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Offiziell hieß es, keinem wäre ein Vorwurf zu machen. Offiziere wie Mannschaften hätten hohes seemännisches Können, Mut und Einsatzwillen bewiesen. So ähnlich lautete wohl der Spruch, und er ist sachlich ohne Zweifel richtig. Die ATLANTIK wurde mittschiffs Steuerbord zwanzig Meter lang aufgerissen oder leckgedrückt. Die Eismassen entwickelten jedenfalls die Kraft einer Schmiedepresse von zweihundert Tonnen. Dabei ist es nicht mal ausgemacht, ob zweihundert Tonnen Druck ausgereicht hätten, um die geschweißten Stahlsektionen des mächtigen Schiffes wie Nussschalen zu knacken. Clem hat seine eigene Auffassung von der ganzen Geschichte. Er hält den Eisdruck für noch gewaltiger.

Aber es mag schon stimmen, dass wir Mut und Einsatzwillen bewiesen haben. Zwar musste die ATLANTIK für einige Zeit ins Dock, jedoch hätte sie auch vor der Hamiltonbank auf Grund und bei den Fischen liegen können. Wäre uns aber ein Vorwurf zu machen gewesen, hätten wir das Schiff im Eis verloren? Würde unser Mut und Einsatzwillen in diesem Falle weniger wert gewesen sein? Zählen die Strapazen Cooks nichts gegen die von Peary, mal abgesehen von dem Streit, wer denn nun den Pol, den großen Nagel, wie die Eingeborenen das unsichtbare Ding nennen, entdeckt hat?

Entdeckungsgeschichte ist das Spezialfach von Clemens Gib. Mit dem Spruch war also nicht viel los, bei vollem Lichte besehen. Was unser gelobtes seemännisches Können betrifft, so habe ich ebenfalls meine Zweifel. Ist das Können einer Mannschaft, die ihr Schiff rettet, höher zu veranschlagen als die Umsicht einer anderen, die eine Katastrophe zu vermeiden versteht? Ich bin Funker, unter anderem, in der Hauptsache bin ich Fischer. Immerhin sammelten sich in den fraglichen Tagen bei mir die Nachrichten bis zu dem Zeitpunkt, da ich ausfiel. Meine Funkkladde könnte ein Buch füllen, aber niemand würde durch das Lesen dieses Buches schlauer. Was da drüben auf der ATLANTIK denn nun eigentlich vor sich ging, wissen die Götter und die Eisfelder. Es begann mit einem kleinen Schaden, nicht der Rede wert, und es endete mit einem großen Fiasko, der großen Havarie, wenn auch nicht verschollen und total verloren.

Leider hat sich Richard, für mich der Zuständige in Fragen seemännischen Könnens, Mutes und Einsatzwillen, allzu unbestimmt über den Fall geäußert. Richard würde auch nie auf die Idee verfallen, seine verfluchte Umsicht und Voraussicht, sein ewiges Gemecker als seemännische Tugend zu bezeichnen, sicher aber weiß mein Bruder von seemännischer Moral mehr als manch einer, der Streifen und Sterne spazieren fährt, was auch nichts besagen will. Allzu oft hat mein Bruder Richard gute bis sehr gute Leute erschöpft, ratlos und sogar hysterisch gesehen, hat Schiffe hereingelotst, die schon aufgegeben waren, und manch ein Großmaul aus dem Wasser gezogen. Dass er sich in Schweigen hüllt, lässt den Gedanken aufkommen, es war ein Unglück, nicht vorhersehbar und nicht vermeidbar, und dass wir wieder rauskamen, mit einigermaßen heilen Knochen und einige von uns mit dicken Brieftaschen, war ein ebenso unvorhersehbares Glück. Über dem ollen Sofa in Richards Wohnstube hängt ein Spruch, fein gerahmt, da heißt es: Wind und Wogen sind Gottes ...

Alle Sprüche, die netten und die dämlichen, mal beiseitegelassen, bleibt als Tatsache mein kaputter Arm.

Der Funker und dienstälteste Offizier, ein ziemlich alter Fischer namens Olaf Johannsen, brach sich bei einem Gang über Deck in Ausübung seines Dienstes auf 62 Grad Nord und 55 Grad West infolge eines Sturzes den rechten Oberarmknochen. Der komplizierte Bruch wurde vom Kapitän nach einem MEDICO Gespräch und dem Basisschiff mit Bordmitteln erstversorgt. Wegen des schlechten Wetters, Sturm bis B 9, konnte Johannsen nicht sofort zu ärztlicher Behandlung übergeben werden. Geschehen am 23. Dezember 19.., zwoundzwanzig Uhr Zonenzeit. Punktum ...

Für den Text bürge ich nicht, aber er riecht verdammt nach Clem, und ich füge hinzu, es war auch ein böser Sturz.

Clemens Gib hatte mich ins Restaurant des Hotels Warnow bestellt. Ich war zu früh erschienen und setzte mich so, dass ich die Türen beobachten konnte, die das Restaurant mit der Küche verbinden. Fotozellen besorgten das Öffnen der Klappen, was ganz eindrucksvoll aussah. Die Kellner verließen sich ganz auf die Dinger, so wie sich der Alte auf der ATLANTIK wahrscheinlich auf die Wettermeldungen verlassen hatte. Aber ich wäre nicht davon abzubringen gewesen, dass die eine oder andere Zelle mal versagen würde. Es kam nur darauf an, dabei zusein, wenn einer der Stewards, hochbeladen mit Geschirr und in voller Parade, gegen die geschlossene Tür krachte. Natürlich geschah gar nichts; die Schotten öffneten sich gehorsam, und ich verlor das Interesse an der Sache. Dann erschien Clem, einsachtzig groß, mit prächtigem schwarzem Bart, dunklen Augen und spiegelnder Glatze.

Wir schüttelten uns die Hände, und Clem schlug vor, das Lokal zu wechseln, weil wir nicht recht herpassten, aber ich wollte nicht. Es sah nun doch so aus, als ob eine der Türen klemmte. Zweimal schon hatte sich der Kellner im vollen Lauf abbremsen müssen. Wir erörterten die Fehlerwahrscheinlichkeit, und zuletzt gab Clem, der wie ich funktechnisch ausgebildet ist, zu, dass die Zellen irgendwann mal versagen müssten. Darauf bestellte er zwei Eisbeine.

Genau genommen ist Clem eine Landratte. Magdeburger. Ich sagte: "Kennst du den? Ein Wirt sieht aus dem Fenster ... "

"Kenn ich", sagte Clem, "machen wir es kurz. Der Wirt schließt die Kneipe, weil nur zwei Tische frei sind und weil drei Magdeburger kommen. Stimmts?"

"Ganz genau", sagte ich. "Du bist wohl aus Magdeburg?" Als ich schon Hochseefischer war, da wurstelte Clemens Gib noch bei einem Elektriker, einem kleinen Krauter, als Stift. Da trieb es ihn weg. Heute ist er mein Vorgesetzter, ein B 6 Kapitän, und er hat noch alles vor sich. So ändern sich die Zeiten.

"Jedenfalls haben wir uns immer gut vertragen", sagte Clem, "und wenn wir gestritten haben, bist meistens du der Stänker gewesen."

"Da haben wir es", sagte ich, "ein Magdeburger - ein Tisch. Pommer und Magdeburger in einer Backschaft, schon gibts Stunk. Gaststätte schließt, heute Ruhetag." Dann brachte uns der Kellner das, was man hier Eisbeine nennt. Während des Essens setzte mir Clem auseinander, weshalb er mich haben wollte, als Ersatz. Es handelte sich nur um eine Saison. Ich sagte zu und erläuterte ihm, wie die Verhältnisse früher gewesen waren. Damals brachte die Fischerei mit Loggern noch was ein. Wir fingen Heilbutt, Hering natürlich, Seezunge, Cutfisch, ein walzenförmiges Vieh mit einem Gebiss wie eine Schlagschere, aber köstliches Fleisch.

"Weil Raubbau am Fisch getrieben wird", sagte der Hochseefischer und Trawlerführer Clemens Gib, als wäre ich Schuld an dieser Wirtschaft. "Alles ist schwerer geworden, auch für den Fisch. Wir finden ihn überall, gegen uns hat er keine Chance."

Das stimmte schon, war aber falsch adressiert. Schließlich saß Clem am Jagdsitz auf der Brücke vor seiner Fischlupe, dem LUPO, und entschied über das Dasein der Fische. Und er war immer ziemlich bei der Sache. Wir messen den Fisch mit Echolot ein, zeichnen seine Wege vertikal und horizontal auf, und es gibt noch ein paar andere Schikanen, über die man ungern redet. Hochseefischen ist heute ein kompliziertes Zusammenspiel von Fängern, Zubringern, Verarbeitern. In den Fanggründen gehen die Trawler, die kleinen grauen Hunde, auf Jagd. Die Z-Trawler sind größer, so an die zweiundsechzig Meter lang und reichlich zehn Meter breit, viel Schiff für einen Fischer, und wir machen, wenn wir Glück haben, gute vierzehn Knoten. Wir fischen im Verband mit Heckaufschleppen wie die Walfänger, während die kleinen Trawler oder auch Kutter - das Trawl ist im Grunde nichts anderes als unsere alte Kurre - Netz über Steuerbord aufholen. Wir können so an die hundert Tonnen Fisch zwischenlagern, bis zur Übergabe. So geht Hochseefischerei im Nordatlantik heutzutage vor sich, mit mächtig hohen Erträgen, nicht gut für den Fisch.

"EM meint aber", sagte ich bei unserem verflucht kleinen und zähen Eisbein, "Fang und biologische Reproduktion halten sich die Waage." Das war Clems Generalkurs, wie ich wusste.

"Biologische Reproduktion", sagte Clem höhnend, "wenn ich das schon höre. Die Leute fressen zuviel Fisch. Wir sind Räuber, wir plündern die Meere, nach uns die Sintflut, und nun muss diese Wissenschaft, dieser Klugschieter Mangelsdorf, ran und unser schlechtes Gewissen beruhigen."

Er tat ziemlich aufgeregt. Ich habe keine eigene Theorie. Wäre die angebliche Balance noch vorhanden, müssten wir nicht um die halbe Welt fahren für ein paar Tonnen Fisch, sondern würden mit den alten Methoden in uns nahen Gewässern gemütlich weiter fischen können. Was ist da los? Wer kann, baut größere, schnellere, technisiertere Schiffe und jagt, zwar nach Verträgen und Abkommen, aber gefangen wird immer mehr.

"Na, bitte", sagte Clem, "von wegen EM!"

Jedenfalls hat sich der Kabeljau zum Laichen ausgerechnet in die Labradorsee zurückgezogen, in den Eiskeller des Nordwestatlantik. Die Fangsaison liegt in den ersten Monaten des Jahres, und deshalb treffen sich die Fangflotten aller Nationen vor der Davisstraße, dem Tor zur Nordwestpassage.

"Übrigens wird der Fischereikrieg auch nicht bloß mit Statistiken geführt", sagte Clem weiter, während er mit einem Zahnstocher sein Wolfsgebiss säuberte.

Damit war das Thema erledigt, und wir erörterten das Fischproblem von einer besseren Seite. Clemens lobte Heilbutt, auch Seezunge ließ er gelten.

Ich sagte, ich zöge frisch gefangenen Kabeljau allem anderen vor. Das Fleisch habe einen herben, dann auch wieder zarten Geschmack, schneeweiß und fest, es dufte wie Brunnenkresse, aber der Fisch müsse gerade aus dem Wasser kommen, reif und gesund sein. Kein toter Fisch. So was hat man bei Richard auf seinem ollen Logger lernen können, Fischzubereiten nämlich, Braten und Kochen.

"Blödsinn", sagte Clem, "wieso Brunnenkresse? Wie kommst du darauf? Wie riecht denn Brunnenkresse?"

Ich wusste es nicht und sagte mürrisch: "Eben wie Brunnenkresse."

"Das ist doch keine Erklärung", sagte Clemens Gib.

"Dann beschreib mir mal, wie Dieselöl riecht!" Clem legte die Hand unter den Bart, schabte sich den Hals und sagte nachdenklich: "Du hast recht, trotzdem ist es keine Erklärung."

Ich wollte ja auch nichts erklären.

Wir bestellten Kaffee, und Clem sagte, er werde sich um alles kümmern; für jetzt genüge ihm meine mündliche Zusage.

Ich musste mal raus, traf unterwegs einen Bekannten und redete ein paar Minuten mit ihm, bevor ich wieder ins Restaurant ging.

"Trink deinen Kaffee", sagte Clem, "der steht schon eine Ewigkeit hier."

Ich steckte mir eine Zigarette an und trank den inzwischen kalt gewordenen Kaffee.

Die blaue Barriere

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