Читать книгу Nicht gleich aufessen! - Hendrik Asten - Страница 10
Initiative
ОглавлениеDebras Adresse hatte er schnell ausfindig gemacht. Sie wohnte in der zweiten Etage, Berger sah Licht und klingelte.
„Was machst du denn hier? Kannst du nicht vorher Bescheid sagen? Oh, im Moment passt es mir gar nicht“, und noch einige Varianten malte sich Berger aus, wie sie ihn empfangen würde.
„Bernhard! Was für eine Überraschung!“ Debra hielt in einer Hand ein Handtuch und rieb sich über die nassen Haare, die ihr zum Teil ins Gesicht hingen und ein Auge verdeckten. Mit der anderen Hand schob sie die Haarsträhnen beiseite, als wollte sie sicher sein, wirklich richtig zu sehen. Sie trug ein einfaches T-Shirt und Jeans. „Bernhard?“, fragte sie etwas irritiert und kniff dabei prüfend die Augen zusammen, weil Berger nichts sagte.
Ja richtig, Berger hatte noch nichts gesagt, alleine, weil ihm zu viele Formulierungen durch den Kopf gingen und er sich nicht entscheiden konnte. Er atmete erst einmal tief durch. „Ich war zufällig bei Bekannten in der Gegend und dachte, ich schau mal vorbei. Wenn es dich nicht stört, meine ich.“
„Entschuldige, aber wie du siehst, habe ich mir gerade die Haare gewaschen. Komm doch rein und setz dich, ich bin gleich fertig.“
Sie lächelte ihn an, als freue sie sich über seinen Besuch. Oder war es lediglich eine Geste der Höflichkeit? Sie bot ihm etwas zu trinken an – er entschied sich für Wasser – und zog sich zum Haare trocknen zurück.
Berger blickte sich um. Schon im Flur hatte er bemerkt, dass Debras Einrichtungsstil aus einer Mischung von auserlesenen Antik- und Designermöbeln bestand. An den Wänden hingen einige farbkräftige Formspielereien, nichts Gegenständliches. Er entdeckte Liebe zum Detail, aber auch etliche Unordnung in Form von Zeitschriften- und Briefstapeln, herumliegenden halb- oder angelesenen Büchern und Wäschestücken.
„Ich habe keinen Besuch erwartet und deswegen sieht es ziemlich chaotisch aus“, hörte er sie aus dem Badezimmer rufen.
„Bei mir ist es nicht anders.“
Bei den Büchern handelte es sich meist um cineastische Literatur und um einige historische Stoffe. Wieder mal las er sich fest und erschrak fast, als er ein Türenschlagen hörte. Es klang nach der Wohnungstür, und kurze Zeit später vernahm er Schritte aus dem Treppenhaus.
„Debra?“, rief er.
„Ja!“
„Bist du noch da?“
„Es dauert nicht mehr lange.“
Er ging zum Fenster, blickte auf die Straße und sah einen Mann das Haus verlassen, den er jedoch nicht eindeutig erkennen konnte.
Plötzlich hörte er Debra. „Warum entschuldigt man sich eigentlich, wenn man jemand unfrisiert gegenübersteht? Im Schwimmbad macht es einem nichts aus. Wahrscheinlich hat man Angst vor der ungeschminkten Wahrheit. Ohne Styling ist man auf sich selbst zurückgeworfen und verlässt die Rolle, die man zu spielen gewohnt ist.“
„Vor einigen Jahrhunderten verlangten die Gesellschaften noch wesentlich mehr Styling oder Präsentation.“
„Es wird wieder schlimmer, wie ich das hasse!“, erregte sich Debra.
„Dabei …“
„Was?“
„Du brauchst dir eigentlich keine Gedanken zu machen.“
Sie lächelte und trat weiter ins Licht und er erkannte erst jetzt, dass sie einen neuen Haarschnitt hatte, der ihr Gesicht ein wenig härter wirken ließ, die Seiten sehr kurz, das Deckhaar fast unverändert. Sie schenkte sich etwas ein und setzte sich ihm gegenüber. „So, jetzt bin ich für dich da!“
„Ein neuer Haarschnitt?“
„Wie findest du ihn?“
„Es betont eine andere Seite von dir.“
„Welche?“
„Du wirkst etwas strenger. Aber es steht dir.“
„Wirklich? Nicht zu hart?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Du bist vorsichtig in deinem Urteil.“
„Ich kenne dich noch nicht sehr gut.“
„Noch nicht?“, fragte sie nach.
„Hat da eigentlich gerade jemand die Wohnung verlassen?“
„Möglich. Ich war im Bad.“
„Das heißt, du wohnst nicht alleine hier?“
„Wird das ein Verhör?“
„Nein, nein, ich wollte nur wissen, ob ich richtig gehört habe.“
„Manchmal geht er, ohne sich zu verabschieden. Vor allem, wenn er vorher geschlafen hat. Dann ist er ziemlich mürrisch.“
Berger fühlte sich gemustert und in der Zwickmühle. Natürlich wollte er wissen, wer ihr Mitbewohner war, aber er wollte es sich auch nicht gleich mit ihr verderben und wechselte das Thema. „Ich wollte mit dir noch einmal über ‚Katzenhund‘ sprechen.“
„Du weißt doch, was ich davon halte. Es ist nicht verfilmbar und wir hätten nur an einer Figur Interesse.“
„Was heißt das?“
„Na ja, wenn du Leon das ganze Buch verkaufst, können wir es vergessen. Aber du hast das Angebot ja zurückgezogen. Warum hast du es überhaupt gemacht?“
Berger ärgerte sich zwar, so schnell auf die Arbeitsebene gewechselt zu haben, andererseits brachte ihm das ein wenig emotionale Entspannung in Bezug zu ihr. „Es war einfach eine spontane Idee, nicht ernst gemeint. Ich wollte nur wissen, was jemand aus der Filmbranche dazu sagt.“
„Gut, dass glaube ich dir. Wie können wir ins Geschäft kommen?“
„Eine Figur gegen eine andere!“
„Wie meinst du das?“
„Du gegen die Figur Hannes Schott!“
„Hm?“
„In meinem neuen Buch kommt eine Frau vor, für die du das ideale Vorbild bist. Erzähl mir von dir, damit ich ihren Charakter vervollständigen kann und du bekommst Schott dafür.“
„Jetzt verstehe ich.“ Debra stand auf und ging zum Fenster. „Aber der Handel ist nicht gerecht: Schott ist eine Fiktion und ich bin real.“
„Für mich, jedenfalls für meinen Roman, macht das keinen Unterschied.“
„Ich bin also für dich die Vorlage für eine Romanfigur?“
Berger erhob sich und näherte sich ihr, bis er ihren Duft wahrnahm, Ingredienzien aus Cremes, Seifen und vor allem den ihres eigenen Körpers, ihres Schweißes. Er trat hinter sie und fasste mit beiden Händen um ihre Schultern, sie zuckte leicht zusammen, er ließ die Hände sanft herab gleiten, streichelte ihren Rücken und führte die Hände dann nach vorne auf ihren Bauch. Dann bewegte er sie langsam nach oben bis zum Ansatz ihrer Brüste.
Sie drehte sich entschlossen um und blickte ihn energisch an. „So das reicht! Dafür, dass du in mir nur eine Vorlage siehst, ist das wohl genug. Den Rest kannst du dir in Worten ausmalen.“
„Das kann der Autor, aber der Mann Berger hat noch andere Interessen.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob du das unterscheiden kannst, solltest du aber.“
„Vielleicht hast du recht!“
„Zu deinem Angebot: Machen wir einen Termin? Wie willst du vorgehen? Nimmst du alles auf Tonband auf? Stellst du Fragen oder gibst du Stichworte? Wie lange wird eine Sitzung dauern?“
Berger ging wie ein geprügelter Hund zum Tisch, auf dem sein Glas stand und nahm einen Schluck. „Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Indem du mich angefasst hast, bist du mir nicht zu nahe getreten. Wärest du kein Autor, hätte ich mich vielleicht sogar darauf eingelassen. Aber du willst keinen Spaß, sondern viel mehr von mir. Vielleicht muss ich dir Dinge erzählen, die ich noch nie jemandem erzählt habe.“
Berger verstand sein Dilemma: Er konnte nicht beides haben, jedenfalls nicht zur gleichen Zeit. Und Debra hatte recht: Hätten sie miteinander geschlafen, wäre es etwas anderes, sie zu befragen. Die Intimität würde vieles verdecken, in ein anderes Licht rücken. „Aber die Frau, über die ich schreibe, war einmal mit dem fiktiven Autor liiert. Sie haben eine gemeinsame intime Erfahrung.“
„Aber es ist nicht deine Erfahrung, es ist deine Phantasie. Ich werde dir meine Erlebnisse mit einem Autor schildern und du kannst darüber schreiben, aber ich werde nicht mit dir schlafen, damit du darüber schreiben kannst. Denn dann würdest du nicht meine, sondern deine Sicht schildern. Also, wie entscheidest du dich?“
Hatte er eine Alternative? Sie hatten zulange über das gesprochen, was er vielleicht wirklich gewollt hatte und es damit unmöglich gemacht. Insgeheim bewunderte Berger Debra für ihre Beurteilung der Situation und ruderte zurück. „Machen wir einen Termin!“