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Oma und die Lohntüte
ОглавлениеMeine Oma war der "stille Chef" in unserer Familie. Sie hatte alles im Griff. Die Finanzen, die ja nicht üppig waren, verwaltete sie, Mama und Papa akzeptierten das. Papa lieferte jeden Freitag bei Oma die Lohntüte ab, das Geld kam in einen Zigarrenkasten und dann gab es noch das Haushaltsbuch, das aus einem Schreibheft bestand. Alles, was in der Woche an Ausgaben anfiel, wurde auf den Pfennig genau eingetragen und Oma wusste auch, was ausgegeben werden konnte, manche Woche war etwas üppiger, und ein anderes Mal war das Geld halt knapper, danach richtete sich auch der Speiseplan.
Bei knapper Kasse mussten die Vorräte aus dem Keller herhalten. Jeden Sonntag bekam Papa von Oma "Taschengeld" einmal 2,50 Reichsmark für Tabak das müsste reichen, und dann gab es nochmals 2,50 Reichsmark für den Sonntagsspaziergang. Meine Eltern gingen sonntags mit mir in das benachbarte Eppstein, das waren zweieinhalb Kilometer Wegstrecke, die man aber gemütlich hinter sich brachte. Unter der Burg gab es ein Gartencafe, das war das Ziel für den Sonntagnachmittag. Mama und Papa trafen Bekannte und man plauderte entspannt, denn man war ja mal ohne Arbeit. Papa trank meistens Apfelwein mit Selterswasser, Mama zog einen guten Kaffee vor, und ich bekam immer eine Limonade, daran hatte ich mich neben meiner Ziegenmilch inzwischen gewöhnt.
Das Lokal hatte einen weitläufigen Garten in dem wir Kinder schön spielen konnten. Da gab es zwei Hunde und auch Kaninchen, es war für uns Kinder ein Paradies.
Irgendwann traten wir alle zufrieden den Rückweg an. Wir fanden es war ein schöner Sonntag. Ein Nachmittag für 2,50 Reichsmark, das muss gesagt werden. Einmal in der Woche, meist war es am Freitagabend, wenn Oma Papas Lohn kassierte, dann rechnete sie das Wochengeld ab, das Heftchen musste hier und es wurde gerechnet und addiert und Oma rauchte der Kopf.
Papa lachte dann immer gutmütig und sagte zu Oma: Marie rechne nicht so viel, es fehlen ja doch wieder 15 Pfennig. Dabei strich er ihr immer liebevoll übers Haar. Papa liebte seine Schwiegermutter und sie wusste das auch. Es fehlten tatsächlich 20 Pfennige. Oh weh, nun ging das ganze wieder von vorne los, Posten für Posten wurde kontrolliert und dann fiel Oma ein, dass sie ja heute ein Stück Kernseife für den Waschtag gekauft hatte und diesen Betrag noch nicht eingetragen hatte.
Ja, so war unsere liebe Oma. Ich habe diese Aktion immer mit Interesse verfolgt und ich habe dabei gelernt, dass alles im Leben seine Richtigkeit haben muss, so dass dann ein jeder auch zufrieden ist. Vielleicht bin ich deshalb später Buchhalter geworden.
Da Papa nun wieder im Beruf stand, so es ihm sein Ischias erlaubte und auch Mama weiterhin putzen und waschen ging, war ich bei Oma zuhause gut aufgehoben. Bei ihr hatte ich bereits mit 5 Jahren stricken gelernt und dann später mit 6 Jahren das Häkeln.
Mit 7 Jahren habe ich mir meinen ersten Pullover gestrickt, sogar mit Mustern in anderen Farben. Da ich sehr gut zählen und rechnen konnte, hatte ich keinerlei Probleme mit Handarbeiten.
Ich war überhaupt in allen praktischen Dingen und auch in der Schule ein "frühes Kind". Nur mit dem Nähen hatte ich es nicht so, das hat mir keine Freude gemacht und was ich nicht wollte, habe ich auch nicht gemacht, das ist bis heute so geblieben.
Mit meiner Handarbeitslehrerin gab es deshalb so manchen Kampf, aber auch sie konnte mich nicht ändern.
Die besten Freunde waren wir allerdings nicht.
Es war ja noch Krieg, aber die Zeiten wurden für uns Dorfbewohner ruhiger. Die Lebensmittel waren noch immer rationiert und ohne Lebensmittelkarten gab es nichts.
Inzwischen hatten wir Herbst 1943.
Da fingen für mich die privaten Schwierigkeiten an. Meine Mutter trug daheim bei ihrer Hausarbeit immer eine Latzschürze, das war damals so üblich. Nun hatte Mama abends Socken gestopft und die Nähnadel an ihren Schürzenlatz gesteckt. Sie hat dann in der Küche noch herum gewerkelt und ging dann zu Bett.
An die Nadel hatte sie nicht mehr gedacht. Am nächsten Tag klagte Mama über Stiche in der linken Brust, ging aber trotzdem auf ihre Putzstelle. Nach einigen Tagen wurde es für Mama sehr schlimm. Sie hatte Fieber und die Brust war hoch entzündet, sie hatte eine Blutvergiftung und es ging ihr sehr schlecht.
Es half alles nichts, sie musste ins Kreiskrankenhaus im Nachbardorf. Dort hat der Arzt festgestellt, dass Mama eine ziemlich große Nadel in der Brust hatte und die war bereits gefährlich nahe zum Herzen gewandert.
Wir konnten das alles nicht fassen. Wieso hatte meine Mutter dies nicht bemerkt. Es erfolgte eine sofortige Operation und da die Nadel bereits schwarz war, hatte Mama in der Folge noch mehrere Operationen und war für Monate im Krankenhaus.
Ich hatte dann im September 1943 meinen 9. Geburtstag und Mama war für einige Tage zuhause. Da starb an meinem Geburtstag ganz plötzlich meine liebe Oma. Sie saß in ihrem Bett, es wurde ihr schlecht, sie fiel in die Kissen und war tot.
Für Oma war dieser Herzschlag eine große Gnade, denn sie musste nicht leiden, aber für Mama war es ein großer Schock, zumal sie ja wieder ins Krankenhaus musste. Mein Geburtstagskaffee mit den Nachbarskindern ist natürlich ausgefallen und ich hatte mich so darauf gefreut.
Musste Oma aber auch ausgerechnet an meinem Geburtstag sterben, bei diesem Gedanken bekam ich ein schlechtes Gewissen und habe mich reumütig an Omas Totenbett gesetzt.
Es war damals üblich, dass die Toten in der Wohnung 3 Tage lang aufgebahrt waren, denn Leichenhallen gab es nicht und die gesetzliche Wartefrist musste eingehalten werden.
Die Toten waren im Sarg für die ewige Reise schön zurecht gemacht worden, Blumen und Kränze schmückten den offenen Sarg und es brannten Tag und Nacht 12 Totenkerzen.
Am Abend gingen dann meine Eltern zu Verwandten und Bekannten und luden zum Begräbnis ein, dies war so Sitte in der damaligen Zeit.
Ich war nun mit meiner toten Oma ganz alleine in der Wohnung. Schlafen konnte ich nicht, also habe ich mich an ihren Sarg gesetzt und habe sie fasziniert angeschaut.
Bei den flackernden Kerzen sah es für mich so aus, als ob Oma atmen würde und ich habe mir gedacht, wenn ich sie streichle und mit ihr rede, vielleicht würde sie ja wieder aufwachen, dann würden sich meine Eltern freuen, wenn sie heimkommen.
Ich habe mich lange bemüht, musste dann aber doch feststellen, dass meine Großmutter tot war. Ich war sehr traurig und als Mama und Papa nach Hause kamen, saß ich immer noch am Sarg. In dieser Nacht durfte ich bei meinen Eltern im Bett schlafen, das habe ich auch gebraucht.
Wir haben unsere Oma dann begraben und Mama ging wieder ins Krankenhaus.
Unsere Wohnung war nun sehr leer, denn ich war mit Papa alleine. Tagsüber war Papa auf Arbeit und ich war in der Schule. Es war ein großes Glück für mich, dass ich so gut gelernt habe, die Hausaufgaben stellten für mich kein Problem dar, darum musste sich Papa gar nicht kümmern, das klappte. Der Haushalt war nun meine Sache, eigentlich war ich dafür noch zu klein, aber außer mir war keiner da. Putzen ging ja noch, aber die Wäsche, oh weh. Der große Waschkessel in der Waschküche, ich konnte kaum über den Rand schauen und dieser schwere Stampfer. Bis alleine das Feuer im Kessel brannte, die Wäsche musste ja gekocht werden, es war alles so heiß. In der Zinkwanne gab es ein Waschbrett und eine Bürste, oh Gott. Den Ablauf eines Waschtages kannte ich ja, ich habe Mama ja oft bei ihren Putzgängen begleitet.
Ich habe mir wirklich Mühegegeben, beim Auswaschen im Bach war ich dann allerdings überfordert. Die nasse Wäsche war zu schwer für meine kleinen Hände und ich bin in den Bach gefallen.
Ich habe vor Zorn geweint, weil ich diese Aufgabe nicht erfüllen konnte, ich hatte doch Mama versprochen alles in Ordnung zu halten und jetzt das.
Eine Nachbarin hatte gesehen, was passiert war und kam mir zur Hilfe. Sie hat dann auch in der kommenden Zeit unsere Wäsche gewaschen. Später als ich größer war, wurde diese Nachbarin einmal krank und da konnte ich ihr dann helfen und so einiges wieder gut machen.
In einem kleinen Dorf ist eben jeder für jeden da, sonst kann eine Gemeinschaft nicht funktionieren.
Das Kochen hat dann am Abend Papa übernommen. Viel war ja nicht da, es gab Kartoffeln mit Apfelmus, oder Püree mit Sauerkraut (ohne Fleisch).
Mir hat das fehlende Fleisch ja nichts ausgemacht, denn ich war ja und bin heute noch Vegetarier. Aber für Papa, der schwer arbeiten musste, war das zu wenig. ich habe ihm dann immer noch ein Glas von meiner Ziegenmilch spendiert, die er auch ganz gerne angenommen hat.
Papa war für mich was ganz Besonderes, ich habe nie wieder jemanden so geliebt wie meinen Papa. Nach ihm kam dann gleich Mama dran.
Die beiden bedeuteten für mich die Welt und ich hätte alles getan, was ihnen hilft, aber manchmal ist ein Kind eben zu schwach um helfen zu können. Papa hat den Holzfällern im Wald bei der Arbeit geholfen, das brachte für uns ein bisschen zusätzliches Brennholz ein, denn auch das Feuerholz war nur vom Förster zu haben, alles war streng rationiert.
Unser schöner Wald wurde für die Kriegsindustrie abgeholzt. An den Samstagen hatte Papa dann manches Mal noch einen Helferjob an der Dreschmaschine die reihum bei den Bauern im Einsatz war.
Dafür bekam er dann auch mal ein Stück Wurst und ein paar Eier.
Eines Abends kam mein Vater total vom Regen durchnässt aus dem Wald. Er war so durchgefroren, dass ich schnell den Badeofen angeheizt habe. Während er ein heißes Bad nahm, versuchte ich aus Maisgries, Salz und Wasser Pfannkuchen zu backen.
Fett war keines da, also brauchte ich auch keine Pfanne, der Teig landete auf der Herdplatte und es wurden immerhin 3 Omeletten, es war noch etwas Apfelmus da, das passte gut zu den Pfannkuchen.
Ich saß dann mit Papa am Tisch in der warmen Stube und war überglücklich, dass ich ihn ein bisschen verwöhnen konnte.
Wir aßen mit gutem Appetit, jeder einen Pfannkuchen. Dann lag da noch der dritte auf dem Teller, was nun? Papa sagte zu mir: "Helga iss bitte du noch das Omelette auf, du bist immer noch so dünn und musst noch wachsen, ich bin schon satt". Ich sah Papa an und sagte dann zu ihm: "Oh Papa, ich kann nichts mehr essen, bitte, bitte, iss Du noch den Rest, ich habe die Pfannkuchen doch für dich gemacht, du musst so schwer arbeiten und darfst nicht krank werden, ich brauche dich doch so sehr." Ja so war das mit den drei Pfannkuchen. Papa und ich, wir wussten beide, dass wir uns aus Liebe zueinander angelogen haben.
Zum Schluss nahm Papa meine Hand und drückte sie ganz fest. Du bist ein gutes Kind sagte er und teilte den restlichen Pfannkuchen in zwei gleiche Teile. Wir haben sie dann noch zusammen aufgegessen und sind dann beide zufrieden in unser Bett gegangen. Das war nur ein kleines Abendessen, aber für mich ein großes Erlebnis, es hat mir wieder gezeigt, wie nahe mir Papa war.
Hatte ich noch zu meinem Vater gesagt, bitte werde nicht krank, ich brauche Dich, da hat sich das Blatt total gewendet. Papa wurde krank und wie. Er hatte sich beim Holzfällen eine Schürfwunde am rechten Handgelenk zugezogen, auf die er nicht geachtet hatte. Bei den Drescharbeiten ist ihm dann ein giftiges Korn in die Wunde gekommen und die Blutvergiftung war perfekt.
Papa kam auch ins Krankenhaus und wurde operiert.
Mama durfte dann aber endlich nach Hause, sie hatte immer noch Schläuche in der Brust, weil es nicht aufhören wollte zu eitern. Es ging ihr nicht gut und nun war Papa auch noch so krank. Ich war ganz durcheinander und wusste überhaupt nicht mehr, wo ich hingehörte. Wir schrieben mittlerweile das Jahr 1944 und ich wurde 10 Jahre alt. Dieses Mal gab es an meinem Geburtstag nochmals ein Bombardement auf unser Dorf, wir sahen von der Schule aus, wie die Bäckerei auf der anderen Straßenseite plötzlich verschwand. Andere Häuser hatte es auch noch getroffen. Ich habe nun ganz fest geglaubt, dass mein Geburtstag Unheil anzieht und wollte am liebsten keinen mehr haben.
Der liebe Gott hatte noch mehr Unheil für meine Eltern parat.
Mama bekam auf einmal einen schlimmen Husten und sie hat rasant abgenommen. Ich dachte, das ist so, weil sie ja die kranke Brust hat, aber als der Husten noch schlimmer wurde, kam Mama zu einem Lungenfacharzt.
Diagnose: offene Tuberkulose, also schwer ansteckend. Mama kam in eine Lungenheilanstalt und es sei hier erwähnt, dass sie dort mehr als zwei Jahre verbracht hat. An Tuberkulose sind in der damaligen Zeit viele Menschen verstorben, es gab zwar schon Penicillin, aber ansonsten waren die Therapiemöglichkeiten beschränkt. Ein Lungenflügel war gerissen und es stand sehr schlecht um meine Mutter.
Papa hatte im Hofheiner Krankenhaus inzwischen zwei Op's hinter sich gebracht, aber der Armknochen fing an sich aufzulösen. Man konnte den Giftpilz nicht in den Griff kriegen und wusste sich keinen Rat.