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Zu einem Besuch ganz anderer Art lud der Zivilrichter die beiden am zweiundzwanzigsten August zu seinem Amtssitz ein, um mit ihnen gemeinsam die Papiere zu prüfen, die man in der Kassette gefunden hatte. Doch Pennautier konnte der Vorladung nicht folgen, er hielt sich zu der Zeit auf dem Land auf; und die Marquise von Brinvilliers wollte ihr nicht folgen, sie ließ sich wieder durch ihren Sachwalter vertreten, der ihre Forderung auf Herausgabe des Kästchens samt Inhalt wiederholte.

Zur allgemeinen Überraschung meldete sich aber bei der Justizbehörde ein ihr bis dahin unbekannter Mann, der sich als langjähriger Diener des verstorbenen Sainte-Croix ausgab: La Chaussée. Frechheit siegt, sagte er sich. Gewohnt, krumme Wege zu gehen, steuerte er diesmal geradewegs aufs Ziel los. Mit der Dreistigkeit des abgebrühten Spitzbuben glaubte er, in der noch reichlich verworrenen Sachlage leichtes Spiel zu haben, und erhob Einspruch gegen die Beschlagnahme der Habseligkeiten seines ehemaligen Herrn. Sieben Jahre habe er in dessen Dienst gestanden, betonte er und behauptete, noch viel Geld von ihm zu bekommen,

Außerdem habe er ihm zur Aufbewahrung zweihundert Pistolen und hundert Silbertaler gegeben, die hinter dem Fenster des Kabinetts liegen müssten, und zwar in einem Leinenbeutel mit der schriftlichen Versicherung von Sainte-Croix, dass dieser Betrag tatsächlich ihm gehöre. Ferner werde man an derselben Stelle eine Abtretung von dreihundert Livre, ausgestellt auf einen gewissen La Serre, vorfinden, die er von dem verstorbenen Rat d’Aubray erhalten habe, sowie drei Quittungen von seinem Herrn, jede über hundert Livre. Sämtliche Papiere und Geldbeträge verlange er zurück.

Alles in allem nicht gerade unerhebliche Ansprüche, die er als Diener da geltend macht, dachte der Kommissar, der keinen Augenblick lang daran zweifelte, dass er einen Gauner vor sich hatte, der sich das alles nur aus den Fingern sog. Wofür sollte sein Dienstherr ihn so fürstlich entlohnt haben mit Münzen aus Gold und Silber? Weil er zu viel wusste und darüber unbedingt den Mund halten sollte? Oder war es Geld, mit dem andere, in dunkle Machenschaften verstrickte Mitwisser, sein Schweigen erkauft hatten? Auf all diese Fragen blieb La Chaussée eine überzeugende Erklärung schuldig, allein schon sein wenig vertrauenerweckendes Gesicht, der unruhige, gierige Blick seiner Habichtsaugen machten den Kommissar stutzig. In seiner langjährigen Berufserfahrung roch er geradezu einen Verbrecher schon von weitem. Nein, das Ganze kam ihn nicht geheuer vor.

In seiner Einschätzung fand sich Picard bestätigt, als er mit La Chaussée das Laboratorium von Sainte-Croix betrat, um nach dem Leinenbeutel mit den Gold- und Silbermünzen zu suchen. Die genaue Ortskenntnis, die der Diener bei der Besichtigung bewies, erregte den Verdacht des Kommissars. Wer sich hier so gut auskennt, mutmaßte er, der weiß auch sicherlich mehr, was hier möglicherweise alles geschehen und bis heute geheim gehalten worden ist. Denn es war anzunehmen, dass nur vertrauteste Freunde Zutritt zu diesem Kabinett hatten, und man konnte nicht der Vertraute eines solchen Menschen sein, ohne an dessen Verbrechen Anteil zu haben. Darin fühlte er sich noch bestärkt, als der ehemalige Diener des Alchimisten wieder auf verschiedene Papiere zu sprechen kam, die in einem roten Kästchen lägen und ihm zuständen. Doch kaum hatte Picard ihm mitgeteilt, dass die Kassette vor dem Versiegeln geöffnet worden sei und man über den Inhalt genau Bescheid wisse, verlor La Chaussée für einen Augenblick die Fassung, um dann, zur Verwunderung des Kommissars schleunigst das Weite zu suchen. Noch am gleichen Tag verließ er seinen neuen Arbeitgeber, einen Bader, in dessen Dienst er getreten war, und irrte, das Tageslicht scheuend, nachts in Paris umher, bis er am vierten September 1672 morgens um sechs Uhr von dem Polizeioffizier Thomas Régnier erkannt und verhaftet wurde. Bei seiner Festnahme fand man Gift bei ihm.

Nach dem Verhör des Verhafteten erhärteten sich die bisher noch ungesicherten Verdachtsgründe gegen die Marquise von Brinvilliers, doch zögerte man aus Rücksicht auf ihre gesellschaftliche Stellung, sie gleichfalls festzunehmen. Um ihr auf den Zahn zu fühlen und dadurch mehr Gewissheit zu erlangen, suchte Régnier sie in Picpus auf und berichtete ihr ohne Umschweife, dass er La Chaussée hinter Schloss und Riegel gesetzt habe.

„Er hat gesungen, wie es in Ganovenkreisen heißt“, erklärte er, „und von Kommissar Picard habe ich zudem so mancherlei erfahren.“

Dem Polizeioffizier entging nicht, dass Frau von Brinvilliers errötete, sich aber schon im nächsten Augenblick wieder fing.

„Nun, Frau Marquise, was sagen Sie dazu?“

„Was interessiert mich das Geschwätz von diesem Individuum, diesem..., wie heißt er auch noch? Haben Sie deswegen den weiten Weg zu mir gemacht, um mir das mitzuteilen, Monsieur? Gibt es nichts Wichtigeres auf der Welt? Lassen Sie uns von was anderem reden“, schlug sie vor und wusste gleich selbst das Gespräch auf andere Dinge zu bringen und ihn zu ersuchen, sie in die Messe zu begleiten.

Auf dem Weg dorthin und in der Kirche hielt sich Régnier mit weiteren Fragen zurück. Nach Hause zurückgekehrt, war es die Marquise selbst, die wieder anfing, als sie auf die Kassette zu sprechen kam und auf die Willkür der Justiz, ihr nicht das zu geben, was ihr gehöre.

Der Polizeioffizier, der ihre Unruhe bemerkte, sagte wie leichthin: „Aber, Frau Marquise, die Sache mit der Kassette ist doch, wie Sie wissen, längst erledigt.“

„Für mich nicht!“

„Warum machen Sie sich darüber so viele Gedanken? Sind Sie denn in irgendeiner Weise an der Sache beteiligt?“

„Beteiligt - ich? Woran und weshalb?“

„Weil dieser Spitzbube, dieser La Chaussée, sich dem Kommissar Picard gegenüber um ein Haar verraten hätte“, erklärte Régnier und sah sie dabei scharf an. „Er schien nämlich etwas über Sie sagen zu wollen und wird es wohl auch noch sagen, spätestens wenn er erst mal vor Gericht steht und sich reinzuwaschen versucht.“

„Man müsste den Kerl auf die Galeere schicken“, meinte die Marquise erregt, wobei sich ihre Züge einen Wimpernschlag lang krampfhaft verzerrten, und führte dann das Gespräch wieder auf die Kassette zurück. „Wenn Sie wüssten, wie oft ich Sainte-Croix gebeten habe, sie mir zu geben. Hätte er es getan, dann wäre jetzt jede Diskussion darüber überflüssig. Übrigens hat auch Herr Pennautier etwas damit zu tun, die Sache geht also uns beide an.“

Wieso, sagte sie nicht, und Régnier fragte auch nicht weiter danach, die Untersuchungen standen erst am Anfang und darüber würde der Kommissar den Obersteuereinnehmer wohl noch vernehmen. Er selbst machte sich auf den Weg nach Aubervilliers, um Briancourt aufzusuchen. Es wäre sicherlich aufschlussreich zu beobachten, malte er sich aus, wie der ehemalige Lehrer im Haus der Marquise und ihr enger Vertrauter, für den er sich bei der vergeblichen Herausgabe der Kassette ausgegeben hatte, auf die Nachricht von der Verhaftung La Chaussées reagieren würde. Das Ergebnis war noch überraschender, als er sich das in seinen kühnsten Erwartungen hätte vorstellen können: Denn kaum hatte Régnier ihm ohne lange Vorrede die Festnahme berichtet, als Briancourt auch schon den Schreckensschrei ausstieß: „Nun ist sie verloren!“ Jetzt gab es kein Halten mehr, der Damm des Schweigens war gebrochen. Was ihn all die Jahre seelisch gequält und sein Gewissen belastet hatte, schüttete er nun alles vor dem Polizeioffizier aus. Er erzählte ihm von den verschiedenen Giften, die Madame de Brinvilliers im Hause verwahre und über die sie sich oft mit ihm unterhalten habe.

Unterdessen hatte die Witwe des einstigen Oberrichters Antoine d’Aubray und Schwägerin der Marquise erfahren, dass ihr Gatte wirklich an einer Vergiftung gestorben war, so wie die Ärzte es bereits seinerzeit vermutet hatten. Niedergeschmettert über diese Bestätigung eilte sie nach Paris und erwirkte auf ihr am zehnten September eingereichtes Gesuch die Genehmigung, als Privatklägerin gegen La Chaussée und Frau von Brinvilliers aufzutreten. Der niederträchtige Mord an ihrem Mann sollte nicht ungesühnt bleiben.

Wer bisher noch an die Unschuld der Marquise von Brinvilliers geglaubt hatte, wurde spätestens jetzt eines Besseren belehrt: Hals über Kopf hatte sie Frankreich verlassen und sich nach England geflüchtet, ohne Begleitung ihrer Dienstboten außer einem Küchenmädchen. Diese überstürzte Flucht bei Nacht und Nebel bestätigte jeden Verdacht.

Somit stand La Chaussée allein vor Gericht - zunächst jedenfalls.

Das Pulver

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