Читать книгу Felix Morak / Meschkas Enkel - Helmut H. Schulz - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеDieses Aprilwetter sah schlimmer aus, als es war. Es fiel kaum Regen, die Windstöße blieben schwach und harmlos. Auch die Blitze, die ununterbrochen den Himmel teilten, richteten keinen Schaden an; sie rissen den dunklen Himmel vertikal auf, und der Donner klang nach einem kolossalen Hohngelächter. Aber der föhnartige Sturm nahm unmerklich zu, bewegte die Pappeln längs des Seeufers wie Peitschenstiele und fraß die Schneereste am Straßenrand. Sonnenlicht, das zuweilen durchbrach, färbte die Schaumkronen auf dem See schwefelgelb. Neben der Baumallee lief eine Schmalspurbahn entlang, auf der im Abstand von zwei Stunden ein Triebwagen die Verbindung zwischen den Ortschaften und Dörfern ringsum den See und die Kreisstadt aufrecht erhielt. Das Gleisbett, tiefer als die Pappelallee liegend, war mit einem schützenden eisernen Geländer versehen. Auf der anderen Seite des Sees zeichneten sich zwei schlanke spitze Kirchtürme ab. Die Straße folgte der Bucht, und die Stadt begann dort, wo sich Eisenbahn und Straße kreuzten.
Auf ihr rollte ein stark mitgenommener mittelgroßer Lastwagen mit abgedeckter Ladefläche. Der Wind hatte eine verschlissene Plane an einer Stelle gelöst; sie flatterte wie eine Fahne im Wind. Die Verkleidung der Fahrerkabine zeigte Beulen und Roststellen. Böen trieben das Fahrzeug manchmal gefährlich weit auf die Gegenspur, allein an diesem Vormittag verkehrten kaum Autos, und der Mann am Steuer hielt sein klappriges Gefährt leicht auf der Fahrbahn. Ganz links unten hinter der Frontscheibe stand ein Schild mit der Aufschrift Felix Morak, Fuhren aller Art und die Anschrift des Fuhrmannes bei Nachfragen. Der Chef des Einmannbetriebes, Felix Morak, hatte Schlitzaugen, eine scharf gekrümmte Nase und hohe Backenknochen, er sah aus wie ein Kalmück, zumal die hockende Gestalt hinter dem Ruder auf einen kleinen Mann schließen ließ. Die untere Gesichtshälfte war von leicht vorstehenden schadhaften Schneidezähnen verunstaltet. Der kleine Mann am Steuer dieses Gefährtes erweckte den Eindruck von Ausdauer oder Zähigkeit, aber auch von einem nachlässigen oder bösen Zug. Neben ihm auf der Verkleidung des in die Fahrerkabine zurückgesetzten Motors hockte ein dickes Mädchen von schätzungsweise sechzehn Jahren; auf dem rechten abgewetzten Ledersitz saß eine Frau von etwa vierzig Jahren, die wenig zu dem Duo zu passen schien, viel mehr drückte ihre ganze Haltung aus, daß sie sich wie verladen vorkam, überrumpelt und von einer anderen Art Mensch abstammte als der Lohnkutscher und die Göre. Übrigens schien sie auch jünger als Morak. Er selbst gehörte zu jenen Leuten, deren Alter gar nicht oder nur schwer zu schätzen ist; er hätte Anfang vierzig, aber auch Mitte fünfzig sein können. Alle drei sahen schweigend durch die Windschutzscheibe auf die regennasse Straße. Trotz des Motorengeräusches hörten sie drinnen das trockene Quietschen der Wischblätter, die von dem Gestänge träge hin und her bewegt wurden, wenn der Sturm den Regen gegen die Scheibe trieb.
»Sauwetter«, sagte der Mann.
Die beiden Frauen nickten; verstanden sie das hingeworfene, geknurrte Wort auch nicht, so deuteten sie es nach dem Gesichtsausdruck des Lohnkutschers ganz richtig in diesem Sinne. Das Mädchen auf der Motorverkleidung konnte sich nirgends anlehnen; es saß mit krummem Buckel und angewinkelten Beinen denkbar unbequem auf der Motorhaube; manchmal stützte es den linken Arm auf die Schulter des Fahrers. Nun wieder drehte es mit der rechten Hand an dem Transistorradio, das mit einem Gummiband am Armaturenbrett festgemacht worden war, aber der Apparat fing nur Störgeräusche auf. Am Rückspiegel baumelte als Maskottchen ein Miniaturskelett aus Plast; in einer aufgeklebten Lederhülle befand sich eine angebrochene Schachtel Zigaretten, und zwei Passfotos von weiblichen Personen in winzigen Bilderrahmen klebten auch noch an der Windschutzscheibe. Offenkundig verbrachte der Mann so viel Zeit in der Fahrerkabine, daß er sich einen Heimersatz geschaffen hatte, wenn auch einen dürftigen.
»Bei diesem Gewitter wirst du wohl kein Glück haben, Hanna«, sagte er nun zu dem Mädchen, auf das schnarrende Radio weisend, »mach es man aus!«
Sie gehorchte sofort, wie erschrocken oder bei etwas Verbotenem ertappt. Ihr Haar war offenbar einem Frisör anvertraut worden, der ihr zwar dichtes, aber stumpfes, wie leblos wirkendes Haar in aschfarbene Locken und Wellen verwandelt hatte. Trotz der glänzenden blauen Augen und einem ausgeprägten großen Mund entstand für den, der diese Hanna zum ersten Mal sah, nicht das Bild eines regelmäßigen, normalen Gesichtes, sondern der Eindruck von etwas Unlebendigem, aber welcher Art der Mangel war, ließ sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Häufiger als nötig und wie verängstigt suchte sie die Berührung des Mannes neben sich; er schien sich in seiner Rolle als ihr Beschützer eingelebt oder sich zumindest daran gewöhnt zu haben, nickte ihr oft zu und lächelte freundlich oder beruhigend.
»Macht dir das Spaß?« Er deutete auf die Straße und meinte offenbar das Fahren mit einem Auto wie dem seinen, einer alten Karre, mit der er seinen Lebensunterhalt verdiente, von Kohlen bis zu Baumaterial transportierte, was auf der Ladefläche Platz fand, also so gut wie alles. Befriedigt las er ihr das Ja von den Lippen; sie lehnte den Oberkörper ohne den Ansatz von Mädchenbrüsten ganz zu ihm hinüber und drückte seine Hand auf dem Steuer.
»Schon gut«, sagte Morak, überließ ihr die Hand für einen Augenblick und fing einen spöttischen Blick der anderen Frau auf, die diese Szene mehr hämisch als aufmerksam verfolgt hatte.
»So ein Theater, das muss man gesehen haben. Du machst dich mit deiner Affenliebe ja zum Gespött der Leute, hast es schon fertiggebracht, daß sie alles Mögliche vermuten.«
»Was denn vermuten?«, fragte er. »Sollen vor ihrer Türe kehren.«
»Ach, ja, setz dich man darüber hinweg!«
Nach diesem kurzen schroffen Dialog lehnte sich die Frau zurück und sah rechts aus dem Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft. Trotz der Wärme im Fahrerhaus trug sie einen Pelz, hatte nur die dazugehörende Kappe abgenommen und hielt sie auf ihrem Schoß verwahrt. Eine kleine Reisetasche stand zwischen ihren Füßen. In dem rundlichen, angenehmen aber einfältigen Gesicht mit Porzellanaugen fanden sich keine Runzeln; freundlich schwellende Fettpolster verbargen die Falten, die ihr Alter verraten hätten. Lachte sie, dann legten ihre Lippen zwei Reihen ungemein weißer und falscher Zähne bloß. Diese geborgte Jugendlichkeit paarte sich mit einem gezierten eitlen Gehabe. Aber die feinen dunklen Brauen über den dunkelblauen runden Augen hätten leicht einer jüngeren, liebedürftigen und zärtlichen Frau gehören können, und der zu diesem Gesicht passende Körper konnte nur pummelig sein. Die kleinen Patschhände mit den Grübchen spielten mit der Pelzkappe.
»Wenn dir nicht mal deine Schwägerin die Wahrheit sagen darf, Felix«, fuhr sie fort, »also schön, deine ehemalige Schwägerin, wer sollte es denn sonst tun? Von wem lässt du dir schon was sagen, Felix?«
Er lachte selbstgefällig, drehte den Kopf zu ihr, aber hinter der Sonnenbrille, die er sich inzwischen aufgesetzt hatte, weil die Sonne hervorgekommen war und die nasse Straße erglänzen ließ, konnte sie den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen. So leicht zu erschüttern war er nicht: »Sag du nur ruhig deine Wahrheit, Schwägerin!«
Er schaltete herunter und lenkte den Wagen vorsichtig über die Gleise, welche die Straße kreuzten; hier begann die Kreisstadt, ihr Ziel. In einer Nebenstraße stellte er den Wagen ab. »Wir sind da, gnädige Frau, steig aus«, er zog den Schlüssel ab, der Motor verstummte. Den Oberkörper herumdrehend, nahm er die Brille ab und nestelte seinen Anorak vom Haken an der Rückwand der Kabine.
»Steig aus, Hanna!«, befahl er und wieder gehorchte das junge Ding sofort. Auch die Schwägerin Moraks raffte ihre Sachen zusammen, Pelzkappe und Reisetasche, und kletterte aus der Fahrerkabine. Morak verschloss die Türen und alle drei gingen langsam zur Hauptstraße.