Читать книгу Felix Morak / Meschkas Enkel - Helmut H. Schulz - Страница 8

Kapitel 6

Оглавление

Was den Gästen des Hotels Zum Adler zwischen sechs Uhr früh und zehn als Frühstücksraum zur Verfügung stand, das diente vorübergehend bis zweiundzwanzig Uhr dem Hotel als Restaurant mit warmer Küche. Nach zweiundzwanzig Uhr gab es nur noch Getränke; um Mitternacht wurde das Lokal geschlossen und Ruhe geboten. Wegen des Staatsaktes war das Restaurant des Hotels geschlossen worden; nur wenige Gäste gingen kontrolliert ein und aus. Früh roch es nach abgestandenem Tabakrauch und einem schalen, unbestimmbaren Restdunst von Speisen und Getränken, ein Geruch, der langsam durch die halb geöffneten Fenster abzog, und der gute Geruch von Kaffee und frisch gebackenen Brötchen breitete sich angenehm aus. In der Stunde zwischen acht und neun herrschte Betrieb; dann war der erste Ansturm vorüber. Dienstreisende gingen nach einem schnellen Frühstück ihrer Tätigkeit nach; Leute mit mehr Zeit kamen gerade aus ihren Zimmern herunter und ließen sich von den Kellnern bedienen, da es kein Frühstücksbüfett gab. Alles spielte sich in kleinem Rahmen ab. Morak, im Anzug, hatte einen Tisch am Fenster inne, er wartete auf die beiden Frauen und sah auf die fast leere Hauptstraße, was in ihm die Vorstellung weckte, es sei Sonntag. Etwas später erschienen die Schwägerin und Hanna und sie bestellten das Frühstück.

»Hast du auch so schlecht geschlafen?«, fragte Isolde den Schwager. »Wir haben ein Zimmer zur Straße, ich konnte kein Auge schließen.« Sie streifte Hanna mit einem freundlich nachsichtigen Blick. »Die da hat wie ein Murmeltier geschnarcht, und jetzt hat sie einen Bärenhunger, wie? Dumme essen meist viel und gern, wie die Tiere«, schloss sie ihre Betrachtungen.

Morak musterte seinen Pflegling; das unmöglich frisierte Haar schien sich wieder zu strecken, es wirkte dick, aber schlicht und passte besser zu ihrem leicht gedunsenen runden Gesicht als die künstliche Frisur, zumindest für ihn, den Pflegevater. Friedlich gestimmt, fuhr die Schwägerin zu reden fort.

»Hanna ist eigentlich ganz angenehm, wenn man sie näher kennt. Etwas still, aber reden tu ich ja wohl genug und sicherlich für zwei. Was man ihr sagt, das macht sie gleich und ohne zu meckern, und führt auch meist alles richtig aus, ich meine, Kleinigkeiten.«

Sie fuhr mit den Patschhänden durch das eigene schüttere Haar und stellte fest: »Ich muss unbedingt zum Frisör. Ich sehe aus wie eine Vogelscheuche.«

Morak hielt es für unnötig, der Frisörfrage Aufmerksamkeit zu schenken. Sie waren auf dem besten Wege, sich aneinander zu gewöhnen und normal miteinander umzugehen; gerade weil es ihnen nicht bewusst wurde, daß die Spannung des vergangenen Tages abgeklungen, oder der Streit um Haus und Hof zumindest vertagt war. Nur Morak aß wenig, er hielt sich an Kaffee, aber die beiden anderen schlangen dick gebutterte Brötchen, löffelten kernweich gekochtes Ei und legten saftige Schinken auf Brotschnitten.

Da sie keiner trieb, blieben sie nach dem Frühstück noch sitzen, und das, was vor ihnen lag, begann sie wieder zu beschäftigen. Die Schwägerin besann sich auf den bevorstehenden Besuch bei der Schwester, erwog, ob und wann sie fahren sollte. Morak bot an, sie mit dem Auto zu bringen, aber Isolde wünschte an keine Zeit gebunden zu sein; die Wohnung dieser Schwester war leicht mit dem Triebwagen zu erreichen.

»Lass mal deine alte Karre stehen. Wie sieht das aus, wenn ich mit einem Kohlenwagen als Köhlerliese vorfahre und als Gräfin Isolde aussteige. Und du willst dich wahrscheinlich erst mal allein mit dieser Frau treffen. Ich könnte Hanna mit zu meiner Schwester nehmen und wir treffen später hier wieder zusammen. Was hältst du davon?«

Mit einem prüfenden Blick streifte sie seinen Anzug, Hemd und Krawatte. Gewohnt ihn in Arbeitskleidung zu sehen, lobte sie: »Du wirst Eindruck machen, mein Lieber. So könntest du immer aussehen.«

Sie nickte sich selber zu. Dann stieß sie einen Seufzer aus. »Mit meiner Schwester habe ich mich deinetwegen gestern Abend auch noch gestritten. Am Ende musste ich ihr scheinbar recht geben; sie meint, ich sollte dir zureden, dich wieder zu verheiraten. Habe ich denn dagegen gesprochen? Nein. Doch nicht, oder? Übrigens würdest du mit einer reifen erfahrenen Frau besser dran sein, als mit der jungen.« Sie tat, als sei alles entschieden und ihr die Künftige schon bekannt. »Wir hoffen natürlich, daß sie in unsere Familie passt. Andererseits kommt es auf die Liebe an. Hat euch eigentlich einer verkuppelt?«

Spitzbübisch sagte Morak, es sei eine Frau gewesen. »Wenn Männer kuppeln, nennt man sie Zuhälter.«

Gekränkt setzte sie sich in den Stuhl zurück. Es tat ihm leid, sie beleidigt zu haben. Die für gewöhnlich unterhaltend und munter plappernde Schwägerin erschien ihm heute anders als gestern, zwar noch ebenso launisch und schwierig, aber doch aufgeschlossener oder zurückhaltender. Sie kannten sich wohl zu wenig; vielleicht fühlte sie sich übergangen, beiseitegeschoben in ihrem Anspruch an ihn, als lebendiger Teil der Hinterlassenschaft ihrer Schwester, mit deren Tod sich die Beziehungen nicht ganz aufgelöst hatten. Man blieb eben miteinander verschwägert.

»Habt ihr auch über die andere Sache gesprochen?«, fragte er.

Sie nickte. »Über dieses Haus, meinst du? Ich blöde Kuh hätte gar nicht davon anfangen sollen, da habe ich mir was anhören müssen.«

»Also«, forschte er, »wird wohl nichts aus der Klage, oder wie?«

Sie zuckte die Schultern und verzog den Mund. »Meine teuren Schwestern haben immer gegen mich zusammengehalten, und du bist ja schon gestern abgesprungen und mir in den Rücken gefallen. Jedenfalls habe ich immer recht gehabt, was auch keiner wahrhaben wollte. Also verscherbele meinetwegen das Haus, heirate diese dumme junge Ziege und werdet alle miteinander selig. Mich lasst in Ruhe mit dieser Geschichte!«

Angesichts ihrer Entschlossenheit, die Dinge laufen zu lassen, die sie nicht beeinflussen konnte, wurde Morak nachdenklich. »Weiß ehrlich gesagt auch nicht genau, was ich tun soll. Sie hat mir viel geschrieben, mehr als ich jedenfalls und vor allem besser, wahre Romane. Bilder haben wir auch getauscht, aber was besagt das schon?«

»Geschrieben? Und viel? Hat die eigentlich einen Beruf? Ich meine, geht sie arbeiten? Du hast gestern von einem Kind gesprochen? Junge oder Mädchen? Wie alt ist das Gör eigentlich?«

»Keine Ahnung, sie ist Sekretärin. Überhaupt, ich bin Schlosser«, er zeigte seine Hände, denen dieser Beruf freilich nicht mehr anzusehen war, »Kohlefahrer, das wollen wir mal nicht vergessen.«

»Kohlefahrer warst du ja nicht immer, Felix. Und es liegt an dir, etwas anderes aus dir zu machen.« Sie steigerte sich. »Es gibt sicher genug Weiber, die würden sich alle zehn Finger nach dir lecken. Weshalb gehst du denn nicht in deinen Beruf zurück? Ingenieure werden doch gesucht.«

»Nun rede mal keinen Unsinn, Isolde. Ich bin ziemlich lange raus.« Es war ihm unangenehm, übertrieben herausgestellt zu werden. Er gab etwas von seiner Stimmung preis. »Ich komme mir vor wie ein dummer Junge, der einen albernen Streich vorhat.«

»Du bist aufgeregt?«

»Nicht so direkt. Vielleicht«, gab er zu. »Ich werde einen Schnaps trinken.«

»Bist du wahnsinnig, mit einer Fahne zum Treffen? Na, da wirst du Eindruck machen, mein Junge. Frauen mögen keine Suffköppe, Sekretärinnen schon gar nicht. Übrigens denke daran, daß du dem Kind gefallen musst, und nicht der Mutter. Sonst setzt du dir eine Laus in den Pelz, glaube mir.«

Da er sie verständnislos anblickte, fuhr sie erklärend fort: »Hör mal! Da steht in diesen Annoncen, Kind angenehm, oder Kind kein Hindernis, aber in Wirklichkeit war die Mama lange allein mit dem Kind, das ganz auf sie eingestellt ist, und umgekehrt soll sie das verzogene Gör einer anderen in Kauf nehmen; plötzlich muss ihr eigener Kronsohn einen fremden Mann neben sich dulden, Papa zu ihm sagen, ihm gehorchen und womöglich noch lieben. Das ist also der absolute Sonderfall. Damit alles eine Zeitlang einigermaßen gut geht, krümmt sich der arme Hund vor der Übermacht aus Mutter und Sohn, der dem neuen Papa ins Gesicht sagt, du hast mir nichts zu sagen, bist nicht mein Vater, wozu die Mama beifällig nickt. Glaube mir, die zweite Beziehung nach einer kaputt gegangenen ersten, ist immer verlogen, ist immer getürkt.« Sie stand auf. »Und die heutigen Weiber mit dem Komplex, alles allein zu machen, bis auf das Ding da unten, sind nichts für dich, Felix. Na, ich muss los. Soll ich Hanna nicht doch mitnehmen?«

So rasch konnte er diese Erläuterung nicht verdauen. »Warte mal, ihr Kind ist ja vielleicht noch klein ...«

»... und kriegt schon eine große Schwester, und was für eine! Sorgen übergenug, Felix. Und wie denn nun? Du bist ein Mann, aber was hast du sonst zu bieten? Sonst bist du ein Vorbestrafter mit einer alten Karre und wohnst bald zur Untermiete bei deiner Ziehtochter, dank eines verrückten Testamentes. Was steht dagegen? Eine Frau in bestem Alter, die sich selbst erhalten kann, und die ihrem Kind Mutter und hauptsächlich Vater ist oder es sein will. Die wird dreimal hinsehen, ehe sie sich zur Heirat entschließt. In unserem Alter, mein guter Junge, verliebt man sich nicht in einen Mann wie mit sechzehn, sondern in seine Stellung, in sein Geld, und vielleicht noch in seine dritten Zähne. Außerdem ist ja sicherlich noch ein Geschiedener da, ein Papa, der ein und ausgeht, an dem du gemessen wirst. Alles zusammen ergibt ein hübsches Durcheinander, nicht?«

»Du kannst einem richtig Mut machen, Isolde«, sagte Morak verdrossen. »Seit wann liest du übrigens Heiratsanzeigen?« Sie streifte ihn mit einem Blick. »Hin und wieder schon.

Bloß interessehalber. Soll ich alte Schachtel noch auf den Strich gehen?«

Felix Morak / Meschkas Enkel

Подняться наверх