellan und eine Holzkiste, die das Feuerholz enthielt.
Im hinteren Teil der Küche war auch noch ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Blumenbank und ein Sofa für Papa‘s Mittagsschläfchen, wenn er denn da war. Der hintere Küchenteil hatte zwei große Fenster. Die Gardinen dafür hatte Mama selbst gehäkelt, sie waren wunderschön. Die Wände waren damals mit Ölfarbe gestrichen, das war so üblich. Der Fußboden hatte Linoleum-Belag und wurde von Mama immer gewachst und gebohnert. Alles in allem war dies ein gemütliches zu Hause und gerade am Samstag, wenn Mama den Boden gewachst hatte, dann roch das gut eben wie zuhause.
In Omas Zimmer gab es dunkle Nussbaummöbel. Da war das riesige Bett mit vier großen geschnitzten Holzkugeln an den beiden Bettpfosten und dazu das passende Nachtschränkchen an der Seite dann stand ein zweitüriger Kleiderschrank, vis-a-vis davon gab es eine Kommode neben der mein Bettchen stand und an der Stirnseite des Zimmers stand ein Vertiko das ist eine Holzkommode mit einem Aufsatz zum Stellen kleiner Figuren. Ein kleiner Ofen und ein Stuhl vervollständigten die Einrichtung und es gab auch noch eine wunderschöne, geschnitzte Wanduhr. Oma hat mir später erzählt, dass sie in ihrer Jugend bis zur Heirat mit Opa in einen Dr. Haus als Hausmädchen gearbeitet hat, und zur Hochzeit hatte ihr das Arztehepaar diese wunderschönen Möbel geschenkt, aber dafür hatten sie für Oma keine Rentenbeiträge bezahlt, so war das damals. Oma hatte dann keine Rente.
Mamas Schlafzimmer hatte hellere Möbel es war ein ganz normales Schlafzimmer, wie sie damals Mode waren, ein Doppelbett mit zwei Nachtschränkchen, vor den Betten zwei Polsterstühle, an der Seite waren zwei große Fenster darunter eine kleine Liege, es gab einen dreitürigen Kleiderschrank und einen so genannten Waschtisch mit einer Marmorplatte. An der Decke hing eine wunderschöne gelb marmorierte Lampe, die Lampenschale hing an goldenen Kordeln, diese Lampe verbreitete ein zauberhaftes Licht. Ich habe als Kind diese Lampe immer angeknipst und in das Licht geschaut, da habe ich immer vor mich hin geträumt.
Über den Betten meine Eltern hing nicht wie üblich ein großes "Kitschbild". Nein, das wollte Papa nicht haben. Er hat ein schönes Kruzifix geschnitzt und dieses Kruzifix hängt heute noch über meinem Bett. So kann man immer mit dem lieben Gott reden, er ist ja da.
Was aber die Liebe und Fürsorge für mich betraf, hatte ich die allerbesten Eltern der Welt, da war Geld gar nicht so wichtig.
Auch Oma kümmerte sich liebevoll um mich, ich war ja ihr einziges Enkelkind.
Ich habe es Oma nicht immer leicht gemacht, denn sie hatte wehe Beine und konnte nur ganz schlecht laufen, das habe ich gnadenlos ausgenutzt, indem ich ihr immer weggelaufen bin.
Wenn Mama gearbeitet hat, dann setzte sich Oma immer bei einbrechender Dämmerung mit mir an den großen Eisenherd in unserer Küche. Sie öffnete das Ofentürchen, so dass wir in die Glut schauen konnten.
Und dann hatte sie immer noch zwei Bratäpfelchen in der Glut, das war paradiesisch. Ich hatte ja inzwischen gelernt, neben der Ziegenmilch auch etwas Nahrung zu mir zu nehmen und so ein Äpfelchen mit Zucker und Zimt war einfach der Hit. Oma saß auf dem Küchenstuhl vor dem offenen Herdfeuer und ich saß zu ihren Füßen auf einem kleinen Fußschemelchen. Ich legte dann meinen Kopf in Oma's Schoß und sie las mir dann ein Märchen vor, ach war das schön.
Daran erinnere ich mich noch heute.
Wenn meine Eltern dann von der Arbeit kamen, gab es erst viele Küsschen für mich und dann für alle Abendessen.
Oma hatte natürlich auch gekocht. Wenn ich dann eine Kartoffel oder ein bisschen Reis gegessen habe, war das schon ein großer Fortschritt, dazu trank ich meine Milch und Mama war zufrieden. Nach dem Essen ging Papa noch auf den Speicher in seine kleine Werkstatt, da nahm er mich auf den Arm und ich durfte noch mit ihm gehen. Wenn er dann Schuhe flickte oder Spielzeug baute, schaute ich ihm fasziniert zu. Bei Papa zu sein, war für mich das Größte. Später brachte mich Papa zusammen mit Mama noch zu Bett. Wir haben dann gebetet und ich wurde noch einmal von beiden in den Arm genommen. Ich wurde geliebt und ich wusste das, so klein ich auch war. Deshalb war ich auch ein glückliches Kind, nicht jeder hatte so tolle Eltern und eine so liebe Oma. Leider war da bei aller Harmonie mein elender Dickkopf, der dann Oma und Mama auch öfters ratlos und traurig gemacht hat.
Mit drei Jahren kam ich in den Kindergarten. Hier musste ich dann lernen zu gehorchen und auch mit anderen Kindern auszukommen.
Das habe ich ganz gut geschafft. Da ich keine Geschwister hatte, war das Spiel mit anderen Kindern eine gute Erfahrung für mich.
Damals war es in den Kindergärten üblich, dass die Kinder auf kleinen Holzstühlchen an langen Tischen saßen.
Die Tante Margarethe ging dann reihum und teilte Spielzeug aus. Jedes Kind bekam eine Portion Bauklötzchen, damit wurde dann gespielt.
Wenn dann der Nachbar schönere Teile hatte, dann wurde auch getauscht. So klappte dann meist auch die Kommunikation untereinander.
In unseren Kindergarten kam auch mal ein Fotograf, der uns Kinder im Auftrag der Eltern fotografieren sollte. Nun hatte der Kindergarten bei dem Spielzeug das ja gestellt wurde, auch eine Puppe.
Diese Puppe fand ich so hässlich, dass ich sie niemals in den Arm genommen hätte, da waren meine Puppen zu Hause viel schöner, die hatte ja auch Mama für mich gekauft.
Als der Fotograf da war, mussten wir Kinder uns aufstellen und dann immer einzeln auf einem Stuhl sitzen zum Fotografieren.
Damit alles ein bisschen schöner aussehen sollte, drückte Tante Margarete jedem Kind diese hässliche Puppe in den Arm.
Als ich dann auf diesem Stuhl saß, geschah dies bereits unter stillem Protest, ich mochte diesen Mann nicht, der bei jedem Bild unter einem schwarzen Tuch verschwand und dann knallte es immer so komisch, das machte mir Angst.
Aber als dann die Tante mit der hässlichen Puppe ankam, da war ich schneller vom Stuhl gerutscht als sie schauen konnte.
Ich schrie, ich will diese hässliche Puppe nicht, ich will meinen Teddybär, den hab ich lieb.
Natürlich wurde ich wieder auf den Stuhl gesetzt und das ziemlich unsanft, aber es war nichts zu machen ich hielt die Arme vors Gesicht und habe geschrien, wie am Spieß.
Die Erziehungsqualitäten der Kindergärtnerin hatten hier ihr Ende. Zum Schluss durfte ich meinen Teddy "Donald" auf den Schoß nehmen und der ungeliebte Fotograf konnte endlich auch von mir ein Bild machen. Mein Gesichtsausdruck auf der Fotografie sprach allerdings Bände.
Ich hatte mal wieder meinen Dickkopf durchgesetzt. Ich war übrigens das einzige Kindergartenkind, das seinen Teddy mit in den Kindergarten brachte, das hatte Mama mit der Erzieherin so besprochen, denn ohne Teddy wäre ich gar nicht dahin gegangen.
Ich habe den Erwachsenen schon manches Mal große Probleme bereitet, so war ich eben.
Eigentlich ging ich gerne in den Kindergarten, aber als ich dann ein bisschen älter war, wurde mir das alles zu langweilig.
Ich wollte unbedingt in die große Schule gehen und lesen und schreiben lernen. Von Oma hatte ich bereits einige Kenntnisse erworben, ich konnte mit knapp vier Jahren das kleine Einmaleins und auch einige Buchstaben vom ABC. Nun waren in unserem Schulgebäude 3 Klassenräume. Die obere Einrichtung im ersten Stock war der Kindergarten. Im Parterre gab es zwei große Klassenzimmer. In einem wurden die Schuljahre 1-4, Buben und Mädchen unterrichtet und im nächsten Raum dann die Schuljahre 5-8. Das war für die Lehrer nicht immer so einfach, aber die Zeiten waren damals so. Ein großer Schulhof war für alle Kinder da, vom Kindergarten bis zur 8. Klasse waren in den Pausen alle versammelt. Aber ich wollte unbedingt zu den großen Schülern. Am Pausenende hatte der Lehrer eine Trillerpfeife, er pfiff und die Schüler stellten sich in 2-er Reihen auf. Da kam meine große Chance. Ich mischte mich einfach unter die Schüler der ersten Klassen und marschierte mit zum Lehrer ins Klassenzimmer, der hatte nicht schlecht gestaunt.
Er sagte zu mir, Helga, du bist verkehrt einmarschiert, der Kindergarten ist oben, warte, ich bringe dich hin. Nein habe ich gesagt, ich möchte gerne in die große Schule gehen. Ich will lernen. Ich wurde dann aber trotz aller Proteste doch wieder im Kindergarten abgeliefert und war dann den ganzen Tag sauer.
Diese Praktiken habe ich noch ein ganzes Jahr angewandt, immer wieder.
Dieses Hin und Her zwischen Kindergarten und Schule nervte den Lehrer.
Er sagte zu meinen Eltern, dass er in Absprache mit dem Schulrat beschlossen habe, mich kommende Ostern mit einzuschulen. Ich war zwar erst 5 Jahre alt, aber man wollte es mit mir versuchen, wenn ich den Lehrstoff der Erstklässler schaffen würde, dann wäre ja alles gut.
Mein Vater wollte nicht so recht an die Sache ran, weil ich ja körperlich so klein und leicht war, auch hatte ich immer noch meine Flasche Ziegenmilch dabei, davon ließ ich nicht ab.
Aber dann hat Papa mir einen schönen Lederranzen genäht, ich bekam eine Schiefertafel und einen Holzgriffelkasten mit Milch- und Schiefergriffeln, so nannte man damals die Schreibgeräte. Auch Lese- und Rechenbuch hat Mama mir besorgt. Ich war überglücklich.