Читать книгу Wie gewonnen - so zerronnen - Hendrik Scheunert - Страница 3
Prolog
ОглавлениеWarum nur hatte er sich bei der Tour diesen Berg ausgesucht, dachte Frank Jonas, Kriminalhauptkommissar bei der Kripo Stuttgart. Nebenbei war er leidenschaftlicher Radrennfahrer mit einem Faible für alpine Anstiege. Hatte die Website von quäldich.de nicht angegeben, dass es auf dieser Route nur so von Passagen jenseits der zehn Prozent Steigung wimmelte. Aber nein, jetzt befand er sich hier, circa fünf Kilometer hinter Ragall. Frank war von seinem Haus in Öhningen losgefahren. Bis Konstanz fuhr er mit dem Rad am Untersee des schwäbischen Meeres, wie man den Bodensee hier liebevoll nannte, entlang. Dort nahm er die Fähre, um gemütlich auf dem See in Richtung Voralberg zu schippern. Ab Bregenz fuhr er auf den in Österreich sehr gut ausgebauten Radwegen nach Feldkirch. Bis Ludesch verlief der Radweg entlang der B190 verhältnismäßig eben. Erst dort hinauf ins kleine, beschauliche Örtchen Ragall nahm die Steigung kontinuierlich zu. Was für ihn an sich kein Problem darstellte. Frank Jonas war mit seinen dreiundvierzig Jahren gut trainiert. Zu Rad als auch zu Fuß. Daher bereiteten ihm solche Radtouren auch keine größeren Probleme und machten auch Spaß. Nach Ragall ging es abwärts, sodass Frank die eben hart erkämpften Höhenmeter wieder verlor.
Ab Garsella wurde es jedoch steil, denn sein Tacho zeigte hier immer wieder zweistellige Prozente bei den Steigungen. Und nachdem, was er gelesen hatte, wurde es auch nicht besser. Aber ihn trieb die Aussicht auf die heiße Gulaschsuppe oben am Furkajoch, dem mit 1761 Metern höchsten Punkt seiner heutigen Tour. Bis dahin galt es jedoch noch zwanzig Kilometer mit dem Rad zu bewältigen, größtenteils davon bergauf. Er ließ seine Blicke über die Landschaft schweifen, wo jetzt, Mitte September, die Bäume in den Bergen des Bregenzer Waldes damit begannen, ihre volle Farbenpracht zu entfalten. Der Herbst hielt langsam Einzug. Die Temperaturen waren tagsüber noch angenehm warm, denn der diesjährige Sommer, der laut Meteorologen als einer der wärmsten überhaupt galt, wollte sich einfach nicht zurückdrängen lassen. Hier in den Bergen war es um diese Jahreszeit optimal zum Radeln, wenn da halt nicht diese steilen Passagen wären, dachte Frank bei sich.
Er hatte Fontanella durchquert, dort seine Trinkflaschen am Brunnen mit Wasser gefüllt. Wohlwissend, dass nun das steilste Stück seiner heutigen Tour kam. Nach dem kleinen, verschlafenen Örtchen am Fuße des Faschina verlief die Straße relativ flach, nur um dann auf den folgenden drei Kilometer umso steiler anzusteigen. Er ging mehrmals, widerwillig, aus dem Sattel als er Steigungsraten um die vierzehn Prozent auf seinem Tacho sah. Zu allem Überfluss wurde er nun von einem Mountainbike-Fahrer überholt, der ihn beim Vorbeifahren auch noch ziemlich frech angrinste, so zumindest die Deutung von Frank. Kunststück, dachte er sich, hatte der Radfahrer doch einen Elektroantrieb. Noch waren es zwei sehr steile Kilometer bis zur Skistation, wo es dann durch eine Galerie wieder abwärts ging. Nach einer Weile stoischen Tretens, sowie des Vor-sich-hin-Sinnierens, sah er besagten Mountainbiker plötzlich vor sich, wie dieser immer langsamer wurde. Frank triumphierte innerlich ob der Chance, die sich ihm da bot, vorher erlittenes Ungemach auszumerzen. Das verlieh ihm neue Kräfte. Er ging kurz, diesmal weniger widerwillig, aus dem Sattel, um den Abstand zum Mountainbiker zu verkürzen. Als dieser sich umdrehte und ihn herankommen sah, tat er, sehr zum Unmut von Frank, ebenfalls dasselbe. Es waren nun noch dreihundert Meter bis zum obligatorischen Passschild dennoch er war nicht gewillt, als zweiter dieses Schild zu passieren. Also mobilisierte er seine Reserven. Nach hundert Metern hatte der Mountainbiker nur noch fünfzig Meter Vorsprung, aber er kämpfte verbissen um seine Spitzenposition. Frank seinerseits, kam jedoch immer näher. Zwölf Stundenkilometer zeigte sein Tacho - bei elf Prozent Steigung! Der Puls war im hochroten Bereich, hatte die hundertneunzig längst überschritten. Der Mountainbiker blickte sich erneut um. Doch dieser Blick motivierte Frank nur noch mehr. Hundert Meter vor dem Schild mit der Passhöhe hatte er ihn eingeholt. Ein letztes Mal ging er erneut aus dem Sattel, setzte sich mit seinem Canyon Rennrad neben ihn, und blickte kurz zu ihm rüber.
„Schön blöd, wenn der Akku leer ist“, keuchte er.
Der Mountainbiker warf ihm einen bösen Blick zu. Doch dies störte Frank nicht mehr. Er trat die Pedale ein letztes Mal durch und zog mit einer Radlänge Vorsprung am Passschild vorbei. Faschinajoch 1486 Meter. Geschafft! Es bestätigte sich für ihn mal wieder, sämtliche Pässe, die er mit dem Rad erklommen und die auf Joch endeten, verlangten ihm alles ab. Eigentlich wollte er solche Wettkämpfe am Berg vermeiden, aber jedes Mal zwang ihn eine innere Stimme dazu, die Herausforderung anzunehmen. Er trank etwas, während der Mountainbiker kurz nach ihm jenes Passschild passierte, ebenfalls links an den Rand fuhr. Leider musste dieser dann feststellen, dass seine Wasserflasche leer war. Frank ging zu ihm hin und gab ihm seine Reserveflasche, die er unten in Fontanella aufgefüllt hatte.
„Hier, hast du dir verdient.“
„Danke. Wenn mein Akku nicht schlappgemacht hätte, wäre die Sache anders ausgegangen“, lachte er.
„Da bin ich mir sicher. Ich heiße übrigens Frank.“
„Fred“, erwiderte der andere, als er ihm die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte.
„Wohnst du hier?“, erkundigte sich Fred.
„Nein. Ich komme aus Öhningen. Ab Bregenz bin ich mit dem Rad bis hierhergefahren. Jetzt geht es runter nach Damüls, hoch aufs Furkajoch und von dort wieder zurück.
„Da hast du dir ja eine ziemliche Tour rausgesucht. Wie viele Kilometer sind das?“
„Alles in allem fast hundertvierzig Kilometer. Aber nach dem Furkajoch geht’s nur noch bergab, bis Bregenz ist dann alles flach.
„Na viel Spaß. Ich fahr hier wieder runter. Bis Bludenz. Da wohne ich. Vielleicht können wir uns ja mal treffen um zusammen auf die Bieler Höhe fahren.“
„Klar, gern.“
„Dann nehm ich mein Rennrad mit. Ich glaube, da bin ich ohne Akku besser dran.“
„Davon gehe ich aus“, lachte Frank.
Sie tauschten ihre Nummern aus, worauf er sah, dass Richard angerufen hatte. Da momentan sowieso Verschnaufen angesagt war, konnte er diesen auch gleich zurückrufen.
Richard Bauer war wie Frank Jonas Hauptkommissar bei der Kriminaldirektion eins in Stuttgart. Beide zusammen verband eine seit über zwanzig Jahren andauernde private, als auch berufliche Freundschaft. Richard Bauer war mit seinen fast siebenundfünfzig Jahren der älteste und erfahrenste Ermittler im Team. Außer ihnen beiden war Manfred Gühring, der ebenfalls schon knapp vor der fünfzig stand, mit an Bord. Nach ihrem letzten Fall stieß noch die frischgebackene Kommissarin Lisa Danninger mit ihren dreißig Jahren dazu. Dies hatte Frank bei seinem Vorgesetzten, Hans-Jürgen Engler durchgesetzt. Es war der Preis dafür, dass er bei dem letzten Fall, den sie gelöst hatten, Stillschweigen über die wahren Hintergründe des Selbstmordes von Polizeipräsident Walter Rudolph, bewahren sollte.
Vier Monate war es jetzt fast her, dachte er sich zurück, während er Richard zurückrief.
„Na endlich rufst du zurück“, bruddelte Richard.
„Na hör mal. Begrüßt man so seine Freunde?“, entgegnete Frank. „Was kann ich denn für dich tun?“
„Ich steh gerade vor deinem Haus und keiner ist daheim.“
„Wundert´s dich bei dem Wetter?“
„Eigentlich nicht. Wo bist du denn?“
„Auf dem Faschinajoch, in Österreich.“
„Wo ist das denn?“
„Bregenzer Wald.“
„Ach du meine Güte. Wann bist du wieder da?“
„Wenn alles gut läuft gegen sechs Uhr heute Abend. Ich sag dir, wo der Schlüssel ist, falls du rein willst. Andererseits kannst du wieder mal Konstanz fahren. Da kennst du dich ja aus“, feixte Frank. Er spielte damit auf Richards Hang zum weiblichen Geschlecht an. Jener übte, trotz oder vielleicht gerade wegen seines Alters, eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen aus.
Es schien, als würde Richard mit jemanden reden.
„Also gut. Ich nehme an, du kommst in Konstanz am Hafen an. Oder fährst du mit dem Rad am See entlang?“
„Dann würde ich nicht heute Abend um sechs daheim sein. Ich fahr jetzt von Bregenz mit der Fähre nach Konstanz. Von dort dann zurück nach Öhningen. Also treffen wir uns in Konstanz?“
„So machen wir es.“
„Gut bis dann. Amüsiere dich gut“, lachte Frank und legte auf.
Er verabschiedete sich von Fred, um kurz darauf mit seinem Rennrad durch die Galerie nach Damüls zu düsen, um von dort links auf das Furkajoch abzubiegen, seiner Gulaschsuppe entgegen.
Diesen Freitag war erstaunlich wenig los hier oben, dachte Frank, als er sein Rad an der Hütte abstellte. Der Betreiber kannte ihn bereits, weil Frank bei seinen Touren des Öfteren Station machte.
„Da ist er ja wieder, unser Dauerradler“, sagte der Mann, dessen Name Franz war, in breitem österreichischem Dialekt.
„Hallo Franz. Wieder Gulaschsuppe mit einer Spezi.“
„Aber gern doch. Du siehst aus, als wärst übers Faschinajoch geradelt.“
Frank bejahte, während er ihm die Geschichte von Fred mit dem Mountainbike erzählte.
„Dieser Fred, ist fei a Rennfahrer. Und kein schlechter. Ich würde mir überlegen, mit dem auf die Bieler Höhe zu fahren. Mit einem leeren Akku am Mountainbike kommen die wenigsten auf dem Rad hoch. Da musst a mordsmäßige Kondition haben. Wenn du an dem vorbeigezogen bist, alle Achtung.“
Frank grinste frech, während beide noch ein wenig übers Radfahren fachsimpelten. Franz war aus seiner Hütte gekommen und hatte sich zu ihm an den Tisch gesetzt.
„Wenig los heute hier, obwohl Freitag ist.“
„Es ist halt noch so warm“, jammerte er. „Da gehen die Leute lieber unten am See baden oder flanieren. Außer ein paar Wanderern und einem Radfahrer war heute noch niemand hier.“
„Der eine Radfahrer bin ich, nehme ich an“, grinste Frank.
„Richtig. Kommst du dieses Jahr noch mal hoch? Die Saison ist ja jetzt bald vorbei.“
„Vielleicht im Oktober auf meiner Abschlussrunde.“
Es kündigte sich Besuch in Form von älteren, mit Stöcken bewaffneten, Wanderern an.
„Ich muss. Laufkundschaft.“
Er gab ihm zum Abschied die Hand und verschwand wieder in seiner Hütte.
Frank hatte fertig gegessen. Es war jetzt kurz nach zwölf Uhr am Mittag. Zeit für die Rückfahrt. Denn die Fähre nach Konstanz ging um halb drei und es waren noch knapp fünfzig Kilometer bis zum Hafen in Bregenz. Er freute sich schon auf Richard. Frank war seit einer Woche im wohlverdienten Urlaub. Er plante noch die eine oder andere Tour am Bodensee oder in der Schweiz im Appenzeller Land. Die Wetteraussichten für die kommenden Tage waren recht gut.
Dass er am nächsten Wochenende nicht zum Radfahren kommen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Um kurz nach zwei Uhr am Nachmittag erreichte Frank den Bregenzer Hafen.
Er genoss die knapp vierstündige Fahrt die ihn am Ostrand des Bodensees an Städtchen wie Lindau, Langenargen, vorbei an der Blumeninsel Mainau rüber nach Konstanz führte.
An Bord genehmigte er sich einen schwarzen Kaffee, den er auf Deck zu sich nahm. Frank genoss die warmen Strahlen der Septembersonne. Nach dem letzten Fall wollte er sein ursprünglich geplantes Sabbatical weiterführen, doch Richard bat ihn zu bleiben, um die neue Kommissarin, Lisa Danninger einzulernen. So etwas konnte man natürlich nicht ausschlagen. Bei diesen Gedanken musste er grinsen.
Mit einem sanften Ruck legte die Fähre in Konstanz an, nachdem sie von Immenstaad den Bodensee überquert hatte. Er schnappte sich sein Rad und verließ die Fähre.
Richard wartete in einem Café an der Hafenhalle. Frank war nicht zu übersehen. Augenscheinlich hielt er nach ihm Ausschau. Daraufhin nahm er sein Smartphone um ihn in besagtes Café zu lotsen.
Frank sah Richard von Weitem. Als er näher kam, stellte er fest, sein Kollege war nicht allein gekommen. Er war in Begleitung von Lisa Danninger, ihrer beider neuen Kollegin. Franks Puls schlug in etwa auf der Frequenz, die er vor ein paar Stunden die letzten Meter auf die Passhöhe des Faschinajochs hinaufgeradelt war. Lisa stand auf, kam auf ihn zu um ihn zu umarmen.
„Vorsicht, ich bin etwas verschwitzt und stinke wie ein alter Ziegenbock“, sagte Frank entschuldigend.
„Sowas macht mir gar nichts aus“, meinte sie, während sie ihm einen Kuss auf die linke Wange drückte.
Lisa Danninger hatte ihre blonden, schulterlangen Haare heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Frank ging zu Richard und beide umarmten sich freundschaftlich.
„Was führt euch beide hierher?“, fragte Frank.
„Das weißt du nicht?“, erwiderte er erstaunt.
„Nö, ehrlich gesagt nicht.“
„Denk mal scharf nach, was heute vor zwanzig Jahren war“, gab ihm Richard als Denkanstoß.
Frank nahm seinen Helm ab, kratzte sich am Kopf.
Langsam dämmerte es ihm. Heute vor zwanzig Jahren hatte er zum ersten Mal mit Richard Bauer ermittelt. Lange war es her. Er konnte sich nicht mal mehr genau an den Fall erinnern, den sie zuerst gemeinsam hatten.
„Ah, mein Dienstjubiläum“, stellte er daraufhin fest.
„Richtig. Du hast wohl gedacht, wenn du dir in der Zeit Urlaub nimmst, kommst du drum rum.“
Richard tadelte ihn mit dem Zeigefinger und lachte.
„Zwanzig Jahre ermittelt ihr schon zusammen?“, staunte Lisa, „Damals war ich gerade mal elf Jahre. Wie die Zeit vergeht.“
Sie erzählten Lisa noch ein paar Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Dienstzeit, während Frank sich einen Kaffee bestellt hatte. Als Richard auf die Uhr sah, war es bereits halb sieben.
„Zeit zu fahren. Du hast doch nichts dagegen, wenn wir es uns bei dir gemütlich machen.“
„Eigentlich nicht. Aber vorher gehen wir was Essen. Ich habe Hunger“, sagte Frank, der erst jetzt bemerkte, wie sein Magen grummelte, augenscheinlich und hörbar nach Essen verlangte.
„Wie kommst du nach Hause? Sollen wir dein Rad bei mir hinten rein laden?“
„Passt nicht. Mach dir keine Sorgen. Ich schaff die fünfundzwanzig Kilometer in weniger als einer Stunde“, lachte er.
„Also treffen wir uns bei dir?“
„So machen wir es“, erwiderte Frank.
Er war tatsächlich in rekordverdächtigen fünfundvierzig Minuten an seinem Haus in Öhningen angekommen.
Er wäre wahrscheinlich noch schneller gewesen, hätte ihn nicht unverschämterweise eine schwarze Mercedes-Limousine mit Stuttgarter Kennzeichen zu einer Vollbremsung gezwungen, als dessen Fahrer meinte, drei Autos auf einmal überholen zu müssen, und Frank auf der Gegenfahrbahn dabei fast von der Straße drängte. Dass er diese Limousine bald in einem anderen Zusammenhang wiedersehen würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
Sein Haus lag an einem leicht abfallenden Hang am Untersee des Bodensees und verfügte über zwei Stockwerke. Im oberen Stockwerk wohnte ein älteres Ehepaar. Die Frau kümmerte sich, wenn er mal wieder nicht da war, um sein Haus. Frank wohnte im Erdgeschoss, seine Wohnung verfügte über eine große Terrasse, die einen wunderbaren Blick über den See hinüber auf die Schweizer Seite offenbarte. Zu seinem Haus führte eine kleine Zufahrtsstraße, die allerdings schwer einzusehen war. Richard war bereits mehrere Male vorbeigefahren. Neben seinem Haus hatte sich Frank noch eine geräumige Garage bauen lassen, die zudem über eine kleine Werkstatt verfügte, wo er sein Fahrrad parkte und gegebenenfalls auch reparieren konnte.
In der eigentlichen Garage stand Franks Prunkstück. Ein E-Klasse Kombi von AMG, der über stattliche sechshundert Pferdestärken verfügte.
„Alle Achtung“, sagte Richard, „du bist schon da. War wohl doch nicht so anstrengend heute.“
„Ich wäre noch schneller gewesen, wenn mich nicht so ein Idiot fast von der Straße abgedrängt hätte“, schimpfte Frank.
Lisa musste lachen. Irgendwie musste sie immer an Walldorf und Statler, die ewig bruddelnden Herren in der Loge von der Muppet-Show denken, wenn die beiden schimpften. Trotzdem mochte sie die beiden, Frank besonders, und war froh darüber, nun in diesem Team zu sein.
Er schob sein Rad durch das Tor in die Garage.
Richard wartete mit Lisa derweil draußen auf Franks Terrasse, während dieser sich unter der Dusche frischmachte. Sie hatte es sich in der übergroßen Hollywoodschaukel bequem gemacht, während jener im Liegestuhl vor sich hindöste.
„So, ich bin hungrig. Wie sieht es bei euch aus?“, fragte Frank, nachdem er eine viertel Stunde später ebenfalls auf der Terrasse erschien.
„Hungrig aber fertig“, gähnte Richard „Hier auf deiner Terrasse kann man es aushalten.“
Frank lachte, stimmte ihm zu und sie gingen gemeinsam den einen Kilometer hinunter in sein Stammlokal, der Traube.
Wie üblich saß Herr Häberle, der Mieter, an diesem Freitag wieder mit seinen Altersgenossen am Stammtisch um über seine Gattin, sowie deren gefürchtetes Mundwerk zu lästern. Frank ging zu ihm, klopfte zur Begrüßung auf den Tisch. Nach einem kleinen Small Talk setzte er sich zu Richard und Lisa.
„Gibt’s was Neues in der Landeshauptstadt?“, erkundigte sich Frank, während die Kellnerin der Traube ihnen das kühle Gerstengold servierte.
„Alles ruhig. Ist aber auch nicht verwunderlich. Sind ja alle im Urlaub. Manfred ist mit seiner Familie nach Frankreich gefahren und kommt auch erst am Montag wieder. Unser Chef, der Rothaarige, na ja, der ist die ganze Zeit im Büro, weil er sonst mit seiner Alten immer einkaufen muss.“
Der Rothaarige war Kriminaldirektor Hans-Jürgen Engler. Beide verband nur die gegenseitige Abneigung. Frank konnte Engler nicht leiden, weil dieser seiner Meinung nach immer auf der Suche danach war, wo er die meisten Lorbeeren für sich einheimsen konnte. Dafür buckelte er nicht selten bei seinem nächsthöheren Vorgesetzten, dem Polizeipräsidenten. Doch seid Walter Rudolph, mehr oder weniger freiwillig, aus dem Leben geschieden und ein neuer Polizeipräsident ernannt worden war, gestaltete sich dieses Buckeln als etwas schwieriger. Denn dieser hielt von dieser Art Speichelleckerei nicht viel.
Engler wiederum konnte Frank nicht leiden, weil dieser allseits sehr beliebt war, sowie über einen messerscharfen Verstand verfügte. Zudem nahm der auch kein Blatt mehr vor dem Mund, um ihm zu sagen, wenn er falsch lag. Außerdem verfügte Frank über die seltene Gabe, sich am Tatort in die Situation des Opfers, als auch des Täters hineinzuversetzen. Er hatte den Blick für noch so kleine Details, die anderen erst später auffielen.
Nach dem letzten Fall hatten sich beide zwar ausgesprochen, es herrschte seitdem auch so etwas wie Waffenstillstand, doch wie lange dieser halten würde, war fraglich.
Als sie mit dem Essen fertig waren, war es bereits dunkel geworden und so mussten sie den Weg im Finsteren zurücklegen. Am Haus angekommen, ging plötzlich das Licht an. Kurz darauf rief eine schrille Stimme in die Nacht: „Hermann, bist du´s? Wann hab´ ich dir gesagt, solltest du daheim sein? Guck mal auf die Uhr. Es geht auf zehn Uhr zu. Sieh zu, dass du hochkommst.“
„Hier ist nicht Hermann, Frau Häberle. Ihr Mann sitzt noch unten in der Traube. Wird wohl noch eine Weile dauern“, lachte er.
„Na, der soll mir heimkommen“, schimpfte sie und schloss das Fenster wieder.
„Da bekommt jemand Ärger heute Abend“, stellte Lisa amüsiert fest.
„Davon geh ich aus. Aber in der Regel schlägt sie ihn nicht, wenn er zu spät kommt“, erwiderte Frank lakonisch.
Sie setzten sich noch eine Weile auf die Terrasse. Frank öffnete zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein.
„Auf die nächsten zwanzig Jahre.“
Er hob sein Glas um gemeinsam anzustoßen.
„Zwanzig Jahre werden es bei mir nicht mehr. Höchstens zehn“, lachte Richard.
„Aber mit mir wirst du es ja dann auch noch ein paar Jahre aushalten“, feixte Lisa.
„Da sehe ich keine Probleme, Frau Kommissarin.“
„Ich lege mich hin“, sagte Richard, nachdem sie die dritte Flasche Wein gemeinsam geleert hatten. „Macht euch noch einen schönen Abend ihr zwei.“
Er gähnte und schlurfte gemächlich ins Gästezimmer, welches sich im hinteren Teil der Wohnung befand.
„Ich denke, ich werde es ihm gleichtun“, sagte Frank, „Morgen früh hole ich frische Brötchen für uns.“
Lisa sah ihn mit ihren rehbraunen Augen an.
„Wo schläfst du?“, fragte sie ihn.
„Auf der Couch natürlich. Du kannst mein Bett haben“, erwiderte er und war im Begriff ins Haus zu gehen. Sie hielt ihn sanft am Arm fest.
„Ich möchte nicht, dass du auf der Couch schläfst“, flüsterte Lisa ihm ins Ohr, als sie hinter ihm stand.
„Außerdem wollte ich mich schon lange bei dir bedanken, wegen der Aktion. Du weißt schon.“
Dann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn ins Schlafzimmer.
Der Sonntagmorgen zeichnete sich durch ein graues Regenband, welches über Öhningen hing, aus. Es goss in Strömen und sah auch in absehbarer Zeit nicht danach aus, dass es wieder aufhörte.
„Na prächtig“, brummte Frank, als er am Fenster seines Schlafzimmers stand um über die Terrasse auf den See zu schauen. Die gegenüberliegende Seite war durch die tief hängenden Wolken bereits nicht mehr zu sehen.
Lisa schaute ihm vom Bett aus an.
„Brötchen musst du trotzdem holen.“
Frank drehte sich lachend um.
„Ja, dann halt mit dem Auto.“ Er zog sich an und fuhr mit dem Auto, sehr zum Unmut der umweltbewussten Nachbarn, die kurze Strecke zum Bäcker.
Richard musste durch das Starten des V8 geweckt worden sein, denn als Frank zurückkam, saßen beide bereits im Esszimmer an dem großen Eichentisch, der von Lisa mit allerlei Leckereien aus Franks großem Kühlschrank, von denen er gar nichts wusste, gedeckt war.
„Nur Duschen ist schöner“, grummelte er genervt, war er doch tatsächlich trotz der wenigen Meter bis auf die Haut durchnässt.
Sie diskutierten während des Frühstücks und waren sich einig, dass es in der Landeshauptstadt wahrscheinlich nicht regnen würde.
Es war Sonntag und somit Franks letzter freier Tag, bevor er morgen wieder nach seinem Urlaub an seinem Schreibtisch in der Kriminaldirektion eins in der Eberhardt Straße Platz nahm.
„Willst du bei diesem Wetter wirklich mit deinem Motorrad nach Stuttgart fahren? Oder sollte ich schwimmen sagen?“, fragte Frank besorgt.
Lisa zögerte einen Moment und dachte nach.
„Vielleicht ist es besser, ihr nehmt mich mit. Mein Motorrad kann ich bei dir der Garage lassen. Daheim steht ja noch eins.“
„Habe ich hier was verpasst?“, fragte Richard ahnungslos während er in sein Marmeladenbrötchen biss.
„Nichts Wichtiges“, beeilte Frank, sich zu sagen. Beide kamen überein, die Kollegen noch nicht einzuweihen. Richard schien nichts zu ahnen, selbst wenn ließ er es sich nicht anmerken. Doch er gehörte nicht zu denen, die alles herumerzählten, wenn sie Neuigkeiten wussten.
Als Richard seinen Opel vor Franks Garage wegfahren wollte, tat sich an dessen Auto erst mal nichts. Beim Starten machte es nur kurz Blubb. Dabei blieb es dann auch.
„Scheint nicht wasserdicht zu sein“, stellte Frank trocken fest.
„Alte Scheißkarre!“, schimpfte Richard im Auto.
Lisa und Frank standen unter dem Balkon vom Obergeschoß, wo jenes Ehepaar Häberle noch schlief. Dort wurden sie weitestgehend vom heftigen Regen verschont.
„Es sieht so aus, als ob wir noch einen Passagier mit an Bord haben. Ich habe ihm schon tausend Mal gesagt, kauf dir ein gescheites Auto. Aber Walter hat recht, das ist der Altersstarrsinn“, bruddelte Frank vor sich hin.
Einige Zeit später hatten sie Richards alten Bock auf die Seite gestellt und waren nun zu dritt weißen E-Klasse Kombi nach Stuttgart unterwegs.
In der Landeshauptstadt, die sie mittags erreichten, war es tatsächlich trocken. Es wehte lediglich ein leichter Wind und die Sonne schien.
Frank hatte sich nach dem letzten Fall erst überlegt, eine Wohnung in Stuttgart zu kaufen. Nachdem er einige angeschaut hatte, um feststellen wie unerschwinglich diese waren, bot sich ihm die Möglichkeit, zu Richard ins Haus einzuziehen, da die ältere Dame im ersten Stock ins Altersheim musste. Die Hauseigentümerin war froh darüber, waren nun drei Wohnungen an Polizeibeamte vermietet. Sie selbst wohnte im Haus nebenan, fühlte sich somit sicher wie in Abrahams Schoss.
Frank nutzte das schöne Wetter aus, um eine Runde im Wald laufen zu gehen, während Richard seinen Mittagschlaf machte und Lisa zu Besuch bei einer Freundin war.
Abends war für die Kommissare wieder Ermittlungsarbeit angesagt. Diese bestand aus einem Hefeweizen, der Fernbedienung und dem Tatort im Ersten. Beide machten es sich jedes Mal zur Aufgabe, Ermittlungsfehler herauszufinden, was ihnen auch immer gelang.