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Empfindlichkeit der exponierten Personen

Unterschiedliche Empfindlichkeiten innerhalb der Bevölkerung beruhen vor allem auf genetisch bedingten Unterschieden der Enzymaktivitäten, d. h. Polymorphismen. Als Polymorphismus wird in der Toxikologie bezeichnet, wenn es z. B. von einem bestimmten Enzym, das eine körperfremde Substanz abbauen kann, verschiedene Formen gibt, die unterschiedlich schnell metabolisieren. Die innere Belastung, z. B. gemessen anhand der Blutkonzentrationen oder der DNA-Addukte im Zielorgan, ist abhängig vom Ausmaß der Metabolisierung einer Chemikalie. Ein genetisch bedingter Polymorphismus von Phase-I- und Phase-II-Enzymaktivitäten kann daher zu Unterschieden in Abbau und Entgiftung von Chemikalien und damit zu unterschiedlichen Wirkungen führen.

Davon abzugrenzen sind Enzyminduktion oder scheinbar geringe Enzymaktivitäten wie es bei der Glucuronidierung nach der Geburt der Fall ist. Dieser postnatale Mangel der Glucuronidierung führt zu der frühkindlichen Gelbsucht (postnataler Ikterus) und Toxizität von Substanzen wie Chloramphenicol. Dies liegt vor allem daran, dass kurz nach der Geburt durch den Abbau des fetalen Hämoglobins große Mengen an Bilirubin anfallen, die glucuronidiert werden müssen, um ausgeschieden zu werden. Durch die großen anfallenden Mengen wird die Kapazität der Glucuronidierung überfordert. Da auch das Arzneimittel Chloramphenicol durch Glucuronidierung besser ausgeschieden wird, verbietet sich eine Therapie mit diesem Antibiotikum in der postnatalen Phase.

Andererseits induziert Phenytoin seine eigene, Cytochrom-P450-abhängige Hydroxylierung zu inaktiven Metaboliten. Die Folge ist ein zunehmender Wirkungsverlust während der Therapie. Ein weiteres Beispiel ist die Unwirksamkeit der Antibabypille bei gleichzeitiger Einnahme bestimmter Medikamente zur Behandlung von Epilepsie, Tuberkulose oder HIV-Infektion, weil diese Arzneimittel die Enzyme der Cytochrom-P450-Familie induzieren, d. h. ihre Aktivität verstärken, was einen beschleunigten Abbau der Wirkstoffe in den Empfängnisverhütungsmitteln zur Folge hat.

6.1 Sind Kinder besonders empfindlich?

Als kritische Faktoren bei Kindern sind die Exposition, die kinetischen Daten und besondere Empfindlichkeiten zu berücksichtigen. Bei der Exposition spielen das spezifische Verhalten von Kindern wie der Hand-zu-Mund-Kontakt, Besonderheiten der Toxikokinetik, d. h. Verstoffwechslung und Ausscheidung von Substanzen, und besondere Produkte für Kinder eine Rolle.

Besondere Empfindlichkeiten bei Kindern bestehen während des Knochenwachstums, der Entwicklung der Lungen, des Immunsystems und Thymus, der Geschlechtsentwicklung und des Zentralnervensystems (ZNS).

Kinder können sich hinsichtlich Aufnahme, Metabolismus, Verteilung und Ausscheidung von Erwachsenen unterscheiden. Gesichert ist, dass insbesondere Kinder unter einem Jahr einen geringeren Metabolismus, eine erhöhte Hautresorption, ein kleineres Fettkompartiment und damit einen größeren Wasserverteilungsraum aufweisen als Erwachsene.

Daraus ist jedoch nicht generell zu schließen, dass Kinder aufgrund ihrer zum Teil langsameren und schlechteren metabolischen Kapazität stärker gefährdet sind als Erwachsene.

Auch hierfür gibt es einige Beispiele.

Erfahrungen mit Arzneimitteln zeigen, dass bei Kindern die Elimination von Fremdstoffen größer ist als bei Erwachsenen. Kinder weisen daher bei gleicher täglicher Aufnahme (mg/kg, Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht) zumeist eine geringere Blutkonzentration, d. h. innere Belastung auf als Erwachsene. Eine schnellere Ausscheidung kann damit zumindest teilweise eine geringere Enzymaktivität und mögliche höhere Empfindlichkeit bestimmter Organe kompensieren.

Eine Studie über die Toxizität von flüchtigen organischen Verbindungen (engl. volatile organic compounds, VOCs) bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen ergab, dass die Extraktionsrate der Leber, also die von der Leber metabolisierte (in eine wasserlöslichere Form) umgesetzte Menge eines Stoffes, trotz geringerer Metabolismuskapazität bei Kindern für die Stoffe Dichlormethan, Trichlormethan (Chloroform), Tetrachlormethan, Trichlorethylen (TRI), Tetrachlorethylen (PER), Toluol, m-Xylol und Styrol im Vergleich zu Erwachsenen keine Unterschiede aufweist. Das bedeutet, dass diese Stoffe, wenn sie von Erwachsenen und Kindern eingeatmet werden, gleich hohe Konzentrationen im Organismus erreichen und auch gleich schnell aus dem Körper wieder ausgeschieden werden. Dies wird damit erklärt, dass die Perfusionsrate, also die Durchblutungsgeschwindigkeit, der kindlichen Leber höher ist als bei Erwachsenen und damit pro Zeiteinheit größere Substratmengen angeliefert werden als bei Erwachsenen, die damit schneller unschädlich gemacht werden können.

6.2 Umwelttoxikologische Relevanz genetischer Unterschiede

Fachärzte für Innere Medizin oder Umweltmedizin bescheinigen manchmal Patienten in einem Notfallausweis, dass sie aufgrund eines Defizits an Glutathion-S-Transferase M1 (GSTM1), das Enzym, das das Glutathion auf Substanzen überträgt, damit diese besser wasserlöslich sind und leichter ausgeschieden werden können, „hochempfindlich auf Antibiotika, Formaldehyd, Alkohole, Glykole, Reinigungs-, Desinfektionsmittel und zahlreiche Medikamente” seien. Diese Aussage ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Die Gene von Enzymen lassen sich zwar leicht mit molekularbiologischen Methoden bestimmen. Eine verminderte oder fehlende Genexpression ohne Untersuchung der entsprechenden Enzymaktivitäten hat jedoch keinen Krankheitswert und ist ohne diagnostische Bedeutung, zumindest bei niedriger Exposition.

Allerdings kann die Exposition bei Arzneimitteltherapie und am Arbeitsplatz auch bei normaler Expression im Enzym-Substrat-Sättigungsbereich liegen, sodass bei niedriger Enzymexpression mit toxischen Wirkungen zu rechnen ist.

Umweltbelastungen sind dagegen zumeist niedrig und führen daher auch bei niedriger Enzymexpression nicht zu einer Enzym-Substrat-Sättigung, sodass keine unerwarteten schädlichen Wirkungen zu erwarten sind.

6.3 Toxikologisch relevante Polymorphismen bei hoher Exposition

Im Prinzip können alle biologischen Funktionen, welche die Stoffkonzentration im Organismus durch Metabolismus bestimmen, einem genetischen Polymorphismus unterworfen sein. Gesundheitliche Relevanz haben bisher allerdings nur Polymorphismen von Enzymen, die am Phase-I- und Phase-II-Metabolismus einiger Fremdstoffe und endogener Substanzen beteiligt sind.

Die Ursachen des genetischen Polymorphismus sind in der Abb. 6.1 dargestellt.

Die genetische Variabilität Cytochrom-P450-vermittelter Reaktionen wurde zuerst bei der Therapie mit dem blutdrucksenkenden Mittel Debrisoquin entdeckt. Es fiel auf, dass 5–10% der Patienten das Arzneimittel nur sehr langsam verstoffwechselten und auf die Standarddosis ungewöhnlich heftig reagierten. Als Ursache wurde ein Polymorphismus der Cytochrom-P450-Form CYP2D6 erkannt. Die Enzymdefekte, die den Phänotyp des langsamen Metabolisierers hervorrufen, beruhen auf Punktmutation (70%), Verlust einzelner Basen (5%) oder dem Verlust des gesamten Gens (15%). Es finden sich auch Individuen, die Substrate des CYP2D6 extrem schnell metabolisieren. Bei diesen seltenen ultraschnellen Metabolisierern wurde eine vererbbare Vervielfachung (Amplifikation) des 2D6-Gens identifiziert, die bis zu zwölf Kopien beträgt.

CYP1A1 ist für die Aktivierung zahlreicher kanzerogener polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) verantwortlich. Individuen mit hoher CYP1A1-Aktivität sind daher einem größeren Krebsrisiko durch PAK z. B. im Tabakrauch ausgesetzt. In der Tat wird bei Rauchern ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Bronchialkarzinoms und der CYP1A1-Aktivität beobachtet.

Abb. 6.1 Schematische Darstellung der Bedeutung unterschiedlicher Phänotypen eines Enzyms. Der Genotyp einer Person, die homozygot für die Enzymvariante mit hoher Aktivität ist, enthält im Genom zwei Allele, die den Phänotyp hohe Enzymaktivität definieren. Ist das entsprechende Enzym an der Entgiftung eines Medikaments beteiligt, ist die Person wenig empfindlich. Das Gegenteil ist der Fall, wenn im Genom zwei Allele für niedrige Aktivität vorliegen. Damit ist das Individuum homozygot für niedrige Aktivität und reagiert damit empfindlicher auf das Medikament. Ein heterogenes Individuum hat ein für die Enzymaktivität positives und ein negatives Allel und wird daher auf das Medikament normal reagieren, wenn in der Bevölkerung der heterogene Genotyp vorherrscht (aus Kapitel Toxikogenetik, von L. Stanley und H. Greim, in Das Toxikologiebuch, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017).

Der Mensch besitzt zwei Formen von N-Acetyltransferasen, NAT-1 und NAT-2, die sich wesentlich in ihrer Substratspezifität und in der Gewebsverteilung unterscheiden. Der klassische AT-Polymorphismus, der zur Ausprägung des „schnellen” oder „langsamen” Acetylierer-Phänotyps führt, beruht auf der Variabilität des Gens für AT-2.

Der AT-2-Polymorphismus wurde zunächst bei der Tuberkulosetherapie mit Isoniazid erkannt, das durch Acetylierung inaktiviert wird. Während bei schnellen Acetylierern die therapeutische Wirksamkeit vermindert war, kam es bei langsamen Acetylierern zur Wirkungsverstärkung und starken Nebenwirkungen wie Polyneuropathien.

Der AT-2-Polymorphismus ist relevant für das Auftreten von Dick- und Enddarmkrebs und von Blasenkrebs nach Exposition gegenüber aromatischen Aminen, die wie 4-Aminobiphenyl im Tabakrauch enthalten sind und in der Gummi-, Textiloder Farbenindustrie verwendet werden.

Schnelle Acetylierer haben daher ein erhöhtes Risiko, an Krebs des Dick- und Enddarms zu erkranken. Vermutlich sind dafür heterozyklische Arylamine, die als Pyrolyseprodukte in Nahrungsmitteln vorkommen, verantwortlich. Metaboliten dieser Substanzen werden durch die AT-2 der Darmzellen zu ihren ultimalen kanzerogenen Formen umgewandelt, wobei schnelle Acetylierer gefährdeter sind als langsame.

Im Gegensatz dazu haben langsame Acetylierer ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Blasenkrebs bei beruflicher Exposition mit aromatischen Aminen wie Benzidin.

Allerdings unterscheidet sich die Empfindlichkeit von schnellen und langsamen Acetylierern gegen toxische Chemikalien nicht so stark, wie es von dem ausgeprägten AT-2-Polymorphismus zu erwarten wäre. Dies beruht darauf, dass die potenziell toxischen Substrate der AT-2 auch von AT-1 sowie von Cytochrom P450 (CYP1A2) metabolisiert werden und damit alternative Möglichkeiten der Metabolisierung bestehen.

Weiterhin bekannt sind Polymorphismen der Glutathion-S-Transferasen GSTM1 und GSTT1. Epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass das Risiko für Blasenkrebs bei Individuen der homozygoten null GSTM1 Form um 50% erhöht ist.

Auch Träger des Polymorphismus der Glutathion-S-Transferase (GSTP1 A313G) scheinen ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko zu haben.

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