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Das letzte Mahl – Ein Friedensangebot

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Öffentliche Hinrichtungen, das dokumentieren die bisherigen Schilderungen anschaulich, waren keine spontanen Aktionen, sondern ein oft zwar grausames, doch immer strenges, rechtsgültiges Zeremoniell. Zu allen Zeiten erstellte man genaue Pläne, in welcher Folge zum Beispiel ein Arme-Leute-Zug aufgestellt werden sollte, wie die Hinrichtungsstätte durch Soldaten geschützt werden konnte, wie viel Volk als Zuschauer zugelassen werden sollte, damit der Scharfrichter aber seiner Arbeit noch unbehindert nachgehen konnte, oder wie die Kleidung des Delinquenten auf seinem letzten Gang auszusehen hatte. Diese äußerlichorganisatorischen Einzelheiten machten jedoch nur einen Teil der Vorbereitungen aus. Viel wichtiger war die Einstimmung des Delinquenten auf seinen nahen Tod. Denn ohne die subjektive Einwilligung des armen Sünders war eine würdevolle Hinrichtung kaum durchführbar.

Das Verhältnis zwischen Verurteiltem und Scharfrichter bestimmte wesentlich den Ablauf und Ausgang einer Hinrichtung. Es galt, mögliche Störfaktoren auszuschalten. Ein Verurteilter hatte zwar kaum die Chance, dem Tod zu entkommen, aber er konnte den Interessen der Obrigkeit empfindlich entgegenwirken, das geplante große Theater der abschreckenden Strafe erheblich stören, indem er sich nicht in die vorgesehene Rolle einfügte. Ein widerspenstiger Delinquent, der anhaltend seine Unschuld beteuerte oder gar sein Schuldgeständnis öffentlich widerrief, gefährdete nicht nur das Ansehen der Obrigkeit, sondern den Glauben an die Gerechtigkeit selbst. Wenn es ihm gar gelang, das zuschauende Volk gegen den Scharfrichter aufzuwiegeln, konnte es passieren, dass der Verurteilte nicht als schuldiger armer Sünder, sondern vielmehr als Held oder Märtyrer gefeiert wurde.

Das Ziel der Obrigkeit war also eine würdevolle und zugleich abschreckende Hinrichtung, die zwar Mitleid erlaubte, aber jede Sympathie für den Delinquenten unterband und vor allem den Scharfrichter zum Symbol des gesetzestreuen Rächers erhob. Eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war also notwendig, damit die Würde des Gerichts ebenso wenig in Frage gestellt wurde wie die Abschreckungsfunktion des Hinrichtungszeremoniells.

Dazu gehörte, die mit dem Geständnis errungene Einwilligung des Delinquenten nach der Urteilsverkündung aufrechtzuerhalten und durch allerlei Gunstbezeugungen des Gerichts zu stärken. So konnte ihm für die letzten drei Tage im Gefängnis eine bessere Unterkunft gewährt werden, auch konnte ihm erlaubt werden, neue – mitunter selbstgewählte – Kleidung zu tragen. Vor allem erhielt der Verurteilte besseres Essen und ausreichend zu trinken. Denn: „Mahl und Trinken gehören zur glücklichen Hinrichtung und zum christlichen Tod, wie die Bereitschaft zu sterben, das Geschick des Scharfrichters und die Versicherung des armen Sünders, dass er niemand grolle.“

Besonders das letzte Mahl, das dem Verurteilten vor der Hinrichtung gewährt wurde, diente dazu, dem Delinquenten das Sterben zu erleichtern und seine Einwilligung zur Hinrichtung abermals zu festigen. Die sogenannte Henkersmahlzeit konnte der Delinquent allein einnehmen oder gemeinsam mit dem Scharfrichter; es konnte aber auch das letzte Mahl des Todeskandidaten mit mehreren Personen, etwa dem Henker, dem Richter und dem Geistlichen sein. Verschiedene Rituale der Henkersmahlzeit, wie sie im alten Nürnberg, aber auch in anderen mittelalterlichen Städten wie Frankfurt, Basel, Stuttgart, Eger, Köln oder Breslau stattfanden, hat Hans von Hentig in seinen Studien über Henkermahlzeiten eindrucksvoll dokumentiert.

Etwa in den Kellern des Nürnberger Lochgefängnisses, dort waren zwölf Zellen. In den beiden hintersten Zellen war der Ort, wo dem Verurteilten an den drei Tagen vor der Hinrichtung ein üppiges Mahl gereicht wurde, dessen Gänge genau festgelegt waren. So wurde dem zum Tode Geweihten eine Flasche Wein zur Labsal und Erquickung aufgetragen. In den Städten gab es bei der Ausgabe von Speis und Trank unterschiedliche Prozeduren: Waren es in Eger fünf Tage gutes Essen bis zum Tode und dazu noch Lichter, wurde in Frankfurt das letzte Mahl aus einem Hospital geliefert, so anlässlich der Hinrichtung der bereits genannten Kindsmörderin Susanna Brandt 1772 in Frankfurt. Bei von Hentig findet sich das Protokoll ihrer üppigen Henkersmahlzeit:

„Ein Tisch wurde in dem Hauptzimmer gedeckt, und durch löbl. Hospital-Amt besorgte Essen und Wein aufgetragen. Dieses hat, wie ich höre, dem alten Herkommen nach bestanden: 1.) in einer guten gersten Supp, 2.) in einer Schüssel blau Kraut, 3.) einer Schüssel Bratwürste von 3 Pfundt, 4.) 10 Pfundt Rindfleisch, 5.) 6 Pfundt gebackene Karpfen, 6.) 12 Pfund gespickten Kalbs-Braten, 7.) einer Schüssel confect, 8.) 30 Milchbrodt, 9.)2 schwarze Hospital Leibbrodt und 10.) 8 1/2 Maas 1784er Wein.

Am Tisch haben Persohnen gesessen: Unterzeichneter, Herr Pfarrer Willemer und Herr Obrist-Richter rechter Hand, Herr Pfarrer Zeitmann und die beyde Herren Göring und Göckler linker Hand, dabey hat serviret der bender löblichen Hospitals, Meister Freinsheim, dessen Knecht und der Hospital Becker.

Ich habe nichts gegeßen, dahingegen der Herr Pfarrer Willemer, Herr Pfarrer Zeitmann und Herr Obrist-Richter Raab etwas weniges, die beyde Einspänner aber von allem gegessen.

Ich habe der Maleficantin von allen Speisen anerbieten lassen, die sie aber ausgeschlagen und dagegen ein Glaß puren Wassers gefordert und solches auch getrunken. Denen beyden Herrn Candidaten, weilen es herkömmlich, habe jedem einen Schoppen Wein und zwey Milchbrodt verabreichen lassen.

Zwischen der zeit bekamen die gem. Weltlichen Richter ein Maas Wein und einen schwarzen Hospital Leibbrodt, die des Nacht die Wacht gehabte Soldaten aber drey Pfundt Edamer Käß, 1 schwartz Hospital Leibbrodt und 12 Maas Bier.

Wie nun an dem Tisch wenig gegessen und getrunken worden, so wurde der gantze Rest des Essens den Gem. Weltl. Richtern übergeben.“

Niemand nahm Anstoß an dem reichlichen und teuren Essen. Dass die der Hinrichtung nahe Kindsmörderin trotz mehrfacher Offerte die Speisen ausschlug, konnte allerdings als schlechtes Omen für die Vollstreckung ausgelegt werden. „Wer immer das Henkersmahl annimmt, schließt schweigend Urfehde (Frieden) mit denen, die Schuld an seinem Tod tragen“, so Hentig.

Das Kernstück, gewissermaßen das Hauptgericht aller essbaren und trinkbaren Gaben war die Mahlzeit, die kurz vor dem Tod gereicht wurde. Sie ist das eigentliche, das klassische Henkersmahl. Es trägt einen besonderen Charakter, weil es dem Gefangenen eine erhebliche – letzte – Freiheit zugesteht. Es symbolisiert die Umkehrung aller Herrschaftsverhältnisse, wenn der Hilfloseste der Hilflosen, der Gefangene, vor dem Tode Macht erhält, den Speisezettel der Henkersmahlzeit selbst zu bestimmen. Wie in Rom Herr und Sklave, so tauschten in vielen Ländern Staat und Todgeweihter für kurze Zeit die Rollen. Die Henkersmahlzeit schloss so Frieden zwischen dem Gericht und dem Delinquenten, also auch zwischen dem Henker und dem Todeskandidaten.

Die Sitte des Henkersmahls lässt sich bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts verfolgen. Kriminalhistoriker führen Belege an, wonach es in Ägypten als Bestätigung des Todesurteils galt, wenn der König dem armen Sünder Leckerbissen und Speisen von seiner Tafel erlaubte. Das Judentum kannten die Henkersmahlzeit in Gestalt eines betäubenden Trankes, der vor der Hinrichtung gereicht wurde. Neben den Berichten aus alter Zeit beweisen Aufzeichnungen aus asiatischen Ländern, dass unser Henkersmahl nichtchristlichen Wurzeln entspringt. In Persien wurden alle Wünsche des armen Sünders, was Essen und Trinken angeht, in großzügiger Weise erfüllt. Über Zeiten, Religionen und Kulturen hinweg blieb das Henkersmahl also ein Ritual der Versöhnung und des Friedensschlusses. Bis heute hat sich dieser Ritus erhalten. Er wurde aus früheren, roheren Zeiten übernommen.

Aber ist es tatsächlich ein Akt der Versöhnung? Gibt man dem Delinquenten wenige Stunden vor seiner Hinrichtung mit der Henkersmahlzeit wirklich noch einmal Würde und Selbstbestimmung zurück? Handelt es sich tatsächlich um einen Friedensakt mit dem Täter oder einzig um ein Besänftigungsritual für die Lebenden? Der Autor Andreas Bernard hat in seinem Artikel Das letzte Gericht den Ursprung des Rituals auf unsere Zeit übertragen – und in Frage gestellt.

„Auffällig ist“, so schreibt er, „wie sehr dieses Ritual gegen die gewohnte Ordnung des Gefängnislebens verstößt, gegen jene Regulierung des Alltags, der Arbeit und der Mahlzeiten, der auch die Todeskandidaten jahrelang ausgesetzt waren.“ Er zitiert Michel Foucault, der wie kein anderer den Strafcharakter des Gefängnisses eindringlich analysierte und dabei feststellte, „unaufhörliche Disziplin“ sei das Prinzip dieser Institution. Das „Einwirken auf das Individuum“ dulde keine Unterbrechung. In den Gefängnissen vollzieht sich seit jeher ein Gutteil dieser Disziplinierung über das Essen. Ein karger und unabhängig vom Willen der Insassen zusammengestellter Speiseplan soll zur Mäßigung beitragen, soll aus den Gesetzesübertretern wieder brauchbare Staatsbürger machen.

„Was also bedeutet vor diesem Hintergrund die letzte Ausschweifung der Henkersmahlzeit“, fragt Bernard. Plötzlich darf der Delinquent seine Mahlzeit, auch wenn es seine finale ist, individuell zusammenstellen. Nicht mehr das Gefängnissystem mit seinem rigiden Organisationsablauf entscheidet, sondern der Todeskandidat allein. Ist es eine letzte Geste, ihm angesichts des nahen Todes noch einmal ein wenig Würde und Selbstbestimmung zurückzugeben? Oder ist eher das Gegenteil der Fall: die Justiz gibt mit der Erlaubnis zur individuellen Maßlosigkeit noch einmal zu verstehen, dass der Todeskandidat nun endgültig aus dem repressiven Ordnungssystem herausgefallen ist, eine letzte zugebilligte Ausschweifung vor der endgültigen Auslöschung.

Gilt die Henkermahlzeit also mehr dem Delinquenten, dem man eine letzte Freude bereiten will, oder ist sie als Versöhnungsgeste derer zu verstehen, die die gewaltsame Tötung zu verantworten haben?

Hans von Hentig ist dieser Frage nachgegangen. Seine ethnologischen Studien über dieses jahrtausendealte Ritual kommen zu dem Ergebnis, dass die Henkersmahlzeit zu keiner Zeit ein letzter Akt der Humanität war. „Unverbrüchlich halten die Völker an einer Maßnahme fest, die kein Gesetz vorschreibt, als ob sie ihnen mehr nütze als dem Delinquenten“. Eher sei die Henkersmahlzeit eine Art Besänftigungsritual. Der Hingerichtete soll, ähnlich wie die umsorgten Menschenopfer in archaischen Gesellschaften, vor der Exekution milde gestimmt werden, damit er nicht als Rachegeist wiederkehre. So sei „der alte, rätselhafte Widerspruch zwischen kalter Grausamkeit und zarter letzter Gunsterweisung“ zu verstehen, so von Hentig.

In den US-Gefängnissen werden diese Versöhnungs- und Besänftigungsrituale noch heute praktiziert. „Der Weg durch die Pforte des Todes führt deshalb noch für eine kurze Zeit durchs Schlaraffenland“, wie Bernard konstatiert, um jenen „seelischen Zustand herzustellen, den der arme Sünder in die Geisterwelt mitnehmen soll“ (von Hentig).

Und so finden sich in den sogenannten Todestrakten besonders wohnlich ausgestattete Räume, die mit gewöhnlichen Zellen nur wenig gemein haben. Es gibt pastellfarbene Wände, bessere Bettwäsche, mitunter TV-Geräte, gepflegtere Kleidung – und eben auch eine letzte individuelle Mahlzeit. Ein Refugium zwischen Leben und Tod – ein Ort der Entspannung. „Schmeicheln will man mit diesen Vorzügen nicht mehr dem lebendigen Körper des Delinquenten sondern schon seiner unsterblichen Seele. Die Henkersmahlzeit ist eine zu Lebzeiten verabreichte Grabbeigabe“, so Bernard.

Deutlich wird: Das Ritual der Henkersmahlzeit ist auch heute noch kein finaler Akt der Humanität auf dem Weg in den Tod, sondern Teil eines möglichst reibungslosen Ablaufs. Mit der Bestellung und dem Verzehr seiner Lieblingsspeise gibt der Todeskandidat gewissermaßen sein Einverständnis zur vorgegebenen Dramaturgie und autorisiert seine bevorstehende Hinrichtung. Was aber geschieht, wenn der Delinquent die letzte Mahlzeit ablehnt, wenn er das vorgesehene Protokoll verweigert, wenn sich ein „Missklang in die Erbaulichkeit der Prozedur“ mischt, wie Hans von Hentig es nennt? Die Verweigerung der Henkersmahlzeit ist für das Gefängnissystem mehr als eine störende, stille Rebellion. Eine solche Entscheidung bringt nicht nur den stringenten Ablauf in Gefahr, sondern ist geeignet, innerhalb der Organisation für Unruhe zu sorgen. Der Delinquent signalisiert: Er will keinen Frieden mit seinen Richtern schließen. Er verweigert die symbolische Unterzeichnung seines Todesurteils. Die Gefängisdirektoren atmen also auf, wenn aus der Todeszelle eine Bestellliste kommt, sei sie auch noch so exotisch.

Bernard hat für das Texas Department of Criminal Justice eine Liste erstellt, auf der alle „letzten Gerichte“ der in Texas hingerichteten Delinquenten aufgeführt wurden. Die Liste, die im Internet eingesehen werden kann, umfasst die Zeit vom 7. Dezember 1982 bis zum 12. Juli 2000, insgesamt 224 Personen, die in diesem Zeitraum durch eine Giftspritze in der Strafanstalt Huntsville hingerichtet wurden. Die Frage nach dem Lieblingsgericht, von Boulevardblättern ansonsten gerne Prominenten gestellt, wurde der Öffentlichkeit nun in neuer Lesart serviert. Von den Eigenheiten des Geschmackssinns erhofft man sich Auskünfte über die Identität des Menschen. In diesem Fall über die texanischen Todeskandidaten.

In einem Interview sagte der Gefängniskoch von Huntsville, der vermutlich die meisten der auf dieser Liste aufgeführten Gerichte zubereitet hatte: „Ich glaube, das sind Speisen, mit denen die Verurteilten schöne Erinnerungen aus ihrer Jugend verbinden.“ Gab es Besonderheiten, die auf dieser Liste zu erkennen waren? Zunächst die unerwartete Gleichförmigkeit der Menüs. Burger, Steak oder Chicken – diese drei Gerichte machten weit mehr als die Hälfte aller Bestellungen aus. Dass sich die Delinquenten noch einmal eine der typischen amerikanischen Mahlzeiten wünschten, weist vermutlich tatsächlich auf jene frühen Erinnerungen hin, die sie mit diesem Essen verbanden, genauso wie die Todeskandidaten südamerikanischer Herkunft fast ausnahmslos Speisen wie Tacos, Enchiladas oder Fajitas bestellten.

Das überraschend schmale Spektrum der Henkersmahlzeiten hatte aber auch einen verwaltungstechnischen Grund, wie Bernard mutmaßte. In den letzten Jahren hatten die amerikanischen Gefängnisse nach und nach die freie Wahl der Speisen eingeschränkt. Machten sich um 1900 die Delinquenten noch einen letzten Spaß daraus, möglichst Außergewöhnliches und Luxuriöses in Auftrag zu geben, um die Gefängnisverwaltung gewissermaßen zum irdischen Finale noch einmal herauszufordern, gab es in Huntsville dagegen nur das, was in der Küche zur Verfügung stand. Sogar eine Bestellung wie „Shrimps mit Salat“ (Pedro Muniz, hingerichtet am 19.5.1998) wurde zurückgewiesen, weil keine Meeresfrüchte vorrätig waren. Die Henkersmahlzeit als unreglementierter Ausbruch aus der Ordnung der Gefängniskost gibt es nicht mehr. Alkoholische Getränke sind ohnehin seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 verboten. Der Todeskandidat soll in vollem Bewusstsein seinem Schicksal entgegengeführt werden, ungetrübt von den beruhigenden Wirkungen des Alkohols. Selbst der traditionelle Wunsch nach einer „letzten Zigarette“, jahrhundertelang Sinnbild für die ablaufende Lebenszeit des Delinquenten, wird mittlerweile verwehrt.

Dennoch, Delinquenten nehmen es sehr genau mit der Bestellung ihrer letzten Lieblingsspeisen. Menge und Zubereitungsart werden mitunter akribisch beschrieben, Sonderwünsche sorgsam formuliert, so, als wäre es eine letzte Möglichkeit, noch einmal etwas Persönliches, eine besondere Eigenart oder Vorliebe herauszustreichen:

„Vier bis fünf Spiegeleier“ (Noble Mays, hingerichtet am 6.4.1995), „Pepperoni-Pizza, mittelgroß“ (Richard Brimage, Jr., 12.3.1997), „gebratenes Huhn, nur weißes Fleisch“ (Richard Foster, 24.5.2000), „zehn Quesadillas, fünf gefüllt mit Mozzarella, fünf gefüllt mit Cheddar“ (Jessy San Migule, 29.6.2000).

Und es gibt Bestellungen, bei denen der Delinquent eine genaue Anordnung der Speisen auf dem Teller vorgibt, ganz so, als würde er jener Klarheit und Ordnung noch einmal Rechnung tragen, die seinen Alltag in den langen Gefängnisjahren bestimmten.

„Das Dressing zum Salat soll separat serviert werden” (James Clayton, 24.5.2000), „die geschmolzene Butter zu den Honigsemmeln nicht auf dem Gebäck, sondern daneben“ (Orien Joyner, 12. 2000).

Es gibt Wünsche, bei denen die Todeskandidaten am Vorabend ihrer Hinrichtung noch auf ihren Körper und auf Gesundheit und Fitness achten: Ronald O’Bryan etwa, hingerichtet am 31.3.1984, verlangt „Süßstoff statt Zucker zu seinem Tee“, Kenneth Dunn (10.8.1999) ein „Diet Cream Soda“, und Cornelius Goss (23.2.2000) möchte sogar nichts weiter als „einen Apfel, eine Orange, eine Banane, eine Kokusnuss und Pfirsiche“.

Schließlich jene Menü-Wünsche, die opulent und maßlos erscheinen, so, als wolle der Delinquent Vorsorge treffen, noch einmal das Privileg der Ausschweifung wahrnehmen, etwa die

„zwei Dutzend Rühreier“ von Robert Streetman (7.1.1988), die „zwölf Stücke gebratenes Huhn“ von Domingu Cantu, Jr. (28.10.1999) oder die Bestellung von David Castillo (23.8.1998): „24 Soft-Shell-Tacos, sechs Enchiladas, sechs Tostados, zwei ganze Zwiebeln, fünf Jalapenos, zwei Cheeseburger, ein Schokoladen-Milchshake, eine Packung Milch“.

Nur knapp ein Zehntel der auf Bernards Liste aufgeführten 224 Todeskandidaten verweigerte die Bestellung einer Henkersmahlzeit und ließ sich nüchtern auf die Pritsche im Injektionsraum führen. Das letzte Mahl wird so neben dem Zellenwechsel sowie der großzügigen Gewährung von Besuchen der Angehörigen, Verwandten und Freunde als letztes Friedensangebot und Besänftigungsritual gewährt. Der Delinquent darf sich noch einmal zu essen wünschen, was immer er mag, so viel er will. „Ein paradoxes Privileg“, nennt das der Philosoph Wolfram Eilenberger. „Noch bevor die Nahrung verdaut ist, wird das Leben ausgelöscht sein. Um den Erhalt der Körperfunktionen kann es bei diesem Ritual also nicht gehen, viel eher um eine karnevaleske Distanzierung von der erahnten Unwürdigkeit des Geschehens. Ein gefangener Mensch ohne Recht auf die nackte Existenz wird in den letzten Stunden seines Lebens in den Stand königlicher Wahlfreiheit gehoben. Was soll das?“

Eilenberger misstraut dem finalen Gunsterweis: „Ist es die schlichte Endgültigkeit der Handlung, die nach einer Geste der Versöhnung verlangt? Soll selbst der aus der Gemeinschaft der Lebenden bereits Ausgeschlossene einen letzten Moment sinnlicher Befriedigung erfahren?“ Würde freilich das letzte Mahl entfallen, bliebe nur noch das letzte Wort. Davon wird am Ende dieses Buches noch einmal die Rede sein, von den letzten Worten, gedacht als finale Botschaft an die Angehörigen der Opfer, den Richter, die Geschworenen, die Zeugen, die eigene Familie – oder doch vor allem an sich selbst?

Was die letzten Worte des Nicolas Jacques Pelletier waren, der am 25. April 1792 gegen 15.30 Uhr in Paris vor den Augen Tausender Neugieriger zum Schafott geführt wurde, ist nicht überliefert. Aber dass dieser Tag ein großer Tag für die „humanen“ Reformer war, ist dokumentiert. Eine neue Technik des Tötens feierte ihre blutige Premiere: die Guillotine. Davon soll auf den nächsten Seiten berichtet werden.

Ohne Gnade

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