Читать книгу Wie gewonnen - so zerronnen - Hendrik Scheunert - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеAufstehen um diese Uhrzeit, es war kurz vor sieben in der Früh, fiel Frank, wie an jedem der Wochentage, wenn es draußen kalt oder dunkel war, ziemlich schwer. Und das, obwohl er gestern bereits vor zehn ins Bett gegangen war. Schlaftrunken schlurfte er, betont langsamen Schrittes ins Bad und achtete darauf, nicht die volle Beleuchtung einzuschalten, um seine noch müden Augen zu erschrecken. Mit Mühe fand er seine Utensilien, um sich anzuziehen. Heute Morgen war er an der Reihe, Kaffee zu machen. Denn seit er, Richard sowie Lisa das Haus im Buchwald bewohnten, war ausgemacht worden, jeder, zumindest unter der Woche, wenn sie Dienst hatten, war einmal morgens für Frühstück, sowie frischen Kaffee verantwortlich.
Die Besitzerin des Hauses, wohnte nebenan und fühlte sich, ob der Anzahl der Polizisten in ihrer Nähe, sicher wie in Abrahams Schoß, sodass sie Aufgrund dessen eine sehr moderate Miete verlangte, was in Stuttgart keine Selbstverständlichkeit war.
Er sah auf die Uhr, als er die Kaffeemaschine einschaltete. Es war kurz nach sieben in der Früh. Richard, der einen Schlüssel zur Wohnung besaß, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Frank einmal verschlief, musste jeden Augenblick eintrudeln.
Einen Moment später klingelte dann eben jener, grüßte kurz, wie es bei Morgenmuffeln üblich war, und ging mit ihm in die Küche, wo sie sich beide schweigend an den kleinen Tisch setzten, ein jeder mit seiner Kaffeetasse vor der Nase, den eigenen Gedanken nachhängend. Frank war vor dem ersten Kaffee nicht in der Lage, einen Satz mit mehreren Worten zu bilden. Richard ging es genauso und da Lisa als Vertreterin der weiblichen Zunft nicht da war, störte sich auch keiner der anwesenden Personen über die andächtige Ruhe, die der eines stillen Gebets in der Kirche in nichts nachstand.
Frank war mit seinen Gedanken schon wieder beim aktuellen Mordfall. Ihm ging es nicht aus dem Kopf, wieso Metzinger derart brutale Verletzungen aufwies. Was war so wichtig, dass man ihn dermaßen übel zugerichtet hatte. War es Eifersucht, Rache oder ging es um Geld. Er war sich nur in einer Sache sicher. Es handelte sich hier um einen Täter aus dem näheren Umfeld des Opfers, anders konnte er sich die ganze Tat im Moment nicht erklären.
„Wir müssen“, holte ihn Richard aus seinen Gedanken, „Um acht ist die Besprechung. Ich will nicht unbedingt zu spät kommen.“
Zehn Minuten vor besagter Zeit kamen beide im Besprechungszimmer der Kriminaldirektion eins an, wo außer ihnen, zu ihrer beider Verblüffung, noch niemand da war. Frank stand mit vor der Brust verschränkten Armen am Fenster, blickte auf die stark befahrene Hauptstätter Straße, während Richard den Beamer anschaltete und den Flipchart aufstellte.
Mit der Zeit trudelten alle für den Fall zuständigen Beamten ins Besprechungszimmer, sodass sich der Raum alsbald füllte. Außer Lisa, die erst am nächsten Tag dazustoßen sollte, waren sie nun vollzählig.
Staatsanwalt Henssler eröffnete die Besprechung. Neben ihm saß ein konzentrierter, in sich gekehrter Richard. Frank hatte es sich mit seiner zweiten Tasse Kaffee an diesem Morgen auf dem Stuhl daneben bequem gemacht.
„So was haben wir bis jetzt?“, fragte er in die Runde.
„Nicht viel. Außer dass der Mann vor seinem Tod ziemlich malträtiert wurde“, sagte Richard.
Henssler blickte zu Walter Riegelgraf, der daraufhin seinen Bericht vortrug.
„Gibt es schon Verdächtige?“, wollte er wissen.
„Ungefähr fünfhundert. Dazu kommen noch die Frau sowie die Tochter, die aber über ein Alibi verfügen und somit ausscheiden“, warf Frank ein, „wobei wir hier noch sortieren müssen, wer von den fünfhundert ein Motiv hätte.“
„Eigentlich alle“, rief Adelbert Herzog dazwischen.
Der Staatsanwalt richtete seinen Blick auf Herzog, der in seinen Unterlagen blätterte.
„Wie kommen sie zu der Annahme?“
„Weil der Tote ein Investmentbanker war. Er hat, oder besser hatte, eine Firma mit Namen Home Investments. Dort wurde an den internationalen Märkten mit Derivaten spekuliert. Zumindest nach dem, was ich bis jetzt in der kurzen Zeit sagen kann. Das ist alles ein bisschen kompliziert.“
Er fuhr sich nachdenklich durch die Haare.
„Ach, deswegen hat er gleich fünfhundert Verdächtige?“, fragte Manfred, der bis jetzt nicht groß in Erscheinung getreten war, etwas provokant.
„Wenn man sich verspekuliert, schon“, erwiderte Herzog, ohne auf die spitze Bemerkung einzugehen. „Oder würdest du dich freuen, wenn dein Erspartes nicht nur weg, sondern verpulvert wurde?“
Alle im Zimmer blickten auf Adelbert Herzog, während dieser mit seinem Blick Manfred eindringlich ansah.
„Was schaut ihr mich alle so an? Ich habe gestern seinen Computer und die dazugehörige Korrespondenz überflogen. Nachdem, was ich in der kurzen Zeit gefunden und analysiert, habe ist er bankrott. Oder so gut wie. Er hat schon mehrere Mahnschreiben von der Württembergischen Genossenschaftsbank bekommen. Mit der Aufforderung, zeitnah die ausstehende Summe zurückzubezahlen.“
„Um welche Summe handelt es sich und in welchen Zusammenhang?“, fragte der Staatsanwalt neugierig.
Herzog blätterte wieder in seinem Papierstapel. Frank sah ihm dabei zu und wusste nicht so recht, ob er etwas suchte oder dies nur tat, um sich wichtig zu machen. Aber auch er musste wie alle anderen schlucken, als Herzog schließlich den Betrag nannte, um den es ging.
„Zehn Millionen Euro. Mindestens.“
Ein Raunen ging durch den Raum.
„Ich bin noch nicht allzu weit in seine Geschäftsunterlagen vorgedrungen. Wie gesagt, alles sehr kompliziert. Meine Kollegen arbeiten daran. Aber da ich ja personell auf dem letzten Loch pfeife, wird’s bestimmt auch noch eine Weile dauern.“
Zehn Millionen Gründe für einen Mord, war Franks erster Gedanke.
„Na ja, die von der Bank werden so was schon verschmerzen können“, war die lakonische Antwort von Henssler, der diese Aussage anscheinend in vollem Bewusstsein getätigt hatte. Er wandte sich Frank und Richard zu. „Ich würde vorschlagen sie fragen da mal nach. Aber auch die private Seite von diesem Kai-Uwe Metzinger sollte man nicht außer Acht lassen. Vielleicht haben die Ex-Frau oder die Tochter doch Dreck am Stecken. Wäre nicht das erste Mal, wenn hier ein familiäres Motiv als Grund vorliegt.“
Frank wollte etwas einwerfen, wurde aber von Richard zurückgehalten, indem ihn dieser unauffällig am Arm festhielt. Man verabredete die nächste Besprechung für den kommenden Tag um dieselbe Zeit, in der Hoffnung auf brauchbare Hinweise, stand nun jeder auf, um seiner zugewiesenen Arbeit nachzugehen.
„Warum hast du mich da drinnen nicht reden lassen?“, fragte Frank, ungehalten über die Reaktion von Richard kurz zuvor.
„Weil es nichts bringt, außer einer langen und sinnlosen Diskussion. Ich denke, er hat recht. Wir sollten die beiden Damen wirklich nicht aus den Augen lassen. So traurig waren die beiden über seinen Tod nicht unbedingt.“
„Meinetwegen“, grummelte Frank unwillig, wohlwissend dem, was Richard sagte, war argumentativ nichts hinzufügen. Es wurmte ihn, der gern jenes letzte Wort in einer Diskussion haben wollte, ein wenig. Er glaubte nicht, dass die beiden Frauen etwas mit dem Mord an Kai Uwe Metzinger zu tun hatten, an dieser Theorie hatte er schon wegen der schwerwiegenden Verletzungen seine Zweifel.
Sie fuhren nach der Besprechung erneut in den Stuttgarter Süden, um Sabine Metzinger einen Besuch von Amts wegen abzustatten, wie Richard es ihm auf der Hinfahrt erklärte. Doch diese war anscheinend nicht daheim, was sie nach mehrmaligem Austesten der Klingelanlage in dem Mehrfamilienhaus herausgefunden hatten. Die Nachbarn, die sie daraufhin befragten, konnten in Bezug auf die Tochter von Kai Uwe Metzinger auch keine verwertbare Aussage über ihren derzeitigen Aufenthaltsort machen, sodass Richard letztendlich eine handschriftliche Nachricht, mit der Bitte sich dringend bei ihm zu melden, in deren Briefkasten hinterließ.
„Bevor wir jetzt durch ganz Stuttgart fahren, um Sarah Metzinger zu befragen, würde ich empfehlen, wir lassen uns ihre Nummer geben und rufen vorher an“, meinte Frank lakonisch.
Nachdem sie die Nummer über einen Beamten im Präsidium bekommen hatten, rief Richard bei ihr an.
Frau Metzinger schien wenig begeistert ob des erneuten Anrufs der Polizei, ließ sich nach einiger Zeit, nachdem Richard mit einer richterlichen Vorladung kokettierte, aber dennoch dazu überreden, von beiden Kommissaren erneut befragt zu werden.
„Mein Alibi wollen sie überprüfen? Glauben sie mir etwa nicht?“, fragte sie entrüstet. Sarah Metzingers Augen funkelten vor Zorn über die ihrer Meinung nach freche Frage der zwei Beamten.
„Reine Routine, wir würden von ihnen gerne wissen, wo sie am Sonntag zwischen neun und zwölf Uhr abends waren“, antwortete Richard ruhig. Er fuhr sich mit der Hand durch seine Haare und Frank wusste, Richard war lange nicht so gelassen, wie er es nach außen zu vermitteln versuchte.
„Ich habe mit zwei Freundinnen in der Pizzeria gegenüber gegessen. Von acht bis elf. Dann bin ich heim. Für den Rest des Abends habe ich kein Alibi, weil ich allein im Bett gelegen bin.“
„Dann bräuchte ich die Nummer der Damen.“
„Wieso?“
„Um ein Alibi zu überprüfen. Sollte sich herausstellen dass die beiden Damen ihr Alibi bestätigen, sind sie uns fürs erste los“, sagte Richard.
Sarah Metzinger wollte etwas sagen, verbiss sich aber dann doch den Kommentar und gab Richard die Nummern ihrer Freundinnen, in der Hoffnung, tatsächlich Ruhe vor den beiden Ermittlern zu haben. Diese bestätigten unabhängig voneinander jenes Alibi.
„Sind sie nun zufrieden?“, fragte sie.
„Fürs Erste ja“, antwortete Richard, „Wir melden uns, falls wir noch Fragen haben.“
„War ja heute ne ziemliche Kratzbürste“, stellte Frank fest, nach dem sie das Haus verlassen hatten.
„Aber sie scheint ein Alibi zu haben. Somit scheidet sie aus. Bleibt noch ihre Tochter.“
Frank sah beim Überqueren der Straße die Pizzeria, in der sich Sarah Metzinger mit ihren Freundinnen am Sonntagabend aufgehalten hatte. Spontan entschloss er sich, dort einen kurzen Besuch abzustatten.
Der Inhaber, ein schlanker Italiener mittleren Alter mit übermäßig viel Pomade in den Haaren witterte Umsatz, als sich Frank und Richard seinem Restaurant näherten.
„Einen wunderschönen guten Tag, die Herren. Wo darf ich ihnen einen Platz anbieten?“
Er ratterte in seinem italienischen Akzent die Speisekarte runter. Frank verdrehte die Augen und unterbrach ihn dann irgendwo bei Spaghetti Napoli.
„Wir sind nicht zum Essen gekommen, sondern wir haben eine Frage.“
„Eine Frage?“, wunderte sich der Inhaber. Seine Miene verfinsterte sich zusehends, da er gewahr wurde, mit diesen beiden Herren war keinerlei Umsatz zu erzielen.
Bevor er jedoch wieder mit einem Redeschwall ansetzen konnte, hielt ihm Frank seinen Ausweis unter die Nase.
„Ah, Policia. Was kann ich für sie tun?“
„Kennen sie eine Sarah Metzinger?“, fragte Frank.
„Natürlich. Signora ist eine sehr gute Kundin von mir. Sie kommt öfters bei mir zum Essen vorbei.“
Klar, zu was auch sonst, dachte Frank.
„War Frau Metzinger am Sonntagabend bei Ihnen?“
„Da muss ich schauen. Augenblick.“
Er ging hinter den Tresen, um in einem dicken Wälzer nachzuschlagen.
„Sonntag, sagten sie. Si, da war Signora Metzinger bei mir. Tisch mit drei Personen. Ab acht Uhr abends.“
„Wann ist sie gegangen?“, erkundigte sich Richard, um letzte Zweifel auszuschließen.
„Gegen elf Uhr. Kurz danach schließen wir. Sie war einer der letzten Gäste.“
Die Kommissare bedankten sich.
„Damit ist sie definitiv keine Verdächtige mehr“, seufzte Richard.
„Ich wollte es ja schon heute Morgen sagen. Die Frauen haben meiner Meinung nach nichts mit dem Mord zu tun. Die sind aufs Geld vom Alten angewiesen. Außerdem, die Kuh, die Milch gibt, schlachtet man nicht“, meinte Frank, als er ins Auto einstieg.
„Wäre auch zu schön gewesen. Mord aus Eifersucht. Und die Ehefrau gesteht“, sinnierte Richard.
„Ich denke, dass es etwas mit seinen Geldgeschäften zu tun hat. Lass uns nach dem Mittag mal bei Adelbert vorbeischauen. Vielleicht hat er schon mehr herausgefunden.“
Unterwegs klingelte Franks Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Walter Riegelgraf. Er legte jenes Gespräch auf die Freisprecheinrichtung an, sodass Richard auch mithören konnte.
„Hallo Walter, was gibt’s?“, fragte er.
„Ich habe was Neues über die Tatwaffe. Ein Schweizer Messer. Geschmiedet. Sehr edel. Wie bereits vermutet, aus Damaszener Stahl.“
„Woher weißt du sowas?“, erkundigte sich Richard.
„Weil Herzog den Messerblock in der Küche auf Blutspuren untersucht hat. Ein Messer wies eine ganze Menge Blut auf. Es wurde zwar gereinigt, aber mit Luminol sieht man´s dann doch noch.“
„Ist der Herzog heute Nachmittag in seiner Werkstatt?“, fragte Frank.
„Sag ihm ja nicht, dass das eine Werkstatt ist. Du weißt wie empfindlich er darauf reagiert.“, warnte ihn Walter Riegelgraf, „Es ist ein Labor. Und ja, er ist heute Nachmittag dort.“
„Ich werde es mir merken“, versprach Frank und wollte sich verabschieden.
„Stopp, nicht so schnell. Ich bin noch nicht fertig. Ihr Kommissare habt es immer so eilig. Wir haben DNA Spuren in Form von winzigen Hautresten unter seinem Finger sichergestellt. Leider kein Treffer in der Datenbank. Der oder die Täter sind also noch nicht aktenkundig.“
DNA Spuren von zwei fremden Personen. So was konnte ein erster Fortschritt sein. Wenn sie jetzt einen Verdächtigen hätten und die Spuren stimmten überein. Frank wurde plötzlich euphorisch, doch dass die Dinge sich anders entwickelten, wie er es sich manchmal so vorstellte, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.
„Danke für die neuen Infos“, bedankte er sich und verabschiedete sich.
„Wenn er mit einem Messer aus seinem Haus getötet wurde, spricht noch mehr für eine spontane Handlung“, stellte Richard fest.
„Also nicht geplant. Macht die Sache aber auch nicht leichter. Hoffentlich kommen wir mit den DNA Spuren irgendwie weiter“, seufzte sein Kollege.
Nachdem es in der Kantine in der Eberhardtstraße auch heute wieder nichts nach Franks Geschmack gegeben hatte, waren er, Richard und Manfred zum Breuninger in Karls Kitchen gegangen, ein Restaurant im vierten Stock des Einkaufshauses, welches sich aufgrund der guten Speisen größter Beliebtheit erfreute.
„Ah die Herren haben in der Kantine auch nichts gefunden“, stellte Adelbert Herzog fest, „Dann kann ich mich bei euch noch dazusetzen.“
Manfred rutschte etwas zur Seite, um Adelbert Platz zu machen.
„Wie kommst du voran?“, fragte Richard, während er noch daran arbeitete die Reste seines Mittagessens, welches ihm, wie man erkennen konnte, recht gut geschmeckt hatte, hinunterzuschlucken.
„Werter Kollege Bauer, zum einen kaut man erst hinter, bevor man mit den Leuten spricht, zum anderen habe ich jetzt Mittag. Da gebe ich zum Stand von Ermittlungen keine Wasserstandsmeldungen durch. Ich habe euch beiden eine E-Mail geschickt mit den Infos von heute Morgen. Wenn ihr öfters mal euer Postfach öffnen würdet, müsstet ihr nicht immer fragen.“
Adelbert Herzog biss voller Genuss in sein Schnitzel, welches ein breites Grinsen auf sein ansonsten mürrisches Gesicht zauberte, und schob gleich eine Gabel voll Kartoffelsalat hinterher.
Mehr war von ihm während der Pause nicht herauszubekommen. Adelbert war zwar eine Koryphäe auf dem Gebiet der Spurensicherung, seine Meinung wurde überall hochgeschätzt, zwischenmenschlich jedoch war es bisweilen sehr schwer, mit ihm auszukommen. So wusste niemand genau, ob er verheiratet war, oder ob er Kinder hatte. In dieser Hinsicht gab es nur Gerüchte. Einzig sicher war, dass er am Rand von Stuttgart wohnte, ein großes Haus sein eigen nannte, einen hervorragenden Obstler brannte, der im ganzen Präsidium der Kriminaldirektion eins geschätzt wurde, und in seiner Freizeit in seinem eigenen Weinberg seinem Hobby frönte.
Dem Hinweis entsprechend sahen sie nach dem Essen, als sie wieder im Büro ankamen, beide ihre E-Mails durch und siehe da, Adelbert Herzog hatte ihnen tatsächlich eine Datei zukommen lassen. Darin befand sich so ziemlich alles über die Geldaktivitäten von Kai Uwe Metzinger, sowie dessen Firma Home Investments.
„Der hat ganz schön auf den Putz gehauen“, stellte Frank, der sich in diesem Metier auch ganz gut auskannte, fest, als er einige der Hochglanzprospekte von Kai Uwe Metzinger ansah. Auf einem war von einem, angeblich, klimaneutralen Projekt eines überdimensional großen Staudammes im Osten der Türkei die Rede, welches über fünfzehn Prozent Rendite pro Jahr abwerfen sollte. Das andere bewarb wiederum völlig Gegenteiliges, ein Investment in eine Ölfirma namens Petro Brasil, ansässig in Brasilien, die auf riesige Erdölvorkommen vor der Küste gestoßen war und nun für die Förderung Geld von verschiedenen Investoren benötigte. Auch hier wurden Renditen im zweistelligen Bereich offeriert.
„Wenn ich´s mir so anschaue“, meinte Richard, „ist alles mehr Schein als Sein.“
„Aber schön gemacht“, sagte Manfred.
„Darauf kommt es ja auch an, wenn du Leuten ihr Geld aus der Tasche ziehen willst“, erwiderte Frank. Er konnte nicht verstehen, wie man sich von solchen Hochglanzprospekten täuschen lassen konnte. Selbst hatte er in jungen Jahren an der Börse spekuliert, aber immer wieder sein Geld vor dem stets wiederkehrenden Crash abgezogen. So hatte Frank Jonas sich mit der Zeit ein stattliches Vermögen aufgebaut was nun auf einem, wenn auch nicht gerade üppig dotiertem Festgeldkonto lag und sein Auskommen absicherte.
Er schaute sich den Kundenstamm von Kai Uwe Metzinger an. Dabei fiel ihm immer wieder ein Name auf: Volker Hartmann. Er notierte sich die Häufigkeit der Nennung, als auch die Beträge, die jener investiert hatte. Nach dem er mit Rechnen fertig war, pfiff Frank durch die Zähne.
„Ich glaube, wir haben da was“, sagte er, wobei er Richard seinen Zettel mit dem von Volker Hartmann investierten Betrag reichte.
„Nicht schlecht. Ich denke, mit dem sollten wir uns mal unterhalten“, meinte jener.
Manfred lugte auf den Zettel von Frank, während er in der anderen Hand seine Kaffeetasse hielt.
„Zehn Millionen Euro? Wahnsinn! Bist du dir sicher?“
Frank sah mit einem vieldeutenden Blick zu Manfred, der ihm gegenüber saß, hinüber.
„Ich habe viermal nachgezählt. Jedes Mal dasselbe Ergebnis. Zehn Millionen Euro.“
„Zehn Millionen? War da nicht was mit der Württembergischen Genossenschaftsbank?“, fragte Richard.
„Stimmt“, erwiderte Frank, „Wenn ich richtig liege, arbeitet unser Volker Hartmann bei eben dieser Württembergischen Genossenschaftsbank.
Ein Anruf bei der Bank kurz darauf bestätigte seine Vermutung. Der Mann arbeitete als Leiter im Bereich Kundeninvestment. Frank hatte sich für den Nachmittag noch einen Termin mit ihm in seinem Büro am Hauptbahnhof geben lassen, ohne auf weitere Details einzugehen. Ein anfängliches Zögern der Sekretärin löste sich in dem Moment in Wohlgefallen auf, als er bekannt gab, dass er von der Kriminalpolizei war und in einer dringenden Angelegenheit, die keinen Aufschub duldete, mit Herrn Hartmann reden müsste.
In der Zwischenzeit hatte sich auch Sabine Metzinger gemeldet, die offensichtlich Richards Nachricht in ihrem Briefkasten gefunden hatte.
Richard bat sie daraufhin ebenfalls für den Nachmittag zwecks einer Befragung kurz ins Präsidium zu kommen, während Frank mit Manfred die Befragung von Volker Hartmann übernehmen sollte.
Die Zentrale, in der Volker Hartmann als Leiter des Kundeninvestments tätig war, lag neben der Baustelle des neuen, nicht unumstrittenen Stuttgarter Hauptbahnhofes. Volker Hartmann hatte sein Büro im fünften Stock des Gebäudes mit Blick auf die riesige Baugrube, wo in ferner Zukunft einmal die Züge unterirdisch durchfahren sollten.
„Guten Tag meine Herren, was kann ich für sie tun?“, fragte er und reichte ihnen zur Begrüßung die Hand. Frank empfand den Händedruck als etwas zu fest, geradeso als müsste er zeigen, wie selbstbewusst er war. Kann sich bald ändern, dachte er.
Volker Hartmann sah auf den ersten Blick sehr sportlich aus, ein hochgewachsener Mann mit drahtiger Figur in einem dunkelblauen Anzug. Er lächelte jovial, bot ihnen den Platz auf den zwei Stühlen vor seinem Schreibtisch an, und setzte sich dann hinter den Schreibtisch, der nun wie eine Schutzbarriere wirkte.
„Kennen sie einen Kai Uwe Metzinger?“, fragte Frank ihn ohne große Umschweife, da er wusste, dass Banker Meister in der Kunst des um-den-heißen-Brei-Herumredens waren.
Augenblicklich verdunkelten sich die Gesichtszüge seines Gegenübers. Frank registrierte nun auch jenes berüchtigte nervöse Zucken in seinen Augen, was ihm sofort aufgefallen war.
„Ja, den kenne ich“, antwortete er kurz angebunden, rutschte dabei aber auffallend nervös auf seinem Sessel hin und her.
„Sind sie von der Steuerfahndung?“, schob er hinterher.
„Nein, wir sind von der Kriminaldirektion eins in Stuttgart.“
Frank entschied sich, nur scheibchenweise mit der Wahrheit herauszurücken, was ihm angesichts der zunehmenden Nervosität seines Gegenübers der beste Weg schien, um an Informationen zu kommen.
„Wie war ihr Verhältnis zu Kai Uwe Metzinger?“, wollte Manfred wissen.
Hartmann blickte die beiden Hauptkommissare nervös an.
„Wieso war? Wir haben noch geschäftliche Verbindungen. Ich, beziehungsweise meine Bank, wir haben Geld in seine Projekte in der Türkei und in Brasilien investiert. Nicht wenig, wie ich betonen möchte.“
„Ich weiß, es waren nach unseren Informationen zehn Millionen Euro. Die wollten sie nun wieder zurückhaben, wie ich annehme“, ergänzte Frank.
„Genau. Wir schichten aktuell unser Portfolio um und sind dabei, nach gründlicher Überlegung, zu der Auffassung gekommen, das Home Investments nicht mehr passend ist. Leider hat Kai Uwe Metzinger bis jetzt noch nicht auf unsere Forderungen reagiert.“
„Ich fürchte, er wird es auch nicht mehr tun“, erwiderte Frank trocken, um nun die Katze aus dem Sack zu lassen. „Herr Metzinger ist tot.“
Volker Hartmann wurde, angesichts der soeben geoffenbarten Tatsache kreidebleich, griff nach seinem Glas Wasser, trank hastig einen Schluck und lockerte den Knoten seiner Krawatte.
„Was heißt tot?“, fragte er.
„Nicht mehr am Leben“, entgegnete Manfred trocken.
„Er wurde ermordet, um es genau zu sagen“, fügte Frank hinzu.
„Deswegen kommen sie zu mir? Glauben sie, ich habe etwas damit zu tun? So was absurdes. Warum sollte ich das tun?“, stotterte er und wurde sichtlich nervöser.
„Na ja, vielleicht weil ihre zehn Millionen Euro weg sind? Nach dem, was wir bis jetzt wissen, war Kai Uwe Metzinger bankrott. Ihr Geld wäre somit ebenfalls weg.“
Hartmann sank in seinem Stuhl zusammen und stützte den Kopf auf seine Hände.
„Sind sie da sicher?“, fragte er, doch er wusste genau, wie die Antwort der beiden Kommissare ausfallen würde. Jetzt brachen schwere Zeiten für ihn an, wenn kein Wunder geschah. Doch jene waren in der heutigen Zeit rar gesät. Das letzte verbriefte Wunder geschah vor etwas mehr als zweitausend Jahren im Raum Palästina. Ein ähnliches mit diesem Ausmaß bräuchte er in diesem Augenblick.
„Wo waren sie am Sonntagabend zwischen neun und zwölf?“, wollte Frank wissen.
„Daheim. Allein.“
„Kein gutes Alibi“, stellte Manfred fest.
„Da kann ich nichts machen. Ich habe mit dem Tod von Metzinger nichts zu tun. Es ist nicht mein Geld, welches er in den Sand gesetzt hat, sondern der Bank. Also, was habe ich für ein Motiv?“
Er schien seine anfängliche Nervosität abgelegt zu haben, um jetzt augenscheinlich in die Offensive zu gehen. Frank war sich, nach dem bisherigen Verlauf des Gesprächs, noch nicht sicher, was er von diesem Hartmann halten sollte. Im Kern seiner Aussage hatte er zwar recht, doch irgendetwas störte ihn an diesem Mann. Nur konnte er es noch nicht einordnen. Er beschloss, auch aufgrund der dürftigen Beweislage, Hartmann vorerst ziehen zu lassen, nahm sich aber vor, ihn näher unter die Lupe zu nehmen.
„Gut, ich denke, das war´s fürs Erste. Wir melden uns wieder bei ihnen.“
Frank gab ihm seine Visitenkarte und stand auf.
Der zögerte eine Weile und stand dann ebenfalls auf, um die beiden zur Tür zu begleiten.
Draußen auf dem Platz vor dem Gebäude strahlte Frank die Sonne ins Gesicht. Er setzte seine Sonnenbrille auf.
„Der hat Dreck am Stecken. Und nicht wenig.“
Manfred hatte ebenfalls seine Sonnenbrille aufgesetzt. Beide sahen nun wie die typischen Ermittler aus den amerikanischen Polizeifilmen aus.
„Der Meinung bin ich auch. Wir sollten uns auf ihn konzentrieren“, stimmte Manfred ihm zu. Er schaute auf die Uhr.
„Wenn ich schon hier am Hauptbahnhof bin, kann ich ja gleich die S-Bahn nach Ludwigsburg nehmen. Oder liegt noch was an?“, fragte er.
„Geh ruhig. Du hast dir deinen Feierabend verdient.“
Manfred verabschiedete sich. Frank sah ihm nach, wie er in Richtung der Eingangshalle des alten Hauptbahnhofes, dessen Ende immer näher rückte, verschwand.
Er schaute auf sein Smartphone, bemerkte, dass Richard ihn angerufen hatte. Während er über die Königsstraße zum Präsidium zurückschlenderte rief er zurück.
„Was gibt’s?“, erkundigte er sich.
„Die Metzinger war da. Aber die hat auch ein wasserdichtes Alibi. Bei euch was Neues?“
„Der Hartmann hat was zu verbergen. Den sollten wir im Auge behalten. Er wurde ziemlich nervös, als ich ihm sagte, dass der Metzinger tot ist. Da steckt mehr dahinter. Ich komm jetzt zu dir ins Büro.“
Nachdem sie am Spätnachmittag ihr Büro verließen, kam Frank auf die Idee, in der Nachbarschaft von Metzinger ein paar Anwohner zu befragen. Vielleicht, dies schien seiner Erfahrung nach gar nicht so abwegig, hatte ja einer von ihnen etwas bemerkt oder gesehen.
Beide hatten fast die gesamte Nachbarschaft befragt, doch niemand hatte etwas gesehen oder Verdächtiges bemerkt, geschweige denn gehört. Als sie zum Auto zurückliefen, rief ihnen eine Stimme von hinten zu: „Sind sie die Herren von der Kriminalpolizei?“
Die Stimme gehörte einem älteren Herrn, der einen schicken Blazer trug. Er hatte für sein Alter noch volles Haar und eine alte Hornbrille zierte sein Gesicht. Er lächelte die beiden verschwörerisch an.
„Ich glaube, ich kann ihnen helfen.“
„Aha.“
Frank war etwas skeptisch. Er war nicht ganz überzeugt, ob ihnen der Mann tatsächlich weiterhelfen konnte. Aber einen Versuch war es wert.
„Wie können sie uns denn helfen?“, fragte Richard, der auf der Beifahrerseite im Begriff war einzusteigen.
„Ich habe jemanden gesehen, der den Weg vom Metzinger seinem Haus hochgelaufen ist. Das war am Sonntag, so gegen halb sieben abends. Der war sehr in Eile. Ich wohne da oben in dem Haus.“
Er zeigte mit seinem Gehstock auf einen Balkon von einem gegenüberliegenden Haus, von dem man tatsächlich einen recht guten Blick auf die Straße und den Weg hatte.
„Können sie den Mann beschreiben?“, fragt Frank.
„Klar“, sagte der Mann mit fester Überzeugung.
Er gab ihnen die Beschreibung des Mannes, den er gesehen hatte. Frank wusste, aufgrund der äußerst detailgenauen Beschreibung, sofort um wen es sich handelte. Der ältere Herr hatte ihn in der Tat sehr treffend beschrieben.