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Viertes Kapitel Ein Volk, ein Reich, ein Führer

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Es ist so schwer, das alles zu schildern, seufzten die »Münchener Neuesten Nachrichten« am 9. November 1939. Die Spannkraft des Herzens reicht nicht aus, um das gemeinste, grausigste Verbrechen aller Zeiten zu erfassen. Es fand sich dennoch ein Augenzeuge, der wenigstens die markige Sprache nicht verloren hatte: Es ertönt ein dumpfer, schwerer Knall… Fliegerbombe? Einer schreit das Wort, das so unvergeßbar ist wie diese Augenblicke: »Eine Höllenmaschine war im Saal!« Das ist wie ein Keulenschlag und rüttelt sofort hellwach. Dort drinnen hat der Führer gesprochen, vorhin noch, er sprach viel kürzer als sonst… Der Führer sollte ermordet werden – mein Gott, welches bestialische Gehirn gebar und unternahm diese Scheußlichkeit?

Den Lesern der »Münchener Neuesten Nachrichten« schilderte der Volksgenosse seine ganze Herzensnot: Ein Kamerad kommt aus den Trümmern, sein Gesicht ist blutüberströmt, schmutzverkrustet, das Braunhemd dunkel gestreift von Blut; er packt uns an den Schultern, schreit: » Unseren Führer wollten sie uns nehmen …!« schreit er immerzu in seiner Herzensnot. Der Bericht schließt: Noch härter, noch entschlossener und noch treuer als jemals zuvor ist nun das ganze Volk um den Führer geschart.

Ein Volk, ein Reich, ein Führer – vereint auf der Suche nach den »ruchlosen Attentätern«. In einem Bericht des »Deutschen Nachrichtenbüros« hieß es zwei Tage nach dem Anschlag über den Stand der Ermittlungen zum Attentat im Bürgerbräukeller:

Die zuständigen Stellen haben alle Maßnahmen getroffen, um die Untersuchung und Aufklärung des ruchlosen Attentats im Bürgerbräukeller zu beschleunigen. SS-Reichsführer Himmler hat in diesem Interesse einer zentralen Leitung dieser Arbeit die gesamte Aufklärungsarbeit einer Spezialkommission von Fachleuten übertragen. Diese Spezialkommission wertet selbstverständlich alle nur irgendwie in Betracht kommenden Anhaltspunkte für ihre Untersuchungen und Ermittlungen aus und ist bereits jetzt zu Feststellungen gekommen, die immerhin wichtige Schlüsse zulassen.

Die Bergungsarbeiten der Schwer- und Leichtverletzten im Bürgerbräukeller wurden dank der vorbildlichen Zusammenarbeit aller an Ort und Stelle eingesetzten Kräfte und unter der Mitwirkung auch von noch anwesenden alten Kämpfern in allerkürzester Zeit bewerkstelligt. Dies verdient um so mehr hervorgehoben zu werden, als diese Bergungsarbeiten mitten in einem wüsten Durcheinander von Bauschutt, Trümmern und Einrichtungsgegenständen geschehen mußten. Zwischen der Polizei, der Feuerschutzpolizei, den Pionieren der Wehrmacht, den Angehörigen der Formationen, dem Rettungsdienst usw. herrschte schon von der ersten Minute des Einsatzes an eine ausgezeichnete Zusammenarbeit, so daß die großen Schwierigkeiten der Rettungs- und Bergungsaktion reibungslos bewerkstelligt werden konnten.

Nach den bisherigen Feststellungen handelt es sich bei der Tat auf keinen Fall um ein spontan verübtes Attentat, sondern vielmehr um ein sehr sorgfältig vorbereitetes, mit einem mechanischen Zeitzünder verübtes Verbrechen.

Es ist hier nicht etwas Primitives und vom Augenblick Geborenes geschehen, was erst etwa kurze Zeit vor der Kundgebung ausgeheckt wurde, sondern sowohl die Auswahl der Stelle als auch die »fachmännische Arbeit« weisen darauf hin, daß die Täter sehr sorgfältige Vorbereitungen getroffen haben.

Wenn auch noch nicht auf bestimmte Täter oder Täter gruppen geschlossen werden kann, so zeigen immerhin Material und Spuren die Richtung an, in der sich die weitere Ermittlungstätigkeit zu bewegen hat. Im Rahmen dieser systematischen Kleinarbeit wird auch das zusammengebrochene Mauerwerk auf das genaueste untersucht. Erst aus den unzähligen Einzelergebnissen der Untersuchungsarbeit kann sich die Mosaikarbeit der Polizei aufbauen.

Erfreulicherweise nimmt die Bevölkerung in der Hauptstadt der Bewegung ungeheueren Anteil an der Aufhellung des Verbrechens. Fortwährend melden sich aus allen Schichten der Bevölkerung Personen, um Angaben zu machen und durch die Meldung von Anhaltspunkten zur Aufklärung des Attentates beizutragen.

Unter der Überschrift WERTVOLLE HINWEISE AUS DER BEVÖLKERUNG ließ das »Deutsche Nachrichtenbüro« am 10. November einen weiteren Text verbreiten:

Wie das Deutsche Nachrichtenbüro erfährt, häufen sich bei der Sonderkommission zur Untersuchung des Verbrechens vom 8. November die Hinweise und Mitteilungen aus allen Kreisen der Volksgenossen. Die Sonderkommission ist daher am heutigen Freitag um ein dreifaches verstärkt worden, damit sie diese eingehenden Angaben, die natürlich zunächst meist nur Hinweise allgemeiner Art enthalten, aber selbstverständlich auch Wichtiges bringen können, erschöpfend bearbeiten kann. Zur Zeit liegen wohl über tausend derartige Hinweise aus der Bevölkerung vor. So anerkennenswert die Zusammenarbeit aller Volksgenossen zur Aufklärung des schändlichen Verbrechens ist, so erfreulich ist auch das Zusammenwirken aller bei der Sonderkommission Beschäftigten vom ersten bis zum letzten Mann. Weil eben alle nicht nur eine wichtige Verpflichtung in sich fühlen, sondern selbst mit Leib und Seele dabei sind. Zur Zeit sind Sachverständige damit befaßt, auf das genaueste die aufgefundenen Teile des zur Entzündung der Sprengladung benutzten mechanischen Zündapparates zu untersuchen. Es ist dabei sehr wesentlich, daß die genaue Zusammensetzung der Metalle eruiert wird. Man kann ruhig heute schon sagen, daß jedenfalls in bezug auf die Legierung einzelner Metallteile tatsächlich ein ausländischer Ursprung nachzuweisen sein wird. Es sind gegenwärtig Untersuchungen, die von verschiedenen Seiten geführt werden, im Gange, um ganz unabhängig voneinander ein absolut einwandfreies Ergebnis zu erhalten. Gerade diese Art der Untersuchung ist von entscheidender Bedeutung, um so mehr, als die Sonderkommission bereits eine ganz spezielle Richtung verfolgt, und man kann sagen, daß vielleicht schon in den allernächsten Tagen der Öffentlichkeit nähere Einzelheiten bekanntgegeben werden können, damit die Sonderkommission, die alle Hinweise prüft, genauere Hinweise speziell in dieser Richtung erhält.

Mittlerweile war Georg Elser bereits von dem SS-Mann Nebe im Wittelsbacher Palais vernommen worden. Trotz Einschüchterungen und Drohungen erreichte Nebe kein Geständnis.

Gestapo-Beamte der Sonderkommission hatten ohnehin ihre Zweifel: Ein Einzeltäter kam für sie nicht in Frage, hinter der Tat, so mutmaßten sie, stand ein Komplott, eine Verschwörung. Die Anstifter mußten im Ausland gesucht werden, davon waren sie überzeugt, und mit dieser Ansicht standen sie nicht allein. Die offizielle Berichterstattung über das Münchener Attentat zielte von Beginn an in die gleiche Richtung.

Bereits am 9. November – die offizielle Untersuchungskommission hatte gerade erst ihre Arbeit aufgenommen – wurden die »Anstifter« im Ausland vermutet. So hieß es im »Völkischen Beobachter« vom 9. November: Heute wissen wir noch nicht im einzelnen, wie diese verbrecherische Tat vorbereitet wurde, wie sie möglich war. Eines aber wissen wir, die Anstifter, die Geldgeber, diejenigen, die eines so niederträchtigen, ver abscheuungswürdigen Gedankens fähig sind, das sind dieselben, die immer mit Meuchelmord in der Politik gearbeitet haben: es sind die Agenten des Secret Service!… Aber England soll uns kennenlernen!

Das Bürgerbräu-Attentat, das im Unterschied zu allen vorherigen 29 Attentatsversuchen auf den Führer fast geglückt wäre, löste wilde Spekulationen aus. Waren es jüdische Kreise, kommunistische Widerstandskämpfer, oder führten »die Spuren« ins Ausland, wie das Propagandaministerium glauben machen wollte? Handelte es sich gar um eine Gemeinschaftsaktion von Agenten des englischen Geheimdienstes und Otto Strasser, der als Gegner Hitlers 1930 die »Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten«, genannt die »Schwarze Front«, gegründet hatte und seit 1933 im Schweizer Exil lebte? Das Propagandaministerium bemühte sich eifrig, diese Version zu lancieren.

Daß es sich um die Tat eines einzelnen handeln konnte, lag jenseits des Vorstellungsvermögens. Daran glaubten weder die Gestapo-Leute noch oppositionelle Kreise. Erstere konnten auch überhaupt kein politisches Interesse daran haben. Ein Einzeltäter, zumal »Volksgenosse«, ließ sich für die propagandistischen Zwecke der Nationalsozialisten kaum gebrauchen. Letztere unterstellten der Gestapo, selbst das Attentat inszeniert zu haben, um den Mythos der Vorsehung des Führers propagandistisch zu nutzen. Beide »Hintermänner-Theorien« sollten langlebig sein…

In den geheimen Lageberichten des SD (Sicherheitsdienstes) wurden am 10. November die »Hintermänner« des Attentats ebenfalls in England vermutet. Das hatte Methode. Nachdrücklich wurde der gleichgeschalteten Presse in einer »vertraulichen Information« aus Berlin mitgeteilt, daß bei Spekulationen über die Schuld am Attentat im Bürgerbräukeller diese nicht auf innerdeutsche Gruppen zu lenken sei. Alles konnte man in diesen Tagen brauchen, nur keine deutsche Widerstandsgruppe, keinen Attentäter aus dem Volk.

Außenpolitisch verfolgte Hitler in diesem Jahr seine Vorstellung von der »Eroberung deutschen Lebensraumes« und konnte Erfolge verbuchen. Österreich war seit März 1938 dem Deutschen Reich »angeschlossen«. Die Tschechoslowakei mußte das Sudetengebiet an das Deutsche Reich »abtreten«. Großbritannien, Frankreich und Italien hatten Hitler zu dieser Vereinnahmung im Münchener Abkommen vom September 1938 ihren politischen Segen gegeben.

Entgegen diesem Abkommen, doch ohne Protest der drei Mächte war die »Erledigung der Rest-Tschechei« auf Befehl Hitlers vom Oktober 1938 durchgeführt worden. Seit März 1939 gab es nur noch ein »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren«. Hitler wollte die gesamte Herrschaft über Europa. Den Anlaß dafür suchte und fand er in Polen: Es handelt sich für uns um die Erweiterung des Lehensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung …Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen… Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle.

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom August 1939 mit dem geheimen Zusatzprotokoll der Aufteilung Polens hielt Hitler den Rücken frei für den Einmarsch in Polen, der nach einem von der SS fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz am 1. September 1939 begonnen hatte. Zwei Tage später erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg.

Der 2. Weltkrieg hatte begonnen.

Hitlers zentrales Thema war ab jetzt die Westoffensive, deren Angriffstermin, ursprünglich auf den 9. November festgelegt, immer noch ausstand, da die Generäle der Wehrmacht einen Angriff aus rüstungspolitischer Sicht für verfrüht hielten.

Für die NS-Führung bot sich also eine günstige Gelegenheit, mit Hilfe der auf das Attentat bezogenen Propaganda die notwendige Kriegsstimmung in der deutschen Bevölkerung zu schüren. Als propagandistisches Rohmaterial stellte das »Deutsche Nachrichtenbüro« eine Sammlung angeblicher Zitate ausländischer Medien zusammen, die den Redaktionen als Beweis für die ausländische »Kriegshetzerei« zugeschickt wurden:

Mitteilungen an die Schriftleitungen: Folgendes Material, das die Schuld der Kriegshetzer in London und Paris am Münchener Attentat erweist, wird den Zeitungen nicht zur Übernahme in der von uns gegebenen Form, sondern zur kommentarmäßigen Verarbeitung zur Verfügung gestellt.

CHAMBERLAIN erklärte in seiner ersten Rede vor dem Unterhaus gleich nach der englischen Kriegserklärung: »Ich habe nur den einen Wunsch, nämlich den, die Vernichtung Adolf Hitlers noch zu erleben.«

TIMES: »Heute geht es nicht um Hitlers Bedingungen, sondern um Hitler selbst.«

EXCELSIOR schrieb: »England und Frankreich haben gemeinsam den Entschluß gefaßt, mit dem blutdurstigen Despoten Adolf Hitler ein Ende zu machen.«

TIMES: »Solange Hitler und der Hitlerismus nicht verschwunden sind, gibt England keinen Frieden.«

Der Abgeordnete SINCLAIRE im Unterhaus: »Solange Deutschland von Adolf Hitler regiert wird, steht man nur vor der Wahl, entweder sich seinem Willen zu unterwerfen oder ihn zu beseitigen.«

Der Korrespondent des NEW YORK JOURNAL AMERICAN meldete aus London: »England kennt nur ein Kriegsziel, mit dem Nationalsozialismus von Hitler abwärts bis zum letzten Parteigenossen Schluß zu machen.«

TIMES: »Auf dem Wege der Vernichtung der Nazis gehen natürlich auch einige moralische Werte verloren. Trotzdem beten Millionen, daß der Nazismus zerstört werde.«

Vladimir D’Ormesson im FIGARO: »Frankreich und England müssen Deutschland zertrümmern. Wir müssen den hitleristischen Anstifter europäischer Kriege ausmerzen.«

PETIT PARISIEN: »Hitler steht vor der Entscheidung, entweder er verschwindet freiwillig oder Sturz in den Abgrund.«

CHAMBERLAIN: »Ein Friede ist nicht möglich, solange der Hitlerismus weiter besteht. Man muß damit Schluß machen.«

DAILY MAIL, vierundzwanzig Stunden vor dem Attentat: »Die Erörterung der Kriegsziele ist einfach sinnlos. Das einzige, was uns heute zu tun bleibt, ist, Hitler zu beseitigen.«

Und als wolle man letzte Zweifel an der Beteiligung englischer Agenten zerstreuen, folgte noch der Hinweis: In der ganzen Welt ist es aufgefallen, daß die englischen Zeitungen in der Lage waren, merkwürdig schnell über das Attentat in München zu berichten. So konnte der DAILY EXPRESS bereits in der Nacht zum 9. November eine ausführliche Meldung geben, als ausländische Zeitungen, die Korrespondenten in Deutschland haben, noch keine Nachrichten hatten.

Daß diese Propaganda-Meldungen in den Berichten und Kommentaren aufgegriffen wurden, daran gab es keinen Zweifel. Eine kritische, oppositionelle Presse existierte schon lange nicht mehr. Gleichschaltung und Zerschlagung von Organisationen politisch Andersdenkender, vor allem innerhalb der Arbeiterschaft und der jüdischen Minderheit, hatten die Gegner stumm gemacht, sie in Gefängnisse und Konzentrationslager, in die Emigration oder in die Illegalität getrieben.

Aber nicht nur zur Kriegshetze eignete sich das Münchener Attentat. Auch der Vorsehungsmythos, der Mythos von der Unantastbarkeit und Unbesiegbarkeit des Führers – das erkannten die NS-Propagandisten sofort – konnte genährt werden. Daß sie beides erreichten, belegen die geheimen Lageberichte dieser Tage. Am 10. November notierten die SD-Beamten in der Berliner Wilhelmstraße:

In vielen Schulen wurde der Choral »Nun danket alle Gott…« gesungen. Verschiedene Betriebsführer gaben ihrer Gefolgschaft von dem Attentat in Betriebsappellen Kenntnis. Besonders beunruhigt war die Allgemeinheit im Laufe des gestrigen Vormittags, ehe die näheren Angaben über die Auswirkungen des Attentates bekannt wurden. Überall tauchten Gerüchte auf, z.B. darüber, daß der Führer schwer verletzt worden sei und daß verschiedene führende Männer der Partei und des Staates getötet worden seien. Als im Laufe des Tages nähere Angaben zu dem Attentatsversuch bekannt wurden, wurde allgemein über alle sich daraus ergebenden Probleme gesprochen. Mit Erbitterung wurde über die Engländer und Juden, die im wesentlichen als Hintermänner des Attentates angesehen werden, gesprochen. In einigen Orten kam es zu Demonstrationen gegenüber Juden. Allgemein wird nunmehr gehofft, daß der Führer in Zukunft sich nicht mehr derartigen Gefahren aussetzen werde, wie er es in letzter Zeit oftmals getan habe.

Weiterhin erwartet man nunmehr verschiedentlich Vergeltungsmaßnahmen gegen alle Staatsfeinde und nach außen hin einen schlagartigen Angriff gegen Großbritannien.

In einer Meldung des »Deutschen Nachrichtendienstes« vom selben Tag wurde von öffentlichen Treuekundgebungen im Reich berichtet:

Kassel, 10. November. – Nach dem ruchlosen Verbrechen von München, das in allen Schichten der deutschen Bevölkerung höchste Empörung und tiefsten Abscheu hervorgerufen hat, versammelten sich in den Nachmittagsstunden des Donnerstag auf dem Friedrichsplatz in Kassel über 100.000 Volksgenossen, die ihrer Dankbarkeit für die gütige Vorsehung, die uns den Führer bewahrte, Ausdruck gaben und Adolf Hitler ein spontanes Treuegelöbnis ihrer unverbrüchlichen Gefolgschaft darbrachten.

Am 13. November 1939 hieß es in einem weiteren geheimen Bericht zur innenpolitischen Lage:

Das Attentat von München hat im deutschen Volk das Gefühl der Zusammengehörigkeit stark gefestigt.

Die Anteilnahme der Allgemeinheit an den Ergebnissen der zur Untersuchung des Attentates eingesetzten Spezialkommission ist sehr groß. Die Frage, wie es zu diesem Attentat kommen konnte, ist in allen Kreisen noch immer das beherrschende Gesprächsthema. Die Liebe zum Führer ist noch mehr gewachsen, und auch die Einstellung zum Krieg ist infolge des Attentates in vielen Kreisen noch positiver geworden.

Gegen Großbritannien besteht eine ausgesprochene Haßstimmung. – Die Tatsache, daß der Führer bei den Trauerfeierlichkeiten in München anwesend war, beeindruckte die Allgemeinheit tief. Die Beteiligung der Münchener Bevölkerung an dem Staatsbegräbnis der Opfer des Attentates war verhältnismäßig schwach, nur am Odeonsplatz stauten sich die Zuschauer, ohne jedoch eine besonders tiefe Anteilnahme an dem feierlichen Akt zu zeigen.

Nicht nur die eher passive Haltung der Münchener Bevölkerung wurde argwöhnisch beobachtet; kritisiert wurden auch die Reaktionen der Kirchen:

Einheitlich wird aus dem ganzen Reichsgebiet berichtet, daß die verschiedenartige Reaktionsweise der katholischen Kirche einerseits und der protestantischen Kirche andererseits auf das Münchener Attentat auffallend sei. Die katholische Geistlichkeit enthält sich in allen Reichsteilen jeglicher Stellungnahme zu dem Geschehnis, übergeht es, als ob es sich nicht zugetragen hätte.

Wohlwollend dagegen wurde notiert:

Im Gegensatz dazu hat die evangelische Kirche das Münchener Attentat scharf verurteilt und eindeutig Stellung genommen. In den einzelnen Reichsteilen fanden zum Teil Dankgottesdienste für die Erhaltung des Führers, zum Teil Kanzelabkündigungen statt, die, um ein Beispiel aus Stuttgart herauszugreifen, etwa folgenden Wortlaut hatten:

»In uns allen, die wir heute zusammengekommen sind, zittert noch die Erregung über den teuflischen Anschlag, der auf das Leben unseres Führers geplant war, nach. Daneben ist aber der Dank gegen Gottes bewährende Gnade groß und mächtig in uns. Im Kugelregen des Weltkrieges, beim mutigen Gang am 9. November 1923, in den folgenden Jahren des Kampfes um die politische Macht und nun beim teuflischen Anschlag, immer wieder hat der allmächtige Gott seine schützende Hand über ihn gehalten, und wir wollen jeden Morgen Gott bitten, daß er unseren Führer erhalte, ihm und damit auch uns Sieg schenke, damit wir zu einem guten Frieden kommen und unserem Volk Lebensraum und Lebensmöglichkeit geschenkt werde.«

Ein Volk, ein Reich, ein Führer – ganz nach dem Geschmack der NS-Propagandisten. Das Attentat hatte man bislang geradezu optimal für die eigenen Ziele nutzen können. Was aber war mit diesem illegalen Grenzgänger, den man nach München gebracht hatte und der in einer Gestapo-Zelle auf sein nächstes Verhör wartete?

In seinen Verhören mit SS-Mann Nebe hatte Elser bislang die Tat geleugnet und ohnehin nur das Nötigste gesagt. Dabei hatten sich die Indizien gegen ihn gehäuft. Angestellte des Bürgerbräukellers, die vernommen worden waren, erinnerten sich an ihn; ein Geschäftsmann, der als Lieferant von im Schutt geborgenem Isoliermaterial ausfindig gemacht werden konnte, erinnerte sich ebenfalls an den kleinen Mann mit schwäbischem Akzent. Die Tatortkommission hatte inzwischen die Sprengstelle in einer Säule dicht über dem Fußboden der Galerie lokalisiert. Der Täter mußte kniend gearbeitet haben und dies vermutlich nächtelang. Alleine? Kaum zu glauben. Nebe war sich sicher: »Da gibt es Mittäter.« Doch dieser Elser sagte nichts. Er nannte keine Namen, machte keinerlei Angaben. Ja, im Bürgerbräukeller habe er tatsächlich manchmal gesessen, aber dies sei doch schließlich erlaubt, es handele sich ja um ein öffentliches Lokal, hatte er geantwortet, als Nebe ihn mit den Aussagen des Personals konfrontierte.

Himmler wurde immer ungeduldiger. Wenn Nebe es schon nicht schaffte, mußte ein anderer die Verhöre führen. Am 13. November übernahm Kriminalrat und SS-Obersturmbannführer Huber die Leitung der Kommission. Man hatte eine Verschwörungstheorie, jetzt brauchte man endlich einen Täter…

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