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Vorwort: Geheimnis, Geheimwissen, Geheimgesellschaft

Geheimbünde machen Weltpolitik, heißt es in zahlreichen literarischen Werken und Sachbüchern immer wieder. Dahinter steckt die Vorstellung, dass es grundsätzlich geheime Mächte sind, die Politik gestalten und bestimmen. Nicht selten verdichten sich solche Behauptungen zu der Verschwörungstheorie, dass die ganze Welt von konspirativen Kräften und Gruppierungen gelenkt werde. Das Geheimnis besitzt einen Zauber, es übt eine besondere Anziehungskraft auf uns aus. Manchen Menschen war und ist es ein Bedürfnis, sich durch den Besitz eines Geheimnisses, egal welcher Prägung, von ihren Mitmenschen zu unterscheiden. Dies trifft besonders bei Initiationsriten bzw. -prüfungen zu, die eine Gemeinschaft zusammenschweißen können. In der nicht informierten breiteren Öffentlichkeit hingegen wird unter Initiation meist etwas Düsteres, Phantastisches, Unheimliches verstanden, das daher häufig abgelehnt wird.

Die Begriffe ›geheim‹ und ›Geheimnis‹ beschreiben Kenntnisse, die der Allgemeinheit verborgen sind und auf einen engen Kreis von Wissenden beschränkt bleiben. Der Begriff ›Geheimlehre‹ wiederum bezeichnet eine esoterische Lehre, die nach innen gerichtet ist. Meist enthält sie religiöse oder philosophische Ideen, die den ›Uneingeweihten‹ nicht mitgeteilt werden dürfen. Als geheim wird häufig auch ganz allgemein das verstanden, was rational nicht erklärt werden kann.

Will man die Geheimbünde typologisch einteilen, so muss man auf äußerliche und inhaltliche Unterscheidungskriterien zurückgreifen. Für die meisten Geheimbünde ist die Struktur der Geheimhaltung von besonderer Bedeutung, wobei sich diese auf ganz verschiedene Aspekte beziehen kann. Die Mitglieder von Geheimgesellschaften kennen sich zwar untereinander, treten aber in der Öffentlichkeit nicht als Gruppe auf. Die Geheimhaltung kann auch gesellschaftliche Gründe haben, insbesondere dann, wenn der betreffende Geheimbund kritisiert und vielleicht sogar verfolgt wird. Wenn die Geheimhaltung die Inhalte betrifft, geht es meistens um die Ziele, Rituale und Symbole der Organisation. Manchmal kann sich die Geheimhaltung auch nur auf sehr begrenzte Bereiche beziehen, oder sie ist bei gewissen Sachverhalten oder Erfahrungen notwendig, weil manches spirituelle Phänomen schlicht nicht in Worten mitgeteilt werden kann. Dies trifft etwa auf Mysterien und Initiationen zu.

Eine Typologie der Geheimbünde kann schließlich auch nach ihrer gesellschaftlichen Zuordnung bzw. Einbindung vorgenommen werden. Gemeint ist hier vor allem der Grad ihrer ›Realität‹, d. h. ihr inneres Leben. Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung ist die zwischen Männer- und Frauenbünden. Aus soziologischer Sicht bieten sich noch zusätzliche Kategorien für Geheimbünde an: Sie können philanthropisch-humanitäre, revolutionäre und reformerische, politisch-patriotische, religiöse, mystische und okkulte, militärische und ritterliche, gesellige und auch kriminelle Organisationen sein.

Das Wort ›geheim‹ tritt seit dem 15. Jahrhundert als Adjektiv im deutschen Sprachraum auf. Darunter verstand man ursprünglich ›zum Haus gehörig‹, ›vertraut‹. Man fasst das Geheimnis auch unter dem Begriff ›Esoterik‹ zusammen, die sich vom ›Mysterium‹ wie folgt unterscheidet: Das esoterische Geheimnis wird bewusst verborgen, während das Mysterium nicht rational erklärt werden kann. Das Geheimnis stellt eine im Grunde sensible Information dar, die nur Eingeweihte kennen. Im politischen Bereich hat der Begriff auch die Bezeichnung ›klandestin‹, ein Wort, das vom Lateinischen clandestinus (›heimlich, geheim‹) hergeleitet wird. Das Geheimnis ist daher den Mitgliedern der Geheimbünde ein Anliegen, denn es bietet auch einen Schutz gegenüber der profanen Gesellschaft.

Die akademische Disziplin ›Geheimwissenschaft‹ versteht sich als Lehre von den dunklen, dem Verstand nicht zugänglichen Gründen der Natur und des menschlichen Lebens. Von Geheimwissenschaften ist auch bisweilen im Sinne des »offenbaren Geheimnisses« nach Johann Wolfgang von Goethe die Rede. Gemeint ist eine Wissenschaft, die den Sinnen verborgen bleibt. Meist werden unter ›Geheimwissenschaften‹ zwei oder mehrere Geheimlehren zusammengefasst, darunter die ideengeschichtlich älteren Geheimlehren der Magie und Astrologie in der Antike und im Mittelalter sowie die jüngeren Lehren der Alchemie, Theosophie und Kabbala in der Neuzeit. Die jüngeren Geheimlehren werden als theistische Spekulationen eingestuft, die Pansophie war pantheistisch oder panentheistisch ausgerichtet. Sie waren beeinflusst von den kosmologischen, theologischen und jüngeren philosophischen Spekulationen über die Natur sowie den Lehren der Gnosis und des Neuplatonismus. Im Mittelalter spaltete sich die ursprünglich als Einheit aufgefasste Magie in eine »weiße« (göttliche) und in eine »schwarze« (satanische).

Geheimgesellschaften bzw. Geheimbünde waren und sind Vereinigungen, die im bereits erwähnten Sinne ihre Ziele, Struktur und Aktivitäten bewusst geheim halten. Viele Geheimbünde gehören zu den gnostisch-theosophischen oder alchemistisch-pansophischen Ideenrichtungen. Bezüglich ihrer Entstehung, Zielsetzung, Organisation und auch ihrer Handlungen unterscheiden sie sich voneinander, teilen aber ihre sogenannten Geheimnisse. Ihre Ziele und Interessen können esoterisch, aufklärerisch, politisch, religiös oder auch kriminell sein. Die Verpflichtung zur Geheimhaltung betrifft die Namen, die Anzahl der Mitglieder, die Führung, die hierarchische Struktur, die Ziele und Aktivitäten, aber auch die Treffpunkte, die Aufnahmeriten, die vorhandenen Dokumente; teilweise wird auch eine symbolische Geheimsprache entwickelt.

Geheimbünde sind nicht auf bestimmte Regionen, Kulturen und Epochen beschränkt, sondern finden sich in zahlreichen Ländern der Welt. Unter der großen Anzahl von Geheimgesellschaften muss aber zwischen Geheimbünden mit exoterischen (nach außen gerichteten) und esoterischen (nach innen gerichteten) Zielen grundsätzlich unterschieden werden. Ein exoterisches Ziel wäre etwa ein politischer Umsturz, ein esoterisches die Suche nach Erkenntnis. In der Forschung wird betont, dass Geheimbünde als Träger von Geheimlehren so alt sind wie die menschliche Kultur. So gab es bereits in vorchristlicher Zeit kultische Geheimbünde mit Mysterien, wie z. B. den Dionysoskult in Rom oder die ägyptischen Gottheiten, in der römischen Welt sind Isis und Osiris, Kybele und Dea Syria sowie der Mithraskult zu nennen. Trotz ihrer Unterschiede wiesen diese Mysterienkulte auch Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehörten die Arkandisziplin und der geheime Charakter ihrer Initiationen, Kultzentren, Jenseitserwartungen und Lebenshaltungen.

Geheimbünde sind, wie bereits angedeutet, nicht nur in Europa zu finden, sondern auch bei vielen außereuropäischen Völkern in unterschiedlichsten Orientierungen und Ausprägungen. Sie existierten bereits sehr früh in den ostasiatischen Hochkulturen Chinas und Japans. Auch im Kulturraum Ozeanien waren sie vorhanden, etwa in Polynesien und Melanesien, in Neuguinea. In Afrika spielten sie eine besonders wichtige Rolle, beispielsweise der Nyau-Kult in Südostafrika oder andere Gruppen in Westafrika. Auch unter einigen nordamerikanischen Stämmen existierten zahlreiche Geheimgesellschaften.

Ich persönlich finde das Thema Geheimbünde sehr spannend, weil diese im Hintergrund und Untergrund tätigen Kräfte die allgemeine Geschichte oft beeinflusst haben, in den Handbüchern aber kaum erwähnt werden. Da mein Geschichtsverständnis, also meine Auffassung von Geschichtsforschung und meine Forschungsinteressen, sich mehr auf historische Tiefendimensionen und Kräfte bzw. Bewegungen konzentrierten, die die Geschichte verändert haben, bin ich auf dieses komplexe Thema gestoßen.

Geheimbünde. 100 Seiten

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