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Ein Laboratorium wie all die anderen Alchimisten mit Tiegeln, Retorten, irdenen und gläsernen Gefäßen, Destillierkolben, Mörsern, tausenderlei Pulvern, Pasten und Tinkturen besaß Sainte-Croix in der Sackgasse Place Maubert gleichfalls, wenn auch nicht in solchen Ausmaßen wie Chasteuil und Konsorten. Aber den Stein der Weisen und damit die Formel, Gold zu machen, hatte auch er nicht gefunden. Im Gegenteil, mit Schulden überlastet war er gestorben. Zur Sicherung des Erbes wurden seinen wenigen Habseligkeiten Amtssiegel aufgedrückt, die erst eine Woche später Kommissar Picard im Beisein des Gerichtsdieners Creuillebois entfernte sowie zweier Notare, des Vermögensverwalters der Witwe des Verstorbenen und eines Sachwalters, den die Gläubiger bestellt hatten. Von einer Kassette, die der Marquise von Brinvilliers als erstes bei der Nachricht vom Tod ihres Liebhabers eingefallen war, fehlte jede Spur, ja niemand sonst wusste überhaupt etwas davon.

Das änderte sich jedoch, als nach den ersten drei Sitzungen, die ohne Zwischenfall verlaufen waren, ein Karmelitermönch erschien und den Schlüssel zu dem Geheimkabinett überreichte, in dem sich der Schmelzofen befand. Neugierig, was sich hinter der Tür wohl verbarg, schloss man sie sofort auf und erblickte auf dem Tisch eine Papierrolle mit der Aufschrift: „Meine Beichte“. Ohne zu zögern, erklärten alle Anwesenden, zur Wahrung des Beichtgeheimnisses dürfe man die Rolle nicht öffnen, sondern müsse sie unverzüglich verbrennen.

Bei der eingehenden Durchsuchung des geheimen Kabinetts entdeckte man schließlich in einem ebenso geheimen Fach eine länglich geformte, rote Kassette mit einem dranhängenden Schlüssel. Was zuerst ins Auge fiel, als man sie aufschloss, waren mehrere Arzneifläschchen, die einen mit einer wasserhellen, die anderen mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt, sowie verschiedene Pulver. Außerdem lagen darin Briefe der Marquise von Brinvilliers an Sainte-Croix, ferner zwei von der Marquise nach dem Tod ihres Vaters und ihrer beiden Brüder unterschriebenen Schuldscheine sowie schließlich noch eine Quittung und eine Vollmacht über den Betrag von zehntausend Livre, die Pennautier, der Obersteuereinnehmer der Geistlichkeit, durch Vermittlung von Sainte-Croix Herrn und Frau von Brinvilliers geliehen hatte. Diese Quittung und Vollmacht steckten in einem versiegelten Briefumschlag mit der Aufschrift: „Papiere, dem P. P. Pennautier, Obersteuereinnehmer des Klerus, als dessen Eigentum zurückzuerstatten, und ich bitte jene, denen sie in die Hände fallen, angelegentlich, sie ihm im Falle meines Todes zu übergeben, da sie für niemanden außer ihm Wert besitzen.“

Die Kassette selbst mitsamt ihrem übrigen Inhalt hatte Sainte-Croix mit folgenden Worten für die Marquise bestimmt:

„Ich bitte jene, in deren Hände diese Kassette gelangt, ergebenst, sie persönlich der Frau Marquise von Brinvilliers, wohnhaft Rue Neuve-Saint-Paul, übergeben zu wollen in Anbetracht dessen, dass alles, was sie enthält, nur diese allein angeht und ihr allein gehört und überdies niemandem von Nutzen wäre, ihr eigenes Interesse ausgenommen; und im Falle sie vor mir sterben sollte, bitte ich, die Kassette mit allem, was darin ist, zu verbrennen, ohne etwas zu öffnen oder zu verändern. Und damit man nicht Unwissenheit vorschützen kann, schwöre ich vor dem Gott, zu dem ich bete, und bei allem, was es Heiligstes gibt, dass ich nichts sage, was nicht auf vollster Wahrheit beruhte. Wenn je meinen Bestimmungen, die bei völlig gesundem Verstand gegeben wurden, zuwidergehandelt werden sollte, falle es in dieser und in einer anderen Welt auf ihr Gewissen, zur Entlastung des meinigen, und ich erkläre hiermit, dass dies mein Letzter Wille ist.

Gegeben zu Paris am 25. Mai nachmittags im Jahre 1670.

Unterzeichnet: Sainte-Croix.“

Als Nachschrift hatte er noch hinzugefügt: „Es ist ein einziges Paket an Pennautiers Adresse, das zurückgegeben werden muss.“

Der nachdrückliche Ton, mit dem der Verstorbene über die Auslieferung der Kassette samt Inhalt an die Marquise persönlich verfügt hatte, machte alle stutzig.

Was für Schätze waren es, die der Verstorbene dem Schutz Gottes und allem was am heiligsten ist, anheimgegeben hatte?

Warum trug das mit acht Siegeln von verschiedenen Wappen gesicherte Päckchen die Aufschrift: „Papiere, die nach meinem Tod zu verbrennen sind, da sie niemandem etwas nützen können. Ich bitte sehr inständig darum, und ich gebe es denen, in deren Händen sie kommen, aufs Gewissen, dass sie es tun, ohne das Paket geöffnet zu haben!“

Was hatte es mit dem sechsfach versiegelten Umschlag mit siebenundzwanzig Papierstückchen auf sich, jedes beschriftet mit „Verschiedene sonderbare Geheimnisse“?

Wozu hatten Sainte-Croix die vielen Chemikalien, teils in versiegelten Päckchen, wie Vitriol, Merkur, Höllenstein, Opium, gedient und wozu eine große, achteckige Flasche mit klarem Wasser und eine andere kleinere Flasche mit ebenfalls klarem Wasser, in der sich ein weißlicher Bodensatz befand? Auf den ersten Blick ließ sich nichts Auffälliges daran erkennen, man müsste wohl erst Versuche damit anstellen.

Klar war dagegen die Anweisung des Alchimisten über ein Pulver aus gedörrten Quittenknospen und Blättern, wie sich später herausstellte: „Das Blut der Weiber zu stillen“; hatte er auf dem Umschlag vermerkt.

Doch was war mit allem anderen?

Ohne Genaueres zu wissen, schien Kommissar Picard zu ahnen, dass damit mehr verbunden war als auf den ersten Blick ersichtlich, ein Zündstoff vielleicht, mit noch unabsehbaren Folgen. Er schloss daher das rote Kästchen mit dem Gerichtsstempel und trug den beiden Gerichtsdienern Cluet und Creuillebois auf, es sorgfältig zu verwahren, um dem Zivilrichter Gelegenheit zu geben, das Inventar höchstpersönlich zu sichten. Einer der beiden, Creuillebois, nahm die Kassette an sich.

Noch am gleichen Tag, an dem man die Kassette gefunden hatte, am achten August also, ließ die Witwe von Sainte-Croix die Marquise de Brinvilliers in Picpus davon in Kenntnis setzen, dass der Kommissar das Behältnis mit allen ihr gehörenden Gegenständen gerichtlich versiegelt habe. In der Annahme, die Witwe habe die Kassette in ihrem Besitz, schickte die Marquise einen Boten dorthin mit der Bitte, ihr alles auszuhändigen, woraufhin Frau Sainte-Croix einen Diener mit der Nachricht zu Picard sandte, die Marquise von Brinvilliers wolle ihn unverzüglich sprechen. Um Zeit zu gewinnen, verfiel der Kommissar auf die Ausrede, er bedauere sehr, ihrem Wunsch nicht nachkommen zu können, da er leider anderweitig zu sehr in Anspruch genommen sei.

Des Wartens müde war unterdessen die Marquise, von Unruhe getrieben, bereits selbst zu Frau Sainte-Croix geeilt, ungeachtet der späten Stunde gegen neun Uhr abends, und forderte ungestüm die Herausgabe der Kassette. Sie beschwerte sich, dass man Siegel angebracht hatte, und schlug vor, gegen einen Geldbetrag, den die Witwe ihrer Ansicht nach sicherlich gut gebrauchen könne, diese Siegel zu entfernen und den Inhalt herauszunehmen. Dafür solle man dann etwas anderes hineinlegen.

Als Frau Sainte-Croix ihr versicherte, die Kassette sei weder im Haus ihres verstorbenen Ehemannes noch in ihren eigenen vier Wänden, rief die Marquise unwirsch aus:

„Das ist ja reizend, dass dieser Kommissar einen Gegenstand, der mir gehört, einfach mir nichts dir nichts mitnimmt!“

Aufgebracht über das ihrer Ansicht nach rechtswidrige Verhalten Picards und zugleich auch aus Furcht wegen gewisser Papiere oder sonstiger irgendwie enthüllender Gegenstände, die Sainte-Croix in dem Kästchen aufbewahrt hatte, in verhängnisvolle Schwierigkeiten zu geraten, ließ sie sich zu dem Gerichtsdiener Cluet führen. In ihrem Wagen sitzenbleibend, beorderte sie ihn herunter auf die Straße und erklärte ihm, Herr Pennautier habe sie aufgesucht und ihr mitgeteilt, er sei sehr in Sorge wegen der Kassette und bereit, fünfzig Louisdor für deren Inhalt zu zahlen. Denn alles, was in jener Kassette liege, gehe nur ihn und sie selbst etwas an und dass sie nichts ohne sein Einverständnis getan habe.

Für den Gerichtsdiener war diese Kriegslist nicht zu durchschauen, für die Marquise von Brinvilliers aber ein Versuch, sich mit dieser dreisten Lüge selbst aus der Schusslinie zu bringen, wusste sie doch, dass verschiedene Schriftstücke in der Kassette für Pennautier von Interesse waren. Deshalb suchte sie ihre Angelegenheit mit jener des Finanzmannes, auf dessen einflussreiche Stellung sie baute, geschickt zu verquicken.

Der Name eines so hochgeachteten Mannes wie des Obersteuereinnehmers war dem Gerichtsdieners nicht unbekannt, änderte aber nichts daran, dass ihm die Hände gebunden waren. Ohne den Kommissar Picard könne er leider nichts tun, erwiderte er höflich, und außerdem habe er die Kassette überhaupt nicht, sondern sein Kollege Creuillebois, der sie ebenso wenig herausrücken dürfe.

Nur einen Augenblick lang verzerrte die Wut die sonst so lieblichen Gesichtszüge der Marquise von Brinvilliers: Gewohnt, ihren Willen immer und überall durchzusetzen, ertrug sie eine Niederlage nur schwer. Sie forderte Gehorsam, erst recht von einem Individuum wie dem Gerichtsdiener. Fest entschlossen, sich die Kassette zu holen, fuhr sie zum Haus des Kommissars, wo sie um elf Uhr in der Nacht anlangte und selbst heftig gegen die Tür pochte: Sie wünsche ihn augenblicklich zu sprechen. Aber auch dort musste sie einen Fehlschlag einstecken: Picard ließ sich gar nicht erst blicken, sondern durch seinen Schreiber Pierre Frater ausrichten, er sei schon zu Bett gegangen. Daraufhin forderte sie Frater auf, dem Kommissar zu melden, sie sei wegen der Kassette gekommen, die sich unter den versiegelten Sachen von Sainte-Croix befinde und ihr gehöre und die sie ungeöffnet zurückverlange. Die Antwort, die der Schreiber überbrachte, lautete, sein Herr könne die Frau Marquise nicht vor dem nächsten Morgen empfangen.

Statt selbst am folgenden Tag bei ihm vorzusprechen, erhielt Picard am Vormittag den Besuch eines gewissen Delamarre, der sich als Sachwalter des Châtelet auswies, wie das Pariser Gerichtsgebäude kurz genannt wurde, und erklärte, die Marquise von Brinvilliers habe ihn beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Sie lege größten Wert auf die Kassette und ersuche den Herrn Kommissar, ihm das rote Kästchen auszuhändigen. Dafür, fügte er mit Nachdruck hinzu, wolle sie ihm alles geben, was sie auf der Welt besitze.

Das ist gewiss nicht wenig, dachte Picard, hielt aber der Versuchung stand. Die hartnäckige Belagerung durch die Marquise ließ in ihm sogar den Verdacht aufkeimen, dass mit der Kassette weit mehr verbunden sein musste, als er bisher angenommen hatte. In dieser Vermutung wurde er sogar bestärkt, als ihn bald darauf auch noch ein schwarzgekleideter junger Mann aufsuchte, Briancourt mit Namen, der sich als langjähriger Bekannter und enger Vertrauter der Marquise de Brinvilliers vorstellte. Als armer Kandidat der Theologie hatte er jahrelang ihre Kinder unterrichtet, vor einiger Zeit die Stellung als Hauslehrer jedoch aufgegeben und sich von Picpus nach Aubervilliers zurückgezogen, wo er die Tage einsam verbrachte und wiederum Unterrichtsstunden erteilte, diesmal in der dortigen Anstalt der Oratorianer. Gut sieben Monate nach seinem Umzug hatte ihn die Marquise zum ersten Mal an seinem neuen Wohnort besucht und später dann und wann Erkundigungen über ihn eingeholt. Dort erreichte ihn auch eines Abends ihre dringende Aufforderung, unverzüglich zu ihr nach Picpus zu kommen, da sie ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe, was unberechenbare Folgen nach sich ziehen könne: Es war der Tod von Sainte-Croix am dreißigsten Juli.

Über diese Eilnachricht und die Besorgnis der Marquise ging Briancourt bei seinem Gespräch mit Picard stillschweigend hinweg. Dafür brachte er umso eindringlicher sein Anliegen vor oder vielmehr das seiner Auftraggeberin: die Herausgabe der Kassette. Die Marquise von Brinvilliers, so versprach er dem Kommissar, wolle ihm gern schenken, was er sich wünsche, wenn er die Kassette freigebe.

Zwei Bittsteller mit demselben Auftrag! Bildete sich die Marquise wirklich ein, ihn, den aufrechten Kommissar, der Verbrechen verfolgte, selbst zum Verbrechen zu verleiten, durch Bestechung ihn, den Gesetzeshüter zum Gesetzesbrecher verführen zu können? Mit Geld erreicht man zwar viel bei vielen, bei mir aber nicht, dachte er erbost. Da hat sich die Dame gründlich verrechnet. Eine Unverschämtheit, die sie noch teuer zu stehen kommt, vielleicht sogar viel teurer als sie und ich das jetzt ahnen.

Das Pulver

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