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Töten mit Gottes Hand – Vergeltung und Versöhnung

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Glauben Sie, dass es einen Menschen besser macht, wenn man ihn verbrennt?“, fragte Emmanuel Philibert, Herzog von Savoyen, den italienischen Inquisitor Antonio Michele Ghislieri, der sich als Papst Pius V. (1566–1572) durch seine besondere Grausamkeit und mörderischen Pogrome gegenüber „Feinden“ der katholischen Kirche auszeichnete und später, 1712, als Reformer heilig gesprochen wurde.

Ghislieri antwortete, dass die Scheiterhaufen der Inquisition der Menschheit Glaubenskriege mit ungleich mehr Todesopfern ersparten. Diese Antwort in Anlehnung an das Alte Testament, nichts sei grausamer als Mitleid mit Gottlosen, fasst die Einstellung der heiligen Inquisition – einer fanatischen Kirchenaufsichtsbehörde, würde man heute sagen – zusammen: Ihre Mitglieder und Verfechter bekämpften im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht allein Ketzer, die sich gegen die Kirche vergingen, sondern auch Hexen, Zweifler und Zauberer mit heiligem Zorn. Die Urteilsvollstreckung, wie immer sie ausfallen mochte, wurde mit dem portugiesischen Wort „Autodafé“, (Werk des Glaubens), bezeichnet. Schwere Sünder wurden auf den Scheiterhaufen gezerrt und verbrannt. Das Böse verwandelte sich in Asche. Freilich: Verbrannt wurde auch innerweltlich. Hexenverbrennungen waren kein Privileg der Inquisition. Auch nicht das Foltern, um die Angeklagten zu einem Geständnis zu zwingen.

In der frühen Neuzeit war es beinahe alltäglich, in Indizienverfahren Folter anzudrohen oder mit Gottes Hand – nach Abstimmung und mit Genehmigung der Obrigkeit – Folter vorzunehmen. Die Überzeugung, dass Gott unmittelbar in die Gerichtspraxis eingreifen könne, war weit verbreitet. Bekannt waren die sogenannten Hexenproben, die vor allem zur Überführung einer Hexe dienten. Bei der Nadelprobe stach der Richter mit einer Nadel in ein Muttermal, trat kein Blut aus, galt die Schuld als erwiesen. Am bekanntesten ist die Wasserprobe: So wurden im westfälischen Lemgo 1583 drei Frauen ausgezogen und an Händen und Füßen so eng gebunden, dass sie sich nicht bewegen konnten. Danach wurden sie im Beisein etlicher tausend Menschen an einem Strick festgebunden ins Wasser geworfen. Als sie gleich wie ein Holz nicht umgehend untergegangen waren, galten sie als unschuldig. Das Wasser wollte die Sünder nicht haben.

War ein Angeklagter trotz gründlicher Verhöre, belastender Zeugenaussagen und zermürbender Kerkerhaft nicht zum Geständnis bereit, setzte man auf die Folter, die in aller Regel so lange gesteigert wurde, bis endlich ein Geständnis erzielt war. Sie war nicht so sehr Ausdruck eines unkontrollierten Sadismus der Foltergehilfen, sondern ein von allen öffentlichen Institutionen der Kirche und des Staates anerkanntes Mittel zur Wahrheitsfindung. Folter sollte das Böse im Menschen bezwingen – mit Gottes Hand und Segen. Erste Anwendung fand die Folter in den Ketzer- und Hexenprozessen, hier wurde sie zum entscheidenden Instrument im Kampf gegen den Satan. Schritt für Schritt drang sie dann in alle Verfahren gegen schwere Verbrechen ein.

Insgesamt sollte die Folter nach Ermessen eines „guten, vernünftigen Richters“ vorgenommen und der Verdächtige je nach Stärke des Argwohns oft oder weniger oft gefoltert werden. Das Ausmaß der Folter und der Umgang mit dem Angeklagten blieben unkontrolliert und waren allein Sache der richterlichen Obrigkeit. Man ging dabei stufenweise vor: Es gab zahllose Theorien und Praktiken, je nach Religion und Tradition. In der Regel basierte die Folterpraxis auf einer „Dreistufen-Dramaturgie“:

Zu Beginn stellte der Scharfrichter seine Instrumente vor. Durch dieses Einschüchterungsszenario versuchte er den Beschuldigten zum Geständnis zu bewegen. Nutzte dies nichts, schritt er zur zweiten Stufe: Der Verdächtige wurde entkleidet und es wurden ihm Bein- und Daumenstöcke angelegt. Allein das Ausgeliefertsein durch die Nacktheit zeigte bei vielen Wirkung: Sie gaben ihren Widerstand demoralisiert auf. War auch bis dahin noch kein befriedigendes Geständnis erreicht, begann der Richter mit der dritten Stufe, der peinlichen Befragung unter Zuhilfenahme von Daumenstöcken. Dabei wurden flache Eisenstücke zwischen die Daumen gelegt und zusammengepresst. Danach gab es zahlreiche Möglichkeiten, die Schmerzen für den Delinquenten zu intensivieren.

Hier kannte die Phantasie der Peiniger keine Grenzen. Die Abscheulichkeiten – vor allem bei Hexenprozessen – sind dokumentiert. Die zugefügten Schmerzen verstand man als Kampf gegen den Teufel, den es durch eine von Gott geführte Hand zu besiegen galt. Dennoch: Es war ein ambivalentes Marter-Ritual: Einerseits wurde alles darangesetzt, die Wahrheit herauszuquälen und den Willen des Delinquenten zu brechen, andererseits sollte der Gefolterte keinen dauerhaften Schaden erleiden. Eigentlich waren Kranke, Alte oder schwangere Frauen von der Folterprozedur ausgeschlossen. Ansonsten aber wurden die Folter und das peinliche Strafverfahren immer dann mit aller Härte durchgeführt, wenn es darum ging, den gefassten Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen. Also immer.

Es bedurfte noch Jahrzehnte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Folter ein ungeeignetes Mittel war, um die Wahrheit zu finden oder gar den Anspruch der Gerechtigkeit zu erfüllen. Und es sollte bis ins 18. Jahrhundert dauern, bis die Folter verboten und aufgehoben wurde: etwa in Preußen 1754, in Sachsen 1770 und in Österreich 1776. So waren beispielsweise der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, der vier Jahre zuvor, am Morgen des 14. Januar 1772, in Frankfurt am Main ihr Todesurteil vorgelesen wurde, die peinlichen Verhöre erspart geblieben. Doch auch wenn neue Strafrechtsverordnungen zunehmend Folter und Scheiterhaufen verboten, an archaischen Strafpraktiken und öffentlicher Inszenierung wurde mit Nachdruck und organisatorischem Eifer festgehalten. So lautete Susanna Margaretha Brandts Urteil: Tod durch Enthaupten. Das Hinrichtungsritual dokumentiert Richard van Dülmen eindrucksvoll in seinem Buch Theater des Schreckens:

„Der Richter war in Exekutionskleidung erschienen, einem schwarzen Gewand, darüber einen roten Mantel, auf dem das große Stadtwappen zu sehen war. Die junge Frau trug ein ‚Totenkleid‘, eine weiße Haube, eine weiße leinene Jacke mit schwarzer Schleife und einen weißen Rock, dazu weiße Handschuhe. Um 8 Uhr folgte eine kleine Mahlzeit, bis ab 9 Uhr die Kirchenglocke alle Viertelstunde mit drei Anschlägen schlug und zum Aufbruch rief. Die Verurteilte wurde an beiden Händen gebunden auf die Straße geführt. Der Richter, mit einem großen Zepter in der Hand, stieg mit weiteren städtischen Beamten in roten Röcken auf die Pferde. Grenadiere umgaben die von Geistlichen und dem Knecht des Scharfrichters begleitete ‚arme Sünderin‘. Unter ständigem Singen, Beten und Zurufen bewegte sich der Zug gemächlich zur Richtstätte.

Währenddessen hatte der Scharfrichter mit seinen Söhnen und weiteren Gehilfen unter dem Schutz von Grenadieren auf dem Richtplatz alles vorbereitet. Als die Delinquentin eine halbe Stunde später ankam, segneten sie die Geistlichen und der Scharfrichter führte sie zu einem Stuhl, wo er sie festband. Danach entblößte er ihr sorgsam Hals und Kopfhaar. Darauf wurde, unter beständigen Zurufen der Seelsorger, ihr Kopf durch einen Streich des Scharfrichters ‚glücklich und wohl‘ abgeschlagen. Auf die Frage des Henkers, ob er das ihm Befohlene richtig ausgeführt habe, antwortete der Richter: ‚Er hat sein Amt wohl verricht und gethan, was Gott und die Obrigkeit befohlen hat.‘“

Das öffentliche Sterben, wie es im 18. Jahrhundert inszeniert wurde, war eine ernste Angelegenheit, die ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen sollte. Richard van Dülmen schildert eindrucksvoll, wie sich der Zug der Beteiligten nach der öffentlichen Urteilsverkündung und der Henkersmahlzeit in der Regel bereits am frühen Morgen unter Glockenschlägen vom Gefängnis oder Rathaus zum Richtplatz in Bewegung setzte. Dort hatte sich das Volk schon seit Stunden versammelt. Bevorstehende Hinrichtungen wurden durch Aushang und Ausrufen öffentlich und frühzeitig bekannt gemacht, mitunter hing ein rotes Tuch vom Balkon des Rathauses und zeigte an, dass eine Hinrichtung unmittelbar bevorstand.

Von öffentlichen Exekutionen, die oft den Charakter eines Volksfestes trugen, wird in einem späteren Kapitel noch die Rede sein.

In der Regel nahm der „Arme-Sünder-Zug“ mit dem Verurteilten den kürzesten Weg zur Richtstätte, obschon er auch am Wohnhaus des Delinquenten oder am Tatort des Verbrechens vorbeigeführt werden konnte. Soldaten begleiteten den Zug, damit es zu keinen Unruhen kam und der festlichfeierliche Charakter gewahrt blieb.

Richter und Henker waren durch ihre Kleidung weithin sichtbar. Der Verurteilte musste gefesselt zu Fuß gehen; mancherorts wurde er auf einem Wagen gefahren und zur Schau gestellt, was bereits Teil der Strafe war. Vom Verbrechen und der Haltung des Delinquenten hing es ab, wie das Volk am Wegesrand reagierte. Spott und Hohn waren ebenso an der Tagesordnung wie aufmunterndes Zurufen, Wehklagen oder Einstimmen in das von Geistlichen angestimmte Lied. Für besonders schimpfliche Verbrechen gab es – wie auf vorhergehenden Seiten im Katalog der Strafen aufgeführt – das Schleifen zur Richtstätte, das auf einer frischen Kuhhaut mit dem Kopf nach unten durchgeführt wurde. Auch für diese grausame Tortur gab es genaue Anweisungen vom Richter:

„Es wird eine absonderliche Schleiffe, etwas höher als eine Maltz-Horde, mit Sprossen gemacht, so groß, daß darauf der Cörper geleget werden kann. Doch darf er nicht gantz darauf liegen, sondern nur so, als wenn er säße, und gleichsam den rechten Arm untergestützet hätte und ruhete. Diese Schleiffe wird nun mit einer Küh-Haut belegt, und zum Halsgerichte, iedoch außer den Kreis, hingebracht. Wenn das Halsgerichte aufgehoben und die Stühle umgeschmissen, so wird hernach solche Schleiffe dagin vollende angerückt, und der Delinquent gleichsam sitzende dergestalt darauf geleget, daß der Kopf nach des Pferdes Schwanz zu liegen muß. Mit dem rechten Arm aber wird der Delinquent durch einen Strick an ein oder zwey der letzten Speichen und Sprossen, durch die Küh-Haut durch, dermaßen angebunden, daß der Kopf etwas niedriger als der Leib zu liegen kommet, aber nicht an die Erde aufschmeißet. Wie nun an die Schleiffe ein Ortscheid gemachtet, und davor ein Pferd gespannet wird, welches ein Schinder-Knecht reitet; also wird sodann der Delinquent auf diese Art zur Fehm-Stäte hingeschleiffet …“

Die Rolle des Schinder-Knechts, dessen Aufgabe es war, dazu beizutragen, den Delinquenten auf dem Weg zur Richtstätte zu schinden und zu martern, war in früheren Zeiten häufiger Bestandteil des Hinrichtungsrituals. Ursprünglich spiegelte sich in den körperlichen Torturen das dem Delinquenten vorgeworfene Verbrechen. Dabei kam es zu komplexen Verbindungen und Analogien, die für das Selbstverständnis dieser Zeit höchst beziehungsreich waren. Zum einen gab es unehrenhafte, schändliche Tötungsarten, wie etwa das Erhängen für mehr oder weniger heimlich verübte Verbrechen wie Diebstahl oder Einbruch. Und es gab ehrenhafte, nicht verletzende Strafen wie das Enthaupten für Taten, die in aller Öffentlichkeit begangen wurden, etwa Totschlag. Die Unterschiede der angewandten Strafpraktiken wurden vor allem im Gnadenakt deutlich. Es ging hier nicht allein darum, dem möglichen Tod zu entkommen, sondern beispielsweise von der Strafe des Räderns oder des Erhängens zur Strafe durch das Schwert begnadigt zu werden.

Ohnehin gab es sichtbare Unterschiede bei Strafen für Männer und Frauen. Das Erhängen, das Rädern und die Vierteilung waren typische Männerstrafen, während Frauen zumeist den Tod durch Ertränken, Verbrennen oder auch lebendig Begraben erlitten.

Schließlich gab es – im vorherigen Kapitel wurde darauf verwiesen – komplexe Verbindungen von mehreren Strafen. Eine Aneinanderreihung von Martern konnte der Hinrichtung vorausgehen oder aber am toten Körper nachträglich vollzogen werden. Beispielsweise war es keine Ausnahme, bei schweren Delikten die Enthauptung mit dem Rädern zu verbinden oder den gerade Enthaupteten danach zu verbrennen. Derartige Prozeduren resultierten aus dem Versuch, alle begangenen Verbrechen durch je eine Strafe zu ahnden. Dabei wurden die Martern am toten Körper genauso akribisch vorgenommen wie die am lebendigen Leib. Ging es doch weniger darum, dem Verbrecher besondere Schmerzen zuzufügen, als die Anzahl grässlicher Verbrechen angemessen zu sühnen. Jedes Verbrechen verlangte im Prinzip eine eigene Strafe. Eine Gemeinsamkeit freilich gab es: Alle Hinrichtungsrituale können als Reinigungsrituale bezeichnet werden. Es ging um die völlige Auslöschung und Vernichtung des Delinquenten. Die Hinrichtung von Menschenhand durch den Henker wurde durch Naturgewalten »vollendet«: durch die Erde, das Feuer, das Wasser, denen besonders reinigende Kräfte zugesprochen wurden.

Die brachialen Strafpraktiken änderten sich deutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zwar gab es nach wie vor die Androhung härtester Todesstrafen wie Rädern oder Verbrennen, aber sie wurden deutlich seltener verhängt. Zum einen ließen die Gerichte in Zweifelsfällen zunehmend Gnade vor Recht ergehen, was mit weniger grausamen Bestrafungen, häufig auch mit dem Verzicht des Vollzugs der Todesstrafe einherging, zum andern bedurfte die Vollstreckung einer besonderen Bestätigung der überregionalen Gerichtshöfe. Die grässlichsten Hinrichtungsarten, außer dem Rädern, das es seltsamerweise bis weit ins 19. Jahrhundert gab, wurden kaum mehr oder immer weniger praktiziert.

Mit der „Verweltlichung“ der Strafpraxis und einer auf Theatralik, Einschüchterung und moralische Erbauung angelegten Hinrichtungspraxis wurden diese reinigenden Rituale alsbald vor allem durch die abschreckende Schwertstrafe ersetzt. Vom Töten durch Gottes Hand zur Hinrichtung im Namen des Volkes: Das markiert den Beginn einer unendlichen Reformgeschichte staatlichen Tötens. Sie dauert bis heute an. Auf den folgenden Seiten wird davon die Rede sein.

Zuvor noch ein Exkurs, der beispielhaft zeigen soll, wie wichtig in allen Epochen eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war. Einerseits, damit die Obrigkeit nicht in Frage gestellt wurde, andererseits als Teil der Abschreckung. Dazu gehörte auch, nach Urteilsverkündung durch allerlei Gunstbezeugungen so etwas wie eine würdevolle, störungsfreie Hinrichtung zu ermöglichen. Ein letztes Friedensangebot angesichts des nahen sicheren Todes – beispielsweise durch die sogenannte Henkersmahlzeit.

Ohne Gnade

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