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In jenen Jahren im Schatten des „Sonnenkönigs“ hatten die Alchimisten, vertreten durch Männer wie Vanens, Chasteuil, Cadelan, Rabel, Bachimont, neben den Zauberinnen und Hexenmeistern weit über Paris hinaus das Land mit einem dichten Netz überzogen, mit dem sie Menschen aller Stände, selbst des höchsten Adels, mit ihrer gefährlichen Mitwisserschaft gefangen hielten wie Spinnen ihre zappelnden Opfer, um sie nach Belieben auszusaugen. Sie waren aber als Mitwisser zugleich auch Mittäter der abscheulichsten Verbrechen und darum ebenso Gefangene ihrer Kunden.

Diese Gesellschaft der Alchimisten und sogenannten „Philosophen“, die den Stein der Weisen suchten, blickte auf einen sehr bewegten Anfang zurück. Oberhaupt, in der Sprache der Kabbalisten, der Anhänger der mittelalterlichen jüdischen Geheimlehre, „Meister“ genannt, war François Galaud de Chasteuil, der zweite dieses Namens, Spross einer bekannten Familie der Languedoc, die dem Heer, der Kirche und der Literatur bedeutende Männer geschenkt hat. Im Jahre 1625 als zweiter Sohn des Oberstaatsanwalts der Rechnungskammer von Aix geboren, ahnte noch niemand, dass vor ihm ein äußerst bewegtes Leben voller Abenteuer lag. Als Doktor der Rechtswissenschaft beendete er seine Studien und wurde mit neunzehn Jahren zum Malteserritter ernannt, einem Orden, dem er so herausragende Dienste leistete, dass ihm der Großmeister das Ehrenkreuz auf die Brust heftete. Später wurde er Hauptmann der Garden des großen Condé.

Im Alter von siebenundzwanzig Jahren zog er sich nach Toulon zurück, rüstete ein Schiff aus und nahm unter maltesischer Flagge an der Kaperfahrt gegen die Türken teil. Sein Dasein als Freibeuter fand ein jähes Ende, als algerische Seeräuber ihn gefangen nahmen. Nach zwei Jahren in der Sklaverei gelangte er nach Marseille, wo er zur Abwechslung Klosterbruder wurde und rasch zum Prior der Karmeliter aufstieg. Das asketische Leben eines Mönchs aber war seine Sache nicht, er schmuggelte ein junges Mädchen, ein schlankes blondes Kind mit großen, unschuldsvollen Augen, in die Abtei und hielt es in seiner Zelle vor den Blicken seiner frommen Brüder verborgen. Was kommen musste, kam: Sie wurde schwanger. Doch ehe das nun nicht mehr so schlanke blonde Kind mit den großen und nicht mehr so unschuldsvollen Augen zur Niederkunft kam, erwürgte Chasteuil sie im Bett, von einem Laienbruder unterstützt, und trug sie bei Nacht in die Klosterkapelle, wo er einige Steinfliesen hob und ein Grab für die Tote schaufelte. Für einen Pilger, der vom Schlaf übermannt, neben einer Säule schlummerte, war es ein böses Erwachen, als ihn dumpfe Geräusche in der sonst so stillen Halle aufschreckten und er beim fahlen Schein des Mondes die beiden Männer bei ihrer schaurigen Arbeit erblickte. Starr vor Entsetzen wagte er kaum zu atmen und blieb bis zum Morgengrauen in seiner Ecke kauern. Erst als bei Tagesanbruch die Kirche geöffnet wurde, erstattete er sofort Anzeige. Chasteuil wurde verhaftet und zum Tod durch den Strang verurteilt. Er stand schon am Fuß des Galgens, als plötzlich wie vom Himmel gefallen der Galeerenhauptmann Louis von Vanens mit einigen Soldaten aufkreuzte und seinen Freund Chasteuil befreite, der, seinen Retter im Schlepptau, nach Nizza floh.

In einem abgelegenen Winkel, wo sie sich vor ihren Häschern sicher fühlten, schlugen die beiden Freunde ihre Behausung auf und begannen mit der mühevollen Arbeit, den Stein der Weisen zu finden, das heißt, aus Kupfer Gold und Silber zu machen. Chasteuil, der sich bereits mit Alchimie befasst hatte und im Besitz des berühmten Mysteriums zu sein glaubte, weihte Vanens zum Dank für die Rettung vor dem Henker in das sorgsam gehütete Geheimnis der Herstellung von Silber ein, nicht jedoch von Gold, ein Wissensschatz, den er dem Freund nicht preisgeben wollte. Bald darauf trat Chasteuil in die Dienste des Herzogs von Savoyen als Oberstwachtmeister der Garden de la Croix-Blanche und - unglaublich, aber wahr - als Erzieher von dessen Sohn, des jungen Prinzen von Piemont. Die Hoffnung, Metalle in Gold verwandeln zu können, hielt ihn weiter an zu „philosophieren“, und dass ihm der große Wurf gelinge, davon war er erst recht überzeugt, zumal er ein Öl erfand, das ihm todsicher den erwünschten Erfolg bescheren würde.

Chasteuil hatte eben erst die Vierzig überschritten, als er und Vanens sich mit Robert von Bachimont, Herr von La Nuré, verbanden, der mit einer Kusine des Oberpräfekten Fouquet verheiratet war. Dieser Bachimont besaß in Paris ein Haus in der Nähe des Temple mit vier Schmelzöfen, einem großen im dritten Stock, zwei kleineren im Zimmer nebenan und einem großen unten im Keller; außerdem hatte er eine Wohnung in Compiègne, im Ecu de France, wo nichts als Tiegel, Retorten, irdene und gläserne Gefäße, Destillierkolben, Schmelzöfen mit offenem und geschlossenem Herd, eiserne Röste, Mörser, Ammoniaksalze, Eisenfeilspäne, tausenderlei Pulver, Pasten und Tinkturen zu sehen waren. Darüber hinaus gehörte ihm auch noch eine Niederlassung in der Abtei d’Ainay bei Lyon, aufs beste eingerichtet für das Schmelzen von Metallen, die Destillation von Heilkräutern und andere alchimistischen Verfahren. Mit dem Grafen von Castelmehor, der einige Jahre der eigentliche Regent von Portugal gewesen war, gesellte sich eine weitere wichtige Persönlichkeit zu dem Dreierbund. Er habe ihm, so erklärte Bachimont, das Geheimnis der roten Glasfarbe enthüllt.

Chasteuil und seine Genossen suchten den Stein der Weisen, dessen Berührung die Metalle in Gold verwandeln sollte und die meisten Alchimisten in der Verdichtung des Quecksilbers zu finden hofften. Die Anhänger der „hermetischen Philosophie“ entdeckten, dass die Metalle zusammengesetzte Körper sind, deren Zusammensetzung identisch ist und sich nur voneinander unterscheiden durch die verschiedenen Proportionen der Elemente, die sie zusammenfügen. Durch ein Agens, das diese Proportionen versetzt, konnte man von nun an die Körper untereinander austauschen - zum Beispiel das Quecksilber in Silber, das Blei in Gold verwandeln -, und dieses Agens sollte der Stein der Weisen sein, das Quecksilber, nicht das gewöhnliche, für den Alchimisten nur ein verkümmertes Metall, sondern das Quecksilber der Philosophen, auch „grüner Löwe“ genannt.

Doch nicht nur der Verdichtung des Quecksilbers, das den Stein der Weisen hervorbringen sollte, suchten Chasteuil und seine Mitarbeiter auf die Spur zu kommen, sondern auch das Gold zu verflüssigen und damit, so glaubten sie, ein Universalmittel zu erhalten. Nach den Vorstellungen der Alchimisten stelle das flüssige Gold, aurum potabile, Gesundheit und Kraft wieder her, gebe den Greisen die Fülle der Gestalt zurück, nehme den jungen Mädchen die Bleichsucht, heile von der Pest und dergleichen fromme Wünsche mehr. Da sie jedoch kein verdichtetes Silber besaßen, um die Metalle zu verwandeln, suchten sie jene Projektionspulver oder Öle, von denen zu jener Zeit so viel die Rede war.

Nachdem sich die kleine Schar um Chasteuil 1676 in Paris niedergelassen hatte, stießen noch weitere bedeutende Gleichgesinnte zu ihnen: der Empiriker Rabel, ein berühmter Arzt; der reiche Bankier Cadelan, Sekretär des Königs, sowie der junge Advokat des Parlamentsgerichts Jean Terron du Clausel, der, was allen wichtig schien, eine sogenannte Lizenz zum Destillieren besaß. Das Heilwasser, das er erfand, bestand aus einer Mischung von Alkohol und Schwefelsäure: ein zusammenziehendes Mittel bei starken Blutungen. Gemeinsam mit Vanens wohnte er im Petit Hôtel d’Angle­terre in der Rue Anjou. Rabel hatte ein anderes Elixier gebraut, dessen Vorzüge er durch marktschreierische Anzeigen in Prosa und Versen anpries, und Cadelan war deshalb willkommen im Bund, weil er seine Geldmittel beisteuerte. Wenngleich die Alchimisten heilkräftige Öle und Wasser zu bereiten verstanden und äußerst gelehrt von den Eigenschaften der Metalle und deren Verwandlung sprachen, so waren sie trotz allem Falschmünzer. Das berühmte Silber, das Vanens und Chasteuil mit Kupfer herstellten, war nichts anderes als Neusilber, also Silberersatz. Eine Barre dieses angeblichen Silbers, die Vanens geschmolzen und Bachimont auf die Stadtmünze gebracht hatte, wurde infolge eines Versehens des dortigen Beamten angenommen. Kein Wunder, dass dieser Erfolg in ihnen allen die größten Hoffnungen weckte, die jedoch jäh zerschellten, als Louis von Vanens Anfang Dezember 1677 verhaftet wurde. Statt einen Spion erwischt zu haben, wie man anfangs noch glaubte, stellte sich heraus, dass es sich um einen Alchimisten handelte, und bald darauf wurde die ganze Sippschaft festgenommen, außer Chasteuil, der bereits verstorben, und Rabel, der nach England gezogen war.

Von allen Gefangenen war Vanens, der junge Edelmann aus der Provence, die Persönlichkeit, die am anschaulichsten zeigte, wie weit verästelt die Verderbnis der Moral, die alles zersetzende Fäulnis schon bis in die höchsten Gesellschaftskreise vorgedrungen war. Er unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zum Hof, wo er mit der stolzen Mätresse des Königs, der Marquise von Montespan, auf vertrautem Fuße stand und ihr Ratschläge zur Beseitigung ihrer Rivalin erteilte, derentwegen man ihn, wären sie ruchbar geworden, hätte zum Tode verurteilen und vierteilen lassen können. Außerdem war er ein häufiger Gast der Voisin, einer der berüchtigtsten Giftmischerinnen, eine Zeitlang sogar ihr „Meister“: ein Beweis für die enge Verbindung der Alchimisten zu den Zauberinnen. Als eifriger Anhänger hatte er, begleitet von seinem Diener und einem Geistlichen, eines Nachts im Wald bei Poissy unter Beschwörungen und Anrufung des Bösen nach Schätzen gegraben. In die Bastille, wo er mit mehreren Gefangenen in einem Raum leben musste, hatte er seinen Windhund mitnehmen dürfen, auf dessen Bauch er um Mitternacht Gebete und Segenssprüche herzusagen pflegte. Dazu nahm er ein Gebetbuch, in dem die Heilige Jungfrau abgebildet war, hielt dieses Bild gegen den Hintern des Hundes und sprach:

„Erscheine, Satan, sieh hier deine Vielgeliebte!“

Auf die Bedenken seiner Mitgefangenen über diese Gotteslästerung gab er zur Antwort, dass weder Gott noch der König ihn an seinem Tun hindern könne, so sehr war er von der Macht des Teufels überzeugt, obwohl er genau wusste, wo er sich befand und dass solche Anrufungen des Höllenfürsten ihn auf den Scheiterhaufen bringen konnten.

Das Pulver

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