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Verschwörungen – Verschwörungstheorien

Wie bereits erwähnt, spielen Geheimbünde auch bei Verschwörungen und besonders in Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle. Auffällig ist, dass Verschwörungstheorien besonders in Zeiten von militärischen Niederlagen und Revolutionen, bürgerkriegsähnlichen Konflikten und politischen wie wirtschaftlichen Krisen entstehen. In solchen Situationen, die das Gefühl von Angst und Unsicherheit hervorrufen, suchen Verschwörungstheoretiker gern nach möglichen Verursachern bzw. Sündenböcken, die dämonisiert und für den Zustand der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden. Selbstverständlich gab es in der Weltgeschichte immer wieder auch tatsächlich Verschwörungen, die man von Verschwörungstheorien unterscheiden muss.

Unter dem Begriff Verschwörungstheorie versteht man heute den Versuch, Ereignisse, Zustände, Zusammenhänge und Entwicklungen unter dem Aspekt einer Verschwörung zu deuten. Unterstellt wird meist ein zielgerichtetes konspiratives Wirken von Personen oder Personengruppen, etwa den Teilnehmern der Bilderberg-Konferenzen. Verschwörungstheorien vereinfachen die Wirklichkeit, um komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge besser verständlich zu machen; sie reduzieren also diese Komplexität. Hinzu kommt, dass die als Verschwörung charakterisierten Vorgänge nicht objektiv und neutral, sondern immer von einem normativen, also parteiischen Standpunkt aus bewertet werden. Verschwörungstheorien stützen sich nicht auf wissenschaftliche Analysen und Diagnosen, sondern drücken stets eine weltanschauliche Haltung aus. Verschwörungstheoretiker weigern sich im Gegensatz zu Wissenschaftlern, ihre Hypothesen empirisch zu begründen und überprüfbare Bedingungen zu entwickeln. Sie entziehen sich der empirischen Verifizierung bzw. Widerlegung.

Als Grundlage dient allen Verschwörungstheorien ein vereinfachtes Welt- und Geschichtsbild, das davon ausgeht, dass sich komplexe Strukturen der sozialen Wirklichkeit durch gezielte Handlungen von Personen oder Gruppen direkt steuern und beeinflussen lassen. Innerhalb der Verschwörungstheorien überschätzt man die vermeintlichen Verschwörer meist, die als extrem mächtig beschrieben werden, obwohl sie in Wirklichkeit von der Gesellschaft dämonisierte Minderheiten darstellen. Für Verschwörer gehalten werden sehr häufig die Templer, die Aufklärer und Philosophen, die Jakobiner, die Illuminaten und Freimaurer, die Jesuiten, die Carbonari, die Sozialisten und Kommunisten sowie die Juden.


Zwei Templer auf einem Pferd, Zeichnung aus der Chronica Maiora des Matthäus Paris aus dem 13. Jahrhundert

Es wird ihnen vorgeworfen, mittels eines raffinierten Geheimhaltungsmechanismus ihre Pläne, Ziele und Absichten vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Dabei spielt auch die Idee des »Bösen« eine wichtige Rolle, das als überpersonale, weltbeherrschende Macht eingestuft wird. Viele Verschwörungstheoretiker unterstellen den vermeintlichen Verschwörern oder deren Trägergruppen ein weltweites Beziehungsnetz. Das Reden von internationalen Verbindungen dient vor allem dazu, die nationalen Gefühle der Sympathisanten des Verschwörungsdenkens anzustacheln. Dadurch sollen die Bedeutung und der Einfluss der Verschwörer noch bedrohlicher erscheinen.

Meist haben Verschwörungstheoretiker ein antiliberales Weltbild, das den sozialen Wandel der politischen und gesellschaftlichen Ordnung sowie die Infragestellung überkommener Erwartungshaltungen zum illegitimen und bösartigen Werk von Minderheiten erklärt. Die Verschwörungstheoretiker entwerfen in der Regel auch ein antimodernistisches Feindbild, das gegen Liberalismus, Demokratie, Sozialismus und Kommunismus gerichtet ist.

Verschwörungstheorien erfüllen verschiedene Funktionen: Sie stiften eine gemeinsame Identität und eröffnen vermeintlich neue Erkenntnisse, dienen aber auch dazu, andere zu manipulieren oder eigenes Handeln zu rechtfertigen. Letzteres gilt beispielsweise für Herrschafts-, Unterdrückungs- und Vernichtungsmaßnahmen. Sie sind auch als monokausale und stereotype Ideologie erklärt worden und weisen einen extremen Mythoscharakter auf. Zugleich erfüllen Verschwörungstheorien vordergründig eine rationalisierende Funktion, indem sie vortäuschen, für alle existenziellen Probleme eine einfache Erklärung zu haben. Dabei handelt es sich aber nicht um ein unparteiisches Erkenntnisinstrument, sondern um ein der Feindbestimmung dienendes ideologisch-politisches Werkzeug.

Verschwörungstheorien haben in den letzten Jahrzehnten auch im Internet Konjunktur. Dort kursieren die unterschiedlichsten abenteuerlichsten Verschwörungstheorien, bei denen u. a. die Flüchtlingskrise, die in Brüssel ansässige Denkfabrik »Council of Foreign Relations« von George Soros, die Rothschild-Familie mit ihren Finanznetzwerken, die Bilderberger-Treffen, die angeblich gezielte Vermischung der verschiedenen Nationen und Rassen sowie die unbewiesene Behauptung, dass Angela Merkel die Interessen von jüdischen Milliardären bediene, eine zentrale Rolle spielen.

Verschwörungstheorien konstruieren auch häufig auf der Grundlage von phantastischen Fiktionen eine Meta-Welt, in der Tatsachen von Erfindungen nicht mehr scharf getrennt werden. Die Fiktionen werden dabei zur subjektiven Wirklichkeit des Verschwörungsdenkens. Die Angst vor Geheimbünden und vor den Juden besitzt nach wie vor einen hohen Stellenwert im Denken der Verschwörungstheoretiker. Das Reduzieren komplexer Entwicklungen auf ein Komplott erschwert ein realistisches Verständnis für die tatsächlichen historischen Kräfte und Bewegungen. Verschwörungstheorien verleiten Menschen dazu, etwas zu fürchten oder zu hassen, das in Wirklichkeit harmlos ist.

Geheimbünde. 100 Seiten

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